Ferdinand Freiligrath | Zu Hölderlins hundertjährigem Geburtstage.
[Vorgetragen bei der Feier in des Dichters Geburtshause zu Lauffen am Neckar. 20. März 1870]

Der Hohe, dem wir heut uns neigen,
Wie hielt er kindlich deine Hand,
Wie gab er ganz sich dir zu eigen,
recht als dein Sohn, du wonnig Land!

Du aber hast ihn fromm erzogen,
Hast ihm in deiner Wälder Nacht,
An deines Flusses blauen Wogen,
Das Auge wach und weit gemacht.

Hast ihm aus deiner Schönheit Fülle
Die junge Seele reich getränkt,
Hast ihm den Ernst, die heil'ge Stille
In die bewegte Brust gesenkt.

Drum liebt' er dich! Drum wie ein Leuchten
Von denen Rebenhügeln zieht,
Drum wie ein Duft von deinen feuchten
Stromufern weht es durch sein Lied.

Drum galt auch dir sein freudig Sehnen
Nach Hellas' blumigem Ruin:
Freiheit und Schönheit der Hellenen
Dir zu erobern trieb es ihn!

Drum, als am Ufer der Garonne
Er niedersank in jähem Schmerz,
Zog es ihn heim nach Sueviens Sonne,
Warf er sich weinend dir ans Herz.

Da lag er, mild von dir umschlungen;
Da lag er - o, wie lang! wie lang! -
Bis, der sein Wiegendlied gesungen,
Der Neckar ihm das Grablied sang.

Nun aber lebt er neu ein Leben,
Und wo ein lallend Kind er war,
Muß sich ein Tempel ihm erheben,
Und steht bekränzt ihm ein Alter.

Und Stammgenossen singen Lieder,
Und heiterernst winkt ein Gelag,
Und du, o Suevien, lächelst nieder
Auf deines Lieblings Ehrentag.

Sei stolz auf ihn! Er ist der deine!
Doch unser, unser sei er auch!
Vom Meere wir und wir vom Rheine
Erheben auch zu ihm das Aug'!

Und wie wir uns zusammenfinden
Aus Nord und Süd im Dichternest:
So, eins im Wollen und Empfinden,
Begehn wir heut' dies deutsche Fest!
 
  
 
 

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