Friedrich Theodor Vischer
Beckenlied.
[Herbst 1875]
 
Die Luft in unsrer Kesselmulden
Will es einmal nicht anders dulden:
Sie riecht durchaus nach Mehr und Brei
Und alles wird zur Beckerei.
 
Die ganze Stadt wird Stadt der Becken,
Nach Mehl scheint selbst der Staub zu schmecken
Der klaftertiefe Straßendreck
Ist Hutzelteig, so denkt der Beck.
 
Gemütlich ist er sondergleichen,
O, darin kann ihn nichts erreichen!
So wohlig sitzt nur Zeck an Zeck
Im warmen Filz, wie Beck an Beck.
 
Die Ferne soll uns nicht versuchen!
Wir kneten selber unsre Kuchen!
Denkt im gemütlichen Versteck
Der echte Schwab, der rechte Beck.
 
Er liebt das Weite zu verengen.
Er kürzt die Höhen und die Längen,
Von Kiel bis Tehuantepek
Sieht nichts als Nesenbach der Beck.
 
Die Wälschen, Griechen und Polaken,
Sie werden wohl auch Kuchen backen?
Im Türkenland der Begler-Beg,
Was wird er sein? Halt auch ein Beck!
 
Was kümmern Künstler ihn und Dichter,
Gelehrte, Wissenschaftsgelichter!
Er sitzt in seinem Ofeneck
Und trinkt sein mehlich Bier, der Beck.
 
Der Daseins tiefgeschlungnes Rätsel
Erscheint ihm ganz als Laugenbretzel,
Bisweilen auch als Gugelhopf,
Dem Philosophen Beckenkopf.
 
Auf daß sich nun die Beckenseele
Noch inniger dem Mehl vermähle,
Erbebt in süßem Liebesschreck
Und nimmt ein Weiblein unser Beck.
 
Die Beckin folget gern dem Becken,
Wenn er bei Marquart lässet decken;
Sie tunket einen Hefenschneck
Und mampft - und zärtlich schaut der Beck.
 
Oft auch im Königsbau bei Reisig
Wird eingekehrt; wie rühret fleißig
Strickzeug sowohl als Tischbesteck
Die Beckin, und wie schmatzt der Beck!
 
Man trifft den Vetter, trifft die Base,
Und mit verklemmtem Ton der Nase
Rückt munter das Gespräch vom Fleck,
Die Beckin rätscht, es räscht der Beck.
 
Im Garten, den die Becken hegen,
Bei Messinglärm und Paukenschlägen
Erscheint mit seinem feinen Schmeck
Fürs Ausgewählte gern der Beck.
 
Auf des Museums neuen Sitzen
Zu dreien eingepolstert schwitzen,
Bedrängt von seines Nachbarn Speck:
Auch dieses leistet er, der Beck.
 
Wie schmeckt ihm da sein grauer, lieber
Merkur, es geht ihm nichts darüber!
Denn er ist kein moderner Geck,
Der treue Schwab, der biedre Beck.
 
Werktags wird Frühmeß zelebrieret,
Sonntags die Kirche frequentieret;
Da hockt und denkt der biedre Beck:
"I ghör gottlob net zu de Böck."
 
Der Nachmittag sieht ihn als Ritter;
Wird ihm der Schluß auch etwas bitter,
Wie prangt auf Schimmel oder Scheck
Von Ferne schon der schöne Beck!
 
Am Pfingsten mit dem Liederkranze
Steigt er zu Berg in seinem Glanze;
Der Hohenstaufen und die Teck
Erstaunt, wie schön er singt, der Beck!
 
Dann drängt sich, Schauer in der Seele,
Tief unten in der Nebelhöhle
Um Tropfsteinbild und Felseneck
Erheblich schwitzend Beck an Beck.
 
Zur Griechenschönheit, Römertugend
Zieht er sich auf in seiner Jugend
Am Schwingel, Barren und am Reck
Als Turnersmann, der kühne Beck.
 
Dann labt es sich für seine Mühe
Mit Vetter Brauers Halbgiftbrühe;
Kriegt auch sein Magen einen Leck,
Er lobt sie doch, der gute Beck.
 
Ein andrer Vetter weiß inzwischen
Ins Mehl zum Brot Alaun zu mischen;
Dann sitzt er breit auf seine Säck'
Und bleibt ein Biedermann, der Beck. -
 
Nun aber wird es nicht geheuer:
Er fühlt ein ungewohntes Feuer,
Er spitzt auf ungewohnten Schleck:
Im Schützenhute geht der Beck.
 
Die Schützen all aus Deutschland Gauen,
die sollen unsere Mulde schauen!
Er stellt sich den erhabnen Zweck
Und setzt ihn durch, der flotte Beck.
 
Er wallt im Zug mit stolzem Schritte,
Stolz tritt er in die Schießstandhütte -
Malt ihm ins Zentrum einen Weck,
Und Schützenkönig wird der Beck.
 
Und abends nach den Schießbeschwerden
Wie klebrig wird der Jubel werden!
Da ist er erst recht bei der Heck,
Da wälzt er sich im Papp, der Beck!




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