Reinhard Döhl | Von Briefstellern, Briefen und anderen schriftlichen Lustbarkeiten
3. Briefsteller [2] Jean Paul und Stuttgart [Jean Pauls Frau an ihren Mann | Therese Huber | Jean Paul an seine Frau | Jean Pauls Frau an ihren Mann | Heinrich Voß | Ludwig Boerne und Stuttgart [Briefe an Jeanette Wohl 1920 | Sulpiz Boisereé | Briefe an Jeanette Strauss-Wohl 1922Briefe an Jeanette Strauss-Wohl 1825  | Philipp Ulrich Schartenmayer: Datpheus] | Briefsteller [3]

Briefsteller [2]

Abmahnungsschreiben von einer thörichten Heirath an einen Bruder.
[...] Sieh, Bruder, wenn man geheirathet hat, so hat man doch eine Frau; und die Frau hat unter andern auch einen Magen, der täglich mit Speise und Trank gefüllt sein will; sie hat einen Leib, welcher bekleidet werden muß; sie hat einen Rang, dem gemäß sie sich anständig betragen muß. Hat man eine Frau, so giebt es gewöhnlich auch Kinder, zuweilen ein ganzes Häuflein; und die kleinen Gäste bringen alle die Erbsünde mit auf die Welt, daß sie nach Hülle und Fülle schreien. [...] Mein Gott, wo denkst du denn hin? Sieh, du kannst ja jetzt als ein einzelner Mensch, da andere dir den Tisch dekken, mit deinen paar Thalern nicht ausreichen; wie wills denn werden, wenn du eine eigene Haushaltung führen sollst. Bilde dir doch nicht ein, daß man von Liebe satt und selig wird. Trunken und toll wol, aber nicht satt und selig. Es ist ein goldenes Sprüchelchen: Sine Baccho et Cerere friget Venus. Ohne Speise und Trank ist die Liebe kalt. Hunger ist das Grab der Liebe, und Nahrungssorgen der Tod der häuslichen Freuden.[...]

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Jean Paul und Stuttgart

Kommentar:
Jean Paul, genauer: der ältere Jean Paul und Stuttgart ist ein Kapitel für sich. Ich beginne mit eim paar Daten. In seinem 6. Jahrzehnt unternimmt Jean Paul zahlreiche Reisen: 1816 nach Regenburg, 1817 und 1818 nach Heidelberg, 1819 nach Stuttgart und nach Löbichau, 1820 nach München. Mich interessiert heute nur die Reise nach Stuttgart, auf deren Korrespondenz, und das macht einen Exkurs notwendig, Jean Pauls große Altersliebe einen Schatten wirft.
1811
20. November
Karoline Paulus, Frau des von JP geschätzten Heidelberger liberalen Theologie-Professors, schreibt, sie und ihre Tochter Sophie seien begeisterte Leserinnen JP's.
1817
2. Juli - 26. August: Reise nach Heidelberg, über Bamberg, Würzburg.
10. Juli: Abendessen in der Familie des Theologen Paulus. Dort lernt er dessen Tochter Sophie (1791-1847) kennen, seine Altersliebe, "die fast nur mich und die Bibel liest« (an Karoline, 18.7.)
27. Juli: Ausflug über die Bergstraße nach Weinheim. - Auf der Rückfahrt küßt JP Sophie "stundenlang" (s.u. Karoline am 15.6.1819 an JP), ein Vorfall, der zu einer jahrelangen Verstimmung der Eheleute führt.
30. Juli: An Karoline: "Und wie hoch steht und stellt vollends Sophie Paulus! Sie und du wären innigste Freundinnen. [...] Kochen. Klavierspielen, der Mutter-Vorlesen sind ihre 3 Tagräume".
20 August: An Karoline: "Welche liebe weibliche Gestalten kamen nicht vor mich! Ich habe seit 10 Jahren nicht so viel und so viele und so jugendlich empfindend geküßt als bisher; aber ich fühlte dabei das Feste und Hohe und Durchwurzelnde der ehelichen Liebe."
21. August: Trifft mit Ludwig Uhland zusammen. - Besucht die Gemäldesammlung der Brüder Boisserée.
23. August: Abreise aus Heidelberg.
24. September: Sendet Emanuel [Osmund] den empfindsamen Aufsatz "Über das Immergrün unserer Gefühle" zur Durchsicht, in dem die Liebe zu Sophie Paulus nachklingt.
11. oder 12. November: Karoline macht JP brieflich die heftigsten Vorwürfe wegen seiner zu zärtlichen Liebe zu Sophie:
"Du schreibst ihr so aufregend, daß sie von Stein sein müßte, wenn sie entweder nicht in Glut ausbräche, oder in Schmerz unterginge. Das süße 'Du' sagt man nur in höchster Liebe, dieses Wort gehört nur mir und Deinen Kindern. [...] Du sonderst so scharf 'eheliche Liebe' von diesem Gefühl und versicherst mich, daß diese für mich von ganz anderer Art wäre - aber glaubst Du, daß das genug für mein Herz ist, daß Du mich für einen treuen Hausüberrock hältst, der einen am gemüthlichsten wärmt, wenn man die Festkleider ausgezogen?"
1818
26. Mai - 4. Juli: Reise nach Frankfurt und Heidelberg.
11. Juni: JP erhält Karolines Brief, in dem sie schreibt, er solle, solange er wolle, in Heidelberg bleiben, ja es sei vielleicht das Beste, wenn er ganz dort bliebe und sie ihm seine Sachen nachschicke.
15. Juni: Abreise aus Frankfurt.
16. Juni: Ankunft in Heidelberg.
18. Juni: An Karoline: "Ich bin hier nicht halb so froh als früher." Sophie Paulus, von der er sich auffallend zurückzieht, sei "auf dem Wege einer Abblüte [...]. Sie zersetzt sich durch ihr übermäßiges Klavierspielen".
20. Juni: An Karoline: "Die 'poetische Blumenliebe des vorigen Jahres' ist leider (denn sie war so unschuldig) ganz und gar verflogen."
23. Juni: Karoline an JP: "Die Trennung von Dir ist es, ohne weitere Nebenideen, die lange als gefürchtetes Unglück, jetzt als erlebtes mein Wesen gestört und gebrochen hat."
1. Juli: Abreise aus Heidelberg, wo er diesmal "keinen einzigen rein frohen Tag" (an Karoline, 28.6.) erlebte - wohl aus Furcht vor den Vorhaltungen Karolines und wegen des sich anbahnenden Verhältnisses zwischen Sophie Paulus und A. W. Schlegel.
4. Juli: Rückkehr nach Bayreuth.
14. Juli: "Heute fing ich mein Leben [die sog. 'Selberlebensbeschreibung'] mit Wonsiedel an; und zufällig mit einer Feder aus Wonsiedel, die mir am Morgen zukam."
17. Juli: An Voß, der ihm über die zunehmende Intimität zwischen Sophie und Schegel berichtet hatte: "Ich vergeb' ihr 10 mal lieber das Lieben. als das Heirathen des Schlegel [...] einen ihres Charakters und ihrer Begeisterung für mich unwürdigern 53jährigen Gatten voll Eis und Schaum wüßt' ich nicht für sie."
30. August: Heirat zwischen Sophie und A. W. Schlegel ("Der Vermählring beider ist Glanzsucht; er in seinem Alter will mit einem schönen Klaviermädchen, sie mit einem durch Europa als Staëlischer Kebsmann berühmten Ehemännlein prunken" - an Voß, 31.8.)
16. November: An Voß: Über die von Sch1egel bereits getrennt lebende Sophie, "die nun weder Jungfrau, noch Ehefrau, noch Witwe, noch Liebende, nicht einmal Geliebte ist" (die Ehe war wegen der Impotenz Schlegels in die Brüche gegangen).
1819
20. Januar: JP bricht die Arbeit an seiner "Selberlebensschreibung" ab und läßt das Fragment für immer liegen.
4. Juni - 12. Juli: Reise nach Stuttgart (über Erlangen, Ansbach, Dinkelsbühl).
7. Juni: Ankunft in Stuttgart ("Nur wenige Stellen der würtenbergischen Landschaft bestehen matt neben Nürnberg. Bamberg, oder gar Frankfurt" - an Karoline, 3.6.). - Umgang mit Haug, Boisserée; Matthison, Reinbeck, Therese Huber, Cotta, Hartmann, Dannecker, Herzog und Herzogin Wilhelm u. a
8. Juni: JP besucht ein Konzert im Fuldaschen Garten.
9. Juni: Trifft Karoline Paulus (später auch Sophie - was seine Frau sofort wieder in Unruhe versetzte).
15. Juni: JP schlägt eine Einladung der Tübinger Studentenschaft zur Feier des Siegs bei Waterloo aus. - "Bekannt und geliebt bin ich hier hinlänglich und in jeder Gassen-Ecke seh' ich den Rücken eines Verehrers stehen." (an Karoline, 16. 6.)
17. Juni: An Karoline: "Dem Könige laß' ich mich nicht vorstellen; er liest wenig und hat nur einige Offiziere bei sich."
25. Juni: Trifft bei Cotta mit Henriette Herz zusammen ("ein junger fetter Rumpf, auf dem ein eingewelkter Kopf eingeschraubt ist" - an Karoline, 26.6.).
9. Juli: Abreise JP's aus Stuttgart.

Jean Pauls Frau an ihren Mann in Stuttgart.
[Bayreuth, den 15. Juni 1819.]
Dein hohes Blatt an mich habe ich mit dankbarer Rührung gelesen. Daß du doch noch die Güte für mich hast, mich aufrichten zu wollen. Es ist wahr, in der letzten Zeit war ich sehr verstimmt und habe das auf eine unartige Weise geäußert, aber bedenke, daß ich einen unglücklichen Winter hatte. Der Aufenthalt der Schubart hier tat meinem Lebensglück unendlichem Abbruch, die eingebildeten Versäumnisse, die Du mir vorwarfst, warfen mich wieder auf den alten Punkt harter Behandlung, die du seit drei Jahren Dir angewöhnt hattest, und diese mußte mich um so tiefer schmerzen, als ich fühlen mußte, daß ich die größere Zartheit deines Benehmens gegen mich einem anderen Wesen zu danken gehabt hatte, welches mir dafür das Wesentliche meines Glücks, die süße Überzeugung Deiner Treue (mit dem Herzen) umgestürzt hatte und mich dadurch für immer unglücklich gemacht. Du warst zuweilen sehr, sehr hart, und obwohl du in meiner Krankheit väterlich für mich sorgtest, welches ich gewiß sehr hoch anerkannte, so fehlte doch allem die Liebe. So ging es fort, bis die Ende kam, als das unglückliche Auffassen weniger Worte, die eine mir noch unbekannte Szene zwischen Dir und Sophie verrieten, mich wieder auf den alten Punkt brachte. Hättest Du nun die Schonung für mich gehabt, mir dergleichen niemals zu sagen, in welcher Ruhe wäre ich geblieben - denn niemals wäre es mir eingefallen, daß ein Mann in Deinen Jahren, der eine um sechzehn Jahre jüngere Frau hat, die ihn leidenschaftlich liebt und die er zu lieben vorgibt, in so vertrauliche Tändeleien mit jungen Mädchen sich einlassen könnte, sie stundenlang zu küssen usw. Also, hättest Du mir nur dies nie gesagt, Daß man sich für Frauen lebhaft interessieren kann, gern in ihrer Gesellschaft sein, finde ich natürlich, aber das Bedürfnis, die Sehnsucht nach körperlicher Verschmelzung ist ein Zeichen der Liebe, die bei guten Menschen nur allein - einer gehört, und wofür ein tugendhafter Mensch gar keinen Sinn hat. Es ist mir unbegreiflich, da es mir in meinem Leben nicht eingefallen ist, den schönsten Mann innig küssen zu mögen - es ist also ein Beweis, daß du mich nicht liebst, sondern bloß Gewohnheit, Notwendigkeit Dich abhält, ein Band zu lösen, das Dich drücken muß, und da ich nicht mehr Deine Freude bin, kann ich auch nicht mehr heiter sein. Zwar arbeite ich schon längst an mir, mein Herz zum Schweigen zu bringen, ich bekenne es selbst als ein wahnsinniges Herz. Wer lehrte mich die Ansprüche machen, da Du als Ausnahme der Menschheit nur eine Ausnahme unter den Frauen hättest bekommen sollen. Ich fühle es in jedem Augenblick, wie armselig, wie elend ich gegen Dich bin, allein die Liebe, die unendliche, die niemand weiter so empfinden kann, die gab mir Ansprüche, mit denen ich allzu kühn vor neunzehn Jahren Deine mir angebotene Hand ergriff, in jener Unerfahrenheit des Herzens, die schwärmerischen Menschen eigen ist. Doch dies alles soll nur die Vergangenheit entschuldigen, nicht Deine Gegenwart stören. Ich bin ruhig und froh in meinen Beschäftigungen, die ich als wohltätige Schlafpulver für die für Wünsche meiner Seele betrachte...

Die Schriftstellerin und Redakteurin am Cottaschen Morgenblatt, Therese Huber, die einst des Weltumseglers und Jakobiners Georg Forsters Frau gewesen ist, an Henriette von Reden.
[Stuttgart, 3. Juli 1819]
Dieser Jean Paul (Frau von Weinheim nennt ihn in ihrer literarischen Unschuld Sankt Paul), so wie er da ist, ward von Cotta in seinem Hause Frau von Humboldt vorgestellt: "Herr Legationsrat Richter". - Fährt der Mann auf und steht wie ein Pinguin, das mit den kurzen Flügeln patschelt - : "Wa - waas? Legationsrat Richter? Den kennt niemand, das ist nicht..." - "Wohl", sagt Cotta lächelnd, "also Jean Paul". Die Humboldt verneigte sich artig und fuhr fort, mit Sulpice Boisserée zu sprechen. Da hatte sie's nun schon sehr verdorben. - Nach einer Weile, wie er vor ihr stand, sagte sie sehr höflich zu ihm: "Sie sind jetzt hier etabliert?" - Der Mensch ward wie ein Zinshahn: "Etabliert? was wär' ich etabliert? so gut wie Sie bin ich etabliert!" - Und dabei streckte er den Arm so heftig gegen sie aus, daß mir für ihre Fontange bange ward. Die kluge Frau blieb ganz ruhig, ich nahm das Wort und sagte ihr, Jean Paul halte sich hier auf einige Wochen zum Besuch auf, und sprach von etwas anderem. Mein Herr Jean Paul aber wendete sich zu Cotta und sprudelte: "Dummes Zeug! Ich bin da über Danneckers Christus entzückt, und die fragt, ob ich etabliert wäre!" - Und nun trug er der Frau von Cotta auf, sie solle der Frau von Humboldt nur sagen: das sei eine ungeschickte Frage, und solche wär' er nicht gewohnt; und damit ging er ins Wirtshaus zum Abendessen.

Jean Paul an seine Frau
[Stuttgart, den 16. Juni 1819]
...Hier wird man aus den Tees gewöhnlich ohne Abendbrot heimgeschickt, das ich dann für einige Groschen im Gasthofe suchen muß. Gott! wie hungert mich nach einem Stückchen bayrischem Bäckerbrot. Das hiesige, bloß aus Dinkel gebacken und ungesalzen, schmeckt ungefähr wie getrockneter Kleister oder papier maché; und doch würgte ich es einige Abende - aus Sparsamkeit - mit einem Stückchen Wurst hinein...
Ich habe gar zuviel zu erzählen und so wenig Zeit; der Tisch liegt voll Bücher aus der Bibliothek, und von der Huber etc. Arbeiten will ich auch ein wenig. Für mein geselliges Benehmen hab' ich mir neue Gesetze gegeben. Ich suche Ruhe, vermeide überkochende Liebe, bin nicht kühn und satirisch und tische keine Persönlichkeiten auf. Ich kenne die Nähe der Gefahr bei fremdem Beifall und bei eignem.
Gestern, als ich auf dem Silberberg (ein öffentlicher Lustberg mit Gärten, wo jeden Sonnabend Konzert ist), arbeitete, kommen drei Deputierte der Thübingischen Studenten an, um mich zur Feier des 18. [Schlacht von Waterloo] dahin einzuladen mittels eines sehr schönen Schreibens; ich schlug es natürlich mit vieler Artigkeit und Wendung ab. -
Bekannt und geliebt bin ich hier hinlänglich, und in jeder Gassenecke seh' ich den Rücken eines Verehrers stehen. Nur müßt' es am Ende auch dem eitelsten Narren lästig fallen, daß er an einem öffentlichen Orte (z.B. im Gartenkonzerte) [bezieht sich wahrscheinlich auf Jean Pauls Besuch eines Konzerts im Fuldaschen Garten am. 8. Juni] nicht herumgehen kann, um etwa einige weibliche Gesichter anzusehen, oder die Gartenpartien ohne hinten und vorne und seitwärts von hundert Augen verfolgt, oder wenn er gar ins Sprechen kommt und sagt "Ihr Diener" oder "Eine Flasche Doppelbier", von den nächsten Ohren verschlungen zu werden. Gnade dann Gott dem armen Narren, wenn er vollends etwas Dummes sagt, anstatt das Allerwitzigste und Erhabenste. Einen oder ein paar Verehrer und Verehrerinnen an jedem Ort lass' ich mir gefallen; man wird aber am Ende so unverschämt und gleichgültig wie ein Prinz und tut, als sei man zu Hause, nämlich in Bayreuth.
Donnerstag... Alles Schöne liegt aber weit von Stuttgart: ach, es ist kein Heidelberg oder Frankfurt... Der Professor Reinbeck hat bei seinem Ehrenwort der Hausmannskost mich auf immer an seinen Tisch geladen... Die alte Huber, bei der ich auch zu Tee war, ist voll Geist und Herz (das letzte werd' ich dir zeigen, wenn ich mit Herder, dem Mann ihrer Tochter [Sohn des Dichters, bayerischer Forstrat], von ihr spreche), konnte aber kaum in der Jugend schön gewesen sein...
Seit gestern und heute (und fast immer) genießen wir liebliches Regenwetter, und ich wäre das glücklichste Wesen von der Welt, wenn ich eine Krautpflanze wär' oder ein Gerstenfeld. Und so will ich denn meine hiesigen Wochen weiter hinduseln, und dann die Bayreuther, bis die ganze. Narrheit vorbei ist. Es gehe dir wohl, liebe Karoline!

[Stuttgart, den 26. Juni 1819.]... - Jetzo eben hör' ich zu meinem Schrecken, daß auch die Post mir so wenig einen Brief gebracht wie der Kutscher. Wie konntest du dies tun, liebe Karoline! Wer in der Fremde lebt, bedarf am ersten der geliebten Stimmen aus dem Hause, aber nicht umgekehrt. Ich entbehre euch alle, ihr aber nur Einen...
Nun, so lebe denn wohl! Ach, wenn du nur an mich armen Teufel geschrieben hättest!

Jean Pauls Frau an ihren Mann.
Bayreuth, den 30. Juni 1819.]
Du sagst, ich soll Dir etwas Erfreuliches schreiben, vermag ich das? Du weißt, wie du in meinem Herzen herrschest, warum soll ich es wiederholen. Nein, ich gewöhne mich vielleicht, durch Unterdrückung des Ausdrucks meiner Gefühle sie selbst in jene vernünftige Gleichgültigkeit aufzulösen, in der Du Dich befindest. Ich werde schweigen, da die Sprache meiner Gefühle zu stark ist und alle Vernunft verletzt, bis vielleicht einmal in einer andern Welt keinen Unterschied zwischen der Liebe des Mannes und der Liebe des Weibes mehr gibt. Aber ich danke Dir für alles Beruhigende, was Du mir in Deinen Briefen gesagt hast, glaube nicht, daß ich diese Güte verkenne.
Schwer lege ich die Feder aus der Hand, um nicht mehr zu Dir zu reden - so unnütz und einfältig das Schreiben, so ist es doch ein wehmütiges Glück - Lebe wohl - Daß kein Unfall Deine Rückreise verderbe, darum bitte ich Gott. - Die Kinder grüßen alle. Karoline.

Professor Heinrich Voß [Professor der Philologie in Heidelberg, Sohn des berühmteren klassischen Philologen Johann Heinrich Voß] an Johann Christian Abeken [Kaufmann in Dresden, Mann von JPs Nichte Minnona Spazier].
[27. Juni 1819]
Vor acht Tagen etwa kommt Jean Paul in einen Garten drei viertel Stunden von Stuttgart. Sehr viele genialische und in seinen Geist verliebte Damen, die schon Wind von seinem Kommen gehabt, stürmen auf ihn zu, umwinden ihn mit Rosen und setzen ihm Kränze von Nelken und aufgesparten Lilien auf sein heiliges Haupt. Er ist heiter, redselig, empfindungsvoller als je; alles drängt sich um ihn, seinen geistreichen Gesprächen horchen. Mancher Kuß wird ihm gestohlen, Clorinde und Celia führen ihn in eine schattige Sommerlaube, da muß er Rede stehn über Liane, Idoine, Klotilde; der Himmel verklärt sich den Damen, wie er die Geschöpfe seiner Phantasie ihnen gleichsam ins Leben zaubert. Eine große Kollation wird gebracht, nie hatte Bacchus schönere Gaben gespendet. Nach dem Essen spielt man Pfänder, alles dreht sich um küsse von Jean Paul, seine Lippen sind die segnenden und gesegneten. Beim Zuhausefahren entspinnt sich Streit unter den Damen, wer ihn in ihren Wagen haben soll. Das Los entscheidet für die Glücklichste. Drei Damen setzen sich zu ihn, eine vierte springt schalkhaft nach, setzt sich dem großen Manne auf den Schoß und leidet es, daß er sie wonneglühend an sein warmes Herz drückt. Unter hochgeistigen Gesprächen kehren sie in Stuttgart ein. Beim Aussteigen dankt der edle Dichter weinselig und gefühlselig, für den genossenen unvergeßlichen Abend un d schließt mit den furchtbaren Worten: "Aber Jean Paul bin ich nicht, meine Holdseligen, Sie müssen es dem Herrn N.N. gütigst verzeihen, daß er Jean Pauls Rolle übernahm, als Sie ohne sein Zutun ihn damait beehrten. Morgen früh reise ich von hier." Und so war. es auch. Dieser Pseudojeanpaul war ein Professor Müller aus Bremen, den mir Professor Gatterer als einen Vierschrötigen, jovialischen, rundbackigen, schinkengenährten Sauphilister mit gutem Maulleder schildert. Jean Paul ist anfangs sehr entrüstet gewesen über sein nachgefälschtes Unebenbild; aber gleich darauf hat er's lustig gefunden... Aber was sagst du? vor zwei Jahren, als er hier sieben Wochen war, ist er gerade zu der Zeit, wie mir ein Student erzählte, auch in Königsberg gewesen. Ich fürchte am Ende, auch wir kennen den rechten nicht und haben uns anführen lassen wie die Damen. Ich muß ihn noch eigens über diesen Punkt befragen.

Kommentar:
Jean Paul stirbt 5 Jahre später, am 14. November 1825. Am 2. Dezember hält Ludwig Börne im Frankfurter Museum seine berühmte "Denkrede auf Jean Paul", in der es u.a. heißt: "Er aber steht geduldig an der Pforte des zwanzigsten Jahrhunderts und wertet lächelnd, bis sein schleichendes Volk ihm nachkomme."

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Ludwig Boerne und Stuttgart

Kommentar:
Wie Jean Paul hat auch Ludwig Boerne in Stuttgart Aufenthalt genommen, so gar dreimal, 1820, 1822 und 1825. Wir sind über dieser Aufenthalte aus den Briefen Ludwig Boernes an Jeanette Wohl ausführlich informiert, und sie lohnen - kaum bekannt - in mehr als einer Hinsicht eine ausführliche Lektüre..

Aus den Briefen an Jeanette Wohl, 1820

Stuttgart, Samstag den 11. Nov. 1820
Abends 8 Uhr

Ach, es gibt doch kein größeres Glück als das Glück nicht gestillter, aber beruhigter Sehnsucht! Wie ganz anders ist mir's jetzt als im vorigen Jahre, da ich noch nicht bloß meine Entfernung von Ihnen, sondern auch die Ihrige von mir zu beweinen hatte. Sie mögen sich stellen, wie Sie wollen, Sie mögen sagen, was Sie wollen, ich fühle es, daß ich mein geliebtes Schäfchen ins trockne gebracht habe. Vorhin wollte mich eine Art Heimweh anwandeln (und ich habe keine andere Heimat als das Zimmer, in dem Sie sind), da trank ich aber einen Schoppen Wein und aß Kastanien dazu, und alles war vorüber.

Nachdem ich mein[en] Brief an Sie auf die Post gegeben, ging ich zu einem hiesigen Handelsmann, an den von Murhard ich eine Empfehlung hatte. Dieser nahm mich überaus artig und freundschaftlich auf und schlug mir gleich vor, mich ins Museum einzuführen. Dabei bemerkte er (horchen Sie auf!), er bedauerte sehr, mich nicht selbst dahin begleiten zu können, da er sehr beschäftigt sei, weil er vor einigen Wochen das Unglück gehabt habe, seine Zahlungen einstellen zu müssen; er wolle aber einen von seinen Leuten mit mir schicken. Diese Natürlichkeit und Unbefangenheit nahmen mich schnell für ihn ein. Er führte mich in seinem Hause herum; da ist alles voller köstlichen Gemälde, Bildwerke, Bücher. Er ist ein sehr kenntnisvoller Kunstfreund. Sein Bankrott war mir sehr erklärlich. Er will mich mit Haug, Uhland, der Herausgeberin des Morgenblattes und andern bekannt machen.

Die Lesegesellschaft nimmt ein sehr großes Lokal von, wie ich glaube, zehn Zimmern ein. Alle möglichen Blätter. Im Morgenblatte steht bis jetzt mein Aufsatz noch nicht. Die Madame Huber (erwähntes Herausgeber-Weibchen) soll eine kuriose Frau sein. Mein genialer Kunstfreund und Geldfeind erzählte mir ein langes, breites und dickes von ihr, konnte sie und sich aber nicht faßlich machen. Ich bemerkte: aus dem, was sie in meinen Aufsätzen für das Morgenbl. gestrichen, scheine sie eine prude zu sein. ,,Ja, ja", erwiderte er, "das ist das rechte Wort, so ist sie." Bei ihr lebt ihre Tochter, die sich von ihrem Manne, einem Sohne des berühmten Herder, der in München angestellt ist, hat scheiden lassen. Ich werde sehen, was an den Weibern ist. Geschiedene Ehefrauen liebe ich sonst sehr.

Über Cotta wird hier stark abgeurteilt. Sie sagen, es sei ein eitler Mensch, der gern Minister sein möchte und sich wirklich der Hoffnung überlassen habe, es zu werden. Erst neulich habe er geäußert: er fände in Stuttgart nicht Spielraum genug, er wolle mit seinem Gelde nach Österreich ziehen. (Er hat anderthalb Millionen und zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Letztere soll nicht schön sein. Das wäre noch besser als mein Buckelchen.)

In Heilbronn (der Weg hierher führt durch) hatte ich ein höchst wundervolles Abenteuer, aber dessen verdrüßliche Folgen mich sehr beunruhigen. Ich bedarf Ihres Rates so sehr als Ihrer Teilnahme, liebe Freundin. Es war 8 Uhr morgens, als ich dort ankam. Mein Mantel war in der Naht fast eine halbe Elle lang durchgerissen, ich ließ mich daher zu einem Schneider führen. Der Mann, etwa ein Funfziger, sieht eher einem Landgeistlichen ähnlich, voller Würde und Milde im Gesicht, Das Wohnzimmer verriet Behaglichkeit. Er hieß mich sitzen, bis die Arbeit fertig sei. "Sie trinken wohl ein Gläschen Kirschwasser", sagte er, "die Nacht war kalt." Ich nahm es an. Darauf rief er die Küche hinab seiner Tochter etwas zu, das wahrscheinlich auf das Frühstück Bezug hatte. Herein trat ein 16jähriges Mädchen, so süß, so himmlisch, so duftend, wie sie wahrlich noch kein Dichter gemalt hat. Die Farbe ihres Kleides kannte ich nicht unterscheiden, denn es dämmerte noch etwas, aber ein schwarzer oder dunkler grüner samtner Mieder, geschlitzt auf altdeutsche Art, stand ihr gar zu lieb. Ihr Haar bedeckte ein gelbes Netze, und durch dessen Maschen waren die Zöpfe auf ganz eigne Weise geflochten. Einen zinnernen Teller mit Flasche, Glas und Brezeln in beiden Händen tragend, trat das Mädchen vor mir hin. Es machte mit niedergeschlagenen Augen einen Knicks und sprach: "Wohl bekomm' es, Herr." "Ich danke, liebes Kind",
sagte ich und wollte zugreifen. Da fiel plötzlich Teller und alles zu Boden. Das Mädchen tat einen fürchterlichen herzzerreißenden Schrei und stürzte mit bleichen Wangen, gebrochnem Auge, wie leblos zur Erde nieder. Sie mochte wohl keine Mutter haben; denn auf das Janmergeschrei eilte sie nicht hinzu. Aber der Vater! Der alte Mann schluchzte wie ein Kind, warf sich an seiner Tochter Seite und krisch, daß sich Holz und Steine hätten erbarmen mögen "O Jesus, Goldkind, was fehlt dir? Was hast du, lieb Käthchen?"...

In diesem Augenblick trat der Postwagenkondukteur herein, der fluchend und brummend mich zur Eile zwang. Ich war entweder bestürzt oder auch schwach genug, an die wenigen Gulden zu denken, die mir die Versäumung des Wagens gekostet haben würde, nahm meinen Mantel und verließ die guten Leute in ihrem Jammer. Aber ich litt unsäglich in der Erinnerung. Des Vormittags 10 Uhr komme ich hier an. Ich konnte aus dem Posthause meine Sachen nicht gleich mitnehmen, weil sie noch nicht ausgepackt waren. Man versprach sie mir ins Wirthaus zu schicken. Eine halbe Stunde später bringt sie mir der Postknecht. Ich bemerkte ihm, daß mein Nachtsack fehle, worauf er mit einem gar sonderbaren Lächleln erwidert, mein Bedienter hätte ihn aufgepackt und stände draußen wartend vor der Türe. Ich erschrak sehr und fürchtete einen Schelmenstreich, ich trete vors Zimmer und finde einen Menschen in einem Mantel und rundem Hute, keuchend mit meinem Sacke belastet. Der Postbediente ging unterdessen weg. Mein Bedienter tritt ein, und - werden Sie mein Erstaunen erraten? - ich erkenne in ihm das Mädchen von Heilbronn. "Um Gottes willen", fragte ich: "was soll das bedeuten?" - "Herr", sagte sie, "ja, ich bin Käthchen von Heilbronn und Eure Magd, und ich will Euch treu bedienen. Ich wußte nicht, sollte ich lachen oder weinen, und ich lachte mit tränenden Augen. "Ja, lacht nur Herr", sagte sie, "ich weiß doch, daß Ihr mich liebt und mich zur Frau nehmen werdet." Ich hieß sie mit geheuchelter Roheit sich fortbegeben...

Sonntag, den 12. Nov.
Abends 9 UhrIch habe Ihren Brief erhalten, himmlische Freundin. Ach, mit Schmerz erfahre ich es, meine Abweseneit hat Sie begeistert. Sie sind aus Lust und Wonne zur Dichterin geworden; so konnten Sie nicht schreiben, da ich bei Ihnen war. Sie sind die reizendste Närrin auf der Erde, Sie machen die Tollheit ehrwürdig, und man wird das Klugsein künftig den Dummen überlassen. Ich zitterte, unter Ihren Phantasien zu finden, daß Sie mich lieben, und war ganz selig, daß Sie das zur Prosa zählen. Ich ließ Ihren Brief im Morgenblatte abdrucken (es ist nicht ein einziger orthographischer Fehler darin), aber ich bin zu eifersüchtig, irgend etwas, was von Ihnen kömmt, mit der Welt zu teilen.

Nun zu meinem vollbrachten Tagewerke. Heute morgen, während ich ausgegangen war, ist mein Papa abgereist. Er hat sich aus dem Staube gemacht, aus dem Goldstaube eigentlich, er ließ mich nicht dazu kommen, ein Anleihen bei ihm zu machen. Meinetwegen, ich werde ausreichen. Bei Cotta wäre es fast wie gestern gegangen. Er unterhielt sich mit mir anderthalb Stunden lang, von allem möglichen. Es scheint mir fast, als wolle er mich auskundschaften, wozu ich etwa zu brauchen wäre (nicht von seiten des Geistes, sondern von seiten' des Charakters). Endlich ward ich müde und brachte das Gespräch auf das Ihnen wohlbekannte WägeIchen. Er bat mich, ihm schriftlich den Absatz usw. zu notieren und ihn morgen wieder zu besuchen. Was ich vermutet, war wirklich so. Er will seinen Namen nicht als Verleger herausstellen und sich darum der Tübinger Handlung bedienen. Er müsse sich genieren, sagte er. In Wien hätten sie im vorigen Jahre sogleich erfahren, daß er mir nach Paris geschrieben. (Halten Sie das aber geheim; denn daran war keiner schuld als Ihr Schwätzer in Frankfurt. Es könnte wieder so gehen.) ...

Allerlei Interessantes habe von ihm erfahren. Jean Paul soll der eitelste empfindlichste Mensch von der Welt sein. Im vorigen Jahre war die Frau von Humboldt zugleich mit Jean Paul bei ihm in Gesellschaft. Jene fragte diesen, wo er wohne. Dieses verstimmte Jean Paul so sehr, daß er den ganzen Abend kein Wort mehr sprach. Ich erinnere mich, daß die Herz, die auch gegenwärtig war, mir das nämliche erzählt hat. Rührt Sie das nicht eher, als daß Sie es lächerlich finden? Voltaire wohnte in einem Dorfe, und ganz Europa wußte, daß dieses Ferney sei. Cotta hat ein Buch von Jean Paul (grammatikalischen Inhalts) verlegt*). Dieses ist im Morgenblatte von Müllner sehr getadelt worden. Darüber hat ihm J. P. heftige Vorwürfe gemacht, daß er dieses als Verleger des Morgenblattes geduldet. Das finde ich nun sehr schwach und lächerlich. Voß ist ebenso. Mit Brockhaus, der seinen Shakespeare verlegt, hat er sich entzweit, weil dieser etwas für Stolberg hat drucken lassen. Also hätte ich doch einen Vorzug vor den größten deutschen Schriftstellern: daß mir kein Tadel wehe tut (der lhrige ausgenommen, weil Sie die Brotherrin meiner Seele sind).


*) Gemeint ist: Ueber die / deutschen Doppelwörter; / eine / grammatische Untersuchung / in / zwölf alten Briefen / und / zwölf neuen Postskripten, / von / Jean Paul. Stuttgart und Tübingen: Cotta 1820. Die Herausgeber

Zu einem gewissen Prokurator Schott führte man mich, zu einem der Volksredner bei den Ständen. Er kennt auch meinen Vater, für den er Advokatengeschäfte führt. Als ich ihm erzählte, ich sei des Herrn Jakob Baruch Söhnlein, war er sehr erstaunt. Ich sagte ihm, ich führe einen andern Namen, weil ich die Religion meiner Vätern (ich lasse zu Ihrer Übung zuweilen orthographische Fehler stehen) verlassen habe. Darauf scherzte ich sehr angenehm und mannigfaltig über diesen Gegenstand. Schott gibt sieh freundliche Mühe um mich. Er brachte mich zum Dichter UhIand. Der scheint jünger wie ich. Er sieht ohngefähr aus wie des Dr. Goldschmidt Vetter Student, der neulich bei Ihnen war, nur unbedeutender. In der Unterredung setzte er uns von allem Weine seines Geistes auch kein Gläschen vor. Sie können sich nichts Langweiligeres denken. Als ich mich verabschiedete, sagte ich: "Ich freue mich usw." Das übrige. in den Bart murmelnd. Das Gemurmel war aber nicht etwa: Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, sondern: von Ihnen wegzukommen, Sie "trockner Peter" (so bezeichnete ihn die Herz richtig).

Meine Empfehlung an die Rätin Kaulla habe ich abgegeben, die Frau gefällt mir recht gut. Sie hat ein feines anständiges Benehmen. "Mein Freund", sagte sie mir, ,,hofft, ich werde Ihnen während Ihres Aufenthaltes alles mögliche Angenehme erzeugen; in diesem Augenblicke kann ich mich Ihnen nicht gefälliger erweisen, als wenn ich meine Kusine da bitte, uns etwas zu singen." Das Mädchen, Karoline Kaulla, Tochter des in Hanau verstorbenen Kommerzienrates, sang, und wahrlich, sie hätte mir das Herz aus der Brust gesungen, wäre eins darin gewesen, comprenez-vous, Moppel? Schön ist sie aber gar nicht. Als sie fertig war, frug sie zweirnal den Spiegel, ob sie mir gefiele. Wie gut wäre es für uns und euch, wenn ein Teil der Männer blind wäre, ein anderer Teil taub und ein dritter blind und taub zugleich; dann fände jedes Mädchen sei Schätzi. Ich erkundigte mich fein nach erwachsenen Töchtern der Frau Rätin, (Comprenez-vous, Moppel?) aber sie hat keine. Ihre älteste Tochter ist verheiratet, ihre Buben sind noch klein.

Dr. Schott zeigte mir das Haus, worin die Ständesitzungen gehalten werden. Das ist herrlich eingerichtet, ganz theatralisch. Wie gern hätte ich mich auf die Rednerbühne gestellt und herabgedonnert: Ihr Minister, ihr SchlingeI, heißt das Regieren? Warum gebt ihr dem Dr. Börne keine Anstellung mit 12000 fl. Gehalt? Ist das Volk um eurentwillen da oder um des Dr. Börne willen? Geht mir aus den Augen, Schlingel!

Die Menschen hier gefallen mir sehr, und gar manches zieht mich an. Ich würde gern hierbleiben, aber Sie sind mein böser grauer Star. Sie würden mir die Sonne selbst verdunkeln, wenn ich ohne Sie darin wohnte.

Um Gottes willen, was fange ich mit Käthchen an? Das Mädchen liebt mich bis zum Wahnsinn. Soll ich sie verlassen, soll ich sie in die rohen Hände der Polizei geben? Sie folgt mir gewiß nach Frankfurt, was werden die Leute dazu sagen? In Heilbronn überhaupt scheint alles toll zu sein, Sie wissen, daß dort berühmte Bleichen sind. Ich kam abends im Dunkeln vor der Stadt an und fuhr an einer solchen Bleiche vorüber Da nahm ich wahr, daß mehrere weißgekleidete Gestalten auf der Wiese, mit Laternen in der Hand, sich hin und her bewegten. Ich fragte den Kondukteur, was hier bei Nacht geschähe, und dieser erzählte mir zu meinem Erstaunen, daß die wardelnden Gestalten junge Frauenzinnmer von Stande wären, die aus der ganzen Umgegend in Heilbronn zusammenkämen, um Sonnerflecken oder sonst einen Fehler der Gesichtsfarbe wegbleichen zu lassen. Da sie sich nun bei Tage den Gaffern nicht bloßgeben wollten, gingen sie, sobald es dunkel würde, auf die Bleiche und blieben dort bis Mitternacht. In Zeit von 8 Tagen würde auf diese Art der häßlichste Teint schön gemacht. Aber schmerzhaft ist die Operation, denn das Gesicht wird dabei mit ätzendem Salzwasser übergossen. Ist das nicht toll und seid ihr wert, daß euch der Teufel holt? So gut habt ihr's aber auch nicht, es holen euch nur Männer.

Die Liberalen hier suchen mich von Cotta abzuziehen. Sie sagen, ein Jounial, das bei Cotta erschiene, habe schon darum einen übeln Ruf. Ich solle mich mit dem Manne nicht einlassen. Es wäre noch keiner mit ihm fertig geworden. Er umschnüre seine Leute und suche sie in Abhängigkeit zu erhalten. Indessen, das kümmert mich nicht. Ich bin so schlimm als er, und er wird Not haben, mit mir fertig zu werden. Wenn wir nur über den Preis einig werden. Fast zweifle ich daran; er versteht sich zu gut auf seinen Vorteil.

In Ludwigsburg werden die Pfannkuchen nur auf einer Seite gebacken. Die erste Erraterin dieses Rätsels bekommt etwas Schönes mitgebracht. Die Auflösung foIgt unten.

Der Wagnermeister, mit dem ich auf dem Postwagen reiste, hat gesagt: "Rechtschaffenheit gibt Religion, aber Religion gibt nicht Rechtschaffenheit." Ist das nicht gut gesagt? Zu meiner Satire über deutsche Postwägen habe ich viel gesammelt. - Der Mystizismus und Pietismus herrscht hier sehr stark. Große Sekten solcher Schwärmer haben sich gebildet. Der Gastwirt, bei dem ich wohne (ein junger Mann), gehört auch dazu. Der Mensch hat sich durch seine Narrheit alle Gäste vertrieben, so daß ich mit nur zwei Personen zu Mittage esse. Abends nach 10 Uhr gibt er keinen Wein mehr. Früher war der "Römische Kaiser" einer der ersten Gasthöfe. Er läßt zum Frühstücke aller Hausbewohner (auch der Fremden) Mürbes in Gestalt eines Kreuzes backen, so daß ich alle Morgen das Kreuz kriege. Ihr sollt auch so ein Kreuz bekommen, ich bringe eins mit.

Montag, den 13. November, Mittag
Ich war wieder bei Cotta. Er meint, es ließe sich gar nicht einrichten, weil der Band schon angefangen habe; ich solle ihm indessen meine Bedingungen schriftlich mitteilen. Dieses habe ich getan, und ich werde morgen die Antwort hören. Allerdings hätte die Übernahme der Wage für den Verleger Schwierigkeiten. Auf jeden Fall wird das C. zum Vorwande, wenn ihm mein Honorar zu hoch ist. Ich habe für zwei Bände jährlich 2000 Gulden gefordert und ein Douceur für meine Kopistin. Anders tue ich es nicht.

Wie es mit meiner Abreise steht, weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich wird sie sich bis Freitag verschieben. Auf keinen Fall schreiben Sie mir ferner, der Brief würde zu spät kommen. - Sind Sie noch immer schön, haben sie nicht verloren seit meine Abwesenheit? Auch im heutigen Morgenblatte steht mein Brief nicht, wahrscheinlich wird er nicht aufgenommen. Ich werde die Frau Huber besuchen, es hat mir einer ihrer hiesigen Bekannten ein Billett an sie zugestellt. - Was macht mein liebes Vieh? Grüßen Sie sämtliches. Auch die Menschen darunter, Dr. Reiß und Stiebel.

Ein Empfehlungsschreiben an den Redakteur der Neckarzeitung, das ich von Frankfurt mitnahm, konnte ich nicht abgeben, da der liebe Mann jetzt einige Stunden weit von hier in der Festung eingesperrt sitzt, wegen Preßvergehen. - Die Boisseréesche Sammlung habe ich noch nicht gesehen; ich ginge gar nicht hin, wenn ich nicht Ihre Vorwürfe fürchtete. Die Kunst, liebe Freundin,... hem... das übrige können sie sich leicht hinzudenken. Ich weiß, daß Sie hierin ganz meiner Ansicht sind. - Soeben fällt der erste Schnee. Jede Flocke ruft mir Ihr geliebtes Bild zurück. Wieso das? Ja, ich weiß es wahrhaftig selbst nicht.

Nicht 1 1/2, 2 Millionen ist Cotta reich, wie ich soeben gehört habe, und wenn er meine Wage übernimmt, muß er es in kurzer Zeit zu 3 Millionen bringen. - Auf heute abend bin ich zum Tee eingeladen bei Prokurator Schott, auf morgen mittag bei Kaulla. Daß diese keinen erwachsenen - Töchter hat, verdirbt mir alle Freude. Wie rosenrot waren meine Hoffnungen.

Auflösung des Rätsels: In Ludwigsburg werden die Pfannkuchen nur auf einer Seite gebacken, denn der Ort hat nur Häuser auf einer Seite, auf der anderen Seite ist ein Lustgarten. Wer hat es zuerst erraten?

Die Gegend um Stuttgart ist herrlich. Hohe Berge umgeben die Stadt, bis an die Gipfel mit Wein und Häuserchen bepflanzt. Hier möchte ich wohnen. Und so gute Leute!

So artig bin ich, so fein, so superfein hier, und 11/4 breit. Sie glauben es nicht. Die Männer zittern vor mir, die Frauen beten mich an, die jungen Mädchen seufzen. Kann ihnen nicht helfen, bin schon versagt. Man nennt mich nicht anders als den schönen Doktor. Bleibt mir noch zu mehrerem Platz übrig, Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe, anbete, verehre und um das Glück beneide, mich zu besitzen. O ja, ich habe noch Raum, Ihnen zu sagen, daß künftig eine ganz neue Einrichtung mit uns getroffen wird. Ich bleibe nicht länger als bis abends 8 Uhr bei Ihnen, dann wird gearbeitet. Ich schreibe alle Woche ein Heft. Rauchen werde ich auch nicht mehr bei Ihnen. Adieu Ihr Vergangener, Gegenwärtiger, Zukünftiger

Dr. Börne, geb. Wohl.
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Sulpiz Boissereé | Unsere Galerie

Sonst geht es uns freilich ganz erwünscht und müssen wir die hiesigen Einwohner sehr loben. Von der Wirkung, welche die Gemälde unserer Sammlung auf sie machen, könnte ich Ihnen nicht genug erzählen. Da zeigt sich die Eigenthümlichkeit der Schwaben von der besten Seite. Seit einigen Wochen strömen die Besuche aus allen Ständen, vom Vornehmsten bis zum Geringsten, vom Aeltesten bis zum Jüngsten, und das betet sich nicht einander nach, sondern Jedes findet auf seine Weise eine Freude, Belehrung oder Erhebung. Besonders können sich die bibelfesten Bürgerleute nicht satt genug sehen an diesen Spiegeln eines gesunden, frommen, seelenvollen Lebens. Wenn Sie zu uns kommen, werden Sie sich freuen, die vielen originellen Aeußerungen zu hören.

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Aus den Briefen an Jeanette Strauss-Wohl, 1822

München, Freitag, 4. Jan. 1822
Der Postwagen ist heute morgen gekommen und hat nichts mitgebracht, Sonntag kömmt wieder einer. Sie tugendhafter Bösewicht, warum sind Sie so übereilig zu jeder Guttat als andere zu Übeltaten? Warum schicken Sie Geld zur ungelegenen Zeit? Denn daß dieses geschehen, daran zweifle ich nicht. Aber warum haben Sie mir nicht geschrieben? Konnten Sie nicht berechnen, daß ein Postwagen 7 bis 8 Tage auf seinem Wege zubringt? Ungeratenes Kind, ich verstoße und enterbe Dich. Da sitze ich nun in meinem leeren Zimmer, alles eingepackt und festgeschnürt, kein Buch, kein Hemd, keine Geduld. Ist das die Art, einen Mann wie mich zu behandeln, vor dessen Tadel sogar Könige zittern? Mein Vater hat wieder geschrieben, wo ich so lange bleibe. Unterdessen erhält er meinen Brief und antwortet darauf. Diesem Verdrusse habe ich entliehen wollen. Grausame Barbarin!

Sonntag, 6. Jan. Drache, Schlange, Klapperschlange, Riesenschlange, Eidechse Skorpion, Tarantel, Hyäne, Krokodil, wilde Katze - es ist Ihr Glück, daß ich meine Naturgeschichte schon eingepackt habe, aber in Stuttgart will ich mir Zeit dazu nehmen, und da soll das Schimpfen erst recht angehen. Der heutige Postwagen hat nichts mitgebracht. Das ist mir zwar lieb, weil ich das Geld nicht brauche, aber ich hoffte, bei dieser Gelegenheit einen Brief zu bekommen. Um Gottes willen, warum haben Sie mir nicht geschrieben? Erst in dem Briefe, den Sie Donnerstag von mir erhalten, sagte ich Ihnen, Sie sollten nicht mehr schreiben, also hätte ich noch eben Brief erhalten müssen. Morgen früh reise ich von hier weg, Donnerstag komme ich nach Stuttgart, Freitag schreibe ich Ihnen. Ich bitte Sie aber, nicht zu warten, bis Sie meinen Brief erhalten, sondern gleich nach Empfange des gegenwärtigen mir nach Stuttgart in den "König von England" zu schreiben. Sollte gegen alle Erwartung noch ein Schreiber oder Paket an mich auf dem Wege hierher sein, so beunruhigen Sie sich nicht, denn ich habe dafür gesorgt, daß mir alles nach Stuttgart geschickt werde.

Mein Vater hat heute wieder geschrieben, meine Mutter hat mir den Brief zugeschickt und einen Dolmetscher, der mir ihn vorlas. Die Sache ist gelinder abgelaufen, als ich erwartet habe, aber mit der Anstellung hat es so ziemlich seine Richtigkeit. Mein Vater schrieb: "Daß der Doktor nicht hierherkömmt, tut mir sehr leid. Er hätte hier sein Glück machen können, ich hätte ihm vielleicht eine Anstellung verschafft. Er soll mir einen ostensiblen Brief schreiben, warum er nicht kömmt etc." Wenn mein Vater schreibt, "vielleicht", so war die Sache schon in Ordnung. Welcher Gefahr bin ich entgangen. - Soeben sagt mir mein Kutscher, er habe erst kürzlich Hebräer nach Würzburg gefahren. 0 Sisyphus! - Adieu. Jetzt komme ich Ihnen näher. Schlange. wende Deinen Kopf weg, sonst, wenn es Deinen Atem fühlt, kömmt Dir Dein Vögelchen an den Mund geflogen. Dr. Börne, geb. Schlange.
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Stuttgart, Freitag, 11. Jan. 1822

Abendwolf, Abgottsschlange, Alligator, Alpenrabe, Ameisenbär, Armpolyp, Atzel, Auerochs - Bachstelze, Bär, Bartgeier, Basiliske. Bienenfresser, Bombardierkäfer, Brieftaube, Brillenschlange, Bruchschlange., Brummfliege, Butzkopf - Centconblatolli, Chamäleon, Curassaospinne - Distelfink, Dohle, Dompfaff, Dromedar, Drossel, Dudu - Eisbär, Elster, Ente (gemeine), Ente (türkische), Esel, Essigälchen - Faultier, Feuersalamander, Fischadler, Flußnymphe - Gänsefuß, Galgenvogel, Gans, Geier, Gimpel, Goldpuppe, Gottesanbeterin, Gutfisch - Habicht, Hammel, Hexe, Höllenfurie, Hofdame - Ibis, Jupujapa - Kakadu, Knurrhahn, Königsschlange, Krähe, Kräuterdieb - Lämmergeier - Mandelkrähe, Medusenstern, Meerengel, Meerschlange, Menschenfresser, Müllerchen - Nachtigall, Natter (ägyptische), Natter (gehörnte), Natter (gemeine) - Otter, Otternköpfchen - Paradiesvogel, Pfefferfresser, Pfingstvogel, Prachtkäfer, Purpurschnecke, Quappe - Rhinozeros, Ringelnatter, Rohrdommel - Sardelle, Schakal, Schauerschlange, Schoßschlange, Siebenschläfer, Singdrossel, Sonnengeier, Spottdrossel - Tapezierbiene, Taubengeier, Teufelchen (formosanisches), Teufelskind, Trampeltier, Trotzkopf - Uhu - Vampyr, Verkehrtschnabel, Vielfraß - Wasserskorpion, Würger (grauer), Würger (rotköpfiger), Würger (tyrannischer) - Zaunkönig, Zeisig, Zibetkatze, Zuckertierchen - Schurke, Schuft, Schlingel, Spitzbub, Dieb, Mordbrenner, Fränzin Moor... Ah, jetzt ist mir die Brust ganz leicht! Aber auch kein gutes Wort wird geschrieben, bis ich Brief von Ihnen bekomme, bis Sie sich verteidigt und gereinigt haben. Adieu. Dr. Börne, im "König von England".

Ich vermag es doch nicht über mich, den Brief so lieblos zu schließen. Und eben überfällt mich die Angst, wie, wenn es etwas anderes war als Nachlässigkeit, daß Sie mir nicht nach München geschrieben? Beruhigen Sie mich bald. Wie froh bin ich, daß ich meine Berge und meinen Wein wieder habe! Süße Turteltaube, trockne deine Tränen, es war so übel nicht gemeint.

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Aus den Briefen an Jeanette Strauss-Wohl, 1825

Stuttgart, d. 28. Febr. 1825
Nachdem ich gefrühstückt, geraucht, Italienisch gelernt und alle andern Pflichten erfüllt, die mir als Menschen, Christen und Staatsbürger obliegen, will ich anfangen, meinem lieben Bärbelchen zu schreiben, in Erwartung Ihres Briefes, der bald kommen wird, nämlich um halb 10. Sollten Sie glauben, daß in dem elenden kleinen Stuttgart es einen Unterschied von zwei bis drei Stunden macht, welche man die Briefe früher oder später erhält, je nach der Straße, in der man wohnt? Ich wollte wetten, daß dieses in Paris nicht der Fall ist. Als ich in der Nähe der Post wohnte, erhielt ich meine Briefe um 7 Uhr, und jetzt bekomme ich sie erst um halb 10. Aber was lache ich ins Fäustchen, wenn ich an Ihre Briefe denke. Oh das dumme Bärbelchen, wie läßt sie sich zum besten haben! Ich hatte nicht mein gehofft als auf wöchentlich zwei Briefe und wäre dabei ganz vergnügt gewesen, und jetzt schreiben Sie mir einen Tag um den andern, und es ist nur abgeschmackte Großmut von mir, daß ich die Sache nicht weitertreibe. Ich bin doch ein feiner, politischer Kopf. Ich habe jetzt schon 25 Briefe von Ihnen, und 46 Tage bin ich von Ihnen entfernt. Es lebe Maximilian, Kaiser von Östreich! Wundern Sie sich nicht, daß ich den leben lassen? Erstens schadet es nichts, denn er ist schon 300 Jahre tot; zweitens hat er die Briefpost eingeführt, um seinen Nachfolgern das Vergnügen zu verschaffen, anderer Leute Briefe auf der Post öffenen zu lassen und ihren Inhalt zu erfahren. Sie werden wohl ebenso viele Briefe von mir haben, vielleicht noch mehr. Der Fürst von Taxis hat gute Kunden an uns. - 0 weh, o weh! heute ist der Brief ausgeblieben. Gott hat mich gewiß strafen wollen, wegen meines Spottes. Es geschieht mir recht. ich hätte mein Glück bescheidener ertragen sollen. Ach, es ist eine gar traurige Lage. Von 9 bis halb 10, solange ich hoffe und fürchte, habe ich das hitzige Fieber und später das kalte. Aber warum haben Sie mir nicht geschrieben? Das muß eine besondere Ursache haben, da ich doch, wie ich mich erinnere, in meinem vorletzten Briefe sehr verdrießlich gewesen und Sie, ohne Verhinderung, gewiß bedacht gewesen wären, mich zu erheitern. Ich bin nicht ängstlich, aber neugierig. Mein Übermut hat sich bald gelegt Eins vergessen Sie nicht, daß, wenn auch unsere wechselseitige Freundschaft bei uns beiden gleich groß ist, unsere Verhältnisse aber verschieden sind. Ich bin ganz allein, habe gar keine Zerstreuung und niemand, mit dem ich von Ihren sprechen könnte. Ich habe nichts als Ihre Briefe und meine Einbildungskraft. Sie aber sind unter hundert guten Freunden und können, wenn Sie Lust haben, den ganzen Tag von mir sprechen. --- Triumph! Triumph! Da kömmt der Brief noch! Um halb 11. Jetzt bin ich wieder übermütig. Ich habe mein Bärbelchen gut erzogen, es schreibt so oft ich will und muckst nicht. Auch hier ist seit einigen Tagen wieder strenger Winter, und diesen Morgen liegt viel Schnee. Verlassen Sie sich darauf, daß ich bei solchem Wetter nicht reise. Aber mit Ihrem 4ten März sind Sie ganz toll. Ich habe gestern gelesen, was Olbers bekannt gemacht, und gefunden, was ich vermutet, daß sich die Sache nicht so schrecklich verhält, als es euch dummen Frankfurtern vorkam. Olbers machte aufmerksam, daß sich am 4ten März der Mond in der größten Erdnähe befände, was alle Jahre einmal geschieht und was auf die Meeresflut immer Einfluß hat, denn die tägliche Ebbe und Flut, mein dummes Bärbelchen, wird durch den Mond bewirkt. Dieser Umstand, meint 0., kann bei der Wassersucht woran jetzt die Erde leidet, einen Einfluß haben, und Überschwemmungen könnten sich erneuern. Aber das kann nur an den Seeküsten Einfluß haben und geht uns Binnenländer gar nichts an. Da sehen Sie aber wieder, was wir für ein elendes Vaterland haben, selbst unser Jammer ist abgeschmackt. Andere Länder haben Erdbeben, feuerspeiende Berge, Peste, Revolutionen und andere hitzige Krankheiten, wie sie die Jugend und die Gesunden befallen; wir alten siechen Deutschen haben nichts als die dumme Wassersucht.

Mein letzter Brief wird Sie darüber beruhigt haben, daß ich die Kapital-Dummheit nicht begehe. So einfältig war auch mein Plan gar nicht. Aber noch besser ist es freilich, gar nicht davon zu sprechen. - Mit meinem Logis werde ich es schon einzurichten wissen, und ich hoffe, es auf unbestimmte Zeit tageweise mieten zu können.

Heute vor 8 Tage wurde hier ein Mörder hingerichtet*), der für Sie ein eignes Interesse haben muß. Oh Bärbelchen, nehme Dir ein Exempel und bessere Dich! Reinlichkeit ist aller Laster Anfang! Reinlichkeit führt zum Morde und auf das Blutgerüst! Jener arme Mensch beging einen Totschlag und starb von Henkers Schwert, weil er zu sehr auf Reinlichkeit gesehen und zuviel Wasser zum Waschen gebraucht. Das ist kein Scherz, das ist fürchterlicher Ernst. Oh Sünderin, bekehre Dich! Er war früher Soldat. Im vorigen Sommer suchte er vergebens ein Unterkommen. Um nicht brotlos zu sein, ging er in das hiesige Arbeitshaus und blieb dort als freiwilliger Arbeiter, wie mehrere andere. Von Jugend an (wie er vor Gericht erklärte) Reinlichkeit liebend, hatte er mit seinen Stubenkameraden die Verabredung getroffen, daß abwechselnd jeden Tag ein anderer einen Zuber Wasser tragen sollte, um das Zimmer anfzuwaschen. Es geschah. Nur einer, als die Reihe an ihn kam, weigert sich dessen. Der Soldat klagte deswegen beim Verwalter des Arbeitshauses. Dieser lachte und sagte: ich habe es nicht geheißen. Das kränkte den Soldaten, daß er durch diese Entscheidung sein bei seinen Kameraden erworbenes Ansehen verloren. Er nahm sich vor, an dem Verwalter Rache zu üben, ob ihm zwar (wie er gestand) seine Strafe auf dem Blutgerüste deutlich vorschwebte. Wie nun der Verwalter eines Tags in das Zimmer tritt, stieß er ihm sein Brotmesser in den Leib und die Brust und tötete ihn. Ganz ohne Heimtücke, in Gegenwart zweier Zuschauer, die zu erschrocken waren, ihm abzuwehren. Auch ließ er sich von einem herbeigekommenen Polizeidiener ruhig arretieren und gestand sogleich sein Verbrechen. Der arme Teufel wurde bei der Hinrichtung schrecklich gemetzelt. Dreimal wurde gehauen, ehe der Kopf abging. Der sonst geschickte Scharfrichter hatte die Geistesgegenwart verloren, weil er im Augenblick der Hinrichtung in dem Delinquenten, den er früher nicht gesehen, einen Jugendfreund erkannte. Der Hinrichtung habe ich nicht beigewohnt, aber ich war bei dem armen Teufel im Zimmer, ehe er abgeführt wurde, bei dem sogenannten peinlichen Halsgericht, welches öffentlich gehalten wird. Die Zeremonie dauerte eine Stunde, und ich will ihnen ein anderes Mal davon erzählen. Aber seit der Zeit habe ich einen Abscheu gegen das Wasser und wasche mich selten.

Adieu Bärbelchen, schreiben Sie mir nicht so selten und liebe mich wie ich Dich. Ihr B.

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Kommentar:
Zu der von Boerne ausführlich erwähnten Hinrichtung vgl. die Kurze / aktenmäßige Beschreibung / des - von / Johann Georg Philipp Datpheus / von Stuttgart, / den 29. September 1824 / an dem Spinnhaus-Aufseher / Heinrich Gebhard Grempenfort / daselbst / verübten Mords. / [2 Zierleisten] / Stuttgart 1825. - Philipp Ulrich Schartenmayer, d.i. Friedrich Theodor Vischer [30.6.1807-14.9.1887] tritt mit seinem Lied auf die Mordtat des Datpheus und ihre blutige Strafe erstmal an die Öffentlichkeit.

Philipp Ulrich Schartenmayer | Wie Johann Georg Philipp Datpheus von Stuttgart den 29. September 1824 daselbst den Spinnhausaufseher Heinrich Gebhard Grempenfort ermordete und hierauf den 21. Februar 1825 hingerichtet wurde.

Was sich jüngst vor wenig Tagen
Hat in Stuttgart zugetragen
Tut euch, alt und jung, mein Mund
Zur Belehr- und Warnung kund.

Warum stehn so viele Leute
Auf der Feuerbacher Heide?
Seht! dort steht ein Blutgerüst:
Nimm ein Beispiel, guter Christ!

Fragt man, auf was Art und Weise
Steht das Volk umher im Kreise?
Anzusehen welch ein Werk
Wartet dort halb Württemberg?

Hört es, liebe Christenklinder!
Jetzo köpft man einen Sünder,
Welcher in dem Spinnhaus dort
Hat verübet schweren Mord.

Auf dem Stuhle angebunden
Wartet er auf Todeswunden
Neben ihm der Magistrat
Und Dekan zu Trost und Rat.

Dorten auch mit breitem Schwerte,
Ihn zu födern von der Erde
Angetan mit schwarzem Kleid
Steht der Richter längst bereit.

Alles stehet voll Begierde:
Wie es vor sich gehen würde.
Jetzo gibt man das Signal,
Und der Richter schwingt den Stahl.

Aber hört, wie seinen Willen
Nunmehr täte Gott erfüllen:
Zweimal schlug der Richter fehl,
Bis er traf Datphei Kehl.

Dreimal muß der Richter schlagen.
Warum? dies will ich euch sagen:
Dreimal hat der Mann den Tod
Schon verdient auf dem Schafott.

Zweimal ward er pardonieret,
Weil er schändlich desertieret.
Dreifach büßt er nun den Tod;
Also will's der liebe Gott.

Nunmehr laßt euch auch erzählen
Seine Thaten, seine Fehlen,
Und wie bis zum Blutgerüst
Es mit ihm gekommen ist.

Schon da er ans Licht gegangen,
Hat er einen Fehl begangen,
Denn es sollte schon nicht sein,
Weil er kam unehlich drein.

Gut doch ward er unterrichtet
Und sein Herz zu Gott gerichtet.
Bald nach diesem kame er
Als ein Schneider in die Lehr.

Doch es flohe bald der Friede
Aus dem kindlichen Gemüte;
Er versäumte seine Pflicht,
Kannte keine Ordnung nicht.

Darum nun entlief er, leider!
Seinem Herrn, dem guten Schneider,
Ließ darauf sich werben an,
Und er ward ein Trommlersmann.

Doch es wollt' ihm nicht gefallen
Dort in der Kasernenhallen,
Und nach einer kurzen Zeit
Lief er fort von hier ins Weit'.

Er versuchte fremde Suppen
Bei den kaiserlichen Truppen.
Hier auch desertiert' er bald,
Denn er hatte keinen Halt.

Doch das alles herzusagen,
Was sich ferner zugetragen,
Stünde mir zu lange an,
Folgendes nur höret an.

Achtmal ist er desertieret,
Ward in Rom zum Tod geführet,
Zweimal hat verdienter Tod
Schon dem bösen Mann gedroht.

Zweimal kam aus mildem Munde
Ihm der Trost und frohe Kunde:
Daß statt seiner Taten Lohn
Ihm man schenke den Pardon.

Als man nun zum zweitenmale
Ihn befreit vom Todestahle,
Tat man für die Sünden sein
Sechs Jahr ihn im Asperg ein.

Wie die Frist war überstanden
Und er kam aus Kerkersbanden,
wollt' er schaffen um den Lohn,
doch man wies ihn ab mit Hohn.

Denn es ruht' im ganzen Lande
Auf dem Namen Datpheus Schande.
Und man gabe ihm hernach
In dem Spinnhaus Dach und Fach.

Hier führt' er ein schlechtes Leben,
War dem Spiel und Trunk ergeben,
Schlug gern drein und balgte sich,
Fluchte auch ganz fürchterlich.

Ob der kleinsten Bagatelle
Tobt' sein Herz wie eine Welle,
Und sein Sinn, so roh und toll,
War der Rachsucht übervoll.

Oftmals schon für Streitigkeiten
Mußt' er Kerkerstraf erleiden,
Doch auch dieses warnt' ihn nicht
Vor des Herren Strafgericht.

Doch es war im Spinnerhause
Viel Unreinlichkeit zu Hause;
Datpheus drang auf Reinlichkeit,
Dies zu sagen macht mir Freud.

Drum verlangt' er unverhohlen,
Daß man sollte Wasser holen,
Jeder zu der Putzerei,
Wenn an ihm die Reihe sei.

Einer seiner Kameraden
Namens Schreiber ließ erraten
Daß zu dieser Arebeit
Er mit nichten sei bereit.

Datpheus klagt dem Spinnhausvater:
"Grempenfort, du mein Berater,
Sag dem Schreiber nur geschwind,
Daß er plötzlich Wasser bringt."

Grempenfort nun sagt mit Lachen:
"Dieses sind nicht meine Sachen."
Wie er's sprach mit seiner Stimm,
Faßte Datpheus argen Grimm.

Wart! Ich will es dir schon sagen,
Daß du so verwirfst die Klagen!
Dachte er in seinem Sinn,
Dieses bracht' ihm nicht Gewinn.

Bald hierauf nach wenig Monden
Hat sich dieses vorgefunden,
Daß er einem Maurersknab'
Ungerechte Schläge gab.

Darauf ward er eingeschlossen,
Dieses hat ihn sehr verdrossen;
Daß er hatte Hausarrest,
Ist ihm unbequem gewest.

Und aus solcher kleinen Quelle
Floß nunmehr die Tat der Hölle.
Als er sahe Grempenfort,
Hat er ihn ermordet dort.

Denn als er in seine Stube
Kam, da griff der Höllenbube
Nach dem Messer mit der Hand
Auf dem Simsen an der Wand.

Rannt' auf ihn und warf ihn nieder,
Stieß es ihm in viele Glieder,
In den Hals zuletzt mit Grimm;
Da vergienge ihm die Stimm.

Er versetzt' ihm sieben Wunden,
Wie sich nachher hat gefunden;
Alsbald ward er arretiert
Und zum Kerker hingeführt.

Plötzlich hat es mir geschwanet,
Daß ich also hab ermahnet:
O, ihr Württemberger, glaubt,
Datpheus wird des Kopfs beraubt!

Also ist es nun geschehen,
Und der Richter in der Höhen
Hält nun selber sein Gericht
Über diesen Bösewicht.

Also muß der Frevler büßen,
Und die Straf folgt auf den Füßen.
Laßt euch dies zur Lehre sein,
O ihr Freunde, groß und klein!

Laßt dem Zorn das Herz nicht offen,
Sonst könnt ihr nicht Gnade hoffen;
Denn das Herz, das Rache hat,
Wird verführt zur bösen Tat.

Liebet alle eure Freunde,
Liebet selber eure Feinde!
Denn dem Richter in der Höh
Tut der Menschen Rache weh.

Wird euch nun dies Büchlein teuer,
Denket an den Schartenmeyer,
Denn er ist ja euer Freund,
Der er gut und christlich meint.

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Kommentar:
[wird noch nachgetragen]

Briefsteller [3]

Süße Emilie!
Welch ein Zauberklang liegt schon für mich in diesem wunderschönen Namen! Mein ganzes Wünschen und Hoffen, ja, meine ganze irdische Glückseligkeit liegt in diesem einen Worte. Sie, nur Sie von allen Millionen weiblicher Wesen, die auf dieser Erde wallen, sind im Stande, die Glut zu dämpfen, die mein ganzes Sein durchdringt. [...] Ihnen nur will ich meine Kräfte weihen, und Ihr irdisches Wohl nach Möglichkeit zu fördern, wird stets das höchste Streben meines Lebens sein. Von diesen Empfindungen durchdrungen. bitte ich Sie, recht bald durch eine freundliche Antwort zu beglücken
Ihren Sie anbetenden Albert Ehrlich

0 Emilie, nur ein Wort der Hoffnung und ich bin der Glücklichste der Sterblichen! Es wird mir übermenschliche Kraft gehen nach dem Ziele zu ringen, wo so herrlicher Lohn mir winkt! Es wird mein ganzes Wesen läutern und reinigen, auf daß nichts Gemeines und Unedles in mir bleibe; mein ganzes Leben und Streben wird nur einen Zielpunkt haben: mich würdig zu machen des Engels, der sich Emilie nennt. Lassen Sie mich nicht lange in diesem Schwanken zwischen Leben und Tod, das schrecklicher ist als der Tod selbst. Sprechen Sie es aus, ob ich namenlos glücklich oder namenlos elend sein soll.

Des Fräuleins von H. Antwort an den Hauptmann von 0.

Mein Herr Hauptmann!
Ihr gestriges, für mich so höchst ehrenvolles Geständniß würde mich seht unglücklich machen, wenn ich nicht aus allen Ihren Handlungen und noch jetzt aus Ihrem Briefe die Beruhigung entnehmen könnte, daß meine Erwiederung, sie sei, welche sie wolle, Ihnen nichts von dem Gefühle Ihres großen Werths, nichts von Ihrem gerechten Selbstbewußtsein wird rauben können.
Und so zögere ich denn nicht, mein Herr Hauptmann, Ihnen ein Gegengeständniß zu thun, wegen dessen Sie nur das Schicksal anklagen können, das aber unfehlhar zu Ihrem Besten es so und nicht anders wollte.
Ich bin nicht mehr frei! Ein heiliges Gelübde band mich seit Jahren an einen Mann, den ich Ihnen jetzt dreist nennen darf; es ist der Justizrath von Hinüber. Vor fünf Wochen meldete er mir seine Beförderung.
Sollte ich noch einer weiteren entschuldigenden Erklärung bei Ihnen bedürfen, so wollen Sie dieselbe nur in dem früheren Vorhandensein der Ansprüche meines Verlobten finden.
Und so unterzeichne ich mich denn mit der aufrichtigsten Hochachtung als
Ihre ergebenste Adele von Hagen.
Itzehoe, den 3. Juni 1854

Hochgeehrter Herr!
Schon seit drei Jahren hin ich die Verlobte des k.k. Supernumerar-Hof-Bergamts-Concipienten Hergentschweiler in Kremsmünster. Ich bin wahrhaftig untröstlich darüber, daß dieses, wenn auch noch nicht veröffentlichte, doch meinen hiesigen Verwandten wohlbekannte und im häuslichen Kreise täglich erwähnte Verhältniß durch das sonst in Herzens-Angelegenheiten so überaus geschäftige Gerücht nicht zu Ihrer Kunde gekommen war, ehe Sie sich zu einem Gefühle hinreißen ließen, dessen wahrer und tiefempfundener Ausdruck mich schmerzlich ergriffen hat [...]
Ihre ergebene N.N.
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Friedrich Wolf  | Leopold Marx/Hermann Hesse | Leopold Marx/Martin Riekert | Auf der nämlichen Erde | Poemchess | Mit Doderer durch Deutschland | Herrn Georg Rodolf Weckherlin, London >