Wendelin Weißheimer
Mit Richard Wagner in Stuttgart

Die Veranlassung zu dieser Reise ist wohl in dem guten Verhältnis Wagners zu Hofkapellmeister Karl Eckert in Stuttgart zu suchen, durch dessen Einfluß er hoffen konnte, hier endlich seinen "Tristan" zur Aufführung zu bringen. Er wohnte zu diesem Behufe einer Opernvorstellung im Hoftheater bei - die vorhandenen Kräfte schienen ihm für den "Tristan" jedoch nicht ausreichend zu sein.

Nicht wissend, was zunächst zu beginnen, telegraphierte er mir in seiner Not nach Osthofen und schon am folgenden Tag, Samstag, den 30. April [1864], war ich bei ihm. Welch trauriges Wiedersehen, den großen Genius ratlos und in Verzweiflung zu finden! In solcher Lage durfte er nicht allein gelassen werden, hätte sieh allein auch gar nicht durchbringen können, da er absolut mittellos war. Ich wir daher fest entschlossen, mit ihm zu gehen und auf mein "Ja" fiel er mir in höchster Freude um den Hals. Schnell einigten wir uns über die Wahl irgendeines abgelegenen Ortes in der rauhen Alb, wo ich möglichst rasch den Klavierauszug des ersten Meistersingeraktes beenden sollte, um damit den Verleger Schott zu weiterer Zahlung zu veranlassen.

Auf Dienstag, den 3. Mai, war unsere Abreise in die rauhe Alb festgesetzt; Wagner machte daher montags noch einige Besuche in der Stadt und ging auch mit mir zum Hofschauspieler Dr. Grunert, der am 1. September die Direktion des Leipziger Stadttheaters zu übernehmen hatte. Diesem empfahl er in schwungvoller Rede die Aufführung meiner Oper "Theodor Körner", welche Grunert sofort zusagte. Da diese Zusage so überraschend schnell erfolgte, so mochte Wagner nicht gleich auch den eigentlichen Hauptzweck unseres Kommens zur Sprache bringen, der darin bestand, daß mich Direktor Grunert zu seinem Kapellmeister in Leipzig mache.

Gleich darauf standen wir vor dem Hotel - er hatte keine Ahnung von dem unglaublichen Glück, daß seiner harrte, denn ich mußte schnell noch den Wagen bestellen, der uns am folgenden Morgen nach Untertürkheim bringen sollte, um von da mit dem Zug weiterzufahren! Auf seinem Zimmer in der ersten Etage (in der Richtung zum Hoftheater) angelangt, wurde mit dem Packen seines großen Koffers begonnen - seine Gemütsstimmung sank während dieser Arbeit wieder weit unter Null -, da brachte der

Kellner gegen Abend eine Visitenkarte herein, die die Inschrift trug: von Pfistermeister, Secrétaire aulique de S.M le roi de Bavière.

Da Wagner derartig entmutigt war und sich von nichts, was es auch sei, noch etwas Gutes versprach, stand er erst unschlüssig da, ob er Herrn von Pfistermeister empfangen wolle, und nur als dieser betonen ließ, er käme im Allerhöchsten Auftrag des Königs Ludwig II. und bäte dringen um Gehör ließ er ihn eintreten. Um bei dieser zweifellos hochwichtigen Unterredung nicht zu stören, entfernte ich mich während derselben. Sie dauerte lang und immer länger - ein gutes Zeichen! Als der genannte Herr sich endlich empfahl und ich wieder eintreten konnte, zeigte mir der vor seiner plötzlichen Glückswende geradezu überwältigte Wagner einen kostbaren Brillantring des Königs und dessen in wunderbarem Glanz leuchtende Photographie auf dem Tisch, und mit den Worten: "Daß mir das passiert und gerade jetzt passiert!" fiel er mir, vor Freude außer sich, um den Hals.

Als sich Wagner allmählich wieder von der großen Nervenerschütterung und der ihn überwältigenden Rührung erholt hatte, teilte er mir dann das Nähere mit. Der König hatte ihm sagen lassen, "er sei sein glühendster Bewunderer" und ließ ihn fragen, "ob er auch noch ganz seinen Ansichten getreu wäre, die er in seinen Schriften niedergelegt und die der König auswendig wisse, er möge in diesem Falle nach München kommen, wo er den obersten Rang einnehmen müsse, um dort seine Nibelungen zu vollenden und aufzuführen. Alles, was er nur wolle, würde ihm zur Verfügung gestellt."

Wie begreiflich war er von alledem so ergriffen, daß er nicht ausgehen wollte und er bat mich bei Eckerts abzusagen, wo wir den letzten Abend zubringen sollten. Man kann sich vorstellen, mit welchem Staunen diese die unerhörte Freudenkunde über die königliche Botschaft entgegennahmen. Da Wagners Reise nach München auf zwei Uhr des nächsten Tages mit Pfistermeister vereinbart war, so bestürmten sie mich, mit Wagner gegen Mittag zum Frühstück zu kommen.

Daß Eckert ihm bei dem kurzen Aufenthalt "die zum Leben notwendigen Gelder vorgestreckt", ist wohl [...] unrichtig. Im Hotel brauchte er für die paar Tage kein Geld und - hatte auch keins, wie sich beim Verlassen des Hotels und beim Billetkauf herausstellte, denn er bezahlte seine Hotelrechnung nicht in bar sondern gab an Zahlungsstatt dem Oberkellner eine reiche russische Dose, welche er in St. Petersburg von einer hochstehenden Persönlichkeit zum Geschenk erhalten. Natürlich hatte sie einen vielfach höheren Wert als der Betrag der Rechnung erforderte; denn der Oberkellner, die Dose nur flüchtig besehend und ihren hohen Wert sofort erkennend, machte eine tiefe Verbeugung und begleitete uns unter tausend Bücklingen bis vor den Ausgang. Schnell fragte ich Wagner, weshalb er mir die Dose nicht vor einer Stunde zum Versilbern übergeben habe, worauf er meinte, nun sei er doch sowieso aller Geldsorgen überhoben.

Daß er darin irrte, zeigte sich sogleich im Bahnhof. Der königliche Abgesandte hatte bereits in einem Coupé erster Klasse Platz genommen und sah mit sichtlicher Ungeduld dem Kommen Wagners entgegen, der sich etwas verspätet hatte. Schnell stieg er zu ihm ein, und ich verabschiedete mich von beiden Herren, da ich an den Rhein zurückzukehren gedachte. Kaum war ich einige Schritte entfernt, so kam Wagner im Fluge hinter mir her, rufend: "Um Gottes willen, Pfistermeister hat mir ja kein Billet gelöst; springen Sie schnell, eins zu holen." Im Galopp eilte ich zur Kasse und vermochte auch noch glücklich, dem bereits im Gang befindlichen Zug nachspringend, das Billet Wagner in das Coupé zu werfen: Ich hatte ihm das Billet zu seinem Glück gekauft.

[1898, gekürzt]





Stuttgarter Poetscorner'le