Reinhard Döhl | Der Parisprospekt
zu den pariser skizzenbüchern | eröffnung der ausstellung in der galerie buch julius, 3.9.1884

ursprünglich sollte anderes ausgestellt werden: eine auswahl aus den aquarellen der letzten 10 jahre. aber dann kam es zu dem "wort für wort"-projekt und seiner stuttgarter ausrichtung auf max bense und die stuttgarter schule. so haben wir umdisponiert und uns für die "pariser skizzenbücher" entschieden. skizzenbücher ist dabei nicht ganz wörtlich zu nehmen und müßte eigentlich skizzenblöcke heißen. will sagen: die ausstellung zweigt eine auswahl dessen, was ich mir 1990 in paris neben der arbeit am mallarmé-projekt, das bereits im institut français vorgestellt wurde, zumeist mit dem pinsel notiert habe, gelegentlich nur, um eine idee festzuhalten, gelegentlich auch weiter ausgeführt. das kann der entwurf für ein tagebuch der farben sein, das kann eine variationsreihe zur grande gidouille sein (die ihre biographische erklärung darin findet, daß ich mitglied des pariser collegium pataphysicum bin). das können collagen sein, die als erste pariser arbeiten bei der einrichtung des ateliers unter zuhilfenahme von ausrissen aus der ZEIT entstanden, meiner reiselektüre auf der bahnfahrt nach paris. das können die vierteiligen "artischtle"-arbeiten (im keller) sein, die bestimmte situationen meiner pariser wanderungen festhalten. das können reflexe auf pariser sehenswürdigkeiten sein wie eiffelturm, invalidendom, arc de triumph undsoweiter undsofort.

[sie können sich das alles ansehen, und ich bin auch gerne bereit, bei eventuellen fragen rede und antwort zu stehen - da man bei julius bekanntlich stehen muß, in der kreide allerdings weniger].

die frage, was diese skizzen und einfälle mit den präzisen vergnügungen des augenblicklichen kultursommers zu tun haben, beantwortet sich anekdotisch. max bense hatte mich 1959, als ich wegen der publikation der "missa profana" auch juristischen ärger bekam, zur fortsetzung meiner studien nach stuttgart eingeladen, wo er selber das schwarze schaf war, was ich damals aber noch nicht wußte. Wir hatten uns - es war gerade die vorlesungsfreie zeit - zum kennenlernen in paris verabredet und verpaßt. darüber gibt es sogar einen kleinen briefwechsel. nun hat paris - wie der von bense im studium generale der damals noch technischen hochschule eingerichtete arbeitskreis "geistiges frankreich" leicht belegt - im geistigen horizont der stuttgarter gruppe/schule einen zentralen stellenwert. deshalb und weil ich seit unserem ersten verpaßten rendevous immer wieder einmal in paris war, 1963 z.b. auf der biennale anläßlich einer lesung der ecole stuttgart [die stuttgarter wußten damals gar nicht, daß es so etwas gab] - deshalb und weil die francophilie eine periodisch wiederkehrende krankheit der meisten mitglieder der stuttgarter schule/gruppe war und ist, kam es schließlich zu dieser ausstellung.

soweit das präludium, dem ich noch etwas fuge anschließe.

natürlich habe ich in paris nicht nur den traditionellen flaneur gespielt, nicht nur gemalt oder am mallarmé-projekt gearbeitet. schon aus dem technischen grunde, weil die lichtverhältnisse in meinem atelier in der cité international des arts abends so miserabel waren, daß ich allenfalls lesen konnte. das habe ich denn auch getan und neben benjamins "passagen"-werk ein zweites buch wieder ausgegraben, das mich in den 50er jahren sehr beschäftigt hatte, rainer maria rilkes "malte laurids brigge", den ich zunächst in einer bei einem boukinisten erstandenen französischen ausgabe, dann auf deutsch (wieder)las. diese 'zweisprachige' lektüre, das studium eines argot-lexikons und meine oft weiten pariser spaziergänge regten mich zu einem kleinen projekt an, das dann allerdings fragment blieb. ich werde es am 24. september im wilhelmspalais im rahmen einer lesung mit franz mon so vorstellen - also auch akustisch - wie es ursprünglich gedacht war. hier und jetzt will ich wenigstens eine kleine passage daraus vorlesen:

"was so ein kleine mond alles vermag" [auszüge]