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Reinhard Döhl | Holz, Keramik

Da Robert Steiger bisher im süddeutschen Raum kaum ausgestellt hat, darf ich mit der Vorstellung des Künstlers beginnen, der 1929 in Muggenbrunn im südlichen Hochschwarzwald geboren wurde. Der Lehre als Holzbildhauer und Steinmetz folgt in den 50er Jahren ein Bildhauerstudium und mit diesem der Übergang vom Handwerk zur Kunst: zunächst in Freiburg, dann in Berlin. Mit der Übersiedlung nach Berlin verläßt Robert Steiger den heimatlichen Boden. und es wird sich, wie bereits für viele Künstler vor ihm - ich denke zum Beispiel an Baumeister, an Hägele, an Henninger, den Lehrer Kirchbergers, oder an Schlemmer - und es wird sich auch für ihn das Problem stellen, diese verlorene Heimat auf einer anderen Ebene zurückgewinnen zu müssen. Robert Steigers 'Emigration' jedenfalls führte ihn nach den Berliner Studienjahren nach Krefeld, zunächst als freischaffender Bildhauer, dann als Lehrer, heute als Professor für Gestaltungslehre an der Fachhochschule Niederrhein.

Diese äußere Biographie erfährt beim Übergang von der handwerklichen zur künstlerischen Ausbildung ihre entscheidende Zäsur 1954 durch eine Parisreise des damaligen Freiburger Studenten. Dominierten bis zu ihr das Modellieren in Ton und Gips und die naturalistische Darstellung, erfolgt jetzt in den Ateliers von Hans Ärp, Constantin Brancusi, Julio Gonzalez, Nicholas Schöffer, Georges Vantagerloo und Ossip Zadkine der eigentliche Anstoß zu einer eigenständigen Entwicklung, auf die auch die Auseinandersetzung mit Pablo Picasso Einfluß gewinnt.

Bei dem Versuch, das recht unterschiedliche Werk dieser Künstler auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen, würde ich zunächst von einer ihnen allen gemeinsamen Tendenz zum Lapidaren sprechen. Wobei ich durchaus mit der Mehrschichtigkeit dieses Wortes spiele, das sich bekanntlich vom lateinischen lapis = Stein herschreibt. Eine zweite, davon nicht immer deutlich zu trennende Tendenz wäre die Entdeckung des Primitiven, die zum Beispiel Brancusi in der Vergröberung seines Formenkanons Motive afrikanischer Skulptur aufnehmen, seine fetischartigen Holzskulpturen entstehen ließ. Eine dritte Tendenz wäre die Praxis eines recht verstandenen Surrealismus, und hier die unterschiedlichsten Versuche, zu einer vor beziehungsweise hinter unserer Realität sich verbergenden Wirklichkeit vorzustoßen. Was sich viertens und schließlich mit der Tendenz zu symbolhafter Gestaltung berührt.

Natürlich lassen sich die genannten Künstler diesen Tendenzen nur partiell zuordnen. Und ebenso selbstverständlich ist ihre Ausstrahlung auf die Werkgenese Robert Steigers von unterschiedlicher Stärke. Ich kann das aus Zeitgründen hier im einzelnen nicht ausfuhren, möchte aber wenigstens auf das surreale Moment im Werk Julio Gonzalez, seine anthropomorphe Figürlichkeit hinweisen, aber auch auf Ossip Zadkines starke Beziehung zum Holz, speziell seine Holzreliefs. Wobei diese Hinweise nicht so zu verstehen sind, als hätten diese Künstler ihre mit Händen greifbaren Spuren in der Werkentwicklung Robert Steigers hinterlassen. Sie gaben vielmehr plastische Erkenntnisse vor, die Steiger nur aufnehmen und sich anverwandeln mußte, um zu sich selbst zu kommen.

Diese künstlerische Selbstfindung setzt, wenn ich mich in Steigers Atelier recht umgesehen und in der Literatur über ihn richtig umgelesen habe, deutlich zu Beginn der 60er Jahre ein. Gisela Fiedler-Bender hat in einem Katalog des Kaiser-Wilhelm-Museums 1978 die bis dahin eher formalen Entwicklungslinien des Steigerschen Werkes nachgezogen, und ich darf dies zitieren.
Anfang der 60er Jahre entstehen eine Reihe von Betonreliefs, gleichsam als Positivformen, als Abdrücke. Die Negativformen, nach denen sie gegossen wurden, waren flache Holzkästen mit verschieden geformten Holzteilen als Einlage, zur Formung und Gliederung der Betonmasse. Während zunächst nur die Positivform von Bedeutung war, trat bald die Negativform in den Vordergrund und entwickelte sich selbständig weiter. Die ersten Holzreliefs wirken noch wie Gußformen für Beton, nur daß sie freier in der Gestaltung sind, da die Rücksicht auf die technischen Probleme eines Gusses wegfällt. Das Überschreiten der abgeschlossenen Form, das Sprengen durchgehender, klarer Umrißlinien war der nächste Schritt. Steiger löste sich von der
blockliaften geometrischen Form und ließ seine Plastik nach allen Seiten wachsen, setzte Teile an und schuf neue Zusammenhänge und Beziehungen, indem er verschiedene Formen miteinander verband. Auch die Farbe kommt nun in einigen Arbeiten hinzu, nicht dominierend, überdeckend, sondern behutsam betonend, hervorhebend, als Kontrast und Akzent die Raumwirkung verstärkend. Neue Aspekte ergeben sich durch die zusätzliche Verwendung von Polyester, das Steiger 1975 in seine Holzplastik einbaut. Es sind kleine gegossene Reliefs in dunklen Farben; eingebettet in das Holz werden sie sowohl farblich als auch kompositionell zum Mittelpunkt.

Robert Steiger hat inzwischen diese Verbindungsversuche heterogener Materialien aufgegeben, dafür sich in den letzten Jahren zunehmend der Weiterentwicklung seiner Holzplastik gewidmet. Es entstehen jetzt Arbeiten, die in doppelter Hinsicht interessant sind:

1. in ihrer Rückbezüglichkeit auf die bäuerlich-handwerkliche Herkunft Steigers, eine Tradition, in der der Umgang mit Holz bis heute bestimmend geblieben ist; und
2. in ihrer Bezüglichkeit auf den Mythos, die gleichsam geistige Herkunft menschlichen Denkens.
Das gilt auch für jenen Teil der heutigen Ausstellung, der einem oberflächlichen Betrachter vielleicht als kunstgewerblicher Sündenfall erscheinen mag: die Wandteller. Auch für sie gelten die Tradition des bäuerlich irdenen Geschirrs - bereits die Teller selbst werden von Steiger hergestellt - sowie die mythologische Bezüglichkeit ihrer scheinbar naiven Bemalung. Zugleich aber sind sie ohne die Erfahrungen Picassos, seine keramischen Inventionen ebenso wenig denkbar, wie sich die letztjährigen Holzplastiken Steigers zum Beispiel nicht ohne Kenntnis der lapidaren, idolartigen Formfeststellungen (Hoffmann) Brancusis erschließen lassen.
Ganz offensichtlich verbirgt sich also hinter der Plastik und Keramik Robert Steigers mehr, als die von Gisela Fiedler-Bender formal und eher äußerlich nachgezogenen Entwicklungslinien vermuten ließen. Um mich diesem Mehr ein wenig zu nähern, darf ich das Gesagte auf die beiden - zugegebenermaßen etwas belasteten - Stichworte "Heimat" und "Mythos" verkürzen und mich dabei zuerst an das Stichwort "Heimat" halten.

Ein Teller dieser Ausstellung ist von Robert Steiger "Die schwarze Glucke" getitelt. Steiger hat dieses Motiv so aufgebaut, daß der Rumpf der Glucke eine Art Gestell ist, auf dem die Küken sitzen. Es ist keine Frage, daß gerade ein solcher und auffälliger Aufbau das traditionelle Bild schützender Fürsorge (wie es in Bibel, Gesangbuch, in bildender Kunst und Literatur allzu oft ge- und verbraucht wurde) überhaupt noch möglich macht. Aber das ist für mich im Moment nicht das Interessante. Mich interessiert vielmehr, daß es zu dieser Motivwahl eine biographische Entsprechung gibt: das Kindheitserlebnis einer für ihr Geschäft eigentlich schon untauglichen alten Glucke, die fremde, von ihr ausfindig gemachte Eier ausbrütete.

Nimmt man dies als einen ersten Hinweis, finden sich im Werk der letzten Jahre eine ganze Reihe weiterer Belege, die in die gleiche Richtung weisen. Da wäre zum einen die Plastik der "Gottesanbeterin", die es heute nur noch am Hammelsberg im Saarland und am Kaiserstuhl gibt. Da wäre zweitens eine Reihe von Stühlen, auf denen man durchaus sitzen kann und soll, und die derart zurückverweisen in einen Lebensumraum, in dem sich der Mensch seine Gebrauchsgegenstände selbst herstellen mußte. Zugleich erweist sich aber ihre scheinbare Primitivität bei genauerem Hinsehen, schon durch die Wahl des Holzes und seine unterschiedliche Behandlung, als eminent ästhetisch, sind sie zugleich Gebrauchsgegenstand und Kunstgegenstand (zum geistigen Gebrauch).
Dieses Wechselspiel von Zweckbestimmung und Sinngebung, diese Mehrschichtigkeit von ästhetischer Gegenwärtigkeit und assoziativer Rückbezüglichkeit zeichnet drittens aber auch die Plastik ,,Kopflose Gesellschaft" aus. Denn das Reittier läßt sich - bezogen auf die Steigersche Vita - unschwer als Schniedesel, als Schnitzbank ausmachen, ein zur Herstellung von Schindeln und Holzschuhen verwendetes, für den Bild- und Uhrenschnitzer ebenso unersetzliches Werkgerät wie obligates Requisit des Schwarzwaldhauses, das vielleicht schon in der kindlichen Phantasie Robert Steigers sich ins Fabeltier verwandelte.

Diese Indizien, die sich vermehren lassen, müssen ausreichen als Beleg dafür, daß sich zahlreiche Arbeiten Steigers ikonographisch bis in die Kindheit zurückverfolgen lassen. So gesehen sind sie zweitens auch ein Beleg für meine Ausgangsthese, daß sich Robert Steiger - wie viele Künstler vor ihm - seine verlorene Heimat auf einer anderen Ebene zurückzugewinnen versucht. Daß wir drittens auf dieser höheren Ebene Heimat nicht nur lokal, sondern in einem übertragenen Sinne auch als geistige Heimat menschlichen Denkens verstehen müssen, fuhrt zugleich zu dem zweiten Stichwort: "Mythos".

Mit ihm hat sich Robert Steiger in den letzten Jahren auf vielfache Weise beschäftigt. Seine unter dem Titel "Reflektiertes Betrachten" zusammengefaßte Gestaltungslehre weist ihn als intensiven Leser hier einschlägiger ethnologischer, psychologischer und philosophischer Literatur aus. Auch die ausgestellten Teller liefern manch illustrativen Hinweis. Sei es, daß sie gleichsam archetypisch "Weiblichkeitssymbol" und "Männlichkeitssymbol" kontrastieren, oder "Die Geburt" darstellen, wobei mit dem einschlägigen Teller eine Plastik aus Birnbaum korrespondiert. Sei es, daß auf einem anderen Teller "Pizarro [...] dem großen Inka eine Geschichte" erzählt. Vor dem Hintergrund der historischen Zerstörung der mythologisch fundierten Inkakultur namens des christlichen Abendlandes wird dabei zugleich etwas von der geselischafts-, besser der kulturkritischen Intention sichtbar, die das letztjährige Werk Robert Steigers durchaus enthält, einer Intention, die sich bereits dem Titel der erwähnten Plastik "Kopflose Gesellschaft" deutlich ablesen ließ. Auch zu ihr existieren übrigens mehrere Teller.

Diese für die letztjährigen Arbeiten Robert Steigers auffällige doppelte Realisation eines Themas auf Wandteller und als Plastik bedarf durchaus einer kleinen Anmerkung. Steigers Herstellen und Bemalen von Tellern sollte - wie bereits gesagt - keinesfalls als kunsthandwerkliche Nebenproduktion mißverstanden werden. Eher sind Steigers Wandteller eine Folge seines Wechsels von einer in den 70er Jahren weitgehend gegenstandslosen zu einer immer gegenständlicheren Produktion. Innerhalb dieser ein selbständiger Teilbereich, bieten die Wandtelier Steiger aber auch die probate Möglichkeit, sich in kürzerer Folge, als dies plastisches Arbeiten zuläßt, mit ihm wichtigen Themen auseinanderzusetzen, erste Lösungen zu finden. Die Teller Robert Steigers haben also bei aller Eigenständigkeit auch eine dem Entwurf, der Skizze vergleichbare Funktion. So gesehen deuten sie wie ein Skizzenbuch die Breite an, in der sich Robert Steiger mit mythologischen Fragen beschäftigt. Zwei Wandteller und eine Plastik signalisieren dabei die von Robert Steiger bezogene Position. Sie sind in gezielter Anspielung "Der Gott, der das Gute wie das Schlechte bringt" getitelt. In gezielter Anspielung, sage ich, und ich beziehe mich dabei nicht nur auf ein Gespräch im Kerkener Atelier, sondern auch auf ein längeres Plato-Zitat in Steigers Gestaltungslehre. In ihr zitiert Steiger nämlich, und ich darf dies meinerseits verkürzt zitieren, aus Platos berühmter "Politeia", undzwar aus der Diskussion um. philosophisches versus mythologisches Denken.

Man darf also [...] weder den Homer gelten lassen, noch einen anderen Dichter, der unbedachterweise in bezug auf die Götter [den] Fehler begeht und sagt, daß zwei Gefäße
   Stehn an der Schwelle Kronions,
   Voll von Schicksalen, das eine mit guten, das andre mit schlimmen,
und wem Zeus aus beiden gemischt reicht,
   Den trifft bald ein erfreuliches Los, bald wieder ein schlimmes.

Zeus sei, war Plato überzeugt, nicht Spender des Guten und Bösen. Vielmehr sei es eines der Gesetze und Muster in Bezug auf die Götter, nach welchem die Sprechenden zu sprechen und die Dichtenden zu dichten und - so ergänze ich - die Bildhauer zu arbeiten hätten: daß die Gottheit nicht von allem Ursache ist, sondern nur von dem Guten.

Mit dieser Überzeugung Platos, die zugleich eine Entscheidung für das Denken der Philosophie und gegen das Wissen des Mythos war, erklärt sich Robert Steiger nicht einverstanden. Gegen dieses Denken und für den Mythos setzt er Wandteller und Plastik. Das ist natürlich nicht in dieser Verkürzung, sondern so zu verstehen, daß Robert Steiger sich einmal gegen ein auf das Machbare heruntergewirtschaftetes Zweckdenken wendet und seine Entsprechung, eine nur konstruierte Kunst. Gegen sie setzt er die scheinbare Primitivität der Zeichnung, die scheinbare Kunstlosigkeit seiner Plastik. Zum zweiten sollen sowohl der bemalte Teller wie die zugehörige Plastik eine Welt des Denkens symbolisieren, in der es kein Leben ohne den Tod, aber auch keinen Tod ohne das Leben, in der es das Gute nicht ohne das Böse, aber auch das Böse nicht ohne das Gute gibt.

Der Mythos, die Religion, die diese Antithetik durchaus noch im Gleichgewicht verstanden, sind durch die Entwicklung des Denkens von Plato über die Renaissance bis hin zur Aufklärung von ihren Aufgaben suspendiert worden. Und sie sind auch nicht wieder einsetzbar. Martin Heidegger, der offensichtlich in der Biographie Robert Steigers eine gewisse Rolle spielt, hat in einem Aphorismenbändchen die Formel geprägt: Wir kommen für die Götter zu spät und zu früh für das Seyn. Dessen angefangenes Gedicht ist der Mensch.

Der Gießener Philosoph Odo Marquard hat dies kulturgeschichtlich gesehen und erklärt, daß spätestens seit der Romantik an die traditionelle Stelle der Religion die Ästhetik getreten sei. In diesem Sinne setzt Robert Steiger einem Denken, das den Mythos (die Religion) suspendierte, die Kunst, seine Kunst entgegen. Er zeiht - mit ästhetischen Mitteln - eine Gesellschaft, die sich in der Forderung nach immer mehr Lebensqualität veräußerlicht, der Kopflosigkeit (= "Kopflose Gesellschaft"). Er stellt ihr zum Beispiel den Gott, der das Gute wie das Schlechte bringt, entgegen. Er bietet einer immer durchrationalisierteren Kultur mit seinen "Stühlen" Paroli. - Mit diesen Stühlen, die in die biographische Kindheit zurückverweisen, mit der Darstellung eines Gottes, der das Gute und das Schlechte bringt und damit in die Kindheit der Menschen zurückverweist, erfahren Heimat und Mythos aber gleichsam ihre utopische Wendung, werden sie - im Sinne eines Blochschen Paradox - erfahrbar als Hoffnungspotential, als etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.

[Galerie Geiger Kornwestheim, 29.6.1985. Druck in R.D. (Hrsg.): Kunst Handwerk Kunst. Kornwestheim: Edition Geiger 1986]