Philipp Ulrich Schartenmayer [30.6.1807-14.9.1887] war Schulmeister in einer der größten Landgemeinden Schwabens; seine alten Tage verlebte er, nachdem er ein kleine Vermögen geerbt und sich in den Ruhestand hatte versetzen lassen, in der Hauptstadt Stuttgart. Ich glaube, dem Seligen nicht zu nahe zu treten, wenn ich es ausspreche, daß er die kleine Schwäche hatte, es nicht ungern zu sehen, wenn man ihn für einen pensionierten Präzeptor hielt. [...] Die Professoren dagegen scheint er nicht geliebt zu haben [...]. Habe Nachsicht, freundlicher Leser, mit diesem Vorurteil wie mit jener kleinen Eitelkeit! Sie war ein harmloser Auswuchs des begründeten Selbstgefühls eines Mannes, der sich bewußt ist, redlich an seiner Bildung zu arbeiten. Schartenmayer las, er las viel, Schartenmayer war nicht nur - und zwar entschieden! - für den Fortschritt, er schritt selbst fort. Ich fand ihn einst in eine Übersetzung des Herodot vertieft [...]; ich gab ihm die Vossische Übersetzung des Homer - wie verschlang er sie! - nicht ahnend, daß er selbst der Homer des deutschen Volkes werden sollte! Vergleicht man das erste Hervortreten dieses Geistes, sein Lied auf die Mordtat des Datpheus und ihre blutige Strafe, mit seinem zweiten, der ernsten Warnungsstimme bei der Hinrichtung des Helfers Brehm, dann beide mit diesem feinen Heldengedichte [Der deutsche Krieg 1870/71, J.A./R.D]: welche stufenförmige Entwicklung! Welches Vorwärtsschreiten vom einzelnen zum Allgemeinen, vom Kleinen zum Großen, ja zum Größten, welches echt organische Wachstum in Klärung, Veredlung des Gefühls, endlich, trotz einigen wenigen Spuren der nicht verhehlten Mühe, welche Fortbildung selbst in der Sprache und poetischen Form! Man lasse sich in Erkenntnis und Anerkenntnis des letzten Fortschritts nicht irren durch einige Volksausdrücke, einige dem Dialekt angehörige Unregelömäßigkeiten! Daß Schartenmayer statt Weinberg Wingert, statt Präzeptor Präzepter schreibt, das ist ihm nicht entwischt, das hat er sich erlaubt. Ein Sohn des Volkes - sein Vater war Landmann, bieder wie sein Philipp Ulrich, der sein Stolz war - liebte er es, ab und zu gewissen Sprachbildungen seines heimischen Dialektes, obwohl er sie als grannatisch unrichtig kannte, ein Recht zu gönnen um ihrer Vertraulichkeit willen, er war geleitet von dem Gefühle, daß daraus der höheren Kunstdichtung eine gewisse Wärme des Naturtons erwachse; So verband er Natur und Kunst in der höheren Einheit der wahren Klassizität.

 

Aus: Der deutsche Krieg 1870/71, ein Heldengedicht aus dem Nachlaß des seligen Philipp Ulrich Schartenmayer, herausgegeben von einem Freunde des Verewigten, Nördlingen, gedruckt in diesem Jahre.





Stuttgarter Poetscorner'le