Franz Dingelstedt
Vor Schillers Standbild in Stuttgart
An Thorvaldsen

Altmeister Steinmetz aus dem Norden,
Moderner Phidias ohn' Athen,
Auf dessen Mantel dreißig Orden
Als deutsche Bundessterne stehn,
Herab von deinem Marmorthrone,
Vor meine Schranken, mein Gericht,
Sieh einem deutschen Musensohne
In das erzürnte Angesicht.

Sag an, wer dir die Macht verliehen,
In deine Werkstatt, an dein Maß
Ein göttliches Geschlecht zu ziehen,
daß deinem Meißel niemals saß?
Was spannst du enge, dunkle Rahmen
Um Helden, die in Frieden ruhn,
Und stempelst mit den besten Namen
Des deutschen Volks dein fremdes Tun?

Die Menschen machst du zu Kolossen?
Nein, den Giganten nur zum Zwerg!
Des zeugt dies Bild in Erz gegossen,
Und des zu Mainz der Gutenberg.
Der erste Drucker solch ein Schlucker,
Ein steifer, kalter, armer Wicht!?
Der erste Dichter solch ein Mucker,
Ein trübes Dunkelmannsgesicht?!

Wie? Dieser Kopf- und Nackenhänger,
Der wie ein Säulenheiliger steht,
Wär meines Volkes Lieblingssänger,
Der deutschen Jugend Urpoet?
Wo denn auf dieser Stirn ein Schimmer
Von seinen Göttern Griechenlands,
Der Freude rosiges Geflimmer,
Der Ideale goldner Glanz?

Das - jener Schiller, der als Posa
Kühn um Gedankenfreiheit bat,
Der alle Form und alle Prosa
Als Räuber Moor mit Füßen trat,
Der selbst als alter Geiger Miller
Von Stolz und Recht und Ehre spricht?
Nein! Das ist der Chirurgus Schiller,
Schiller, der Dichter, ist das nicht!

Fremd blieb, o Däne, dir sein Wesen,
Sein Geist, o Künstler, dir zu hoch;
Nur eines hast du recht gelesen
Von ihm, den Pegasus im Joch.
Gib noch ein Öchslein zu der Gruppe,
Stell's vor die Herzogsschule noch,
So haben wir die graue Puppe,
Woraus der Schmetterling entkroch.

Was gilt die Gleichheit mir der Züge,
Die jedes kleine Bildchen weist?
Wir wollten keine Lebenslüge,
Nicht seinen Schatten - seinen Geist!
Was kümmern mich die Reliefe,
Die schönen Falten auf und ab?
Den Geist, wenn du ein Geist bist, treffe!
Der tote Leib gehört dem Grab.

Nein, bilde du den Alexander
Und seine Siegeszüge nach
Und die Apostel miteinander
Und Grazien für das Schlafgemach,
Sei wechselnd Däne und Hellene,
Antik und neu, Heid' oder Christ;
Ich sag's, ein deutscher Dichter, Däne,
Daß du nicht deutsch, nicht Dichter bist.

Ha! Schlimm genug, daß wir Lebendigen*)
Krumm wie dein Schiller stehn und gehn,
Daß wir, nachgebend dem Notwendigen,
Statt in die Welt zur Erde sehn;
Den Toten war's nicht so beschieden,
Und, fremder Mann, du weißt es nicht,
Daß ach, mit ihrer Größ' hinieden
Auch unsres Volkes Größe bricht!



*) Anspielung auf Georg Herweghs "Gedichte eines Lebendigen", 1841/43. Die Herausgeber




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