Friedrich Theodor Vischer

Mein Wunsch war eigentlich, Maler zu werden...

Die Mutter, eine weiche, grundgute, empfängliche, begabte Frau, voll lebendigen Interesses für Kunst und Poesie, stand in freundschaftlicher Verbindung mit Künsterfamilien, ich durfte mit ihr die Werkstätten Eberhard Wächters und Hetschs besuchen Alles Bild entzückte mich. Ein Italiener hängte seine "Holgen" (so hießen die Bilderbogen, der Name weist auf früheren holländischen Handel mit Heiligenbildern in Deutschland, die Schweizer sagen: Helgen) im überbauten Gange des noch stehenden Restes der alten Stadtmauer auf ("unter der Mauer"), das war die einzige Kunsthandlung des damaligen Stuttgart. Hier stand ich täglich in staunende Betrachtung verloren. Auch Dannecker wurde besucht, ich sah sein schwächstes Werk, seinen Christus, entstehen; aber da stand die Schillerbüste, das Modell der Ariadne, und am nahen See des Parkes sein schönes Nymphenpaar. Eberhard Wächter war es, der meiner Mutter am entschiedensten abriet, mich nach meinem Wunsche Maler werden zu lassen; er wußte es freilich aus bitter schwerer Erfahrung, was das Wort besagt: Kunst geht nach Brot. Allerdings konnte man nicht wissen, ob die Neigung des Knaben auch wirklicher Beruf sei; denn die Kritzeleien, die ich im Privatunterricht nach der alten Methode des Nachzeichnens von Vorlegeblättern fertigbrachte, lieferten keine Probe, und ohne Beweis vorauszusetzen, daß etwas vom Geiste Peter Vischers in mir stecke, wäre doch eine allzukühne Hypothese gewesen - auch angenommen, die Tradition, daß wir von ihm abstammten, die allerdings mit einem kleinen silbernen Kruzifix als seinem Werk in der Familie überliefert ist, wäre urkundlich bewiesen, wie sie es nicht ist, da in Nürnberg die Zunftbücher verschwunden sind. Da war aber noch ein anderes Hindernis; hätte das Talent auch unzweifelhaft sich angekündigt. Wie die Mittel für eine Künstlerlaufbahn erschwingen? Die Mutter war sehr arm; ich bin unter dem Drucke der Not aufgewachsen, und so ist es im Grunde einfach die Armut, die mich in die theologische Laufbahn führte: es waren die Klöster mit ihren Stipendien, welche die rettende Hand boten. wie mein Bruder wurde auch ich für das Seminar bestimmt. Ich schied nicht eben leicht von meinem Wunsche, doch auch nicht so schwer, daß ich von widerwilligem Gehorchen reden dürfte.





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