Ferdinand Freiligrath | Trinkspruch
[Zur Kindtaufe*) in Neckarsulm am 28. Oktober 1871]

Also wieder einen Jungen?!
Teurer Freund, halt' ein, halt' ein!
Und der will nun auch besungen,
Will nun auch bewundert sein!
Und fernher in ernster Reihe
Mit dem Gürtel und dem Stab,
Müssen die bekannten dreie
Wieder setzen sich in Trab!

Und zu leuchten den drei Räten,
Facht der fromm und frohe Mann,
Facht der Vater den Kometen
Unterm Hause wieder an.
Läßt ihn flammen durch die Kühle
Seines Kellers, hocherfreut;
Schafft und rüstet im Gefühle
Seiner Tauf- und Trinkbarkeit!

Nun, Glückauf denn, jüngster Buibe!
Wachse wie dein Brüderlein,
Das wir jüngst in dieser Stube
Tauften bei Kometenschein!
Wachs' und blühe, lieber Kleiner!
Doch - dies ist der Räte Rat:
Nur ein Bruder noch, nur einer
Darf dir folgen - in der Tat.

Denn das gar so viele Taufen
Greift uns Räte mächtig an;
Immer Taufen, immer Laufen,
Daß man kaum verschnaufen kann.
Zwar Freund Ganzhorn ist ein Renner,
Und sein Storch hat Flügel gar!
Aber wir sind alte Männer:
Kaspar, Melchior, Balthasar!

Können wir mit Harf' und Psalter,
Hinter seinem Storchen drein,
Noch in unserm hohen Alter
Immer auf der Reise sein?
Weite Tauffahrt, Trinken, Lachen,
Saus und Braus und hehrer Schnaus,
Und das schwierige Versemachen -
Wer hält alles nur noch aus?!

Nein, Freund! Sag' jetzt deinem biedern
Hausstorch, daß er, frommbeschwingt,
Unsern Wünschen, unsern Liedern
Nur noch einen Ganzhorn bringt!
Einen, der da schließ' und kröne
Deiner Buben schmucke Reih',
Daß die Zahl der Ganzhornssöhne
Gleich der Zahl der Räte sei!

Zu der Taufe froh und Traben
Wollen wir mit Spruch und Reim!
Aber - kommen dann noch Knaben,
Freund, da bleiben wir daheim!
Nun, du weißt ja, wie wir's meinen!
Voll die Gläser! Voll und aus!
Hoch Frau Ganzhorn samt dem Kleinen!
Hoch das ganze Ganzhornshaus.

*) Täufling Wilhelm Ganzhorn 
 
 

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