Heinz E. Hirscher | Rede zur Finissage der Ausstellung "Das weitergereichte Spiel"
Galerie Filderstadt, Bernhausen, 22. Juli 2002

... als ich 1967 zum 20.6., dem 80. Geburtstag von Kurt Schwitters, an meinem Radioessay schrieb – undenkbar heute, das einem damals fast unbekannten Künstler solches Vertrauen eingeräumt wurde – da wollte ich mit den Jahreszahlen eine Art Glasperlenspielfuge entwerfen und zauberte mit der Zahl 7 so vor mich hin, denn das unbekannte Material, das ich bearbeitete, hatte außer Kurt Schwitters bislang keinen größeren Lehrmeister aufzuweisen, und wenn nun etwas mit der Zahl 7 in den Jahreszahlen zu tun hatte, habe ich’s daraufhin verwendet, und ich war glücklich, dass Helmut Heißenbüttel mir zu diesem wenig wissenschaftlichen Vorgehen die Chance einräumte, es zu senden. So konnte ich eine Zeitlang mit dem Gedanken leben, dass die 7er Abschnitte doch ihre eigene Geschichte schreiben, und so kommt’s, dass ich nun im Hesse-Jahr, dem Jahr des 1. "magister ludi" – die Jahreszahl gilt allerdings seinem Todesdatum vor 40 Jahren – aber sein Geburtsdatum hatte mich ja damals inspiriert und das war der 2. 7. 1877 – und ich konnte am 6.7. dieses Jahres 2002 hier in der Galerie Filderstadt meinen 75. Geburtstag feiern, und dafür bedanke ich mich nochmals von Herzen.

Die vorgezogene Finissage gilt ja meiner Meisterin Gudrun Schenk-Hölder, die am 25. Juli 1902 in Stuttgart-Degerloch geboren wurde und am 12. Oktober 1989 in Plattenhardt gestorben ist. Nie war ich bei der Wahl von Zeit und Ort meiner nächsten Ausstellung so entschieden wie in diesem Falle, denn wollte ich dazu eine Glasperlenspielfuge aufbauen, dann kämen mir noch mehr Ereignisse zupass. Sie wissen ja, das Land Baden-Württemberg ist schon ein halbes Jahrhundert alt, aber auch die Werkstätten der Stuttgarter Jugendhäuser, von deren Anfängen Sie Kinderarbeiten sehen, und die Stuttgarter Weissenhofsiedlung ist 75, und dazu musste ich auf alle Fälle im Hinblick auf meine Kataloge etwas anfügen – es ging ja dieser Tage durch die Presse, dass man sie wieder naturgetreu aufbauen will, aber wenn Sie den Eintrag der Lehrlinginnen ( hat man das schon im Sprachgebrauch?) in die Handwerksrolle nachlesen, so ist dabei Edith Eiermann zu finden, die 1948 im Corbusier-Haus zu sehr geringer Miete bei ihren Eltern wohnen konnte – der Vater hatte ein Fuhrunternehmen und hielt sich dort sogar ein Pferd – also alles 48, als die Währungsreform vor der Türe stand.

Als Reaktion auf das allzukühne Vordringen in die Neuzeit baute man dann später die Pankoh-Siedlung, und es wäre vermessen zu sagen, dass dies schon eine Blut- und Bodenreaktion war. Nur diesen Stilvergleich benutze ich später in meinem eigenen Katalog für meinen Entschluss Töpfer zu werden, der durchaus noch Erinnerungen wachrief an Heimaterden, wie nicht weit entfernt Häfner Neuenhaus im Aichtal oder Altdorf in der Nähe von Lorch, wo Mörike im Ruhestand sich sogar Häfner nannte. Leider kann ich meinen Freund Ulrich nicht nochmals begrüßen. Herr Dr. Simon ist Mitherausgeber der großen Mörike-Ausgabe, die in Marbach im Entstehen ist, und hat mich mit den Stellen vertraut gemacht, die sich auf Briefe und Notizen zur Töpferei bei Mörike beziehen – auch einen Tagebucheintrag über den Uhlberg will ich zitieren, denn auch ich hatte einen Gang über den Uhlberg zu machen, der mir 2-mal recht schicksalshaft wurde. Aber ich darf – so erzählfreudig man im Alter auch wird – nicht weiter fabulieren, denn das Allerwichtigste bei der Begegnung mit Gudrun Schenk-Hölder war dies, dass ich das Bodegfärtle hinter mir lassen konnte und dass das Wort Blut höchstens noch im Ochsenblutrot, im sang de boeuf der chinesischen Glasuren wieder auftauchte.

Ich führe im Katalog zwar an, dass ich Gudrun einmal zu einer Kollegin aus der Studienzeit nach Altdorf begleitete und dass ich eine uralte Töpferscheibe mit ins Jugendhaus Ost, also in die Villa Hauff nehmen konnte, aber auch das ist so ein Beispiel des Auf und Nieder der Nachkriegszeit, wie es z. B. die Gutenhalde hier in der Nähe war, in der die Stadt Stuttgart selbst noch einmal in heimischer Erde investierte. Hätte ich nicht die Ausstellung in der sagenhaften Galerie Herrmann auf der noch total zerbombten Königstraße gesehen, hätte ich diese Bodennähe nicht überwunden – ich konnte dieses Plakat zur Spurensicherung der Staatsgalerie stiften – es gehört zu Grieshabers Nachkriegsanfängen und trägt ein Galeriezeichen, das einem Bild von Willi Baumeister entnommen ist, wie es heute in dem von der Archäologie inspirierten Museum in Blaubeuren wieder auftaucht.

Die Einladung zu dieser Ausstellung in der Galerie Herrmann ist im Katalog abgebildet und das Original ebenfalls in der Staatsgalerie hinterlegt – Dr. Herrmann aber hatte immer Keramik bei seinen Ausstellungen und die folgende von Lotte Bisang waren Gefäße noch immer in der großen Eiform und winzigem Krughals – Otto Schenk, der wohl durch sein Schicksal am weitesten von dieser Art der Keramik entfernt war, sagte zu solchen Formen: "Mache se doch vollends zu!" – darin habe ich mich, inspiriert von Valauris, also von Picasso, dann später doch versucht. Sie sehen es in der oberen Vitrine.

Aber jetzt zur Stiftung – ich will eine Briefzeile von Gudrun Schenk aus Plattenhardt zitieren. "Zur Zeit bin ich ganz beim Modellieren. Habe zu Otto gesagt, er soll mich mal ein paar Wochen ganz allein machen lassen. Er will nämlich immer, ich soll Vasen drehen. Aber es zieht mich doch so zum Modellieren, will mich mal richtig darin austoben. können, könnte endlos darin weitermachen. Nur bis das alles gebrannt ist in meinem kleinen Öfele!! Ich hoffe Dir auch bald mal eine Freude machen zu können. Gott sei Dank habe ich keine so leidigen Aufträge mehr wie in Degerloch. Immer musste und musste ich!"

Dies figürliche Talent wurde leider in der schwäbischen Hälfte Baden-Württembergs für Keramik nie erkannt, während noch ein Jahr vor Gudrun Hölders Geburt in Karlsruhe eine Majolikamanufaktur gegründet wurde, die durch Hans Thoma und vor allem durch Max Laueger sich in die hohe Kunst einreihen konnte. Und ich freue mich, dass die Figur Apoll und Daphne, die Gudrun mir 1949 schenkte, jenen Stil Lauegers erkennen lässt und in dieser Ausstellung zur Schau stellt, aber weil ich Spuren setzen will, die auch für die Kunst von Otto Schenk nach diesem Erbdebakel nötig sein werden, warte ich mit Apoll und Daphne, dem Übertopf und der Stickerei in meiner eigenen Sammlung auf die sich bietende Gelegenheit, den Haarriss in der Keramikauffassung unseres geeinten Landes zu einem schönen Craquelé werden zu lassen.

Eine Spur aber soll Plattenhardt verbleiben, und das sind die oberen zwei Stockwerke unserer gemeinsamen Vitrine und der dazugehörige Katalog, für den Sie, liebe Gäste, bitte noch einmal auf der Subskriptionsliste weitermachen möchten – es sind immer drei Kataloge gemeint, die einzeln nie mehr so billig werden. Sie sind mit Hilfe von Christa Planck, der Fotografin, zustande gekommen, die in eigener Sache nach Fellbach musste, denn das Jahrhundert gehört den Frauen, und die Künstlerinnen haben eine große Ausstellung ihrer Werke fürs Land zustande gebracht, während wir Männer – wenn überhaupt – vielleicht auf den Glaswürfel warten müssen, der – so hört man sagen – noch vor der Olympiade entstehen soll, wenn nicht die Weissenhofsiedlung vorgezogen wird. Wir müssen dann beim Erscheinen meines eigenen Katalogs und dem der Schüler- und Kinderarbeiten, die vielleicht ebenfalls eine Vitrine finden, so sagte mir Frau Abt, alle Nummern eintragen und den Subskribenten zusenden. Natürlich kann man zu meinem Katalog vorweg auch ein Original kaufen – wir wollten in der oberen Vitrine Preise einsetzen, aber der Schlüssel fehlt.

Jetzt danke ich Ihnen allen aber fürs Zuhören und überreiche dem Oberbürgermeister und Prof. Hölder symbolisch den ersten Katalog und danke allen, die Sie dieser Stunde beiwohnten und ihr ein würdiges Geleit gaben.

Um aber nochmals Schwitters zu zitieren: seine Merz-Kunst war ein Gesamtkunstwerk, und ich möchte ihm darin folgen. Die Zerstörung im 1. Weltkrieg war in der Heimat allerdings nicht so groß, und ich konnte bei dieser Ausstellung auf die "Alchemie der Scherben", den Untertitel meines Katalogs, hinweisen. Sie sind hier an der Wand zu sehen und ich legte sie in Gips 1954 während dem Werkklassensemester bei Prof. Hils und folgte einem Thema, das uns gestellt war. Es sind die Scherben der Fenster der Hospitalkirche, und die auf Mattglas geklebten waren beide auf dem Werktisch. Die irisierenden sind beim Bau der Tiefgarage am Schillerplatz gefunden worden – mein Bruder sammelte sie und gab mir den Rest seiner Beute. Sie spielen mit dem Wort Alterslüster eine große Rolle in der Keramik.

Ich danke Ihnen.