Reinhard Döhl | 60 Jahre Kölner Dramaturgie (3)
1945-1968

Einspielung

Musik: Ännchen von Tharau (Sologesang), darüber Ansage "Hier ist der Nordwestdeutsche Rundfunk mit der Sendung für kriegsgefangene Deutsche 'Wir denken an Euch'".
Sprecherin: Liebe Freunde, hier ist Barbara. Aus einem besonderen Grunde spreche ich heute aus Köln zu Ihnen.
Sprecher: Wir freuen uns, Fräulein Barbara, Sie heute bei uns berüßen zu können. Der besondere Anlaß ist, wie Sie ja wissen, das Jubiläum, das wir heute feiern. Heute vor einem Jahr begann der Sender Köln mit seinem Programm.
Sprecherin: Davon möchten Sie heute berichten.
Sprecher: Ja, wir wollen einen Rückblick geben auf das Jahr Arbeit, das hinter uns liegt, auf das Leben, das aus Ruinen ...

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Eine solche Plazierung, allein die Tatsache einer derartigen Jubiläumssendung mag den heutigen Hörer befremden, aus der Nachkriegssituation jedoch wird beides leicht verständlich. Von ihr wird man ausgehen müssen, wenn man das dritte und vierte Kapitel der Kölner Dramaturgie, die Jahre 1946 bis 1960 und 1960 bis 1968 skizzieren will.

Der Krieg war zu Ende, Deutschland in Besatzungszonen aufgeteilt. Der Wiederaufbau der überwiegend zerstörten Sendeanstalten lag in den Händen der einzelnen Besatzungsmächte, die sich bei Auf- und Ausbau der Rundfunks jeweils eigene Vorstellungen zum Vorbild nahmen. Daß dabei deutlich zwischen dem Rundfunk der sowjetisch besetzten Zone und den Westzonen unterschieden werden muß, ist klar. Auch zwischen britischer, amerikanischer und französischer Besatzungszone ist aber, wenigstens für die direkte Nachkriegszeit, sehr wohl zu differenzieren.

Anders als die Amerikaner, die in dem von ihnen besetzten Gebiet jedem Land seinen eigenen Rundfunk installierten, hatten sich die Engländer die BBC zum Vorbild genommen, und damit eine Verfassung, deren erklärte Absicht es war, "dem Rundfunk demokratische Leitung und unabhängiges Handeln sowohl gegenüber den Parteipolitikern wie gegenüber der Regierung zu sichern". Verantwortlich hierbei zeichnete Hughes Carleton Greene, Bruder des Schriftstellers Graham Greene, der rückblickend sich erinnerte:

Einspielung

Greene: Ich kam nach Hamburg am 1. Oktober 1946.
Reporter: Ist Ihnen der Posten angeboten worden, oder wurde man damals dazu befohlen?
Greene: Angeboten! Und ich habe dieses Angebot mit Freude angenommen. Und einige Tage später habe ich eine Versammlung des gesamten Personals des Nordwestdeutschen Rundfunks in dem großen Senderaum gehabt und ich habe gesagt, ich bin hierher gekommen, um mich überflüssig zu machen. Und in zwei Jahren habe ich mich überflüssig gemacht. Ich habe diese Arbeit betrachtet selbstverständlich als eine Übergangszeit. Eine Zeit, in der ich eng mit meinen deutschen Mitarbeitern arbeiten sollte und die richtigen Leute finden. Soweit sie nicht schon da waren, und die besten Leute waren schon da, für die spätere Zeit; in der man die Aufgaben an einen deutschen Generaldirektor übergeben würde.

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Diese englisch-deutsche Zusammenarbeit kannte praktisch keine Zensur, ließ aber auch - da Greene hier konsequent an die Erfahrungen der BBC anknüpfte - bis 1948 keinen Einfluß der Parteien im Rundfunk zu. Daß diese Einflußnahme später doch möglich wurde, kritisierte der überzeugte Rundfunkdemokrat mit einem einzigen Satz:

Einspielung

Ich finde das die Tragödie des deutschen Rundfunks und Fernsehens.

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Ein englisches Militärteam begann die Aufbauarbeit einer deutschen Rundfunkorganisation für die britisch besetzte Zone am 4. Mai 1945, also noch vor Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation, mit der Übernahme des Senders in Hamburg, da er von den in der Britischen Zone liegenden Sendern am wenigsten zerstört war. Ein anfänglicher Nachrichtendienst wurde schnell zu einem kleinen Programm ausgebaut, aus dem sich bis 1946 ein volles Programm entwickelte. Über ein anfängliches Nebeneinander von improvisiertem und vorbereitetem Programm hielt Peter von Zahn fest:

Einspielung

von Zahn: Man lebte zunächst mal, - ich denke jetzt hauptsächlich an Sommer und Herbst 1945 - von der Hand in den Mund, weil einfach nicht genug deutsche, politisch unbelastete Mitarbeiter zur Verfügung standen. Und so kam es manchmal vor, daß man eine Sendung hinten noch schrieb, wenn sie vorne schon gesendet wurde. Auf der anderen Seite mußten in intensiven Konferenzen ja die geistigen Grundlagen für die Rundfunkprogramme - ich möchte beinahe sagen - für die zukünftigen Jahrzehnte gelegt werden. Man konnte nicht von der Programmgestaltung des Dritten Reiches ausgehen, man konnte auch nicht ohne weiteres zurückgreifen auf die Programmgestaltung der Weimarer Republik, sondern mußte in Ansehung all der soziologischen Verschiebung der politischen Neugliederung Deutschlands, tatsächlich eine Neuformung des Programms mit deutlichen politischen Akzenten versuchen, und diese politischen Akzente waren eben Diskussion, Kommentar, Nachrichten mit einem Akzent auf weltweit, neutral, unemotional. Schließlich mußten diese Programmraster für die Zukunft so gelegt werden, daß die verschiedenen Regionen - ich sagte ja schon - Westdeutschland, Berlin nahmen an diesen Programmen teil, daß diese verschiedenen Regionen berücksichtigt wurden.

Autor

Anders als in Hamburg hatten die Engländer in Köln ein zerstörtes Rundfunkgebäude, gesprengte Sendeanlagen vorgefunden, so daß hier erst einmal technischer Wiederaufbau geleistet werden mußte, bis einer der Rundfunkpioniere des Westdeutschen Rundfunks, der Reporter Berhard Ernst, vom alten Funkhaus in der Dagobertstraße über einen neuen 20-KW Behelfssender Langenberg ein erstes Grußwort an die Hörer richten konnte, während ein weiterer Ausbau fortschritt. Das Ziel, erklärte am 28. September 1945 Lt. Col. Thomson im "Kölnischen Kurier" sei,

Zitat

durch Vervollkommnung des technischen Ausbaus, durch Herrichtung weiterer Studios das lokale Programm weiter auszudehnen. In zwei Monaten hoffe er, drei Studios zur Inbetriebnahme fertiggestellt zu haben. An den Außenleitungen wird ebenfalls gearbeitet, um Übertragungen aus dem Theater, den Varietés und Kabaretts zu ermöglichen. Auch die aktuellen Sendungen sollen im Laufe der Zeit wieder ihren Raum erhalten. Bis das aber soweit ist, beschränkt sich das Programm in Köln auf die Sendung von Unterhaltung und Nachrichten, die im Rheinland und Westfalen auf besonderes Interesse stoßen. Auch Vorträge führender Persönlichkeiten dieses Raumes aus Kultur und Wirtschaft werden nicht fehlen. Im übrigen wird, da der Kölner Sender mit Hamburg gekoppelt ist, die Kölner Welle das Programm von Hamburg mit ausstrahlen.

Autor

Die einleitend angespielte Jubiläumssendung "Ein Jahr Sender Köln" bestätigt in ihrer Bilanz die zügige Durchführung der Programmpläne durch "Vervollkommnung des technischen Ausbaus", ein etwa gleichgewichtiges Nebeneinander von kulturellen und aktuellen politischen Sendungen, von Unterhaltung und kulturell anspruchsvoller Übertragung. Wer allerdings nach Hörspielen im Programm des Kölner Senders sucht, wird enttäuscht. Sie wurden in Hamburg produziert und von dort gesendet. Was der Kölner Rundfunk stattdessen seinen Hörern bieten könnte, waren allenfalls Hörspielausschnitte der Wirklichkeit, aktuelle Reportagen: Gespräche mit Kumpeln in einem Kohlenbergwerk, ein "Stimmungsbild" aus dem pfingstlichen Oelde in Westfalen, eine Reportage von einer Schwarzmarkt-Razzia in Duisburg oder von der ersten Personenzug-Fahrt nach Kriegsende auf der Strecke Aachen-Köln. Mit Bernhard Ernst, der hier als Reporter auf der Lok mitfuhr, war ein Mitarbeiter an den Kölner Sender zurückgekehrt, der als Reporter die Geschichte des Westdeutschen Rundfunks schon unter Ernst Hardt im Guten und unter Heinrich Glasmeier im Schlechten miterlebt hatte. Mit ihm war aber auch ein Reportage-Stil, ein Typ der Vor-Ort-Reportage wieder ins Programm gekommen, der bereits 1929 zu einer Sendeform ausgebaut wurde, die in ihrer Geschichte auch für das Hörspiel Möglichkeiten aufzeigte, wie sie später Aufriß, Hörbild und Feature in spezifischer Form nutzten.

Bevor ich das dritte und vierte Kapitel der Kölner Hörspieldramaturgie nachzeichne, sind noch drei Anmerkungen nötig.

- Erstens zur Hörererwartung und einer mit ihr zusammenhängenden Programmausrichtung nach dem Kriege.
- Zweitens zur weitgehenden Programmabhängigkeit Kölns vom Hamburger Sender, zu den immer intensiveren Bemühungen um Selbständigkeit und Wiederanschluß an die Tradition des Westdeutschen Rundfunks vor 1933. Wobei sich
- drittens die Programmabhängigkeit vor allem in der Hörspielarbeit bemerkbar machte.

Die Rolle des Rundfunks in der direkten Nachkriegszeit, die Aufgaben, die er in seinem Programm und dabei zunächst auch mit seiner Hörspielarbeit zu leisten hatte, beschrieb der spätere Hamburger Hörspielchef Heinz Schwitzke so:

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Man kann sich die Szenerie gar nicht deutlich genug machen, um die einzigartige Funktion der Rundfunksender nach 1945 und die Nachkriegsgeschichte des Hörspiels zu verstehen. Denn es gab weder Theater noch Kinos, nicht einmal Säle, um sich für Theater-, Film oder Musikaufführungen zu versammeln. Es gab weder Filme noch Kostüme noch Instrumente. Es gab weder Verleger noch Zeitungen, nicht einmal Papier war vorhanden. Und die Vielzuwenigen, die das Vielzuwenige herstellen oder herbeischaffen oder verteilen durften, um das sich alle drängten, waren "Lizensierte", oft nicht die Geschicktesten, manchmal auch nicht die Besten. Dennoch aber drängten sich alle: mit dem Hunger in den Eingeweiden war der Hunger nach geistiger Nahrung, nach geistigem Besitz keineswegs vergangen, sondern so groß geworden wie nie.

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Die Fülle der als Hörspiel adaptierten Theater- und Prosatexte findet hier eine einleuchtende Erklärung, galt es doch auch, den Anschluß wieder herzustellen an eine Weltliteratur, zu der seit 1933 die Verbindung abgerissen war. Entsprechend wollte die Abteilung "Künstlerisches Wort" in Köln mit ihren Sendungen das bekannt machen, was der Nationalsozialismus vorenthalten hatte.

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Vor allem suchen wir die geistige und künstlerische Formung unserer Welt... Nur aus dem starken, leidenschaftlichen Mitleben und Mitleiden kann neue Kunst erwachsen, nicht aus der kalten menschenverachtenden Propaganda - das ist unser ästhetischer und zugleich politischer Gegensatz. Indem wir uns so dem menschlich Unmittelbaren und Wahren zuwenden und die kalte Propagandamache ablehnen, glauben wir auch in der Kunst in hohem Maße politisch zu sein.

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Diesem Konzept war durch die Kölner Abhängigkeit von Hamburg schon nach Sendeminuten eine zeitliche Grenze gesetzt, die sich noch 1947/1948 gerade bei den hier wichtigen Wortsendungen so darstellte:

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So war das Funkhaus Köln am Hörspiel nur ganz minimal beteiligt. Das lag aber nur zum Teil daran, daß Köln noch keine brauchbaren Hörspielstudios hatte. Der Leiter der Hörspielabteilung, Wilhelm Semmelroth, schrieb am 19. Juli 1947 in einem Memorandum für Sendeleiter Hans Herbert Fischer, Hamburg wolle im Hörspiel offenbar nicht die Fäden aus der Hand geben. ähnlich sah es im Schulfunk aus.

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Schützenhilfe bekamen die Kölner "Separatisten" von Hans Bredow, dem Vater des deutschen Rundfunks, der aus seiner rundfunkgeschichtlichen Erfahrung argumentierend, im Oktober 1947 in einem Briefwechsel mit Hughes Carleton Greene sich gegen eine Zentralisierung und für eine Neuordnung des Rundfunks auf Länderbasis aussprach.

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Tatsächlich legt die Bevölkerung den größten Wert auf die Pflege und Erhaltung ihrer in langer Entwicklung entstandenen Heimatkultur, und die von den Nationalsozialisten betriebene Gleichschaltung und straffe Zentralisierung hat niemals Anklang gefunden. Es ist unmöglich, das Kulturschaffen in Süddeutschland, Norddeutschland und im Rheinland einheitlich auszurichten, ohne gleichzeitig dem deutschen Kulturleben zu schaden... Man wird daher nicht verstehen, daß auf dem Gebiet des Rundfunks das Rheinland an Norddeutschland angegliedert wird. Der Rheinländer ist an seinen Westdeutschen Rundfunk gewöhnt. Er hat den Norddeutschen Rundfunk als Übergangslösung hingenommen, wird sich aber innerlich ebensowenig daran gewöhnen, wie der Bayer niemals einen Nord-Süddeutschen Rundfunk lieben wird.

Autor

Aber auch einsichtige Hamburger Rundfunkmitarbeiter empfanden die gemeinsame Welle, auf die die Engländer den Nord- und Westdeutschen Rundfunk verpflichtet hatte, eher als Hindernis, etwa Axel Eggebrecht, der bereits 1946 in einem Zeitungsartikel davon sprach

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wie froh man wäre, wenn etwa Köln auf eigener Welle senden könnte, da dann ein gesunder Wettbewerb möglich wäre.

Autor

Dem 1947 zum Intendanten gewählten Hans Hartmann gelingt es allmählich, die Sendezeiten für Köln praktisch zu verdoppeln und in den folgenden Jahren die Selbständigkeit wesentlich vorzubereiten.

Am 1. Februar 1955 hebt der britische Hohe Kommissar die Verordnung Vo 118 der britischen Militärregierung auf. Damit tritt das schon ein Jahr zuvor vom Nordrheinwestfälischen Landtag verabschiedete Gesetz zur Errichtung des Westdeutschen Rundfunks in Kraft. Als Intendant wird Hans Hartmann gewählt, besser vielleicht: bestätigt, nachdem er noch vor seiner Wiederwahl der Hoffnung Ausdruck gegeben hatte,

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daß die neue Phase in der Geschichte des Rundfunks unseres Landes fruchtbar werden müsse.

Autor

Vor dieser Entwicklung ist auch das 3. Kapitel der Kölner Hörspieldramaturgie zu skizzieren, ja es ist von dieser Entwicklung wesentlich mit geprägt. War es für das 1. Kapitel der Kölner Dramaturgie Ernst Hardt, für ihr 2. Kapitel Eugen Kurt Fischer, so ist es für das 3. Kapitel jetzt Wilhelm Semmelroth, der, als ihr Leiter von 1946 bis 1960, der Kölner Hörspielarbeit das Gesicht gab. Wie sehr Semmelroth dabei zu Anfang mit der Abhängigkeit von Hamburg zu kämpfen hatte, schilderte er selbst in einem Gespräch mit Klaus Schöning.

Einspielung Gespräch Schöning / Semmelroth

Ja, als ich 1946 im Mai aus London hierher kam, war Köln, der Sender Köln ein kleiner Appendix vom großen NWDR Hamburg. Das Ganze hieß NWDR Hamburg, und Köln diente eigentlich eher mehr als Zulieferer für Aktualitäten aus Nordrhein-Westfalen, - den Begriff gab es ja damals noch nicht - und für kleine Unterhaltungssendungen. Hörspiele gab es überhaupt nicht. Wir hatten ja auch im alten, zerbombten Funkhaus in der Dagobertstraße noch gar kein Studio. Es war nur ein kleines Studio wieder hergestellt worden, in dem alles gemacht wurde, eben Aktualitäten. Da wurden unsere bunten Abende und Kabarettsendungen gemacht, bis ich dann das Hörspiel aufbauen wollte. Das hatte aber erst zur Voraussetzung, daß wir uns mit Hamburg einigten, das damals eine Monopolstellung im Hörspiel hatte. Ludwig Cremer war damals mein Gegenspieler in Hamburg, und ich fuhr also nach Hamburg, um dort über die Teilnahme am Hörspielprogramm zu sprechen und zu verhandeln. Das war sehr schwer, weil Hamburg das Monopol nicht aus der Hand geben wollte, und ich kam nach Köln zurück mit dem Einverständnis, bestenfalls alle sechs Wochen einmal ein Hörspiel machen zu dürfen auf der Mittelwelle - es gab noch kein UKW. Man war sehr streng damals in Hamburg, - nun weil man ein Jahr Praxis schon hinter sich hatte. Man hatte dort 1945 gleich nach dem Zusammenbruch angefangen. Ich mußte sogar die Manuskripte nach Hamburg schicken. Sie wurden in Hamburg bewilligt, bevor wir sie in Köln senden konnten. Doch davon haben wir uns bald freigemacht, und als dann Hans Hartmann hier Intendant wurde, hat er für die Emanzipation des Senders sehr viel getan, und dann erreichten wir nach langer Zeit, daß abwechselnd alle 14 Tage Hamburg und Köln Hörspiel machten. Wir hatten also ein Hörspiel auf der Mittelwelle.

Autor

Bei seiner Hörspielarbeit ging es Semmelroth nicht einmal darum, dem Hamburger Sender mit Originalhörspielen Konkurrenz zu machen, vielmehr suchte er nach einem eigenen Programm-Profil, das er - zunächst in sechswöchigem, später in l4tägigem Abstand - in die gemeinsame Mittelwelle einbringen konnte.

Einspielung Gespräch Schöning / Semmelroth

Hamburg hatte sich in diesem einen Jahr Praxis schon eine kleine Anzahl von Hörspielautoren zusammengesammelt, und die anderen Sender, die damals schon etabliert waren, das waren Stuttgart, glaube ich, als erster und München, haben sich auch gleich auf diese wenigen Autoren gestürzt, und da wir eine Welle hatten, NWDR, habe ich mir gesagt: warum dieser Konkurrenzkampf um die paar Autoren? Dann geben wir dieser Teilung doch eine Funktion. Und dazu kommt noch etwas anderes. Ich habe von jeher viel Wert auf große Interpretation gelegt. Das war eigentlich auch eines meiner Programme. Und damals waren ja die großen Schauspieler vom Staatstheater in Berlin z.B. verteilt in alle Lande; man erreichte sie kaum, man wußte kaum, wo sie waren. Da gab der eine dem anderen die Adresse vom nächsten. So habe ich dann in Köln eine große Anzahl dieser guten und ersten Schauspieler versammelt. Das waren Horst Caspar, Frau Antje Weisgerber, das waren Wiemann, Quadflieg, Minetti, Schomberg, Maria Becker. Natürlich mußte ich für diese großen Schauspieler große Rollen haben. Wer schreibt große Rollen? Der große Theaterdichter. Und so entwickelte sich mein Programm, nämlich Klassiker zu senden, - bevorzugt zuerst einmal. Und zwar wollte ich gar nicht mal die Schablonenklassiker der Theaterspielpläne haben, die allen vertraut sind, sondern dabei auch etwas tun für die Literatur, nämlich Außenseiter der Literatur zu sammeln. So kam eben die niegespielte Trilogie von Grillparzer, "Das goldene Vlies" zustande. So kam der "Merlin" von Immermann, so kam von Grillparzer "Libussa", "Empedokles" von Hölderlin und so kam "Der arme Heinrich", weil ich eine große Rolle für Caspar suchte. Ich habe also eigentlich für die Schauspieler einen Spielplan gemacht. Und so kam eben eine ganze Reihe doch groß interpretierter klassischer und auch moderner Literatur zustande.

Autor

Damit eröffnete Semmelroth die Tradition der "Klassischen Bühne im Westdeutschen Rundfunk" ein drittes Mal, fand er, wie ihm die Presse bescheinigte, "den Anschluß an Ernst Hardt wieder", so daß der erste Intendant des Westdeutschen Rundfunks seinen Schatten auch noch auf das dritte Kapitel der Kölner Dramaturgie wirft.

Nur vereinzelt finden sich dagegen seit 1947 auch Originalhörspiele im Kölner Programm, so nach 1947 ein Hörspiel für Kinder, "1414 geht auf Urlaub". Daneben knüpfte Semmelroth mit den Inszenierungen von Willi Schäferdieks "Jedermann 1948", Hans Müller-Schlössers "Schneider Wibbel" und 1950 mit dem Auftrag an Wilhelm Wahl, Hörspielsendungen in westfälischer Mundart zu erarbeiten, an weitere in der NS-Zeit mißbrauchte Traditionen des Kölner Funkhauses an.

Mit Willi Schäferdiek kehrte ein Autor an den Funk zurück, der schon 1927 die "Stunde des Arbeiters" betreut hatte, 1928 fest vom Westdeutschen Rundfunk engagiert wurde und bis 1935 als Dramaturg noch Mitarbeiter des Reichssenders Köln war. Köln übertrug auch seine bekanntesten Stücke, inszenierte seine wichtigsten Hörspiele. So 1933 das Thomas Münzer-Spiel "Der Trommler Gottes", das dann verboten wurde, in einer Plattenpressung aber die NS-Zeit überdauerte und 1986 vom WDR als eines der seltenen Hörspieldokumente dieser Zeit erneut vorgestellt werden konnte. 1934 folgte "Jakob Johannes. Ein Schicksal an der Saar" und 1948 das anläßlich des Kölner Dom-Jubiläums geschriebene Zeitmysterium "Jedermann 1948". Die genannten Stücke spiegeln bereits in ihren Titeln eine Entwicklung, die Schäferdiek "Vom Zeitstück zum Zeitmysterium" überschrieben hat, womit er nicht nur seine Entwicklung vom radikalen Zeitstück zur religiös getönten allegorisierten Zeitdarstellung charakterisierte. Leider hat sich vom "Jedermann 1948" kein Tondokument erhalten, doch gibt ein im "Westdeutschen Tagebuch" gesendetes Gespräch zwischen Autor und Regisseur hinreichend Auskunft über Inhalt und Absicht des Stückes. Leiter dieses Gespräches: Werner Höfer.

Einspielung Gespräch Höfer / Schäferdiek / Semmelroth

Höfer: Jedermann denkt bei "Jedermann" an Salzburg, an Reinhardt, an Hugo von Hofmannsthal. Wir denken, wenn wir "Jedermann 1948" heute abend als Hörspiel senden, an etwas ganz anderes, an etwas Neues, aber darüber mag Sie der Autor dieses Hörspiels aufklären, Wilhelm Schäferdiek...
Schäferdiek: Ja, es ist bei dem "Jedermann 1948" so, daß er in seiner tieferen Substanz auf einem mittelalterlichen Spiel beruht, genau wie der Hofmannsthalsche "Jedermann". Ich schrieb ihn aus den Überlegungen heraus an das alte Kölner Spiel vom Jedermann, das mir aus einer Aufführung nach dem letzten Weltkrieg in sehr tiefer Erinnerung geblieben ist. Ich schrieb dieses Spiel aus der ursprünglichen Absicht heraus, jenes alte Kölner Spiel vom Jedermann in zeitgemäßer Form zu bearbeiten. Nach einigen tastenden Versuchen ließ ich diesen Plan jedoch fallen und beschloß, den Jedermann ganz aus unserer Zeit heraus zu schreiben. Zwar mit einigen Gestalten des alten Spiels, die Ergänzung fanden durch Figuren, durch typische Erscheinungen unserer eigenen Zeit.
Schöfer: Herr Schäferdiek, haben Sie dieses Hörspiel oder Zeitmysterium, wie die Gattungsbezeichnung lautet, nun ursprünglich und von vornherein für den Rundfunk konzipiert?
Schäferdiek: Ja. Ich bin, wie Sie wissen, alter Rundfunkmann und leidenschaftlicher Rundfunkmann. Mir lag sehr am Herzen, dem Rundfunk ein zeitgemäßes, ein aus der Zeit heraus entstandenes Spiel zu schaffen.
Höfer: Wir wollen uns nun einmal dem Formproblem Ihres Hörspiels zuwenden. Bei dieser Frage müssen Sie, Herr Schäferdiek, als Autor, als befangen ausscheiden. Wir wollen darüber den Regisseur der heutigen Sendung befragen: Herrn Semmelroth.
Semmelroth: Ja, das Formproblem für einen Regisseur besteht vor allen Dingen darin, daß dieser moderne "Jedermann" ähnlich wie der Hofmannsthalsche, die mittelalterliche Sprache in gewissem Sinne imitiert. Und die Aufgabe des Regisseurs ist nach meiner Ansicht die, die etwas symbolhaften Figuren aus dieser etwas imitierten, uns fremden Sprache so zu vermenschlichen, daß es eben Figuren werden, die dem Zuschauer oder dem Hörer nahe stehen. Das ist um so wichtiger hier, weil es ja Figuren sind, die in dieser alten Sprache sprechen, aber uns doch wirklich täglich begegnen können. "Der heimgekehrte Kriegsgefangene", "Die Mutter, die ihre Kinder sucht", "Der Mann von der Behörde, der schiebt". Hier müssen wir also sehen, daß es wirklich Figuren werden.
Höfer: Haben Sie nun, Herr Semmelroth, bei diesem Bestreben besondere akustische Regieeinfälle oder Regietricks angewandt?
Semmelroth: Ja, wenn man es einen Trick oder Einfall nennen kann. Ich habe zum Beispiel, um die Travestie eines Mysteriums zu betonen, das Mittel der Kinoorgel benutzt, der modernen Wurlitzer Orgel als Parallele zur alten echten Kirchenorgel.

Autor

Anders als bei der Auftragsarbeit Schäferdieks taucht mit dem "Schneider Wibbel" von Hans Müller-Schlösser 1948 ein Repertoirestück der Kölner Dramaturgie wieder im Programm auf. Nachdem Bornträger 1927 "Wibbels Auferstehung" und Haslinde 1932 den "Schneider Wibbel" erfolgreich inszeniert hatten, wurde seine Figur 1933 wie so vieles für die Nationalsozialisten zum Zeichen der "Wiedererweckung einer im Volk wurzelnden Kunst" und zum Symbol "innerer Gesundung" umfunktioniert. Der Autor und seine Figur haben diese Zeichensetzung und Umfunktionierung lebend überstanden, Müller-Schlösser nach 1945 als Leiter des Kleinen Theaters in Düsseldorf, "Schneider Wibbel" 1948 in einer Inszenierung Wilhelm Semmelroths.

Einspielung

Sequenz aus "Schneider Wibbel"

Autor

Steht Müller-Schlössers Komödie gleichsam als frühes Beispiel für die später eingerichtete Reihe "Rheinische Hörspiele", schließen Wilhelm Wahls Bemühungen um das Hörspiel in westfälischer Mundart an eine weitere Tradition an. Sie reicht zurück bis zu den ersten Sendeversuchen der Westfälischen Funkstunde in Münster.

Einspielung Gespräch Schöning / Semmelroth

Semmelroth: Ja, da hatten wir damals die Westfalen, die sich ja immer darauf berufen konnten, daß der Funk ja da mal begonnen hatte, in Münster. Sie verlangten, mehr im Programm berücksichtigt zu werden, und ich hatte damals einen Regisseur bei mir, Wilhelm Wahl, der Westfale war, und der ja auch den WDR, den ersten...
Schöning: Ja, 1924
Semmelroth: ... mitbegründet hatte. Ich sagte zu ihm: "Wilhelm, besorg mir dafür doch ein paar westfälische Hörspiele". Und er hat das sehr gut gemacht und brachte eine Reihe wirklich glänzender niederdeutscher, westfälischer Hörspiele an, die ja heute noch fortgesetzt werden, z.T. mit den gleichen Autoren, z.T. mit dem gleichen westfälischen Ensemble. Ich glaube, wir haben das einmal im Monat gemacht, indem wir dann ein gutes westfälisches Hörspiel bringen konnten.

Autor

Gleich die ersten drei Sendungen dieser westfälischen Hörspielbühne, dieses "Funkstudios in Heide und Busch", stammen von Karl Wagenfeld, einem ebenfalls alten Mitarbeiter des Westdeutschen Rundfunks, unter ihnen das "niederdeutsche Bauerndrama" "Hatt giegen Hatt", das sich auch als frühes Tondokument dieses "Studios in Heide und Busch" erhalten hat.

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Sequenz aus "Hatt giegen Hatt"

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Sieben Jahre später, nach 50 erfolgreichen Inszenierungen, versuchten "Autor Bergenthal, Regisseur Wahl und ein kritischer Zeitgenosse" in der Sendung "Zwischen Volksstück und Mysterienspiel" in einem "Dreigespräch" eine Bestandaufnahme:

Einspielung

- Funkarbeit in Heide und Busch, das hört sich nicht nur romantisch an, es ist romantisch. Ich fürchte, da wird einer zeitfernen Romantik gehuldigt, die sich genügsam und allzu bescheiden oder bequem an altvertraute und idyllische Harmlosigkeiten verliert. Wir leben doch im 20sten Jahrhundert, in einem technischen Zeitalter. Ist es nicht einzig richtig, in den Formen unserer Zeit zu bleiben? Statt uns abseits in die Büsche zu schlagen? Wir wissen, welch außerordentliche Möglichkeiten ein modernes Funkhaus bietet. Sollen wir da so umständlich sein und sozusagen wieder ganz von vorn anfangen?
- Darauf sollte der Regisseur die Antwort geben. Warum ist er aus dem Funkhaus in die Landschaft gegangen? Das ist die Frage. Ich glaube nicht, daß er es aus Verkennung oder gar Verachtung der technischen Möglichkeiten tat.
- Nein, nein, der Gedanke schon ist abwegig. Im Gegenteil, was das Funkhaus an technischen Möglichkeiten bietet, das haben wir von Fall zu Fall bei der Regie von plattdeutschen Hörspielen genutzt. Zum Beispiel die Hammondorgel bei der Darstellung der Erschaffung des ersten Westfalen. Dem Überwirklichen und Ungewöhnlichen der legendären Szene werden die Töne der Hammondorgel weit mehr gerecht als etwa ein echtes Windesbrausen. Umgekehrt haben wir aus der Landschaft aber auch Aufnahmen mitgebracht, die das Funkhaus bei anderen Inszenierungen gern verwandt hat.

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Neben diesen westfälischen und rheinischen Hörspielen findet sich in der Hörspielarbeit Wilhelm Semmelroths auch die Sendeform der Hörspielreihe, die ebenfalls bereits in den Anfängen der Kölner Dramaturgie erprobt wurde. Sie begegnet gehäuft, nachdem durch Einführung der Ultrakurzwelle mehr Sendezeit zur Verfügung stand. Semmelroth wertet rückblickend solche Reihen auch als Chance, jungen Autoren Aufgaben geben, "Experimentierfelder" anbieten zu können.

Die unter seiner Leitung entwickelten Hörspielreihen decken dabei ein erstaunlich breites Erwartungsspektrum der Hörerschaft ab. Sie reichten von der Aufbereitung anspruchsvoller Weltliteratur, den Hörspieladaptionen von Liebesgeschichten bis zum Spiel mit der Faktizität ("Es geschah in..."), der reißerischen Reihe "Reporter Rex Rendal". Sie berichteten von Abenteuern aus der Geschichte der Medizin ("Kampf gegen den Tod"), von Forschungsreisenden ("Livingstones letzte Reise"), der "Eroberung des Nordpols". Aber auch der Karl May-Fan kam auf seine Kosten. Diese Reihen durchforschten die Literatur des 19. Jahrhunderts nach tragfähigen Kriminalgeschichten und stellten ihnen eigene Kriminalreihen zur Seite, am erfolgreichsten bis in die 60er Jahre hinein und ein ,Straßenfeger': die Paul Temple-Serie von Francis Durbridge.

Einspielung

Sequenz aus "Paul Temple"

Autor

Nicht zuletzt diese Paul Temple-Serie verhalf der Hörspielabteilung zu einem engen Kontakt mit den Hörern, die Semmelroth umgekehrt auch als Stofflieferanten ansprach:

Einspielung Gespräch Schöning / Semmelroth

Semmelroth: Schließlich mußte man auch mal heiter sein. So erfand ich eine neue Reihe: "Neues aus Schilda", in der die Zuhörer uns Erlebnisse auf Behörden, in der Gesellschaft, wo auch immer, mitteilen sollten, aus denen dann unsere Autoren 40 Minuten-Stücke gemacht haben. Diese Reihe ist, glaubeich, drei oder vier Jahre gelaufen, und wir bekamen soviel Material, daß wir es alle sechs Wochen einmal stichwortähnlich in der Hörerpostbeantwortung mitteilen konnten.
Schöning: War das ein intensiver Kontakt mit den Hörern?
Semmelroth: Das war fast ein richtiges Gespräch mit den Hörern und für junge Autoren ein glänzendes Versuchsfeld. Sie bekamen eine kleine story und mußten daraus ein 40 Minuten-Stück machen.

Autor

Zu den jungen Autoren, die sich damals auf diesem Versuchsfeld tummelten, zählte auch der Schweizer Peter Lotar, dessen Namen man auch im Programm der Originalhörspiele findet, z.B. mit "Der unbekannte Soldat" von 1951. Die hörspielgeschichtliche Bedeutung dieser Sendung ist nur gering einzuschätzen, aber es gibt zu ihr eine "Einführung", einen erhaltenen Beleg für die Praxis, morgens zwischen 8 Uhr und 8 Uhr 5 im "Funk-Lexikon" auf das Abendhörspiel hinzuweisen, was Ernst Hardt bereits gerne getan hatte.

Was neben Peter Lotar an Hörspielautoren zwischen 1950 und 1960 im Programm des Westdeutschen Rundfunks begegnet, ist schnell aufgezählt. Es sind dies Richard Hey, Jürgen Gütt, Gert Oelschlegel, Mathias Braun. Hörspielgeschichtlich bedeutende Stücke wurden allenfalls von anderen Sendern übernommen, z.B. Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter", Ingeborg Bachmanns "Der gute Gott von Manhattan", Dieter Wellershoffs "Der Minotaurus"; ferner ein frühes Hörspiel von Dieter Kühn. Doch tauchen diese Hörspiele erst im Programm auf, als eigentlich schon nicht mehr von der Ära Semmelroth gesprochen werden kann. Seine wesentliche Leistung bleibt die Neueröffnung der traditionellen "Klassischen Bühne im Westdeutschen Rundfunk".

Das macht den Versuch reizvoll, ihre einzelnen Spielzeiten und die unterschiedlichen Spielpläne miteinander zu vergleichen. Das ist als Vorhaben mehr, als eine Sendezeit zuläßt, doch kann auch ein einzelner Vergleich Unterschiede bereits recht deutlich machen. Ich wähle dazu aus dem "Woyzeck" die Szene, die Georg Büchner mit "Freies Feld" überschrieben hat, und spiele sie nacheinander zuerst in der berühmt gewordenen Inszenierung Ernst Hardts von 1930 und direkt anschließend in der Inszenierung von Wilhelm Semmelroth ein.

Einspielung

Woyzeck-Sequenz (Regie Hardt)

Einspielung

Woyzeck-Sequenz (Regie Semmelroth)

Autor

Nach der raschen Verbreitung des Fernsehens, das in zunehmendem Maße das Unterhaltungsbedürfnis befriedigte, aber auch Bühnenstücke adaptierte, war die Kölner Hörspieldramaturgie allmählich von dieser Aufgabe entbunden, konnte und mußte sich aber auch, nachdem Wilhelm Semmelroth 1960 ebenfalls zum Fernsehen gewechselt war, in seiner Konzeption völlig neu orientieren. Das führte im vierten Kapitel der Kölner Dramaturgie zu einer ersten Erweiterung und entschiedenen Fundierung der Hörspielarbeit in den 60er Jahren.

Als Friedhelm Ortmann 1960 die Leitung der Hörspielabteilung, besser der akustischen Theaterabteilung übernahm, stand ihm kein eigener Autorenstamm zur Verfügung. Wegen der Abwanderung der Hörer zum Fernsehen mußte er sich gleichzeitig auf eine veränderte Mediensituation einstellen. Keine beneidenswerte Ausgangsposition, aber - wie die Zukunft weisen sollte - eine glückliche Konstellation. In einem Gespräch umriß Ortmann die Anfänge seiner Hörspielarbeit so:

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

Ich muß mit der zweiten Frage eigentlich anfangen. Wir hatten schon einen gewissen Stamm von Hörspielautoren. Nur, sie bedienten eine Art von Hörspiel, das der leichten Unterhaltung diente, was ja nichts Böses ist. Da hatten wir so Sendereihen wie "Neues aus Schilda" und "Es geschah in ..." und so. Es waren also im guten Sinne Gebrauchsautoren. Und der Schwerpunkt des Programms vor 1960 lag in der Tat bei der Adaption von Bühneninszenierungen, was ja zu tun hatte mit einer gewissen Arbeitsteilung zwischen Hamburg und Köln, da wir ja noch die lange Mittelwelle hatten. Das zum einen - und das Hinwenden zum Fernsehen, das Hinwenden des Publikums zum Fernsehen brachte uns umso stärker in den Zwang, jetzt zu sagen: Ja, was machen wir denn jetzt mit dem Hörspiel. Es hat ja wenig Sinn, daß wir zum Beispiel "Hamlet" senden und das Fernsehen bringt es am nächsten Tag in Bild und Ton, so daß daher auch von da der Zwang, eine Notwendigkeit und eine künstlerische Absicht dahinter stand, da nun was zu tun.

Autor

Es ist kaum übertrieben, festzuhalten, daß das 4. Kapitel der Kölner Dramaturgie praktisch noch einmal bei Null beginnen mußte. Es fehlten Ortmann nicht nur die Autoren, er hatte es nicht nur mit einer sich veränderten Hörerlandschaft zu tun, er hatte nicht einmal eine für seine Pläne ausreichende Dramaturgie.

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

Also bei dem, was vorhanden war, war eine Dramaturgin, Frau Wach, und dann, wir waren unterbesetzt bei dem was wir vorhatten. Dieser Apparat mochte ausgereicht haben da, wo das Hörspielprogramm doch ziemlich klein war, jedenfalls im Vergleich zu heute, und wir waren unterbesetzt und mußten versuchen, wo wir unseren Laden aufbauen konnten, und dann sind wir angefangen. Hier in Köln ist etwas sehr Gutes, worum uns alle Funkhäuser eigentlich immer sehr beneidet haben. Wir haben früh angefangen, uns einen guten Assistentenstamm zu suchen, die also in der Praxis arbeiten, also im Studio, als ehemalige Regieassistenten, und auch als Lektoren in der Dramaturgie. Genau auf diese Weise war also eine gewisse Auswahlmöglichkeit da für mich. Und dann war es eben so damals, daß eben Herr Krogmann da war und Herr Schöning bei uns Assistent war, beides Kollegen, der eine in der Dramaturgie, und der andere machte Regie. Also da hatte ich eine gewisse Auswahlmöglichkeit, nicht wahr. Und auf diese Weise wurde die Dramaturgie ausgebaut. Und je mehr Mitarbeiter, desto leichter ist es natürlich, sich auf die Suche zu begeben nach jungen Autoren.

Autor

Eine weitere Voraussetzung für den Aufbau einer sinnvollen Hörspielarbeit war die Auseinandersetzung mit dem Hörer. Man wollte und mußte in Erfahrung bringen, welche Hörer nach dem Aderlaß durch das Fernsehen dem Rundfunk verblieben waren, wo ihre Interessen im Bereich des adaptierten Theaters aber auch jenseits der Klassischen Bühne im Westdeutschen Rundfunk lagen. Für diesen Zweck wurden in den Jahren 1962 bis 1965 drei Hörerbefragungen durchgeführt, die Hörerinteressen und Hörerwünsche sondieren sollten.

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

Ich meine, wir wollten ja nicht in den leeren Raum hinein produzieren, sondern wir wollten auch wissen, was unsere Hörer denn von den vielen Versuchen, die wir machten, mit neuen Autoren, wo wir Arbeiten vorstellten, die durchaus noch nicht Meisterleistungen waren, ob das einen Sinn hat, ob das von unseren Hörern akzeptiert wurde. Ja, und im Hinblick auf Bühnenstücke wollten wir einfach wissen, wie denn die einzelnen Titel in der Hörergunst rangieren. Und: wir hatten ja damals das dritte Programm hinzubekommen, auch ins Hörspiel hinein, und wir wollten dieses dritte Programm auch bestücken mit Spielen, die sich die Hörer wünschen.

Autor

Zu den Bemühungen, mit dem Hörer schnell und zügig in ein Gespräch zu kommen, gehörte des weiteren die Einführung von Programmheften, Dokumentationen der Hörspielarbeit und des Hörspielselbstverständnisses seit 1961. Sowie seit 1962 die Publikation von Hörspieljahrbüchern, die in Auswahl den Ertrag der Arbeit vorstellten. Programmheft und Hörspieljahrbuch waren durchaus Bestandteil des neuen dramaturgischen Konzepts, nicht zufälliges Nebenprodukt, und müssen mit ihm zusammen studiert werden. Sind die Hörspieljahrbücher eine Fundgrube sonst nur schwer greifbarer hörspielgeschichtlich wichtiger Texte, bieten die Programmhefte, die sich schnell zur heutigen Form mauserten, für die Jahre des Aufbaus wichtige Quellen, vor allem zum Verhältnis Dramaturgie - Hörer. Ihnen lagen z.B. die Fragebögen bei. Sie spiegeln z.B. im Abdruck von Zuschriften das Hörerecho im Für und Wider. Sie lassen ablesen, wie unter reger und in der damaligen Zeit einmaliger Beteiligung des Hörers das Hörspiel in die Diskussion geriet.

Da sind zunächst die veröffentlichten Ergebnisse der Umfragen. Die Auswertung der Antworten auf die Frage: Welche Gattung von Hörspielen schätzen sie besonders? ergab folgende interessante Verteilung:

1) Ernste Hörspiele 21,1 %
2) Bühnenstücke 20,6 %
3) Hörspiele nach literarischen Vorlagen 20,1 %
4) Kriminalhörspiele 16,9 %
5) Heitere Hörspiele 15,8 %
6) Mundartliche Hörspiele 5,5 %

Diese Verteilung ist nicht nur wegen des ungefähren Gleichauf von ernstem Hörspiel, Bühnenstück und Stück nach literarischen Vorlagen in der Hörergunst interessant, sie ist vor allem interessant wegen den, daran gemessen, relativ geringen Prozentzahlen für Kriminal- und heiteres Hörspiel. Denn diese relativ geringen Prozentzahlen deuten an, daß der Unterhaltungsanspruch, den größere Hörerkreise an den Rundfunk gestellt hatten, jetzt augenscheinlich vom Fernsehen befriedigt wurde, daß die Hörerumschichtung dem Hörspiel sogar zugute kam.

Dennoch geriet das Bemühen der Kölner Dramaturgie um junge Autoren erklärlicherweise besonders in den Widerstreit der Meinungen, heißt es kritisch aus Hamburg.

Zitat

Es war für mich in früheren Jahren das größte Vergnügen, Hörspiele zu hören. Jetzt höre ich mir nurmehr den Anfang an, dann stelle ich ab, da mich das einfach nicht interessiert. Und genau so geht es meiner Frau. Wir können hier einfach nicht mit. Wenn diese Hörspiele in Theatern gespielt oder verfilmt würden, die Theater und Kinos müßten zumachen.

Autor

Dagegen haben einem Hörer aus Marburg am meisten die Hörspiele gefallen, die ihm nicht gefallen haben.

Zitat

Warum? Man kann sich mit diesen Spielen viel intensiver auseinandersetzen als mit denen, die mit unseren, d.h. mit meinen Anschauungen in Resonanz stehen. Und man kann sich köstlich über die anderen ärgern.)

Autor

Die Kölner Dramaturgie ließ diesen Widerstreit der Meinungen jedoch nicht nur in den Programmheften zu Wort kommen. Sie ließ sich vielmehr durch ihn 1963 zu einem folgenreichen Schritt ermutigen und versah im Programmheft des zweiten Halbjahres einige Hörspiele mit einem Sternchen, forderte die Hörer auf:

Zitat

Uns Ihre Meinung zu diesen Sendungen mitzuteilen. Wir beabsichtigen, diese Hörspiele im ersten Halbjahr 1964 im dritten Programm zu wiederholen. Dieser Wiederholung soll sich eine Diskussion zwischen Hörern, Kritikern, Autoren und Regisseuren anschließen. Titel der geplanten Sendereihe: "Hörspiel in der Diskussion".

Autor

Auch die Presse verfolgte die Arbeit der Kölner Dramaturgie aufmerksam und spiegelte gewissermaßen öffentlich in zahlreichen Veröffentlichungen das Für und Wider der Diskussion, stimmte mit dem Hörer in der positiven Bewertung der Aufbauarbeit überein. 1962 schließt zum Beispiel "Das Neue Rheinland" "aus manchen Anzeichen",

Zitat

daß der WDR sich anschicke, die Bedeutung des alten Hörfunks neben dem effektvolleren Fernsehen neu einzuschätzen. Am entschiedensten geht das Hörspiel seinen Weg. In seinem Programm, das an Raum gewonnen hat, treffen sich junge Autoren mit Versuchen, neue Inhalte und Formen zu finden. Dabei wird beim einzelnen Autor wie im Gesamtprogramm eine klare Richtung des Suchens erkennbar.

Autor

Bevor die in dieser öffentlichen Honorierung der Aufbauleistung angesprochenen jungen Autoren, die neuen Inhalte und Formen des Hörspiels vorgestellt werden, ist zu klären, was das im "Neuen Rheinland" hervorgehobene "Gesamtprogramm" einschließt. Der Hörspieldramaturgie standen nämlich mit dem ersten, zweiten und dritten Programm bald drei Programme zur Verfügung, in denen die Hörspiele nicht zufällig plaziert wurden, für die vielmehr gezielt produziert und übernommen werden konnte.

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

Das System lag eigentlich darin, daß das damals, daß die Hörspiele im ersten Programm, die ja nur alle vierzehn Tage kamen, im Wechsel mit Hamburg, eine gewisse Gewichtigkeit hatten. Die Stücke, von denen wir glaubten, daß sie einem größtmöglichen Publikum zur Kenntnis gebracht werden sollten. Im zweiten Programm gingen wir einmal, das hat ja auch etwas mit den Tagen zu tun, an denen gesendet wurde, einmal auf problematische Stücke, auf schwere Stücke, und auch auf unterhaltende Stücke, wo wir ganz großen Wert darauf gelegt haben. Das dritte Programm haben wir damals aufgebaut. Es hatte verschiedene Funktionen damals. Es gab einmal die Möglichkeit, endlich einmal gezielt Hörspiele anderer Sender vorzustellen, und nicht nur zu tun, als wenn wir ganz alleine senden wurden. Und dann fingen die Experimente ja auch an, oder Stücke, von denen wir sagten, die wollen wir zur Diskussion stellen. Und das hatte ein großes Echo und das war dann ja auch sehr gut, weil dann ja die Hörer eingeladen wurden zu uns. Und es fand dann eine große Diskussion statt. Und die wurde gesendet im dritten Programm.

Autor

So war die Hörspielarbeit der Kölner Dramaturgie für den Hörer quasi doppelt plaziert, im Gesamtprogramm des Senders und im nationalen wie internationalen Kontext und Vergleich. Daß im Gesamtprogramm das adaptierte Bühnenstück weiterhin seinen Platz behauptete, entsprach rund 20 % der Hörerwünsche. Aber es änderte sich die dramaturgische Handschrift.

Ein Beispiel soll dies belegen. Sowohl von Wilhelm Semmelroth als auch von Friedhelm Ortmann ist eine Inszenierung des Shakespeareschen "King Lear" als Tondokument erhalten. War Ortmanns Inszenierung eine von mehreren Beiträgen zum Shakespearejahr 1964, verdankt sich die Inszenierung von 1955 vor allem dem Wunsch Semmelroths, Fritz Kortner vor das Mikrophon der klassischen Bühne des Westdeutschen Rundfunks zu locken. Hören Sie einen Ausschnitt der hörspieltechnisch nicht unproblematischen Heideszene. Zunächst in der Inszenierung Semmelroths:

Einspielung

King Lear / Heideszene

Autor

Während Semmelroth den "King Lear" für den Funk wenig geeignet empfand, es ihm lediglich um Kortner zu tun war, hält Ortmann den "Lear" für eines der wenigen Stücke Shakespeares, die sich einer funkischen Intepretation nicht entziehen.

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

Im "Lear" ist die Heideszene. Und da ist es auf der Bühne immer so schlimm oder schwierig für einen Schauspieler. Auf der einen Seite ist also ein gewaltiges Getöse zugange. Und der Schauspieler muß nun auf der Bühne mit Kraft drüber hinweg. Und so wird das immer ein ungeheures Gebrülle. Muß nicht sein. Aber so ist es gemeinhin. Donnern muß es. Aber wie kann man es fertigbringen, daß man diesen Text einmal ganz intensiv denken kann, also nicht brüllend gegen ein Gewitter. Und da kam ich dann an eine andere Stelle, wo also Lear von den Töchtern des Hauses verwiesen wird, und wo es heißt: Schließt die Tore. Und das haben wir dann entwickelt, also diese Tore wurden gigantisch. Das waren nicht irgendwelche Domtore, sondern halt es war das Gefühl, er ist aus der gesamten Welt ausgesperrt. Das war so ein gewisser Rhythmus, in dem die Dinger runterfielen und zu einem Dröhnen wurden. Dieses Dröhnen setzte sich fort und blieb in der Luft schweben und wurde immer dünner. Und zurückblieb ein einziger heller Ton. Und dann kam der Text in der Heide. Wissen Sie, das klingt jetzt wie ein Trick, aber man braucht schon eine gewisse Zeit, um auf so eine Lösung zu kommen.

Einspielung

King Lear / Heideszene

Autor

Entscheidend ist, daß Ortmann das, was hier akustisch passiert, was ihm in anderen Fällen die Musik von Enno Dugend an akustischer Kulisse aufbaut, aus dem Text ableitet. Für ihn ist ein Text, ob Theaterstück oder Hörspiel, zugleich Partitur und Konzept, die es aufmerksam zu studieren und nachzuspielen gilt. Stil, pointierte es Ortmann 1964 in einem Gespräch mit Klaus Schöning, sei nicht vorher da, sondern stelle sich erst im Laufe der Arbeit am Stück ein. So könne jedes Stück in der Realisation anders werden, was dazu führe, daß sich der Regisseur nicht so recht einordnen lasse. Eine solche Auffassung hat sicherlich mit dazu beigetragen, daß von der Kölner Dramaturgie bald eine Vielzahl von Regisseuren beschäftigt wurde. Stilvielfalt, nicht Stillosigkeit ist also das eine. Auf. der anderen Seite garantierte eine solche Auffassung von Anfang an eine breite Fächerung bei den angesprochenen Autoren. Autor und Dramaturgie konnten dabei auf verschiedensten Wegen zusammenfinden. So erinnert sich Dieter Kühn 1966 in einem Gespräch:

Einspielung Gespräch Schöning / Kühn

Kühn: Ich hatte vor sechs Jahren ein Hörspiel geschrieben, ohne genaue Vorstellungen, wie wohl so etwas vor sich gehen muß, wie man das einschickt. Ich hatte das Hörspiel eingeschickt -

Schöning: Wann war das?
Kühn: Das war 1959. Und ich hatte dazu das große Glück, das Hörspiel wurde sofort angenommen. Sie können sich vorstellen, daß es damals für einen nun wirklich noch jungen Autor sehr animierend war, nun das Gleiche noch einmal zu versuchen. So bin ich eigentlich zum Hörspiel gekommen. Ganz einfache Erklärung.

Autor

Andere Stücke kamen auf dem Wege des Wettbewerbs in den Funk. Und nicht alles, was hier bei der Suche nach jungen Autoren auf den Tisch flatterte, waren sendereife Manuskripte. Die Mischung von dramaturgischem Anspruch und handwerklicher Hilfestellung, die Bereitschaft der Regisseure, auch Stücke mit dramaturgischen Schwächen zu inszenieren, wenn der Praktiker Möglichkeiten einer akustischen Rettung erkannte, waren für den Aufbau der nächsten Jahre charakteristisch. Und damit verbunden die Absicht, Autoren für die Hörspielarbeit zu gewinnen.

Dazu war, nach personellem Ausbau der Dramaturgie, systematische Autorensuche Voraussetzung. Immerhin standen bis 1963 mit Dieter Kühn, Christian Noack, Rainer Puchert, Detlef Müller, Adolf Schröder und Gerhard Braunisch ein halbes Dutzend Hörspielautoren zur Verfügung, zahlten sich die Mühen des Aufbaus und der Suche langsam aus. Adolf Schröders "Gelassen stieg die Nacht an Land", Dieter Kühns "Reduktionen" und Rainer Pucherts "Das Appartementhaus" steckten bereits eine erstaunliche Themen- und Formenvielfalt ab. Überprüft man die Geburtsjahre dieser Autoren, Adolf Schröder 1938, Dieter Kühn 1935, Rainer Puchert 1934, wird man ihnen mit Recht das Etikett des jungen Autors zugestehen. Aber auch in einem übertragenen Sinne sind sie junge Autoren in einer ARD-Hörspiellandschaft, die durch weitgehende Stagnation in der Gattungsentwicklung charakterisiert war.

Wichtige Autoren der 50er Jahre wie Leopold Ahlsen, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Wolfgang Hildesheimer, Claus Hubalek hatten sich aus der Hörspielarbeit teilweise oder ganz zurückgezogen. Günter Eichs nur zögernd gelieferte immer radikalere Hörspielbeiträge, seine Fassungsänderungen belegen Stagnation und Krise ebenso wie eine nach 1960 zunehmend theoretische und historische Beschäftigung mit dem Hörspiel. 1961 erscheint Friedrich Knillis Plädoyer für ein "totales Schallspiel". 1963 legt Arnim P. Frank eine von mehreren Dissertationen zum Thema Hörspiel vor. 1963 bzw. 1964 werden die materialreichen Arbeiten Heinz Schwitzkes und Eugen Kurt Fischers veröffentlicht. Die Publikationen, Vergewisserungsversuche auch des Hörspiels der 50er Jahre, historische Rückversicherung und zugleich Krisensymptom, nehmen zu einer Zeit Bestand auf, als der Westdeutsche Rundfunk seine Hörspielproduktion eigentlich erst startet, mit jungen Autoren, darunter dem 24jährigen Adolf Schröder, dessen Erstling "Gelassen stieg die Nacht an Land" provokativ anderes meinte, als der von Mörike entlehnte Titel dem Hörer zunächst suggerierte.

Einspielung

Sequenz aus "Gelassen stieg die Nacht an Land"

Autor

Schröders Alptraum wurde mit dem Förderpreis der Kurt-Magnus-Stiftung ausgezeichnet. Eine Ermutigung für den Autor, eine Ermutigung aber auch für die Dramaturgie und ihre Arbeit. Nur einem Hörer aus Essen kam "der kalte Kaffee hoch", war diese Art der Vergangenheitsbewältigung "eines Deutschen unwürdig".

Zitat

Die alte Geschichte beweist ganz andere Dinge, aber ich sehe nicht ein, daß die Weltöffentlichkeit durch so ein Greenhorn wieder einmal hohnlachend auf uns zeigen soll!!!

Autor

Anders honorierten die meisten Hörer und auch die Presse das Engagement Schröders. So hob die katholische FUNKkorrespondenz besonders hervor, daß Schröder, vom Alter her unschuldig, sich dennoch der Schuld stelle, und erkennt auch, warum Schröder sinnvoll die Form des Traumspiels wählt.

Zitat

Die Vergangenheit wirkt als nachträglich erlebte Wirklichkeit, als Gegenwart. Sie wirkt unheimlich realistisch, weil sie sich nicht mit der Abwicklung eines logisch durchdachten Handlungsfadens aufhält, sondern die Dämonie des Vernichtungswahns in grell beleuchteten szenischen Bildern sichtbar macht. Die Bilderfolge ist sehr geschickt zu einem Ganzen verknüpft. Übertreibungen in der sprachlichen Formulierung und die Aufdringlichkeit der Geräuschkulisse haben hier ihre gute Berechtigung. Beides dient unverkennbar zur Erschütterung im visionären Miterleben. Der Erstling Adolf Schröders verdient allen Respekt. Die Regie von Heinz Wilhelm Schwarz hat offenbar dank einem sorgfältig ausgewählten Sprecherensemble alle Möglichkeiten des ausgezeichneten Manuskripts zur Geltung gebracht.

Autor

Die beiden anderen Autoren stehen mit ihren Arbeiten fast modellhaft für das Themen- und Formenspektrum der Hörspielarbeit dieser Jahre, obwohl die Zustimmung bei Hörern und Kritikern durchaus nicht einhellig war: Dieter Kühn und Rainer Puchert. Beide haben sehr früh Hörspiele eingebracht, die bestimmte Positionen in der Hörspielentwicklung und im Gesamtprogramm markieren. Will man ein wenig übertreiben, kann man sagen, daß sie die beiden Seiten einer von der Kölner Dramaturgie folgenreich geprägten Hörspielmünze sind.

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

An Kühn hat mich immer fasziniert seine klare, kühl zielende Diktion. Das fand ich immer sehr schön. Manchmal dachte ich, ach Gott, ja, es fehlt mir wohl eigentlich etwas Poetisches. Er hat mal ein Stück geschrieben, das wir nie gemacht haben, wo eine Szene drin war, die für mich einen ganz neuen Ton hatte. Bei Puchert ist es eigentlich etwas Chaotisches, was mich immer wieder fasziniert. Wenn ich daran denke, daß sein erstes Hörspiel, das wir produzierten, war "Das Appartementhaus", wo eine Fülle von Szenenfetzen darstellen sollten ein Hochhaus, in dem also Leute wohnten, wo also unter Verzicht auf eine gewisse dramaturgische Logik einfach so eine Szenenwucherung mehr hingesetzt wurde, und wo man damals sagte: das versteht doch kein Mensch! Für uns sind diese Hörspiele heute längst Gebrauchsware.

Autor

Das interessanteste Hörspiel Kühns aus dieser Zeit ist fraglos "Reduktionen" (1963): die Geschichte eines Mannes, dem von einer totalitären Macht Wort um Wort die Sprache verboten wird, bis ihm schließlich nur noch das eine Wort "JA" zu sagen erlaubt ist. Dieser Konflikt Macht/Sprache, von Eich in seiner berühmten, aus dem öffentlichen Bewußtsein aber verdrängten Büchner-Preisrede 1959 erstmals radikal diskutiert, wird von dem eine Generation jüngeren Dieter Kühn in vereinfachender Gradlinigkeit zum bitteren Ende durchgespielt. Fluchträume, auch die der sprachlichen Tarnung, will er seiner Spielfigur nicht mehr zugestehen. "Hans Karl Zeiser", lobte der evangelische Pressedienst KIRCHE UND RUNDFUNK -

Zitat

Hans Karl Zeiser inszenierte die ohne Zweifel erregende Zwiesprache mit Hansjörg Felmy und Peter Lühr so schonungslos und konzessionslos, daß einem das anfänglich aufkommende Lachen über die Ausweichversuche des bedrängten Normalbürgers in eine sprachliche "innere Emigration" bald verging.

Einspielung

Sequenz aus "Reduktionen"

Autor

Was rückblickend an Kühns "Reduktionen" so wichtig ist, ihre Mischung von Sprachspiel in einem wörtlichen Sinne und Tendenz, war - trotz der späten Hörspiele Eichs - für die damaligen Hörer augenscheinlich noch nicht recht faßbar. So jedenfalls ließe sich die Hilflosigkeit erklären, die sich in manchen negativen Pressestimmen indirekt spiegelt, z.B. wenn die "Ruhrnachrichten" Kühns Hörspiel als "aufdringlich belehrend" und "reichlich konstruiert" empfinden, wenn die "Rheinische Post" von einem "absurden Experiment" spricht, dessen "Schlußblitz" mit "fünfundsiebzig Minuten Geduld (...) zu teuer bezahlt" sei. Immerhin konzediert die "Rheinische Post" auch das "kühne Wortexperiment", schreibt "Die Zeit":

Zitat

In diesem Hörspiel, bei dem es um Wörter geht und nicht um Worte, hätte man besonders darauf achten sollen, daß die Begriffe klar bleiben. Anscheinend haben weder der Autor noch die Leute beim Funk gemerkt, daß immer wieder "Worte" gesagt wird, wo "Wörter" gemeint sind. Ein Fehler war, daß große Längen im Text blieben. Sie wegzuschneiden, wäre keine Reduktion gewesen, sondern hätte diese sonst ausgezeichnete Sendung erheblich verbessert.

Autor

Es spricht für die Kölner Dramaturgie, daß sie diese Anregung aufgegriffen und das Hörspiel bei späteren Wiederholungen in gekürzter Form gesendet hat. - Anders als Kühn, dessen Hörspiele konsequent aufeinander aufbauen - von einer "klaren und aufsteigenden Linie spricht z.B. KIRCHE UND RUNDFUNK - anders als Kühn erprobt Rainer Puchert fast in jedem neuen Hörspiel auch neue Spielformen. Vor allem er stand deshalb auch bald im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzungen, nachdem der Westdeutsche Rundfunk mit "Das Appartementhaus" das vierte Hörspiel Pucherts gesendet hatte.

Einspielung

Sequenz aus "Das Appartementhaus

Autor

Nachdem in Programm und Diskussion erst einmal der Anfang gemacht war, stießen bald weitere junge Autoren zur Kölner
Dramaturgie, erweiterten die Themenpalette, vermehrten die Spielformen und bereicherten ein immer umfassenderes Hörspielangebot. 1967 zog Klaus Schöning eine erste Bilanz:

Einspielung

Bei der Durchsicht des Spielplanes der letzten vier Jahre, also von 1963 bis 1967, fallen aus einer Vielzahl entdeckter junger Autoren vor allem auf: Konrad Hansen, Erasmus Schöfer, Peter Stripp, Paul Wühr, Günther Seuren und Theodor Weißenborn. Auch bei diesen Schriftstellern kommt bei den einen - Erasmus Schöfer, ausgezeichnet mit dem Förderpreis der Kurt Magnus-Stiftung für sein Hörspiel "Der Pikadon", und Peter Stripp - das zeitkritische Engagement, bei den anderen - Günther Seuren und Theodor Weißenborn - das formale Experiment stärker zur Geltung. Während Konrad Hansen die Linie des absurden Hörspiels in einer neuen und bestechenden Variante fortsetzt, exemplifiziert in brillanter Dialektik Paul Wühr die Hörspielimmanente Möglichkeit des fast abstrakten Dialogs. Bemerkenswert erscheint dabei die Tatsache, daß die schriftstellerische Laufbahn von Günther Seuren und Theodor Weißenborn nicht mit dem Schreiben von Hörspielen begann, sondern daß sie sich bereits auch als Erzähler, Romanciers und Filmtexter einen Namen in der literarischen Öffentlichkeit gemacht hatten.

Autor

Diese Vielfältigkeit läßt sich auch einer informativen Sendereihe abhören, die in den Jahren 1965/1966 eingerichtet wurde: Wie zuvor in den Programmheften, hatten in ihr "Junge Autoren im WDR" die Möglichkeit einer Selbstdarstellung und öffentlichen Diskussion ihrer unterschiedlichen Hörspielkonzeptionen. Dabei wird ohrenfällig, wie früh Autoren unterschiedlichster Richtungen besonders die Sprache in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Hatte Kühn schon im Programmheft für das zweite Halbjahr 1962 die Konzentration des Hörspiels auf die Sprache betont, erklärt Erasmus Schöfer in der Reihe "Junge Autoren im WDR" das "Hörspiel als Erfindung der Sprache".

Einspielung

Das Hörspiel ist mehr als eine weitere Facette der Literatur. Es ist eine grundlegend neue Möglichkeit der Sprache. Die sogenannte Konkurrenz des Fernsehens für den Hörfunk hat das Hörspiel von dem Mißverständnis befreit, es sei Drama mit fehlender Optik. Sie hat es nicht notgedrungen in eine Enklave getrieben, wo es mühsam von den Rundfunkanstalten als kulturelles Aushängeschild am Leben gehalten, ein Dasein für Experten und Hörbesessene fristet, im Gegenteil, diese Konkurrenz hat die Existenz seiner Eigenständigkeiten in der Theorie gefördert und in der Praxis zu jener Konzentration auf die dem Hörspiel wesentlichen formalen Regeln geführt, die seit einigen Jahren zu beobachten ist.

Autor

Fast alles, was aus diesen Jahren an Hörspieldiskussion und -selbstdarstellung erhalten ist, spiegelt den Versuch wider, das Hörspiel aus seiner Stagnation und Krise herauszuführen. Am markantesten vielleicht im Zusammenhang der Vergabe des Hörspielpreises der Kriegsblinden an Peter Hirche, der eigentlich nicht zu den WDR-Autoren zählte. Sein Hörspiel-Manuskript "Miserere" war vielmehr erst nach einer Odyssee durch zahlreiche Dramaturgien der ARD nach Köln gelangt, wo durch die
eigene Situation geschärftere Augen erkannten, was die anderen Dramaturgen überlesen hatten: Die Neuansätze in diesem Hörspiel. Bereits Hirches Vorbemerkung zur Produktion signalisiert sie und kann zugleich gelesen werden als Opposition zu einem bedeutenden Inszenierungsstil, wie er dominierend in den 50er Jahren entwickelt wurde.

Die hörspielgeschichtliche Einordnung von "Miserere" ist schwierig. Auf keinen Fall stellt dieses Hörspiel jenen Tiefpunkt dar, den Reclams Hörspielführer behauptet. Ähnlich wie Eichs "Man bitte zu läuten", ist es vielmehr ein Zwischenglied zwischen dem Hörspiel der Innerlichkeit und dem Neuen Hörspiel. Wieweit es noch rückgebunden war, erkannte vor allem sein Regisseur Oswald Döpke, dessen eigenwilliger Inszenierung es seine Auszeichnung sicherlich mitverdankt. Döpke hatte eine Stimme des Hörspiels, die Stimme Edmunds, mit Hannes Messemer besetzt.

Einspielung

Sequenz aus "Miserere"

Autor

Gefragt nach dem Grund dieser auffälligen Besetzung, antwortete Oswald Döpke Klaus Schöning in einem Gespräch 1967:

Einspielung Gespräch Schöning / Döpke

Ja, ich kenne den Autor Peter Hirche seit vielen Jahren und kenne eine gewisse Gefahr, die in all seinen Stücken sichtbar ist, nämlich die Gefahr, ein bißchen zu romantisieren und zu sentimentalisieren, sich einer gewissen Wehmut hinzugeben, in der gleichzeitig ein gewisses dichterisches Flair ... seiner Stoffe, aber eben auch eine Gefahr liegt. Und ich wollte durch eine
betont unterkühlte virtuose Stimme, wie die Messemers, durch eine möglichst rasante Diktion, durch ein schnelles Sprechtempo dieser Gefahr Hirches begegnen. Hirche war ja dabei. Und ich glaube, er war erstaunt, er hatte damit gerechnet, daß das Hörspiel 45 Minuten lang werden würde, und das wurde 28 Minuten, glaube ich. Es ist nicht so, daß mir also daran lag, durch ein schnelles Sprechtempo den Hörern die Möglichkeit, zu folgen, zu nehmen, das war es nicht. Aber ich wollte gegen diesen wehmütigen Überhang des Stückes angehen.

Autor

Oswald Döpke ist einer der vielen Regisseure, die Friedhelm Ortmann seinerzeit nach Köln holte. Andere Namen sind bereits in der Sendung genannt worden. Und doch bliebe ihre Liste unvollständig, würde man sie nicht um die Namen Roaul Wolfgang Schnell, Günther Sauer, Ludwig Cremer, Gustav Burmeester, um wenigstens die wichtigsten zu nennen, ergänzen. Sie alle stehen für eine Stilvielfalt der Inszenierungen, die seither die Hörspielprogramme des Westdeutschen Rundfunks auszeichnet. Diese Spielvielfalt nachzuzeichnen, versuchte eine neunteilige Sendefolge der Jahre 1967/1968 "Das Hörspiel und seine Inszenierung". Was diese Sendefolge noch nicht sehen konnte, läßt der historische Abstand erkennen, nämlich die befruchtenden Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Temperamenten der Autoren, der Formen- und Themenvielfalt der Stücke und den verschiedenen Handschriften ihrer Regisseure. Das setzte Wechselwirkungen frei, die nicht zuletzt aus einer neuen Entwicklung des Hörspiels eine Entwicklung zum Neuen Hörspiel machte.

Zur Orientierung des Hörers über die Arbeit anderer, auch ausländischer Sendeanstalten dienten 59 Sendungen der Reihe "Hörspiele anderer Sender". Orientierungshilfe boten aber auch zahlreiche weitere Reihen im dritten Programm. Sie sind ein Spezifikum der Kölner Dramaturgie. Seit 1965 im Programm, bündeln sie thematisch Hörspiele verschiedenster Autoren unter Reihentiteln wie "Der Mensch im Zeitalter der Technik" (1965), "Der totalitäre Staat und das Individuum" und "Jugend in unserer Zeit" (1966), "Der Krieg - Darstellungsversuche im Hörspiel" (1967), "Verlust der Identität" (1968). Thematisch/formal versuchte die Reihe "Das absurde Hörspiel" 1966 aktuelle Hörspielentwicklung darzustellen. Vor allem einem gattungsspezifischen Aspekt ging die Reihe "Der innere Monolog im Hörspiel" nach (1967). Während mit der von Helmut Heißenbüttel kommentierten Reihe "Experiment und Kritik der Sprache im Hörspiel" (1968) zum ersten Mal Autoren des später sogenannten Neuen Hörspiels vorgestellt werden. Neben diesen Reihen, für die Kommentatoren wie Martin Esslin, Ludwig von Friedeburg, Alfred Kontorowitz, Alfons Silbermann, Paul Schallük und andere gewonnen werden konnten, richtete sich neben einem grundsätzlichen Interesse am Hörspiel des Auslands, das in exemplarischen Beispielen zweisprachig vorgestellt wurde, das Hauptaugenmerk Ortmanns auf das finnische und osteuropäische Hörspiel, vor allem auf das der CSSR. Aber auch auf das Hörspiel von Radio DDR.

Zitat

Mehr und mehr differenziert sich unser Bild vom Hörspielschaffen in den Ländern Osteuropas. Nicht zuletzt dank der intensiven Bemühungen des Westdeutschen Rundfunks, überall die besonderen und eigenartigen Leistungen aufzuspüren, um sie den Hörern hierzulande zugänglich zu machen -

Autor

konstatiert 1967 KIRCHE UND RUNDFUNK. Nicht unbeteiligt am Programmaustausch mit Radio DDR ist ein für diese Jahre wichtiger, bisher noch nicht genannter Hörspielautor Horst Mönnich. Von ihm inszenierte Ortmann u.a. 1964 die Hörspielfolge "Der vierte Platz". Und er erinnerte sich an ihren politischen Stellenwert, die Zusammenarbeit mit Mönnich:

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

Und er erzählte mir diesen Stoff, den ich also sehr faszinierend fand, die Geschichte von der Suche nach den Kindern, nach den durch die Kriegsereignisse verloren gegangenen Kindern. Und dieser Stoff, so wurde uns sehr bald klar, bekam nur Gewicht, wenn er in einer gewissen Breite vorgestellt wurde. Nun, so kam das zustande. Und dann wurde es ja damals auch eine große Gemeinschaftsproduktion. Vier ARD-Sender schlossen sich ja an. Und für mich entscheidend eigentlich war, im Rückblick, weil die letzte Sendung "Im Kreidekreis" eigentlich damals von Mönnich aus einer Überlegung geschrieben worden war, oder wo er einen Standpunkt bezog, der damals durchaus noch nicht aktuell war, sondern erst später durch Willy Brandt erst seinen Ausdruck fand, nämlich die Akzeptierung von Geschichte auch. Das nämlich, muß ich sagen, ist auch heute noch wichtig und der Programmaustausch mit Radio DDR, der dann auch stattfand, übrigens auch durch Mönnich angeregt wurde, war uns auch wichtig, weil wir da auch mal sagten: Was macht Ihr denn? Oder: Was machen wir? oder so.

Das war damals ein wenig mühsam, denn wir stießen auch auf Schwierigkeiten, wurden aber durch unseren damaligen Programmdirektor und unseren damaligen Intendanten so stark unterstützt, daß wir das wirklich machen konnten. Und auf diese Weise kam Rolf Schneider zum Beispiel, wurde Rolf Schneider in der Bundesrepublik bekannt, durch seine Arbeit, die er dann auch für uns schrieb. Er hat ja dann auch den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhalten.

Autor

Über den Programmaustausch mit Radio DDR lief Rolf Schneiders "Das Gefängnis von Pont - l' Evêque", kamen Hörspiele von Manfred Bieler und Jürgen Dost, während Radio DDR Stücke der jungen WDR-Autoren Dieter Waldmann, Erasmus Schöfer und Rainer Puchert übernahm. Selbstverständlich erhoben sich gegen diesen mit Mühe geknüpften Kontakt, der die Jahre 1966/1967 nicht überdauerte, kritische Stimmen, die sich ebenso über die Sendung von DDR-Hörspielen im Westdeutschen Rundfunk wie gegen die Sendung von Hörspielen westdeutscher Autoren in Radio DDR erregten. Unter anderem mit der Begründung, daß in der Ostberliner Auswahl der WDR-Hörspiele eine propagandistische Tendenz zu erkennen sei. Dagegen und grundsätzlich hatte bereits das Programmheft 1966 angemerkt:

Zitat

Der im vergangenen Halbjahr mit Rolf Schneiders Hörspiel "Das Gefängnis von Pont-l'Evêque" eingeleitete Programmaustausch zwischen der Hörspieldramaturgie von Radio DDR und der Dramaturgie des WDR hat eine Welle der Zustimmung ausgelöst. Wie zu erwarten war, gab es auch einige kritische Stimmen, die sich dagegen wandten und den Austausch für überflüssig hielten. Die Einwände vermögen uns nicht zu überzeugen. Es scheint uns wichtig, mit unseren Landsleuten ins Gespräch zu kommen. Wir sehen keinen Grund, aus diesem Gespräch unsererseits irgendwelche Themen auszuklammern, über die wir hierzulande freimütig diskutieren können.

Autor

Von größerer Dauer und schon früher geknüpft waren wechselseitige Kontakte und fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Rundfunk, der Hörspieldramaturgie in Prag, die durch eine Reiseinitiative Ortmanns wesentlich gefördert wurden.

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

Wir bekamen immer Manuskripte, sporadisch aus der Tschechoslowakei von Autoren. Die Stücke hatten eine seltsame Faszination, aber wir dachten: verflixt noch mal, wir müßten doch einmal hinfahren, wir müssen jemand kennen lernen. Das war 1962/63, wo also der Eiserne Vorhang ganz dicht war. 1963 war es. Und da sind wir einfach hingefahren und daraus hat sich ein wunderbarer Kontakt entwickelt, auch mit den Kollegen selbst, die am Sender waren, muß man sagen. Und auf diese Weise zum Beispiel kam ein Hörspielautor von ganz hohem Rang, Ptácek, dessen Hörspiele wir fast alle hier gesendet haben. Und dann kam es auch dazu, daß dieser schöne und fruchtbare Kontakt, er hatte zur Folge, daß wir dann eingeladen wurden. Der Oswald Döpke hatte von Peter Hirche "Miserere" in Tschechisch gemacht. Ich wurde eingeladen, von Horst Mönnich "Am Ende des Regenbogens" zu machen. Das war mir sehr wichtig. Ich muß sagen, diese Öffnung nach drüben war uns allen sehr wichtig.

Autor

Was aus der Erinnerung Ortmanns nicht hervorgeht, ist, daß diese Produktionen 1966 im Rahmen eines internationalen Hörspielwettbewerbs des Tschechoslowakischen Rundfunks entstanden, und dabei nicht nur ausgezeichnete Plazierungen erzielten, sondern sogar den ersten Preis zugesprochen bekamen, für Peter Hirches "Miserere".

Das letzte Zitat soll schließlich den für Friedhelm Ortmann so wichtigen Hörspielautor Horst Mönnich vorstellen, dessen "Am Ende des Regenbogens" im deutschsprachigen Bereich eines der ersten medienkritischen Hörspiele ist. An spezielle Probleme der Regie erinnert sich Ortmann:

Einspielung Gespräch Ortmann / Döhl

In "Am Ende des Regenbogens" war die Aufgabe, darzustellen, daß Leute am Bahnhof ankommen. Und sie sind verblüfft, weil also da tausende von Menschen dastehen und ihnen zujubeln. Sie wissen überhaupt nicht warum, und werden jetzt, wie also der Karnevalsprinz, durch die Stadt gefahren, zu ihrem Haus, wo ihrer ein besonderes Ereignis harrt. Nun diese Fahrt durch die
jubelnde Menschenmenge darzustellen, ist sicher ganz einfach, indem man sagt, ja, dann fahren wir einfach mal durch, mit dem Auto oder wie auch immer. Aber wie ist es künstlerisch zu fassen? Das ist die Frage.

Außerdem war "Der Regenbogen" gedacht als eine sehr kritische Auseinandersetzung mit dem Medium Fernsehen und gegen diese Vermittlung von Glücksvorstellungen, die da suggeriert werden. Also das ist eine kritische Sache, und da war dem Autor eingefallen, daß er plötzlich, um das auch klarzumachen, wie also der Apparat der Kamera z.B. gnadenlos reagiert, auf die Gesichter geht und da die Träne trifft und so etwas. Was ich textlich formulierte in Kommandos, wie man das nun jetzt auffängt, nicht wahr, und das technisch behandelt. Da sind dann eben halt Sachen gefunden worden, die Verbindung, was heute eine Kleinigkeit wäre, durch die Synthesizer und was weiß ich, was ja damals jedenfalls wir noch nicht hatten, dadurch bekam dieser Durchgang eine künstlerische Überhöhung mit Hilfe von Technik und in dem Falle ganz richtig, wie Sie eben sagen - Tricks.

Einspielung

Sequenz aus "Am Ende des Regenbogens"

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Als Friedhelm Ortmann 1968 seine Arbeit als Leiter der Hörspielabteilung niederlegte, hatte er zusammen mit seinen Mitarbeitern aus der Dramaturgie - Traute Wach, Hans-Gerd Krogmann und Klaus Schöning (drittes Programm) -, seit 1966 von Dr. Paul Schultes in der Leitung, seit 1967 von Klaus Mehrländer in der Produktion unterstützt, eine Abteilung aufgebaut, deren Größe und Bedeutung ihn immer häufiger vor die Alternative Schreibtisch oder Studio bzw. Theater stellte. Friedhelm Ortmann entschied sich für Letzteres. Daß Ortmanns Ausscheiden, die Übergabe der Leitung an Dr. Paul Schultes fast nahtlos verlief, hatte mehrere Gründe. Zunächst einmal blieb Ortmann dem Westdeutschen Rundfunk als Regisseur erhalten. Sein Nachfolger Dr. Schultes konnte ein eingearbeitetes Team von Mitarbeitern übernehmen, das es nur noch zu erweitern galt. So war zum erstenmal in ihrer Geschichte die Kontinuität der Hörspielarbeit und -entwicklung über ein Kapitel der Kölner Dramaturgie hinaus gesichert. In systematischer Arbeit war es, gelegentlich mit etwas Glück, gelungen, das Hörspiel praktisch bei einem Punkte Null ansetzend, aus seiner Krise auf ein internationales Niveau und bis zum Neuen Hörspiel zu führen, das es jetzt im Übergang zum fünften Kapitel der Kölner Dramaturgie auszufalten galt. Anders als unter Leitung Ernst Hardts war die Entwicklung nicht von einem Stil geprägt, hatte sich vielmehr im Wechselspiel zwischen Dramaturgie und Regie, zwischen Regisseur und vor allem jungen Autoren, aber auch in der Diskussion mit dem Publikum ein Stilpluralismus herausgebildet, der dem Hörspiel eine erstaunliche Vielfalt und Ausgangsbasis für seine weitere Entwicklung bot.

WDR III, 3.11.1987