Ferdinand Freiligrath | Aus der englischen Apfelblüte
[Zu Ludwig Uhlands fünfundsiebzigsten Geburtstag. 26. April 1862]

O leuchtender Aprilenteg, -
Maitag, der sich verfrühte!
Und wo das Auge schweifen mag,
Da sieht es Apfelblüte!

Baum neben Baum, und Reis an Reis,
So viel sie können tragen,
All' weiß und rot, und rot und weiß,
Die Pracht ist nicht zu sagen!

Und war doch gestern all die Pracht
Versteckt noch und verborgen: -
Wie kam sie nur in einer Nacht?
Und grad für diesen Morgen?

Das macht, daß allerorten still,
Wo Apfelbäume wehen,
Den sechsundzwanzigsten April
Als Festtag sie begehen.

Sie wissen es, geboren ward
Ihr liebster Gastfreund heute,
Dem einst auf froher Jugendfahrt
Ihr Stammherr Schatten streute;

Ob dessen Haupte, kühl und grün,
Der Alte schwang den Wipfel,
Und der dafür gesegnet ihn
Von der Wurzel bis zum Gipfel.

O Lied vom Wirte wundermild,
Wie bist du frisch erklungen,
Als blank im Dichterwald sein Schild
Der Apfelbaum geschwungen!

O Sängergreis, wohl bliebst du wert
Seitdem den Apfelbäumen!
Alljährlich, wenn dein Festtag kehrt,
Will keiner, keiner säumen!

Sie werfen um ihr Feierkleid,
Sie blühn an allen Wegen,
Und möchten alle weit und breit
Aufs Haupt dir Kränze legen:

Zum Dichterlorbeer voll und ganz,
Zum Kranz des Patrioten
Den leichten, losen Blütenkranz,
Den weißen und den roten!

O, sink' er auf den weißes Haar
Noch viele, viele Lenze!
O, da´ß er dir noch manches Jahr
Die heil'ge Schläfe kränze. 
 
 

Stuttgarter Poetscorner'le