Reinhard Döhl | Ist Buch Julius auf den Hund gekommen?

frage ich mich, seit Wil Frenken zu "Hundpostagen" [sic] eingeladen hat, womit er - wenn ich die Einladung richtig verstehe - Übermalungen meint, in die ich auch noch einführen soll. Wie schon bei den "Periphernalien" seligen Angedenkens hat Wil mir zunächst keinerlei weitere Hinweise gegeben. Dann hatte ich überraschend einen dreifachen "Chlebhundposttag", gefolgt von einigen Faxen, die mich vermuten lassen, daß sich in diesen "Hundpostagen" und mit der heutigen Ausstellung mancherlei verknüpft, das erst einmal philologisch dekonstruiert werden will.

Zunächst ergänze ich aber die Einladung dahingehend, daß es heute nicht nur

- 15 Jahre Buchhandlung Buch Julius
- 15 Jahre Galerie bei Buch Julius
- 5 Jahre Edition Musikat bei Buch Julius zu feiern gilt, sondern auch
- 40 Jahre Reinhard Döhl in Stuttgart, und d.h. 40 Jahre zunächst Technische Hochschule, dann Universität, deren endgültiges Verlassen genau mit dem Frenkenschen Hundpost- und Julischen Festtagen zusammenfällt, wobei anders als bei Julius, bei dem jeder Jahresring zu feiern ist, bei mir lediglich das Ende von zuviel Stuttgarter Jahressringen festzuhalten wäre: und zwar hündisch. Denn - so hat man es mir in der Universität zum Schluß angeschlagen:

Es ist nur dumm
daß so das Buch aus
und doch nicht aus ist,
da der Hund von einem - Hund
ganz unerwartet weg ist, wie Schnupftabak.
Womit ich wieder beim Hund angekommen wäre.

Leute, die ihre Kulturgeschichte noch im Kopf oder wenigstens einen Büchmann zur Hand haben, wissen von der Besetzung der Bühne durch den Pudel von Castelli, dem "Hund des Aubri", können wohl auch zitieren: daß den Hund aufs Theater bringen bedeute, das Theater auf den Hund zu bringen, wissen vielleicht auch noch, daß der Tabak- und Hundegegner Goethe eines dressierten Pudels wegen, was ohne exegetischen Folgen für die Studierzimmerszene des "Faust" ist, in der die entsprechende Sequenz lautet:

Faust: Knurre nicht, Pudel!
Mein geliebtes Deutsch.
Mephisto: Wozu der Lärm? Was steht dem Herrn zu Diensten?
Faust: Das also war des Pudels Kern!
Der Kasus macht mich lachen, -
daß, sagte ich, der Hundegegner Goethe eines dressierten Pudels wegen als Intendant des Weimarer Hoftheaters demissionierte, was Schiller seinerseits mit
Dem Hundestall soll nie die Bühne gleichen,
Und kommt der Pudel, muß der Dichter weichen
soufflierte.

Was in der aktuellen Anwendung fragen läßt, ob Julius, durch die Wilschen "Hundpostage" auf den Hund gekommen, seinerseits als Buchhändler demissionieren muß. Eine Frage, deren Antwort unmißverständlich lautet: nein! Denn er ist längst auf den Hund gekommen, und dies seit genau 5 Jahren, als er nämlich einen Hund als Logo seiner Musikatedition wählte. -

Direkte Zwischenfrage: Sag mal, Julius, warum eigentlich hast du dann deine Edition Musicat und nicht Musidog genannt? -

Wie immer dem sei, ein Hund ziert als Logo die Edition Musikat und ist - Julius hat's mir am Mittwoch an den Fingern hergezählt - auf seinen CDs, Booklets und Flyers 36 000 mal vorhanden und ca 34 000 mal in alle Welt verkauft worden.

Dieser Hund - der allerdings, wie der Augenschein unzweifelhaft macht, keinen Pudel darstellt - dieser Hund nun wiederum ist eine Hervorbringung von Susanne Frenken, mit dem Zu-Satz: Hunde, die bellen, beißen danach. Er ist das Geschöpf eines sehr persönlichen Bestiariums, und hier und heute zugleich eine Erinnerung an seine verstorbene Schöpferin. Und als Leibgeber von Logo und Ausstellung drittens eine Anspielung auf Jean Pauls Intrigen&Entwicklungsroman: "Hesperus oder 45 Hundsposttage. Eine Lebensbeschreibung". Diese Lebensbeschreibung wird - und das erklärt sogleich die zweite Titelhälfte - dem Verfasser der "Flegeljahre" kapitelweise von einem Spitz gebracht, der diese Kapitel und zugehörenden Briefe in einer Kürbisflasche unter dem Hals transportiert wie die Alpenhunde[...] ihren tragbaren Konvikttisch.

Jetzo wagt sich, lese ich am Schluß des 1. Hundsposttag[s], der den "Unterschied zwischen dem 1. und 4. Mai - Rattenschlachtstücke - [ein] Nachtstück - Drei Regimenter in künftigen Hosen - [eine] Staarnadel [und die] Ouvertüre und geheime Instrukzion" in eben dieser Reihenfolge umfaßt -

Jetzo wagt sich, lese ich am Schluß des 1. Hundsposttag[s], der Korrespondent mit seiner Absicht hervor, mich zum Lebensbeschreiber einer ungenannten Familiengeschichte zu machen. Er bittet, er intriguieret, er trotzt. "Er könne! - (schreibt er weitläuftiger, aber ich abbreviere alles und trag überhaupt diesen Briefauszug mit außerordentlich wenig Verstand vor; denn ich werde seit einer halben Stunde von einer verdammten Ratten-Bestie undgemein ärgerlich gekratzt und genagt) - "mir alles gerichtlich dokumentieren, dürfe mir aber keine anderen Namen der Personagen in dieser Historie melden als verfälschte, weil mir nicht ganz zu trauen sei - er kläre mir schon alles mit der Zeit auf - denn an dieser Geschichte und ihrer Entwicklung arbeite das Schicksal selber noch, und er händige mir hier nur die Schnauze davon ein, und werde mir ein Glied nach dem anderen, so wie es von der Drechselbank der Zeit abfalle, richtig übermachen, bis wir den Schwanz hätten - daher werde der briefliche Spitz regelmäßig weg- und anschwimmen wie eine poste aux ânes, aber nachschiffen dürf' ich dem Briefträger nicht - und so (schließt der Korrespondent, der sich Knef unterzeichnet) werde mir der Hund wie ein Pegasus so viel Nahrungssaft zutragen, daß ich statt des dünnen Vergißmeinnichts eines Almanachs einen dicken Kohlstrunk von Folianten in die Höhe zöge.

Wie glücklich er seine Absicht erreicht habe, weiß der Leser, der ja eben aus dem ersten Kapitel dieser Geschichte herkömmt, das der Spitz von Eymanns Ratten bis zur Kanonade auf einmal in der Flasche hatte.

Versteht man den Autor des "Hesperus" als einen Bearbeiter, der in erlaubtem Rahmen eine übermittelte "Lebensbeschreibung" kollationiert und ediert, läßt sich der Bogen zur heutigen Ausstellung, zu den Übermalungen Wil Frenkens leicht schlagen.
Dem Kollationieren und Edieren übermittelten Materials entspricht hier das künstlerische Fortführen vorgegebener Arbeiten auf Folie. Legitimiert sind diese Fortführungen durch den persönlichen Wunsch Susanne Frenkens, die ihre Hunde, die bellen und danach beißen, in die künstlerische Produktion Wil Frenkens integriert und/oder künstlerisch fortgeführt wünschte.

"Fortführungen" nannten wir in den 60er Jahren ein Verfahren, eigene oder Arbeiten befreundeter Künstler weiterzuarbeiten, in andere Zustände zu überführen. Konkret heißt dies für die Exponate dieser Ausstellung, daß Wil auf die Folienarbeiten Susanne Frenkens zunächst Folien gelegt, und sie, derart abgenommen, auf andere Bildträger übertragen, überarbeitet, z.T. monotypiert, als Schablonen geschnitten oder zu Schablonen zerschnitten hat usw. Am besten lassen Sie sich das von Wil Frenken selbst jeweils an den Arbeiten erklären, die sich oft durch extreme Farbigkeit auszeichnen.

Ich zeige, um das Gesagte wenigstens andeutungsweise zu illustrieren, je zwei Kopien von Originalfolien von Susanne und ihnen entsprechende Schablonen Wil Frenkens. Dazwischen können andere künstlerische Schritte liegen. Ihnen können andere künstlerische Schritte folgen vor allem des Übermalens, Monotypierens, Zerschneidens, neu Montierens etcetera. Wobei die einzelnen künstlerischen Schritte, der künstlerische Weg im Auf- und Abbau von Spannungen, im Verbinden von Form und Formlosem mir oft entscheidender scheint als die im Ergebnis häufig offenen Resultate. Gelegentlich Skripturales, die ursprüngliche Zuschrift Susanne Frenkens von den Hunden, die bellen und danach beißen, deuten diese Offenheit auch in Richtung von Texten an, die zuzudenken oder zuzuschreiben der Betrachter durchaus aufgefordert ist, indem er z.B. einzelnen Arbeiten Sprichwörtliches, Redensartiges appliziert.

Wil hat mir gestern Abend gesagt, er habe bereits einschlägiges Material gesammelt. Was mich wiederum gereizt hat, zwar nicht in Karl Friedrich Wilhelm Wanders, wohl aber in Horst und Annelies Beyers "[Deutschem] Sprichwörterlexikon" nach Allfälligem zu suchen, als da wäre:

Den Hund schickt man nicht nach Bratwürsten oder Der Hund hinkt, wann er will oder Der Hund wedelt nicht umsonst mit dem Schwanz oder Einem alten Hunde pißt der Fuchs an den Hals oder Es gibt viele Hunde, die Pudel heißen oder Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen gekriegt [was eigentlich aus dem Niederdeutschen kommt und in Bode sich wohl so anhören würde: O-Ton] oder Kommt man über den Hund, so kommt man auch über den Schwanz oder Soviel Hunde, soviel Schwänze; / soviel Bräute, soviel Kränze.

Das alles aber baut zwischen den einzelnen künstlerischen Schritten, auf dem künstlerischen Weg, der mir gelegentlich entscheidender scheint als seine Resultate, und schließlich zwischen Exponat und Betrachter Spannungen auf und ab, verbindet Form mit Formlosem, Erhabenes mit Banalem - nicht unähnlich der Jean Paulschen Vorstellung eines Humors, der Hohes mit Niederem, Banales mit Erhabenem so verschränke, daß sich beides im Wechselspiel zerstöre oder doch wenigstens wechselseitig aufhebe.

Womit ich schließlich noch einmal bei Jean Pauls "Hesperus" bzw. den "45 Hundsposttagen" bzw. ihrem Posthund wäre, der übrigens auf den Namen Hofmann hört und sich am Ende des Unternehmens mit der Ankündigung einer "Fortführung" durch seinen Autor in einen anderen Zustand konfrontiert sieht:

Der gute Spitzius Hofmann wedelt jetzt und springt vor mir in die Höhe. Guter, fleißiger Posthund! Biographische Egerie Jean Pauls! Ich werde dich zur Aufmunterung, sobald ich Zeit habe, ausschinden und nett ausbälgen und mit einer Heu-Wurstfülle durchschießen, um dich in eine öffentliche Rathbibliothek als dein eigenes Brustbild neben andere Gelehrte von Rang einzustellen! - Meusel ist ein billiger Mann, den ich in einem eigenen Privatschreiben um einen Sitz im gelehrten Deutschland für den Spitz ansprechen will. Dieser Gelehrte wird, so gut wie ich, nicht einsehen, warum ein so fleißiger Handlanger und Kompilator und Spediteur der Gelehrsamkeit, als mein Hund ist, bloß darum ein elenderes, kälteres Schicksal erleiden soll, als andere gelehrte Handlanger, bloß darum sag' ich, weil er einen Schwanz trägt, der sein Steiß-Toupée vorstellt. Blos der setzt das arme Vieh auf der Rangliste der Gelehrten herunter.

Eine Ausstellung, die als "Hundpostage" so deutlich auf Jean Paul verweist, könnte hiermit eröffnet sein. Der Hund Susanne Frenkens, der Leibgeber dieser Ausstellung und des Logos der Edition Musikat, verlangt aber noch ein - wie Jean Paul es genannt hätte, kleines Schwanzstück. Es stammt von der in diesem Räumen nicht unbekannten Mutter der Moderne und lautet lapidar: Ich bin, weil mein kleiner Hund mich kennt.

[Stuttgart 10.10.1998]