geboren sechs zehn neun neun zehn vier und dreißig wattenscheid westfalen im sterbejahr von eugene manlove rhodes und geburtsjahr donald ducks an hans arps geburtstag. der vater hatte 1930 über die deutsche nationalversammlung von 1948 im spiegel der neuen rheinischen zeitung promoviert während walther gottfried klucke sich nach 1934 mit 8 erfolgreichen bühnenwerken zu einem wesentlichen vertreter des neuen dramas entwickelte und 1951 dem vielgeschmähten reich hitlers aufrichtig nachtrauerte. diese konstellation ist die erste der vielen dummen geschichten seines lebens 

[undatiert]

 

jahnn müßte ich noch einmal lesen. auf broch und musil wäre ich neugierig. romane, die notwendig (?) fragment blieben. bei berlin alexanderplatz stört mich der schluß, aber das ganze ist gut, mehr eine komposition als ein roman. wenn ich so etwas versuchen würde, einen hamburger roman, würde ich photographien einschießen. was sie zeigen, müßte nicht mehr erzählt werden. was man erzählen kann, muß nicht gezeigt werden. undsoweiter...

[50er jahre]

 

religio

warum wird bei sören kierkegaard immer wieder zwischen theologischem und philosophischem werk unterschieden? ich denke, es ist beides eins, wenn man theologie nicht mit lebenshilfe und philosophie nicht mit gebrauchsanweisung verwechselt. was kierkegaard interessierte und womit er sich quälte, war religion in ihrer wörtlichen und wirklichen bedeutung.

[50er jahre]

 

zu den chassidischen geschichten

könnte es sein, daß kafka mehr mit den chassidischen geschichten, wie sie martin buber gesammelt hat, und mit jüdischer mystik zu tun hat als mit alledem, was ihm die sogenannte germanistik andichtet. warum kayser ihn in der vorlesung einen erzähler von schauergeschichten nennt, ist mir unklar und hat nicht einmal die spärlichen germanistischen deutungsansätze verstanden.

[ende 50er jahre]

 

programm der werkgruppe für dichtung

[text einstellen]

 

integration und comic strip

heute wieder häufiger anzutreffende primär visuelle buchstaben- und wortarrangements lassen fragen, ob sie noch text oder schon grafik sind, legen die vermutung nahe, daß sie das eine nicht mehr und das andere noch nicht sind. das hat günther c. kirchberger und mich bewogen, seit ende 1961 wiederholt mit kombinationsmöglichkeiten von schriftbild und grafik zu experimentieren.

ein auf einem blatt vorgeschriebener oder -gedruckter text wird zum beispiel weitergezeichnet oder durch zeichnung zerstört, was wiederum durch nachträglich weitergeschriebenen text zerstört werden kann. grafisches tritt also nicht als bildelement zur schrift hinzu, dient nicht zur illustration eines textes, vielmehr ist das geschriebene, ohne rücksicht auf seinen inhalt, lediglich anreiz, wird bereits als grafischer schritt interpretiert, von dem aus und mit dem weitergearbeitet werden kann. das führt letztlich zur integration von buchstaben- oder schriftbild und grafischem gestus, weshalb wir diese blätter auch integrationen genannt haben. die geschriebenen texte sind bevorzugt banaler, oft rein statistischer natur und bilden so von vornherein ein korrelat zu den bewußt materialen vorgängen beim entstehen der grafik.

während bei blättern dieser art das schriftbild nur noch rudimentär in einzelnen wortteilen, wörtern, satzfragmenten ohne einen ersichtlichen (außer dem materialen) zusammenhang erscheint, dienen die sogenannten comic strips der zufälligen erzeugung eines neuen textes, indem ein vorgegebener text durch eine nachträgliche zeichnung zerstört wird, die noch erkennbaren wörter dann in ihrer reihenfolge solange wiederholt werden, bis der vorgegebene raum erneut gefüllt ist, der nun wiederum übermalt wird undsofort, bis - meist in einem sechsten schritt - das durch die übermalungen verringerte, durch wiederholungen in der statistischen häufigkeit jetzt veränderte wortrepertoire in eine möglichst sinnvolle neue wortfolge gebracht wird.

aber noch etwas spielt bei der herstellung dieser integrationen und comic strips entscheidend mit: freude am spiel, an der spielerischen kombination, bei der es der handschrift des autors ebenso bedarf wie der handschrift des malers, um in der verbindung der technik zweier kunstausübungen - der des schreibens und der des malens - zu integrierten schriftbildern zu gelangen anstelle von illustrationen.

[1963]

[für katalog "schrift und bild". von dietrich mahlow nicht akzeptiert. "integrationen" und/oder "comic strips" sind weder in die ausstellung "schrift und bild" noch später in die ausstellung "auf ein wort!" aufgenommen worden. gezeigt wurden sie zuletzt und abgebildet in ausstelluung und katalog "das schwarze loch".]

 

fotos

1

mir wird immer rätsel/zweifelhafter, warum ich so unbedingt fotografieren wollte. eine illustration der welt ist nicht möglich und illustrierte bilden die welt nicht ab. verdächtig sind die versuche, moderne kunst mit fotografien zu erklären.

magnum. ich zerschneide fremde fotos in streifen und stecke sie ineinander. in diesem geflecht werden sie durchlässig wie ein text. ich nenne diese geflochtenen fotos texte. ich habe keine neue art von texten erfunden. ich habe diese texte gefunden wo ich sie nicht vermutet habe. ich lese fotos.

[undatiert. anfang der 60er jahre]

2

was bilden fotos ab? die wirklichkeit? einen ausschnitt der wirklichkeit? skepsis ist angenbracht. zu vieles zeigen sie nicht. doppelbelichtungen sind keine falschen/schlechten fotos sondern deuten etwas von der mehr/vielschichtigkeit der wirklichkeit an. verwackelte fotos halten bewegung fest, unscharfe fotos die unschärfe(n)relation. fotos verändern heißt wirklichkeit herstellen.

[undatiert. 60er jahre]

 

zur lage

die poesie hat heute den unterhaltungsstil und die gattungskriterien einer konventionellen (sogenannten) literatur hinter sich gelassen. selbst die grenzen zu anderen kunstgattungen (zur malerei, zur musik) verwischen sich immer mehr. das feld der poesie ist weiter geworden in dem maße, wie unsere augen und ohren empfindlicher wurden für mikroästhetische strukturen und differenzierungen.

traditionell an die literaturrevolution der jahrhundertwende, der ersten jahrzehnte unseres jahrhunderts gebunden (und darüber hinaus rückbezogen auf errungenschaften der literarischen romantik), ist poesie heute kein transportmittel mehr für zumeist fragliche ethische inhalte, kein rechtfertigungsvehikel mehr für weltanschaulichen unfug. statt der vorstellung einer nationalpoesie hat sich die vorstellung einer progressiven poesie entwickelt, an die stelle des mystikers und metaphysischen schwadroneurs ist der a-theitische, also der rationale und methodische autor getreten, dessen augenmerk der sprache, der materialien gilt, derer er bei der verfertigung seiner reihen und strukturen bedarf, die er methodisch handhabt. zwar bleibt auch dieser autor, als intellektuelles individuum einer zivilisation und ihrer gesellschaft, eben dieser gesellschaft verpflichtet: aber an stelle der ethischen verpflichtung tritt die ästhetische moral, an stelle des kategorischen imperativs zählt die ästhetische auseinandersetzung (mit der sprache des unmenschen etwa), an stelle der mitgeteilten fabel gilt das ästhetische spiel: in einem solchen sinne sprechen wir auch von poesie heute als einer ästhetischen negation gesellschaftlicher zustände, zivilisatorischer mängel.

in dem maße wie zivilisation heute auf perfektion aus sein muß, um zu überleben, tendiert poesie heute in richtung einer perfektionierten künstlichen poesie, im sinne der berücksichtigung ihrer programmierung und reproduktion, ihres theoretischen und ihres experimentellen vergnügens, ihrer freiheit und ihres verbrauchs, ihrer maschinellen und ihrer menschlichen realisation. poesie heute siedelt also in einem zwischenbereich zwischen natürlicher und künstlicher poesie, als bewußte poesie in einer progressiven absicht. ihre sprache, die bis dato einer traditionell und historisch bedingten syntaktischen folge subjekt-prädikat-objekt folgte, hat sich material verselbständigt zugunsten neuer sprachlicher strukturen, zugunsten neuer akustischer und/oder visueller arrangements. durch überraschende verteilungen in der syntaktischen und/oder semantischen dimension entsteht im wörtlichen sinne eine poesie der wörter, des setzkastens, der farben, der töne. sechs tendenzen sind dabei ablesbar, innerhalb derer poesie heute realisiert wird:

1. buchstaben = typenarrangements = buchstaben-bilder

2. zeichen = grafisches arrangement = schrift-bilder

3. serielle und permutationelle realisation = metrische und akustische poesie

4. klang = klangliches arrangement = phonetische poesie

5. stochastische und topologische poesie

6. kybernetische und materiale poesie.

in den meisten fällen werden diese möglichkeiten nicht in reiner form verwirklicht und vorgeführt. wir ziehen die poesie der mischformen vor. ihre kriterien sind experiment und theorie, demonstration, modell, muster, spiel, reduktion, permutation, iteration, random (störung und streuung), serie und struktur. das erzeugen ästhetischer gebilde erfolgt nicht mehr aus gefühlszwängen, aus mumifizierender oder mystifizierender absicht; sondern auf der basis bewußter theorien, intellektueller (cartesianischer) redlichkeit. zur realisation ästhetischer gebilde bedarf es des autors und des druckers und des malers und des musikers und des übersetzers und des technikers und programmierers. wir sprechen von einer materialen poesie oder kunst. an die stelle des dichter-sehers, des inhalts- und stimmungsjongleurs ist wieder der handwerker getreten, der die materialien handhabt, der die materialen prozesse in gang setzt und in gang hält. der künstler heute realisiert zustände auf der basis von bewußter theorie und bewußtem experiment. wir sprechen von einer experimentellen poesie, insofern ihre jeweiligen singulären realisationen ästhetische verifikationen oder falsifikationen bedeuten. wie sprechen wieder von einer poietike techne. wir sprechen noch einmal von einer progressiven ästhetik bzw. poetik, deren bewußte anwendung ein fortschreiten der literatur demonstriert, wie es schon immer den fortschritt der wissenschaft gab.

stuttgart 1964 max bense, reinhard döhl

 

context

avec mes hommages respecteux

das sind texte! das heißt: etwas vollständiges ergeben sie erst mit der musik, dem bild zusammen. nicht ist das jedoch in der absicht gesagt, ihnen mehr nachsicht zu erbitten, als meiner musik, meinen bild, meinem text gegönnt wird. denn die qualität des endgültigen, das man im auge hat, ist wohl nicht abhängig von der qualität der komponenten, da jede jeweils nur so gut sein muß, als die sachlage es für ihren teil fordert: so und auf solche art gut! - es sieht aber einer, der das ganze erschaut hat, dieses auch in seinem kleinsten teil, und könnte nichts als geeignet passieren lassen, was es nicht in jeder hinsicht wäre.

so wenig man von einem leser erwarten kann, daß er sich einen begriff von einer unbekannten musik, einem unbekannten bild, einem unbekannten text mache, so wenig von einem autor, daß er eine musik schreibe, ein bild male, die einer solchen vorstellung entsprechen. den raum, denn die musik, das bild, der text einnehmen sollen, muß der textdichter, bildmaler, tonsetzer, der textmaler, bildsetzer, tondichter, textsetzer, bilddichter, tonmaler an der oberfläche aussparen, denn die musik, der text, das bild wollen in die tiefe dringen. die unvollständigkeit zeigt sich damit als unvollkommenheit an der zugänglichsten seite, und darum wohl hat es ein autor in mehreren künsten selten erlebt, höher geschätzt zu werden, als ihm schon nach einer kunst gebührte.

[...]

wäre es nicht so in der kunst, musik, poesie und bemühte sich nicht eine vorgebliche wissenschaft, die unsere texte, bilder, noten nicht lesen und unsere bilder- und lautsprache nicht verstehen kann, wenigstens unsere seelen zu zergliedern; benütze sie nicht also den text, das bild, die musik, um zu hören, sehen, lesen, was nicht zur lektüre, zur schau, zu gehör gestellt ist; lenkte sie damit nicht ab vom reinen kunstwert und setzte an die stelle des kunsteindrucks das kunsturteil und die kunstkritik; analysierte sie nicht schließlich anstatt des werkes seinen autor, müßte sich ein musiker mit der frage, warum er solche texte veröffentliche, ein maler mit der frage. warum er texte male, ein dichter mit der frage, warum er solche bilder komponiere etc. gar nicht weiter befassen und nicht das verständnis ablegen, daß er hierfür keinen besseren grund anzugeben vermöge als für seine reinmusikalischen, reinmalerischen, reinliterarischen veröffentlichungen: keinen nämlich, der einen solchen fragestellung standhält; keinen, der den drang, sich in der öffentlichkeit zu verbergen, erklärt.

[1962/1966, in mehreren fassungen]