Gottfried August Bürger
Beichte eines Mannes, der ein edles Mädchen nicht hintergehen will

Besäße die lebhafte rasche Schwärmerin, deren Liebe schon durch ein paar Hauche meines Geistes und Herzens angefacht werden konnte, - besäße sie auch alles, was die kühnsten Ansprüche eines Mannes befriedigen möchte, Schönheit und Anmut, wie des Geistes, so des Leibes, Güte und Adel des Charakters, Feinheit der Sitten, Stand und Vermögen; hätte sie auch mit allen diesen Vollkommenheiten mein ganzes Wesen längst dergestalt bezaubert und gefesselt, daß sie notwendig das Ziel meiner heißesten Wünsche sein und bleiben müßte: so könnte, so dürfte ich dennoch dies Bekenntnis der heiligen Wahrheit nicht unterdrücken, - nein, ich dürfte es nicht unterdrücken, wenn ich auch gleich im voraus wüßte, daß sie mir dadurch zu meinem unaussprechlichen, bis ins Grab hinab dauernden Kummer, verloren ginge. Also gebeut mir der Richter, der Gesetzgeber, der Gott, den ich in meinem Busen trage, den ich nicht verleugnen kann, den ich verehren, dem ich, trotz allen widerstrebenden Neigungen gehorchen muß, wenn ich nicht unmittelbar die grausamste aller Seelenstrafen, Verachtung und Verabscheuung meiner selbst, auf mich laden will.
Teures Mädchen! so sehr ich wünsche, daß Sie die Person sein mögen; der es verliehen ist, den Nachmittag und Abend meines Lebens zu beseligen; die Person, welche nun noch auf Erden zu finden ich längst verzweifelte; so sehr ich wünschte, der einzige Mann ihres Geistes, Ihres Herzens, Ihrer Sinne, und in allen diesen der Mann Ihrer höchsten irdischen Glückseligkeit zu sein: eben so sehr drängt mich auch die Pflicht, Sie durch dieses getreue Bekenntnis von mir selbst zur strengsten Prüfung aller Ihrer Neigungen und Ansprüche erst aufzufordern, ehe der Enthusiasmus uns beide zu Schritten verleite, die uns in großes Unglück führen könnten. Ich will daher mein Inneres und mein Äußeres so schildern, daß, wo möglich, ich selbst hinfort mich nicht genauer kennen will, als Sie mich kennen sollen.
Was zuvörderst meinen Geist und mein Herz betrifft, so mögen Sie zwar wohl glauben, beides aus meinen öffentlichen Werken so hinlänglich zu kennen, um sich in Ansehung dieser Stücke volle Genüge für Ihre Wünsche versprechen zu dürfen. Allein vielleicht könnten Sie dennoch wohl irren. Ich will zwar, eben so unbefangen von Demutsziererei, als von Dünkel, gern zugeben, daß einiges unter meinen Werken befindlich sein möge, das eines edeln Geistes und Herzens nicht unwürdig ist. Allein daraus dürfen Sie
auf vollkommenen und unbefleckten Adel meiner Seele keinen Schluß machen. Es wäre sonst eben so viel, als ob Sie von einigen schönen Blüten auf gesunde und unverdorbene Schönheit und Vollkommenheit des Baumes, welcher sie trug, schließen wollten. Auch ein wurmstichiger, mehr als halb verrotteter Stamm mag,
wenn er sonst nur ursprünglich guter Art ist, noch immer deren einige hervorbringen. Nun fürchte ich sehr, daß Sie und jeder, der mich kennen lernt, trotz dem besten Vorurteil, das er vorher für mich hegte, genötiget sein werde, mich für einen solchen verdorbenen Stamm zu halten. Ungewitter und Stürme des Lebens haben hart in meine Blüten, Blätter und Zweige gewütet. O, ich bin nicht derjenige, der ich vielleicht der Naturanlage nach sein könnte, und auch wohl wirklich wäre wenn mir im Frühlinge meines Lebens ein milderer Himmel gelächelt hätte. Durch viele und langwierige Widerwärtigkeiten bin ich an Leib und Seele so verstimmt worden, daß ich oft in eine trübe melancholische Laune, und dabei in eine Ohnmacht des Geistes versinke, die mich gewiß nicht empfehlen kann. Denn ich verliere alsdann allen Mut, alles Vertrauen auf mich selbst, und halte mich für kopfleer, für herzkalt, für wortarm, kurz, für einen höchst wertlosen Stümper. Ich denke, jeder, der mich nur ansieht, spricht bei sich: "Es ist mit dem Menschen doch gar nichts anzufangen!" weil ich dies wirklich selbst glaube. Darob bin ich mir dann selbst gram; und wenn man sich selbst gram ist, so kann man unmöglich andern angenehm und liebenswürdig erscheinen. Da ich indessen ursprünglich gewiß mehr Anlage zum Frohmut, als zum Trübsinn habe: so wäre ich wohl in den letzten Jahren in mein erstes Natur-Geleise zurück gelanget, wenn ich meine gefeierte Molly-Adonide behalten hätte. Denn in dem Besitze ihrer Person und Liebe fühlte ich mich sehr merklich wieder gedeihen, wie an Reichtum des Kopfes, so an Fülle, Wärme und Kraft des Herzens. Jene Laune belästigte mich damals in weit geringerem Grade, und das Weib meines Herzens erfuhr davon, wie ich glaube, gar keine
Beschwerde. Wodurch hätte ich aber nach ihrem Hinscheiden genesen sollen? - Liebe, aber ungemeine Liebe brächte vielleicht jetzt noch eine volle Wiedergeburt mit mir zu Stande. Sollte sie aber wohl möglich sein, eine so gewaltige Liebe, die es der Mühe wert hielte, ein lange verstimmt gewesenes Instrument rein umzustimmen und mit neuen Saiten zu beziehen? Und würde hernach das Instrument ihre Mühe und Kosten vergüten? - Ach, ich bin auch im Stande der Gesundheit des Leibes und der Seele nur ein gewöhnlicher Alltags-Mensch, wie sie zu Millionen unter Gottes Himmel herumlaufen! Ich erstaune, wie ein vernünftiges
Publikum mich, um einiger guten Verse willen, für etwas Besonderes halten könne.
Elise meint, weil ich nicht übel schriebe, so müßte ich auch wohl artig sprechen. Nichts weniger. Ich bin ein erbärmlicher Sprecher. Meine Schrift fließt mühselig und langsam, in Prose und in Versen. Nur ein bißchen gesunde Beurteilungskraft und Geschmack machen, daß es bisweilen leidlich wird, was ich schreibe. Mein mündlicher Vortrag muß daher vollends schlecht von Statten gehen. Die Gabe, geistreich, lebhaft und witzig im Umgange zu unterhalten, mag ich, vielleicht überhaupt nicht, oder doch nur in meinen glücklichsten, seltensten Stunden, und auch da nur für solche besitzen, die mich sehr lieb haben und grade an meiner Weise Gefallen finden. Manchen mag auch bloß deswegen etwas als schön vorkommen, weil ich, der für etwas Besonderes gehaltene, es sage; ob es gleich etwas sehr armseliges ist. Ich könnte nun zwar wohl öfter und mehr mit manchem gesellschaftlichen Schwätzer und Spaßmacher wenigstens gleichen Schritt halten. Allein ich bin zu schüchtern und blöde, alle die leichte und blind gegriffene Münze auszuspenden, die gleichwohl, wie ich an andern täglich sehe, ohne Widerrede im gemeinen Handel und Wandel gilt. So oft ich mir auch selbst desfalls Mut einzusprechen suche, so tritt mir doch gemeiniglich das Gewissen in den Weg. Aus Besorgnis, durch Zucken oder Stocken die Unvollkommenheit meiner Ware zu verraten, schweige ich lieber ganz stille. Darüber mag mich wohl schon mancher und manche für einen armen Schlucker gehalten und sich gewundert haben, wie ein so langweiliger Mensch doch so leidliche Gedichte gemacht haben könne. Nun, an echter vollwichtiger Goldmünze des Geistes bin ich auch in der Tat kein Krösus, wiewohl ich an gemeinem Klappergelde nicht eben ein Bettler bin.
Mein Charakter und meine Gesinnungen möchten zwar vielleicht noch etwas mehr wert sein, als meine Geistes-Talente. Dennoch fühle ich, daß ich mit jenen noch weit unzufriedener sein muß, als mit diesen. Denn, so wie ich hier nicht nur erkenne, was zum besser und vollkommener sein gehört, so fühle ich auch gar wohl die Möglichkeit, diese Vollkommenheit zu erreichen, wenn ich nur nicht von Trägheit, Weichlichkeit und Sinnenlust mich so oft abhalten ließe. Dies verursacht, daß ich auch in Ansehung dessen worin ich vielleicht wirklich besser bin, als andere Menschen, dennoch nicht gar viel von mir selbst halten kann. Denn da ich zu wenig Herr meiner Neigungen bin, um mich von ihnen loszureißen, wenn es darauf ankommt, dem gerade gegenüber liegenden, von mir selbst erkannten, bewunderten und geliebten Guten nachzustreben: so muß ich wohl mein wirkliches Gute nur für Produkt eines unterstützenden Temperaments halten. So glaube ich, zum Beispiel, nicht, daß ich grob, beleidigend, hämisch, boshaft, zänkisch, unversöhnlich, rachgierig u.s.w. bin: aber warum bin ichs nicht? Etwa weil ich das alles für Unrecht, das Gegenteil aber
für Pflicht halte? Ach, das tue ich freilich: aber darum meide ich wohl nicht jene Laster und übe die entgegengesetzten Tugenden aus, sondern vielleicht nur darum, weil mein träges und weiches Temperament Ruhe und Frieden liebt. Wie manche meiner Tugenden mag aus Eigenliebe, Eitelkeit und Ruhmsucht entspringen !
An meiner Lebensweise und an meinen Sitten ist noch ungleich mehr auszusetzen. Ich bin kein guter Haushälter: nicht, daß ich etwa zur Verschwendung geneigt wäre, sondern weil ich ziemlich unordentlich, nachlässig, träge und leichtsinnig bin, und weder meines Geldes, noch meiner übrigen Habseligkeiten sonderlich achte. Es läßt sich daher auch kein Mensch bequemer betrügen, als ich. Denn wenn ich den Betrug auch merke, so muß er schon arg kommen, ehe ich ihn nur zur Sprache bringe, besonders auch
darum, weil ich mich niemanden gern unangenehm mache. In Essen, Trinken und vielen andern Gegenständen des Luxus kann ich mich, ohne daß es mir sauer wird, sehr sparsam behelfen. Etwas weniger vielleicht in der Kleidung, worin ich, wenn es sein kann, wohl etwas mehr, als meinesgleichen, modernisiere.
In dem, was die Kinder dieser Welt Artigkeit und feine Lebensart nennen, habe ich auch eben nicht viel getan. Ich glaube, ich bin ziemlich trocken, hölzern und steif in meinem körperlichen sowohl als geistigen Bewegungen. Durch sogenannte Galanterie und Politesse bin ich schwerlich im Stande, mein Glück zu machen. Was ich vielleicht auch leisten könnte, den Menschen angenehm und gefällig zu sein, das unterlasse ich doch entweder aus Stolz, oder aus Nachlässigkeit und Trägheit. Des Stolzes, wie auch des
Trotzes gegen fremden Stolz und Trotz ist mir überhaupt eine ziemliche Portion zu Teil geworden. Dies wäre indessen wohl noch so übel nicht. Aber das ist übel, daß ichs aus Nachlässigkeit und Leichtsinn zum Beispiel oft an Antworten auf Briefe, an Besuchen, an Ehrenbeschickungen und Befolgung mancher Vorschriften der Etikette ermangeln lasse.
Was indessen Lebensweise und Sitten betrifft, so glaube ich, ein Weib, das ich liebte, könnte mich ohne sonderliche Schwierigkeit zu demjenigen machen, wozu sie mich nur immer gern hätte. Liebe würde meiner mächtig sein, so viel ich nur meiner selbst mächtig bin, und wohl noch mehr. Ich weiß nicht, ob es mir zum Lobe, oder zum Tadel gereichen mag, daß ich mich bei einem geliebten Weibe kaum gegen Sklaverei aufrecht erhalten würde; besonders wenn sie die Kunst zu herrschen verstände.
Übrigens kann ich nicht bergen, daß man mich für einen ziemlichen Libertin hält, und leider! nicht ganz Unrecht hat. Doch ist es darum, weil ich bisweilen eine unartige Zunge habe, bei weitem nicht so arg, als mancher glauben mag. Ich bin in diesem Punkte nicht immer, und sonderlich in früheren Jahren nicht, ganz regelmäßig, aber doch nicht auf eine niedrige und schmutzige Art ausschweifend gewesen. Denn mit allen meinen Gebrechen Leibes und der Seele war ich doch jederzeit bei Weibern und Mädchen nur zu gut gelitten, ohne erst mühseliger Anwerbungen zu bedürfen. Ich fühle indessen, daß ich dem Weibe meiner Liebe ohne sehr harte und dringende Versuchung nicht ungetreu sein könnte. Ich weiß das aus Erfahrung bei dem einzigen weiblichen Geschöpfe, daß ich vor Elisen nur allein im höchsten und vollesten Verstande des Wortes geliebt habe, wovon ich hernach reden werde.
Was ich bisher, und leider! auch zu meinem Nachteil, von mir habe bekennen müssen, könnte vielleicht noch nicht hindern, daß ein Weib, welches mich und welches ich liebte, mit mir glücklich wäre. Allein nunmehr folgt das Bedenklichste.
Wenn ich auch noch so liebenswürdig von Geist, Herz und Sitten wäre: so bin ich doch weder jung, noch schön, noch in guten häuslichen Umständen. Meine Jahre reichen völlig an das wohl bewußte - Schwaben-Alter hinan. Von hundert jungen, hübschen, zwanzigjährigen Mädchen dürften leicht neun und neunzig die
Schultern davor zucken. Ob ich gleich an Gesicht und Figur nicht eben eine Fratze zu sein glaube: so bin ich doch wahrlich auch nie ein Adonis gewesen. Das Profil, das Elise kennt, soll, wie viele behaupten, mir ziemlich gleichen, wiewohl andere dies wieder leugnen. Ich kanns nicht beurteilen, weil ich nicht die Ehre habe, mich im Profil zu kennen; indessen möchte ich doch beinahe fürchten, daß man sich darnach leicht etwas hübscheres unter mir vorstellen könnte, als ich wirklich bin; etwas mehr Leben und Freundlichkeit allenfalls ausgenommen. Meine kleinen Kränkeleien geben mir oft ein weit hinfälligeres und abgeblaßtes Ansehen; wiewohl in den Zeiten, da ich mich gesunder und munterer an Leib und Seele fühle, die Leute mich auch wohl für zehn Jahre jünger zu halten geneigt sind. Denn in der Tat bin ich ursprünglich von sehr guter Konstitution, und stände vielleicht jetzt noch in eben der Blüte, in welcher andere zwischen zwanzig und dreißig stehen, wenn ich nicht Geist und Körper mit so vielen und langwierigen Widerwärtigkeiten hätte müde ringen müssen. Ich bin am ganzen Körper weit schmächtiger und magerer, als mein Gesicht vermuten läßt. Ich habe dunkelblondes Haar und blaue Augen. Von den letzten pflegten bisher Weiblein und Mägdlein, bei denen ich, Gott weiß warum, bis auf den heutigen Tag niemals übel gelitten gewesen bin, eben nicht nachteilig zu urteilen. Überhaupt soll ich bis unter die Nase herab, selbst nach Maler-Urteil, nicht uneben gebildet, der Mund aber soll ganz verzweifelt häßlich sein. Das liebenswürdigste der Weiber pflegte zu sagen: "Bürger, es ist kein anderes Mittel, als man muß dich unaufhörlich küssen, damit man
nur den häßlichen Mund nicht sehe, den du bisweilen wie ein wahrer Tropf hängen lassen kannst." - Sonderbar! Mir selbst kommt nun weder der Mund so excessiv häßlich, noch Nase, Stirn und Augen besonders schön vor.
Meine ökonomischen Umstände sind noch zur Zeit sehr schlecht. Ich habe nichts, - nichts! Ja, ich würde sagen müssen: noch weniger, als nichts, wenn ich nicht noch so viel an Grundstücken besäße, daß meine Schulden damit getilgt werden können. Wenn aber auch dies geschehen ist, so wird wenig oder nichts übrig bleiben. Ich hatte ein ganz artiges Vermögen. Allein bei einer sehr wenig einbringenden Beamtenstelle auf dem Lande, wobei ich gleichwohl ziemlich viel Aufwand machen mußte, und bei
einer unglücklichen Pachtung, ist mein Vermögen drauf gegangen. Auch war meine erste Frau eine eben so nachlässige Haushälterin, als ich selbst. Schon vor 5 Jahren habe ich, durch unsäglichen Verdruß genötigt, jene Beamtenstelle niedergelegt, und seitdem, freilich eben nicht im Überflusse, aber doch auch nicht in allzudrückendem Mangel, von meinem Kopfe gelebt. Ich bin nun zwar in diesen Jahren nicht weiter zurück, aber doch auch nicht vorwärts gekommen. Der Tod eines mir abgeneigten Ministers, der im verwichenen Frühjahr sich ereignete, hat verursachet, daß ich endlich hier als Professor angestellt worden bin. Wäre dies, wie billig, eher geschehen: so befände ich mich wohl schon wieder in gedeihlichen Umständen. So aber eröffnet sich mir erst jetzt eine bessere Aussicht. Ich bekomme zwar noch kein
Gehalt, und muß vielleicht noch ein paar Jahre darauf warten; jedoch läßt sich durch Collegien-Lesen ein Ziemliches erwerben, und ich schmeichle mir, auf dem Wege zum Beifalle zu sein. Ich kann alsdann, wenn ich auch gleich noch keinen Heller fixes Gehalt bekäme, auf eine jährliche Einnahme rechnen, die
aufs schlechteste nicht unter fünfhundert Taler herab sinken, sehr wohl und leicht aber bis über tausend hinauf steigen kann. Wenn sich nun ein gutes liebenswürdiges Weib, begabt mit etwas Vermögen und häuslichen Wirtschaftstugenden, entschließen könnte, mich armen Stümper zu heiraten: so ließen sich zwar wohl, wenn ich leben und gesund bliebe, ganz leidliche Umstände für mich, und zwar ohne des Weibes Nachteil, erwarten. Aber wie, wenn Kränklichkeit mich untätig machte, oder gar ein früher Tod mich
hinnähme? Ach, dann könnte das gute Weib vielleicht nicht einmal ihr Zugebrachtes unverkürzt zurück, geschweige denn vollends eine andere hinlängliche Versorgung erhalten. Einigen Trost hiergegen gibt jedoch unsere sehr solide Professoren-Witwen-Kasse, woraus sie sich sogleich eine jährliche Pension von
hundert und zehn Talern, so und bald sie in die Klasse der sechs ältesten Witwen gehörte, von hundert und dreißig Talern zu versprechen hätte, mit der Freiheit, diese Pension zu verzehren, wo sie will. Gleiche Pension genießen auch die elternlosen Waisen so lange, bis das jüngste Kind das zwölfte Jahr erreicht hat.
Zu allen diesen bedenklichen Umständen kommt noch der, daß ich nicht weniger als drei Kinder, eine Tochter von elf, einen Sohn von sieben, und eine Tochter von vier Jahren habe. Nun ließe sich zwar wohl eine Einrichtung treffen, daß eine Frau wenig oder gar nicht davon belästiget würde. Denn meine älteste Tochter wird hier in einer Pension, wo sie mir aber wohl gegen hundert und zwanzig Taler jährlich kostet, erzogen; der Sohn ist auswärts bei einer leiblichen sehr edeln Schwester von mir, und die jüngste Tochter bei einer braven Frauen-Schwester. Jedes Kind hat es da, wo es sich befindet, sehr gut, und wird dergestalt geliebt, daß ich Mühe haben würde, es loszureißen. Denn alle sind, Gottlob! Sehr gut geartete und liebenswürdige Kinder von Kopf und Herzen. Allein wenn ich wieder heiratete, so würde es mit darum geschehen, daß ich dadurch von dem Herzweh genese, welches ich so oft über die Abwesenheit und Zerstreuung meiner lieben Küchlein empfinde. Ich würde sie dann wieder um mich versammelt wissen wollen, teils um Kosten zu ersparen, teils um ihre Erziehung unter meinen Augen zu besorgen. Da ich aber diese Kinder alle außerordentlich lieb habe, und es bei mir sowohl Temperament, als Grundsatz ist, daß man nie gütig und liebreich genug gegen seine Kinder sein könne: so würde es mich an meiner empfindlichsten Seite schmerzen, wenn sie es bei einer Stiefmutter hart und übel hätten. Nun könnte eine Stiefmutter, wäre sie gleich sonst ein gutes Weib, die Kinder vielleicht dennoch nicht lieben bloß weil sie nicht Kinder ihres eigenen Leibes wären. Ganz unschuldiger Weise könnten sie ihr zuwider sein. Denn ich fühle, es könnte mir eben so gehen, wenn ich Stiefvater von manchen Kindern sein sollte, die ich unglücklicher Weise nicht leiden kann; und gleichwohl brauchte ich mich deswegen nicht für schlechter
zu halten, als ich wirklich bin. Dieses ist also ein höchst wichtiger Punkt, der aufmerksame Prüfung erfodert.
Nunmehr noch etwas von meiner vorigen Lebensgeschichte. Ich habe zwei Schwestern zu Weibern gehabt. Auf eine sonderbare Art, zu weitläuftig hier zu erzählen, kam ich dazu, die erste zu heiraten, ohne sie zu lieben. Ja, schon als ich mit ihr vor den Altar trat, trug ich den Zunder zu der glühendsten Leidenschaft für die zweite, die damals noch ein Kind und kaum vierzehn bis fünfzehn Jahr alt war, in meinem Herzen. Ich fühlte das wohl; allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst hielt ich es, ob ichs mir gleich nicht ganz ableugnen konnte, höchstens für einen kleinen Fieberanfall, der sich bald geben würde. Hätte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun können, so wäre es Pflicht gewesen, selbst vor dem Altare vor dem Segensspruche noch zurück zu treten. Mein Fieber legte sich nicht, sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger, immer unauslöschlicher. In eben dem Maße, als ich liebte, wurde ich von der Höchstgeliebten wieder geliebt. O, ich würde ein Buch schreiben müssen, wenn ich die Martergeschichte dieser Jahre und so viele der grausamsten Kämpfe zwischen Liebe und Pflicht erzählen wollte. Wäre das mir angetraute Weib von gemeinem Schlage, wäre sie minder billig und großmütig gewesen (worin sie freilich von einiger Herzens-Gleichgültigkeit gegen mich unterstützt wurde), so wäre ich zuverlässig längst zu Grunde gegangen, und würde jetzt diese Zeilen nicht mehr schreiben können. Was der Eigensinn weltlicher Gesetze nicht gestattet haben würde, das glaubten drei Personen sich zu ihrer allerseitigen Rettung vom Verderben selbst gestatten zu dürfen. Die Angetraute entschloß sich, mein Weib öffentlich und vor der Welt nur zu heißen, und die andere, in geheim es wirklich zu sein. Dies brachte nun zwar mehr Ruhe in aller Herzen; aber es brachte auch eine andere höchst angst- und kummervolle Verlegenheit zu Wege. Ein schöner talentvoller Knabe, eben der, welchen ich unter meinen Kindern mit aufgeführt habe, wiewohl vielleicht bis auf den heutigen Tag die meisten Menschen hiesiger Gegend nichts wenigstens nichts Gewisses davon wissen, war die Folge jener Übereinkunft. Er wurde heimlich zwanzig Meilen von hier in Ober-Sachsen geboren, und seitdem von meiner Schwester erzogen. - Im Jahre 1784 starb meine erste Frau an der Auszehrung, die in ihrer Familie erblich war. Im Jahre i785 heiratete ich öffentlich und förmlich die Einzige Höchstgefeierte meines Herzens; allein nach kurzem glückseligen Besitze verlor ich auch sie am 9. Januar 1786 nach der Geburt der jüngsten Tochter an einem hektischen Fieber. Was ihr Besitz, was ihr Verlust mir war, das sagen meine Freuden- und Trauerlieder. Seit dieser Zeit lebe ich einsam und traurig mit sehnendem Herzen.
Kann Elisen der Mann noch reizen, der so vor ihr dasteht? Noch habe ich, wie mir vorkommt, mir selbst eben nicht zum Vorteile geredet. Etwas ist indessen doch wohl demjenigen erlaubt zu seinem Besten zu sagen, der keinen seiner wichtigsten Fehler vorsätzlich verschwieg. Dem Weibe, das mich, so wie ich da bin, zu lieben vermag, und welches ich mit voller Liebe wieder liebe, darf ich ein nicht unglückliches Leben versprechen. Ist es ihr süß, von mir geliebt, an meinem Busen gehegt und gepflegt zu werden, so wird es ihr nie an voller Genüge ermangeln. Denn wenn ich einmal echt und von Herzen liebe, so liebe ich gewiß unveränderlich, und keine Fülle des Genusses kann mich des geliebten Weibes satt und überdrüssig machen; so gemein auch die Bemerkung ist: der Genuß sei das Grab der Liebe. Nur Afterliebe, die den heiligen Namen nicht verdient, erkaltet im Bett der Ehe. Der wahren Liebe, meiner wahren Liebe bleibt dies immer ein Brautbett. Auch das Weib, welches ich unglücklich genug wäre, nach der unzertrennlichsten Verbindung nicht mehr zu lieben, darf wenigstens keine unedle und rauhe Begegnung von mir fürchten. Das bezeuge mir noch in jener Welt die, mit welcher ich zehn Jahre ohne ein rohes unfreundliches Wort verlebte, ob ich sie gleich nicht liebte. Eher möchte ich vielleicht fähig sein, mit der Höchstgeliebten meines
Herzens, doch nur über geargwohnten Mangel an ihrer Gegenliebe, zu hadern. Gott bewahre mich vor einem Weibe, das mich für meine Liebe nicht vollauf wieder liebt! Noch bin ich in diesem Falle zwar nicht gewesen: aber mir deucht, es würde von allen möglichen der schlimmste sein. Leicht könnte ich dann der unerträglichste Mensch werden. Denn es kommt mir vor, als sei ich großer Eifersucht fähig. Freilich nicht, nach gemeiner Männer Weise, zum Hüten und Auskundschaften der Schritte und Tritte meines Weibes; nicht zur Einschränkung ihrer Freiheit in irgend einer Art des Umganges: aber heimliche Verzweiflung würde mein Herz zerfleischen, und in der grausenden Gestalt eines Höllen-Verdammten würde ich vor ihrem Angesichte umherschleichen.
Nun, Elise, prüfen Sie sich und mich! Erkundigen Sie sich, wo möglich, nach mir und meinen Umständen auch bei Andern. Doch glauben Sie eher nichts, als bis ichs Ihnen selbst bestätigt habe. Denn obgleich kaum irgend jemand mich schlimmer schildern wird, als ich selbst getan habe: so könnte mich doch wohl
ein anderer minder wahr schildern, als ich, der ich mich selbst am besten kenne, zu tun im Stande bin.
Sie haben eine Mutter, und, wie mir versichert worden ist, eine rechtschaffene und kluge Mutter. Wenn Ihnen je in Ihrem Leben der Rat einer solchen Mutter teuer und wert war, so lassen Sie sichs in diesem Falle doppelt angelegen sein, auf ihre Stimme zu horchen. Sie wird vermutlich diese Darlegung mit einem offneren und unbefangneren Sinne, als Sie, liebe süße Schwärmerin, aufnehmen, und der Rat des Mutter-Kopfes wird vermutlich zuverlässiger sein, als der Rat des Tochter-Herzens. Findet die Mutter, daß der Mann, der sich mit dem Pinsel der Wahrheit hier selbst geschildert hat, ohne mit Wissen und Willen irgend einen Flecken, worauf etwas ankommen kann, auszulassen, dennoch wohl ein guter Mann für ihre Tochter sein könne: nun - so überlassen Sie sich dem vollen Zuge Ihres Herzens!
Doch nein! auch alsdann noch nicht eher, als bis Sie mich selbst gesehen haben. Meinen Sie, nach wiederholter und abermals wiederholter Prüfung dieser Beichte, daß ich, trotz allem, was an mir auszusetzen ist, dennoch der Mann Ihres Herzens sein könne, wenn anders mein Körperliches Ihnen nicht ganz und gar zuwider sein sollte, und Sie sagen mir dieses redlich, offenherzig und unbefangen: so will ich ganz in der Stille, unerkannt und unter fremden Namen, um weder Sie, noch mich selbst vor der Welt bloß zu stellen, zu Ihnen nach Stuttgart kommen. Auch ich selbst muß Sie erst sehen, wie sie leiben und leben, und ob Sie diejenige wirklich sind, die ich im Geiste freilich schon längst mit hoher Liebe umfasse. Geist, Herz, Charakter und Lebensart, Sitten, Stand, Ehre, Vermögen sind zwar wichtige Ingredienzien zu
einer glücklichen Ehe; allein sie machen es doch nicht immer und ganz allein aus. Wir sind insgesamt sinnliche Menschen, und auch die Sinnlichkeit will ihr Recht haben. Unsere Sinne müssen ein wechselseitiges Behagen an einander finden, welches sich nicht gerade nach Jugend und Schönheit, sondern oft nach einem unerklärbaren Etwas richtet, das sich weder malen, noch beschreiben, sondern allein im Innersten fühlen läßt. Dieses Etwas läßt sich weder geben, noch nehmen.
Nach diesen Vorbereitungen wird es sich in der ersten Stunde unserer persönlichen Zusammenkunft ausweisen, ob wir das Publikum mit der allersonderbarsten Heirats-Geschichte zu amüsieren, - zu unserem eigenen noch größeren Amüsement zu amüsieren im Stande sind, oder nicht.
Elise, Elise! ich schließe mit einer teuern, feierlichen Beschwörung. Bei dem ewigen Gotte, bei Ihrem eigenen Wohl und Weh und bei dem Wohl und Weh eines Mannes, der nicht redlicher um das Ihrige besorgt sein kann, als er ist, beschwöre ich Sie: Wählen Sie mich nicht zu Ihrem Gatten, wofern Sie nicht bei sich fühlen, daß Sie sich mit voller Liebe in meine Arme werfen können. Ich schwöre Ihnen, in Ansehung Ihrer eben dasselbe zu beobachten.
Und so hoffe ich freudig, der Allbarmherzige werde unsern Bund, wenn er zu Stande kommt, mit seinem Segen krönen.

GAB.





Stuttgarter Poetscorner'le