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Reinhard Döhl | Querdenker. 30 Jahre Galerie von Kolczynski

Folkmar von Kolczynski hat mich gebeten, ein paar Worte zu den Querdenkern [zu] sagen. Das hat mich in einige Verlegenheit gebracht, da ich bis heute noch nicht einmal herausgefunden habe, was ein Denker ist. Denkt er, wenn er denkt, wie bei Rodin, sitzend, den Körper leicht vorgebeugt, einem Melancholiker verwandt? Oder ist er mehr die Stuttgarter Variante, die in strengpietistischer Tradition nur aus Kopf besteht oder etwas, das man dafür halten soll und das demnach zum Denken unerläßlich scheint. Dann bedürfte er statt eines Körpers nurmehr zweier Arme, um den notwendigen Abstand vom Boden der Tatsachen zu halten. Was für diesen Falle mit Sicherheit ein Denken aus dem Bauch ausschließt.

Da ich auf diesem Wege einerseits nicht recht vorankam, Folkmar von Kolczynski andererseits aber nicht sitzend oder auch nur den Kopf stützend, in jedem Fall leicht vorgebeugt sitzen oder stehen lassen wollte, habe ich als nächstes den lexikalischen Weg der Information gesucht und mich prompt in einem Gestrüpp verfangen aus

querab, Querachse, Querbalken, Querband, Querbau, Querbaum, querbeet, Querbinder, querdurch, Quereinstieg, querfahren, Querfalte, querfeldein, Querfeldeinlauf, Querfeldeinrennen, Querfeldeinstrecke, Querflöte, Querformat, Querfortsatz, Querfrage, Querfurche, Quergang, Quergasse, Quergebäude, quergehen, quergestreift, quergrätschen, Querhaus, querhin, Querholz, querkommen, Querkopf, querköpfig, Querköpfigkeit, Querlage, Querlatte, querlegen, Querleiste, Querlinie, Querpaß, Querpfeife, Querrichtung, Querrille, Querruder, Quersack, querschießen, Querschiff, querschiffs, Querschlag, Querschläger, querschlägig, Querschnitt, querschnitt[s]gelähmt, Querschnitt[s]gelähmte[r], Querschnitt[s]lähmung. Querschreiben, querschreiben, Querschuß, Querseite, Quersitz, Querstraße, Querstreifen, Querstrich, Quersumme, Quertal, Quertrakt, Quertreiber, Quertreiberei, querüber, Querverbindung, Querverhalten, Querverweis, Querwand.

Grenze ich als nicht dazugehörig, also vom mittelhochdeutschen twerch bzw. zwerch herkommend, grenze ich als nicht dazugehörig die vom lateinischen querela bzw. mittellateinischen querulans abstammenden Querelen und Querulanten beiderlei Geschlechts aus, ergibt meine lexikographische Recherche in "Meyers Enzyklopädischem Lexikon, Band 32, Deutsches Wörterbuch, O - Z", Mannheim 1981, eine Strecke von zwei Lexikonspalten. Das sind fast 10 Prozent des nach X und Y drittunbedeutendsten Buchstabens des deutschen Alphabets, Q.

Entscheidend ist aber, daß auf dieser 10prozentigen Strecke des drittunbedeutendsten Buchstabens des deutschen Alphabets der Querdenker gar nicht vorkommt, als bezeichnete Sache also nicht existiert.
Nun wäre es zwar kein Schaden, in Stuttgart nicht zu existieren, aber ich nahm an, daß Folkmar von Kolczynski dies von mir nicht hören wollte und machte mich erneut auf den Weg durch das Alphabet, diesmal der Ausgestellten

Albrecht/d, Arnold BC, Panne Bachawat, Baniprosonno, P.M. Bauer, Sigrid Baumann-Senn, Ulli Berg, Hans Bergweiler, Andreas Bindl, Claudia Böhm, Frieden Brehler, Hans Brög, Klaus Bushoff, Carl Camu, Emil Cimiotti, Heinz Decker, mich lasse ich hier bescheidenerweise aus und fahre fort mit Wolfgang Ehehalt, Hellmut Erath, Michael Eyssele, Sylvia Farago, Lothar Fischer, Hardy Frebel, Dietrich Fricker, Dieter Göltenboth, Alberto Guimaraes, Andres Günzel, Helmut Gutbrod, Peter Guth, Willi Hahn, Volker Hamann, Margarete Hecklinger, Klaus Heuser, Johannes Hewel, Heinz E. Hirscher, von Hoyningen Huene, Ulrike Kirbach, Michael Klenk, Daniele de Luca, Edgar Meinzer, Susanne Neuner, Heike Pillemann, Johannes Rave, Margarete Rebmann, Helmut Rieger, Andrea Rusch, Roland Schauls, Hermann Schenkel, Martin Scholkmann, Werner Schreib, Babette Schütze, Sebastiano Sicura, Jörg Siegele, Günther Sommer, Andreas Sparaco, Kei Suzuki, Sam Szembek, Edgar Tezak, Thitz, Michael Urtz, Wolf Vostell, Raimund Wäschle, Elly Weiblen, Gabriele Zeller, Gérard Zlotykamien.

Dazu zahlreiche anonyme Künstler aus aller Welt, was rein quantitativ eine Strecke ergibt, die in ungefähr der Strecke von querab bis Querwand entspricht.

Nachdem ich mich derart durch das Alphabet der Künstler der Galerie durchgearbeitet hatte, kam mir der Verdacht, daß Folkmar von Kolczynki, als er mich bat, ein paar Worte zu den Querdenkern zu sagen, genau an diese Namen dachte und das Querdenken als Wasserzeichen seiner nun 30jährigen Galeriearbeit versteht. Womit ich vom Regen unter die Traufe gekommen war. Denn jetzt hätte ich nach den Regeln der Deduktion mich dem Oeuvre jedes Einzelnen zuwenden müssen, um seine Auffälligkeiten herauszufiltern und aus dem Summe dieser Auffälligkeiten eine Definition des Querdenkers, sein - wie es neufränkisch heißt - Profil zu abstrahieren. Da ich aber aus der Fülle der Ausstellenden lediglich das Werk von 17 Künstlern mehr oder weniger gut kenne, was heißt, daß ich allenfalls für 25 Prozent des Galerieprofils geradestehen kann, entscheide ich mich endgültig für den subjektiven Ausweg.

Und ich beginne mit der Feststellung, daß, entgegen der Abwesenheit im Stuttgarter kulturellen Kurzzeitgedächtnis, viele der heute und hier ausstellenden Künstler außerhalb Stuttgarts nicht unbekannt sind oder waren. Womit ich sagen will, daß sie nicht nur außerhalb Stuttgarts, und durchaus nicht selten international ausgestellt haben, sondern auch in privaten aber auch öffentlichen Sammlungen zum Beispiel Österreichs oder der Schweiz, Tschechiens oder Frankreichs, Japans oder der Vereinigsten Staaten zu finden sind, freilich und in der Regel nicht als Repräsentanten spezifischer aktueller Kunstströmungen und -maschen, wohl aber als originelle und originale Produzenten eigenwilliger Kunst.

Eigenwilligkeit, Unangepaßtheit wären demnach erste Kriterien dessen, was Folkmar von Kolczynski mir als Querdenker zu beschreiben aufgab.

Dabei ist die Breite, in der sich dieses Nichtangepaßte in der augenblicklichen Dokumentation von 30 Jahren Galeriearbeit präsentiert, als zweites auffällig. Eine Breite, die von der Décollage bis zum Aquarell, von der Collage (die vielleicht noch der größte gemeinsame Nenner wäre) über die Assemblage bis zur Skulptur, von der Öl/Acryllmalerei bis zum Verzicht auf alle tradtionellen Techniken reicht, zwischen Schrift und Bild, gegenstandlos und gegenständlich, gesellschaftskritisch/politisch oder nur einfach um seiner selbst willen undsoweiter.

Weitgefächerte Eigenwilligkeit, unangepaßte, anarchistisch unbekümmerte Stil- nd Spielbreite wären demnach weitere Kriterien dessen, was mir Folkmar von Kolczynski als Querdenken zu beschreiben aufgab.
Gehören aber diese Künstler einer Galerie schon keiner Gruppe, keinen Stil an, wie z.b. weiland die kubistischen Künstler der Galerie Daniel Henry Kahnweilers, die hard edge-Maler der Galerie Denise René, die Gruppe 11-Künstler seligen Angedenkens der Galerie Müller, was in schönster Regelmäßigkeit zu Eifersüchteleien, Krächen und Abbrüchen führte - repräsentieren also diese Künstler der Galerie Folkmar von Kolczynski schon keine Gruppe, keinen Stil - was verbindet sie dann über ihre Unterschiedlichkeit hinaus? Zugespitzt: was unterscheidet die Galerie von einem Gemischtwarenladen?

Meine Antwort auf diese Frage ist, subjektiv und möglicherweise irrig, die Annahme einer dialektischen Spannung und dialogischen Verbindung. Dialektisch in den unterschiedlichen Positionen, die in ihren Ergänzungen aber auch Reibungen deutlich machen, daß Kunst mehr und anderes sein kann, als was uns Kunstmarkt, Kunstmanagment und grassierende Eventkultur im Wechsel modischer Trends wahrmachen wollen. Eine Eventkultur, die, wie das Beispiel nun nicht der drei Tenöre sondern der drei Vorbestraften zeigt, eine deutliche Tendenz hat, badenbaden zu gehen, lag noch nie im Interesse der wenigen, die mit und in der Kunst den Dialog suchten und fanden. Hier bin ich durchaus optimistisch.

Das Dialogische betrifft aber nicht nur die Kunst und ihre Rezipienten, es betrifft, damit letzteres funktionieren kann, zunächst einmal die Kunst selbst und diejenigen, die sie hervorbringen. Hier hat das Diktum Kurt Schwitters' - Im übrigen wissen wir, daß wir den Begriff Kunst erst los werden müssen, um zur Kunst zu gelangen - immer noch seine Richtigkeit. Was zum Beispiel bedeutet, daß die Legende vom einsam schaffenden Genie (von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen) eine Legende war und ist.

Stattdessen wurde mir beim rückblickenden Durchmustern des Programms auffällig, daß und wie bei den Künstlern der Galerie Folkmar von Kolczynski Wechselbeziehungen bestanden und bestehen, auf den ersten Blick nicht sichbare Fäden laufen, die ich nun allerdings nur subjektiv aufzeigen kann.

So tritt Albrecht/d in einem meiner Stuttgarter Spiele auf, ebenso wie Werner Schreib. Mit letzterem, mit Wolfgang Ehehalt und Kei Suzuki habe ich gemeinsam gearbeitet und ausgestellt, desgleichen mit Dieter Göltenboth. Mit vor allem Wolfgang Ehehalt, aber auch mit Hans Brög, Dieter Göltenboth, Heinz Hirscher, Kei Suzuki und schon mit Werner Schreib verbindet bzw. verband mich eine zum Teil recht rege mail art. Literarische Texte habe ich zu Hans Brög, Wolfgang Ehehalt und Werner Schreib veröffentlicht. Vostell und Heinz Hirscher waren unter anderen Gegenstand meiner letzten Universitätsvorlesung über Umfang und Wurzeln des Experiments im 20. Jahrhundert. Ausstellungen eröffnet und/oder Essays veröffentlicht habe ich zu Hans Brög, Wolfgang Ehehalt, Dieter Göltenboth, Karl Heuser, Heinz Hirscher, Werner Schreib und Kei Suzuki. Mit Sigrid Baumann-Senn und Dietrich Fricker besteht seit längerem eine diesbezügliche Verabredung. Zu Frieden Brehler, der seine Kunst so radikal für den Frieden einsetzte, daß er sogar seinen Vornamen änderte, will ich seit längerem etwas publizieren. Und ich freue mich persönlich sehr, daß die Bestandaufnahme von 30 Galeriejahren endlich wieder einmal diesen künstlerischen Quertreiber, Querkopf und Querdenker den Stuttgartern in Erinnerung bringt.

Bei aller Eigenwilligkeit, unangepaßten, anarchistisch unbekümmerten Stil- und Spielbreite wären, wenn sich mein subjektives Bild verallgemeinern läßt, eine dialektische Reibung wie eine dialogische Bereitschaft, gemeinsames Arbeiten oder Sprechen-über ein weiteres Kritererium dessen, was mir Folkmar von Kolczynski als Querdenken zu beschreiben aufgab.

Ist dies so der Fall, hätte ich recht, wäre aus meiner Sicht lediglich noch hinzuzufügen, daß sich dies alles in einer Galeriearbeit spiegelt, für die ein Galerist verantwortlich zeichnet, der seinerseits, und das wäre zugleich das letzte, was mir zu der mir von Folkmar von Kolczynski gestellten Aufgabe eingefallen ist -

Ist dies, sage ich, so der Fall, spiegelt sich dies alles in einer Galeriearbeit, deren Verantwortlicher selbst zu jener merkwürdigen, lexikalisch nicht oder noch nicht faßbaren Spezies der Querdenker und Außenseiter zählt, die für die Zukunft einer wirklichen Kunst, für ihre kontinuierliche, marktunabhängige Entwicklung unerläßlich sind.

Und jetzt sage ich das mal so: lieber Folkmar, wenn ich Dir vielleicht den Gefallen, ein paar Worte zu den Querdenkern zu sagen, nicht in Deinem Sinne getan habe, so möchte ich Dir wenigstens bestätigen, daß Du von Anfang an ein sympathischer Querdenker, Querkopf und Quertreiber in einer sonst ziemlich öden Stuttgarter Kulturszene gewesen und geblieben bist und - wie ich mir wünsche - auch noch eine Weile bleiben wirst. Von Kei Suzuki soll ich Dir ausrichten, daß, in welcher Deiner Galerien er ausgestellt oder Dich besucht habe, diese Galerie immer eine eigene, ihn bezaubernde Atmosphäre gehabt habe. Die anderen der von Dir vertretenen Künstler mögen für sich selbst sprechen. Nur vom verstorbenen Werner Schreib füge ich noch hinzu: Gott raucht nicht, er braucht Pudding.

Querer geht's nicht.

[31.7.1998]