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Gespräch Susanne Beck / Reinhard Döhl für "Federwelt" [Mai 2000]

[Anfrage 9.4.2000, Fragen 11.4.2000, Beantwortung 17.5.2000 via e-mail. In redaktioneller Bearbeitung und Kürzung ohne Rücksprache erschienen in: Federwelt. Zeitschrift für Autorinnen und Autoren, Nr 28, Juni 2001, S.9-12 u.d.T. "Kunst stellte Fragen. Federwelt im Gespräch mit Reinhard Döhl"]

Wann haben Sie Ihr Talent zum Schreiben entdeckt? War es eine Offenbarung oder beunruhigend?

ob ich ein talent zum schreiben habe, weiß ich nicht. ich war/bin neugierig und habe einfach versucht zu schreiben, zu malen, zu komponieren, und dabei ist's halt geblieben.

Wußten Sie von Anfang an, daß Sie mit dem künstlerischen Leben auf dem richtigen Weg sind?

das weiß ich heute noch nicht. und überhaupt: was ist ein künstlerisches leben?

Was ermutigt Sie zu schreiben?

s.o.: die neugier. aber das gilt eigentlich für alles, was ich mache. mut macht mir dabei, daß ich gelegentlich antworten auf meine fragen finde, auch auf fragen, die ich nicht gestellt habe, die freilich oft wieder nur fragen sind.

Sie wurden am Anfang Ihrer Karriere von der Universität gewiesen - hat sie das zurückgeschreckt oder ermutigt?

weder/noch.

Sie haben sich auch viel mit Sprachphilosophie auseinandergesetzt - ist Kunst eher Gefühl oder Theorie?

kunst ist weder gefühl noch theorie. kunst stellt fragen in einer welt, in der die antworten bereits überall herumliegen. allerdings denke ich, daß das mit sprachphilosophie nichts zu tun hat.

Inwiefern halten Sie noch an den Dogmen über konkrete Poesie aus Ihrer Zeit in der Stuttgarter Gruppe fest?

tue ich nicht. die konkrete poesie der 50/60er jahre war nur im falle gomringers dogmatisch. so wie wir es verstanden, war sie eine fortsetzung, stand sie in der tradition von bereits in den 20er jahren vorgegebenem (arp/schwitters/doesburg etc) und war fuer uns eine wichtige klärungsphase aktueller aesthetischer (auch sprachphilosophischer) probleme (siehe die einschlägigen aufsätze von bense, heissenbüttel und mir bzw. meinen hierher gehörenden internet-essay "stuttgarter gruppe oder einkreisung einer legende" [www.reinhard-doehl.de/forschung/stgtgruppe.htm]). dabei haben wir an unseren ergebnissen nie festgehalten sondern auf ihnen aufgebaut, wie sich anhand der vorliegenden veröffentlichungen leicht verifizieren läßt.

Was denken Sie, wenn Sie heute an diese Zeit zurückdenken?

zum aussuchen: vergangenheit nimmt zu zukunft ab, es war heute was gestern war, morgen war sonntag.

Sie habe sich in den siebziger Jahren eine Zeitlang völlig aus dem kulturellen Leben zurückgezogen - warum? Was hat Sie bewogen, wieder zu veröffentlichen?

das hatte persönliche gründe, zusätzlich bedingt durch das spezifische verhockte stuttgarter kulturklima. ich habe aber nie aufgehört, künstlerisch tätig zu sein (wie ich ja auch nicht aufgehört habe, an der universität zu unterrichten), und eines tages dann auch wieder ausgestellt, veröffentlicht usw. allerdings bevorzugt außerhalb stuttgarts.

War der Start Ihrer Schriftstellerkarriere schwierig? Wer ermutigte Sie?

ich habe nie eine schriftsteller- oder künstlerkarriere (karriere ist für mich ein unwort) machen sondern immer nur die freiheit haben wollen, das zu machen oder auch zu verwerfen, was ich künstlerisch für richtig und wichtig oder falsch hielt.

Gab es jemanden, der Sie besonders unterstützt und an Sie geglaubt hat?

nein. jedenfalls am anfang nicht.

Sie sind auch an der Universität tätig, und auch sonst in vielen verschiedenen Bereichen - was macht Ihnen am meisten Spaß?

alles oder gar nichts, weil's nicht zu trennen bzw. das eine stets die fortsetzung des anderen mit anderen mitteln ist.

Sie glauben an den Dialog der Künste - welche Künste sind für Ihr eigenes Leben besonders wichtig?

alle, ohne einschränkung, wenn sie ehrlich betrieben werden. allerdings hatte ich bei dem essay, auf den sie sich vermutlich beziehen - "ansätze und moeglichkeiten künstlerischen dialogs und dialogischer kunst" - primär an künstlerisches zusammenarbeiten oder aufeinanderzuarbeiten gedacht.

Wie informieren Sie sich über die Neuerungen in der Kultur, was halten Sie von der modernen Literatur? Haben Sie einen Lieblingsschriftsteller unter den jungen Literaten?

information in den/durch die medien, vor allem in/durch gespräche mit freunden, lektüre, besuch von ausstellungen und konzerten jenseits des offiziellen kulturangebots. einen "lieblingsschriftsteller" unter den jungen literaten habe ich nicht, aber es gibt - wenn sie unter "moderner" die aktuelle literatur meinen - einige, die mich interessieren, mit einigen hab' ich auch schon zusammengearbeitet. eine ehemalige studentin von mir wird jetzt ihren ersten roman herausbringen, auf den ich gespannt bin. anregend fand ich z.b. die tagebuchähnliche kurzprosa der autoren des online-experiments "null" von thomas hettche, auch wenn es kein wirkliches internetprojekt ist und konsequent denn auch als gedruckte anthologie erscheinen wird. dann gibt es eine reihe jüngerer autoren aus den neuen bundesländern, aber auch aus dem ausland, die ich aufregend finde.

Gibt es eine Tätigkeit, bei der Sie künstlerische Ideen am ehesten entwickeln?

in gesprächen, bei waldspaziergängen, beim bergsteigen oder bei der zeitungslektüre.

Betreiben Sie Recherche, bevor Sie ein Buch schreiben? Wenn ja, wie gehen vor?

ich schreibe keine bücher. manchmal wird das, was ich schreibe, und hier, wenn von der sache her notwendig, natürlich auf grund von recherche, ein buch.

Schreiben Sie immer zu einer bestimmten Tageszeit? Sind Sie ein disziplinierter Arbeiter, d.h. absolvieren Sie täglich ein bestimmtes Pensum?

disziplin war eine grundvoraussetzung, meine arbeit an der universität und meine künstlerischen interessen unter einen hut zu bringen. der tagesablauf mußte sich dabei jeweils den notwendigkeiten und möglichkeiten fügen. in der regel habe ich aber immer das vorgenommene "pensum" geschafft.

Denken Sie beim Schreiben an die Verständlichkeit für den Leser?

nein, oder erst an zweiter stelle. in der regel geht es mir bei allen meinen künstlerischen versuchen darum, mir etwas klar zu machen.

Lassen Sie die Texte, bevor Sie fertig sind, von jemand anderem beurteilen?

nein, was für meine anderen künstlerischen arbeiten mit gilt, soweit es sich nicht um gemeinsame arbeiten handelt. sonst frage ich gelegentlich freunde um (meist technischen) rat.

Welche Autoren lesen Sie selbst gerne? Haben Sie Vorbilder?

gerne gelesen habe ich viele autoren. immer wieder studiert, zur gänze oder in teilen, z.b. sterne, wieland, jean paul, raabe, arno schmidt und koeppen (die ich z.t. auch herausgegeben, über die ich geschrieben oder unterrichtet habe oder über die studenten bei mir gearbeitet haben). das einzige vorbild meines lebens war mein großvater, der nicht geschrieben aber mir vieles beigebracht hat, z.b. geschichten erzählen, oder forellen mit der hand fangen, der nur ein buch, nämlich die bibel, kannte, der gar nicht verstanden hätte, was aus seinem enkel geworden ist und dem ich dennoch eigentlich alles verdanke bis hin zum einverstandensein mit dem tod.

Lesen Sie Kritiken über sich? Beeinflussen diese Sie?

ersteres, wenn sie mir zugänglich sind, ja. letzteres nein.

Versuchen Sie, mir Ihren Tagesablauf zu schildern.

wenn's der wahrheitsfindung dient: ich stehe sehr früh auf, trinke ein glas grapefruitsaft, nehme die notwendigen medikamente, verschwinde mit dem hund, der nach dem japanischen haikudichter basho heißt, für etwa eine stunde, auch länger in den um diese tageszeit noch nicht verköterten wald hinter dem haus, frühstücke, lese zeitung und setze mich dann, durch einen anrufbeantworter vor telefonischen unterbrechungen geschützt, an den schreibtisch oder arbeite im atelier oder gehe in die universität, die reihenfolge kann wechseln je nach dem, was anliegt. eingefügt sind, vor allem gegen abend, gespräche mit freuden und diverse veranstaltungen oder einfach nur lektüren.

Was war der glücklichste Moment Ihres Lebens?

als mir meine totengräberin begegnete, was freilich eine metapher ist, die ich aber nicht auflösen werde.

Haben Sie ein Lebensmotto? Eine Lebensphilosophie?

einfall / zweifel

Glauben Sie an Unsterblichkeit?

das könnte ich nur beantworten, wenn mir jemand glaubwürdig erklären könnte, was das ist. ich glaube nicht mal meinem gedächtnis.

Wie würden Sie sich mit einem Wort selbst charakterisieren?

wenn's drei sein dürften: "mülltonne in botnang" - lässt sich im netz nachprüfen, z.b. unter www.stuttgarte-schule.de/doehl.htm

Interessieren Sie sich für aktuelle Tagespolitik und wenn ja, welche Medien nutzen Sie, um sich darüber zu informieren?

ja. presse und rundfunk, ausführlich oder gezielt, je nachdem. fernsehen kommt mir nicht ins haus.

Sie beschäftigen sich auch mit den Möglichkeiten der Kunst im Internet - was halten Sie persönlich von diesem neuen Medium und wie nutzen Sie es für sich?

halten: ebensoviel wie von film und funk. nutzen: seit einigen jahren fast ausschließlich (vgl. meine homepages), reproduktiv und produktiv (hier bevorzugt in zusammenarbeit mit anderen künstlern, vor allem johannes auer).

Was würden Sie jungen Schriftstellern am Anfang Ihrer Karriere raten?

raten würde ich nie, allenfalls fragen, ob die/der betroffene närrisch und neugierig genug ist, sich auf die anstrengung der kunst ein leben lang einzulassen. von karriere (s.o.) halte ich wenig, viel dagegen von konsequenz, konstanz und ehrlichkeit sich selbst gegenüber. natürlich spreche ich gelegentlich mit jungen schriftstellern, künstlern, musikern über ihre arbeiten. dabei nehme ich, wie ich befürchte, oft mehr als ich geben kann.