Reinhard Döhl | 50 Jahre Kölner Dramaturgie
Eine historische Revue / 5

Einspielung von Bismarck

Das Hörspiel hat also nicht nur die selbstverständliche und verpflichtende Aufgabe, einen Service an seine Hörer zu erfüllen, sondern darüber hinaus muß es sich verpflichtet fühlen, den Autoren gegenüber, und gerade den Autoren gegenüber, wach und aufgeschlossen zu sein, die neue Wege und Formen suchen, auch dann, wenn diese Bemühungen und dieses Ringen nicht immer sogleich und überhaupt nicht dem Geschmack des Publikums entgegenkommt. Es gibt keine Instanz, meine Damen und Herren, die einem Schriftsteller direkt oder indirekt diktieren kann, was er zu schreiben hat und was nicht. Man kann ihm auch nicht vorwerfen, daß er seinen literarischen Anspruch nach seinen eigenen Maßstäben mißt, ganz egal, ob sein Bemühen von Erfolg gekrönt ist oder nicht. Eine Kunstform, die dem Künstler nicht mehr die Möglichkeit gibt, zu experimentieren, auch zu protestieren und zu revoltieren, eine solche Kunstform gehört ins Museum.

Autor

Mit diesen Worten wandte sich Klaus von Bismarck,Intendant des Westdeutschen Rundfunks, anläßlich der Vergabe des Hörspielpreises der Kriegsblinden 1965 an Peter Hirche, nicht nur gegen den Vorwurf der Esoterik im Hörspiel. Er bescheinigte dem Hörspiel vielmehr in einer gewissen Krisensituation die Notwendigkeit zu einer Entwicklung, ja er verpflichtete es geradezu auf dem Weg des Experiments.

Drei Jahre später, 1968, konnte Klaus von Bismarck bereits ersten Bestand aufnehmen, indem er davon sprach, daß das Hörspiel offenbar in eine neue Phase eingetreten sei, daß schöpferische Unruhe eingekehrt sei. Ließ sich an Peter Hirches "Miserere" 1965 erst undeutlich abhören, wo dem Hörspiel neue Wege erschlossen werden, das 1970 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnete WDR-Hörspiel Wolf Wondrascheks, "Paul oder die Zerstörung eines Hörbeispiels", zeigt in vieler Hinsicht, wohin die Entwicklung inzwischen geführt hatte. Es demonstrierte zugleich, wie aus der Diskussion um das Hörspiel auch eine Diskussion um Hörgewohnheiten geworden war.

Einspielung
Paul oder die Zerstörung eines Hörbeispiels

Autor

Der Einsatz von Geräusch und Zitat, die ausdrücklich als solche ausgewiesen werden, der Einbau theoretischer Erörterungen über Hörspielverständnis und Rezeption lassen erkennen, wie sehr es Autor und Regie darum ging, alte Hörgewohnheiten in frage zu stellen und eine neue Hörfähigkeit zu trainieren. Davon spricht auch die Begründung der Jury, mit der Wondratschek der Hörspielpreis der Kriegsblinden zugesprochen wird.

Zitat

Wolf Wondratschek macht es den Hörern leicht, die geläufigen Hörgewohnheiten zu verlassen und eine neue Hörfähigkeit zu entwickeln. Er negiert in seinem Stück überkommene Formen, die eine Geschlossenheit vorgeben, wo Realität sich heute nicht mehr als eine totale begreifen läßt. Konsequent setzt er anstelle eines Bewußtseinsflusses exakt gefügte Bewußtseinssplitter und läßt aus Mentalität, Umwelt, Biographie und Psyche eines Lastwagenfahrers, aber auch des Autors, der über ihn reflektiert, ein Mosaik entstehen, das neue Denkschemata erkennbar macht und dessen akustische Musterung das Ohr auf eigentümliche, ganz dem Rundfunk zugeordnete Weise reizt.

Autor

Vor allem der letzte Satz ist in unserem Zusammenhang wichtig. Deutet er doch an, daß man zu erkennen beginnt, daß ein Hörspiel nicht notwendigerweise ein auf dem Wege des Rundfunks übertragenes Spiel sein muß, daß es stattdessen ein ans Radio und seine technischen Möglichkeiten gebundene, von Radio und seinen technischen Möglichkeiten determinierte eigenständige Gattung sein könnte. "Hörspiel schreiben oder produzieren?" fragt Paul Pörtner 1969 folgerichtig aus dieser Situation heraus und stellt dem Hörspielautor konsequent den Hörspielproduzenten, oder, wie es bald heißen sollte, den Hörspielmacher an die Seite.

Zitat

Ich vertausche den Schreibtisch des Autors mit dem Sitz am Mischpult des Toningenieurs. Meine neue Syntax ist der Schnitt. Meine Aufzeichnung wird über Mikrofone, Aufnahmegeräte, Steuerung, Filter auf Band vorgenommen, die Montage macht aus vielen hundert Partikeln das Spielwerk.

Autor

Das Hörspiel Wondratscheks, die Ausführungen Pörtners sind Belege für eine stürmische Hörspielentwicklung, die in Gang kam, nachdem man sich in der Hörspielkrise der sechziger Jahre auf die Spielmöglichkeiten des Hörspiels und seines Mediums, des Rundfunks zurück besonnen hatte. Sie sind Symptome, jedoch keine Belege für die ganze Breite des Hörspielangebots. Daß die Kölner Dramaturgie in ihrer 5. Phase, 1968 wechselte die Hörspielleitung von Friedhelm Ortmann zu Paul Schultes, daß die Hörspielverantwortlichen diese Belege nicht absolut setzen, läßt das erste unter der Leitung von Paul Schultes herausgegebene Programmheft für die zweite Jahreshälfte 1968 deutlich ablesen, denn dieses Programmheft zitiert nicht nur die eingangs erwähnte Bestandsaufnahme des Intendanten, sie fügt gleichzeitig und nachdrücklich hinzu, daß die Experimente zwar eine Art Kennmarke seien, keineswegs aber den Spielplan einseitig beherrschen würden. Dazu Paul Schultes:

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Also rückblickend läßt sich heute, zehn Jahre später, sagen, daß diese Versuche im Labor zu keiner Zeit das handfeste, das gesellschaftlich engagierte, problem-orientierte Hörspiel sowie auch das literarisch-poetische Stück, das auf Entspannung angelegte Unterhaltungshörspiel verdrängt haben. Sicher aber scheint auch zu sein, daß das Hörspiel in den letzten Jahren kritischer geworden ist, und gerade durch diese Neubesinnung auf seine medienspezifischen Möglichkeiten variabler und im weiteren Verständnis als zuvor pluralistisch geworden ist.

Autor

Diese hier festgestellte Vielfalt hat das Hörspielprogramm der Kölner Dramaturgie bis heute geprägt, zum Beispiel durch Sendungen literarisch-poetischer Hörspiele, die einzeln oder in Reihen im Programm plaziert dem Hörspiel gleichsam ein akustisches Museum schufen. Daß dabei über die Vergegenwärtigung des Repertoires gleichzeitlich geschichtliche Zuordnung versucht, Vergleichsmöglichkeiten angeboten werden sollten, läßt die von verschiedenen Autoren kommentierte Reihe "Hörspiele der fünfziger Jahre" abhören, in der Hörspiele von Günter Eich, Friedrich Dürrenmatt, Wolfgang Weyrauch und Ingeborg Bachmann gespielt wurden.

Einspielung
Günter Eich: Das Jahr Lazertis

Autor

Neben der Sendung derart literarisch ambitionierter Hörspiele fällt einer Hörspielabteilung innerhalb des Kulturauftrags, den sie hat, die nicht zu unterschätzende Verpflichtung literarischer Vermittlung zu, der sie in der Regel durch Adaptionen von Theaterstücken nachkommt. Hier ist die Tradition der klassischen Bühne im Westdeutschen Rundfunk in keiner Phase der Kölner Dramaturgie unterbrochen worden. Es kam sogar zu Uraufführungen im Rundfunk, bevor sich ein westdeutsches Theater des entsprechenden Stückes annahm, so 1976 bei Peter Hacks "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe". Eine andere ebenso wichtige Art der Literaturvermittlung ist die hörspielgerechte Aufbereitung epischer Werke der Weltliteratur, denen die Hörspielabteilung mit ihren literarischen Reihen nachzukommen versuchte. An derartiger Weltliteratur in Hörspielausgaben finden wir in der zweiten Jahreshälfte 1968 etwa "Das Leben Jonathan Wilds, des Großen" von Henry Fielding bis zu Heinz von Cramers Funkeinrichtung "Alice im Wunderland hinter den Spiegeln" nach Lewis Carroll aus dem Jahre 1975.

Einspielung
Alice im Wunderland

Autor

Neben literarischer Vermittlung tragen vor allem im zweiten Programm ,handfeste Spiele dem Verlangen des Hörers nach Entspannung Rechnung und versuchen damit, in einer notwendigen Breite die Unterhaltungsformen des Hörspiels zu erfüllen.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

So wichtig wie es ist, die Präferenz der Hörer für unterhaltende Spiele zu respektieren und optimal zu bedienen, muß doch eingeräumt werden, daß sich die Autoren hierzulande schwerer tun als zum Beispiel die Angelsachsen, die auf Elemente der Trivialität zurückgreifen, auch ohne zu erröten. Ich darf hier auf eine Vielzahl angelsächsischer Beiträge bzw. auf Beiträge nach angelsächsischen Vorlagen in unserem Programm hinweisen. So besteht trotz des Interesses erheblicher Mangel an guter medienspezifischer Radioliteratur dieses Typs, so daß wir in zunehmendem Maße gezwungen waren, zu Adaptionen zu greifen. Dieser Engpaß war auch einer der Gründe zum Beispiel für die Ausschreibung eines Wettbewerbs, eines Science Fiction-Wettbewerbs. Der Unterhaltungswert ist ein wichtiges Kriterium für alle Spielformen und für Science Fiction sicher
entscheidend.

Autor

Vor allem der letzte Satz läßt eine Hörspieleinschätzung erkennen, wie sie für das 5. Kapitel der Kölner Dramaturgie bald charakteristisch werden sollte, überspitzt formuliert: Die Forderungen des Unterhaltungswertes für alle Spielformen des Hörspiels.

Einspielung
Isaak Asimov: Ich der Robot.

Autor

Eine zweite wichtige Unterhaltungsschiene in der Tradition der Paul Temple-Serie stellt das breite Kriminalspielangebot dar.

Mit fünf Prozent der Hörer konnte die Redaktion des rheinischen und des westfälischen Hörspiels rechnen. Die Redaktionen wurden in den letzten Jahren geleitet von Heinz Dieter Köhler, Manfred Brückner und heute von Leopold Reinicke für das rheinische Hörspiel und von Wolfram Rosemann für das westfälische Hörspiel.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Zwischen Kulturauftrag und Unterhaltungsfunktion des Rundfunks besteht kein zwangsläufiger Widerspruch. Ich würde sagen, sie bedingen einander. Das Hörspiel, so wie wir es hier verstehen und machen und wie wir zugleich aus seiner Geschichte ablesen können, stand und steht im Spannungsfeld zwischen literarischem Anspruch und Massenkommunikation, denn der Hörfunk ist auch nach der Hörerumschichtung infolge des Fernsehens ein Massenmedium geblieben. Das Hörspiel wendet sich immer noch an ein Publikum von Hundertausenden, in günstigen Fällen von Millionen Hörer Da die Fachkritik sich vorrangig dem Neuen zuwendet, wird die Unterhaltungsfunktion des Hörspiels im laufenden Programm weniger beachtet. Dabei treten auch hier unter dem Aspekt reformierter Programmgefüge neue Formen ins Blickfeld, die den Bedürfnissen derjenigen Hörer entgegenkommen, die weniger ästhetische Erwartungen haben oder intellektuelle Maßstäbe anlegen, die sich vielmehr einfach und spannend die Zeit vertreiben und unterhalten lassen wollen.

Autor

Nicht nur spannender Unterhaltung sondern kritischem Engagement diente ein im Mai 1968 in der Inszenierung durch Raoul Wolfgang Schnell gesendetes Hörspiel "Walzer der Verirrten" des schwedischen Autors Hans Fors. Es war zugleich der erste wichtige und überzeugende Versuch einer stereophonen Hörspiel-Produktion des Westdeutschen Rundfunks, dessen Dramaturgie sich bei der Einführung der Stereophonie noch unter Leitung von Friedhelm Ortmann zunächst ein wenig schwer getan hatte. Zum ersten Halbjahr 1967 kündigte das Programmheft an:

Zitat

Mit der laufenden Spielzeit stellt der WDR erstmals auch stereophone Hörspiele vor. Die Virtuosität, mit der die Dichter das Instrumentarium des monauralen Rundfunks gemeistert haben, stimmt zuversichtlich auch auf die neuen Möglichkeiten, die sich aus der Bindung an die Technik ergeben, künstlerisches Neuland erschließen werden. Wir sind uns bewußt, daß sich die Stereophonie auf dem Gebiet des Hörspiels trotz verheißungsvoller Ansätze beim Sender Freies Berlin und dem Saarländischen Rundfunk noch im Stadium des Experiments befindet.

Autor

Nach eineinhalb Jahren Experiment, das bei der Kölner Dramaturgie vor allem in der Übernahme fremder Produktionen bestand, gelingt mit Hans Fors' "Walzer der Verirrten" ein erster Erfolg, der mit dem Stereo-Preis der Industrie ausgezeichnet wurde. Ohne konventionelles Handlungs- und Spielgerüst auf keinem fixierbaren Schauplatz zu keiner fixierbaren Zeit wird der "Walzer der Verirrten" auf allen geschichtlichen, auf allen noch denkbaren Kriegsschauplätzen getanzt.

Einspielung
Walzer der Verirrten

Autor

Daß dieses Hörspiel zu einem Zeitpunkt gesendet wurde, an dem die Leitung der Hörspielabteilung von Friedhelm Ortmann zu Paul Schultes wechselte, macht es für unseren Versuch einer Skizze der Geschichte der Kölner Dramaturgie interessant.

Vordergründig als Zäsur. Vor allem aber, weil es signalisiert, welche Bedeutung der Technik der Stereophonie für die weitere Entwicklung des Hörspiels zukommt. Die Stereophonie ist in der Tat so etwas wie ein technischer Motor einer Entwicklung, die jetzt von einer Vielzahl neuer, auch älterer Autoren und Regisseure vorangetrieben wird, was sehr bald schon zu einer Neustrukturierung, zu einer schärferen Konturierung des Programms und Programmangebots führen sollte. Stereophonie, Autorenschub und neue Programmstruktur sind, wenn man es ein wenig verkürzt, die drei wesentlichen Impulse für die Hörspielentwicklung in der 5. Phase der Kölner Dramaturgie. Diese Entwicklung setzte nicht von heute auf morgen ein, war, wie wir in der letzten Sendung zeigen konnten, bereits in der 4. Phase der Kölner Dramaturgie eingeleitet worden mit Versuchen innerhalb einer gewissen Hörspielstagnation in Konkurrenz zum Medium Fernsehen eine Neuorientierung einzuleiten. Paul Schultes, der die Hörspielabteilung seinerzeit übernahm, als in das Hörspiel erkennbar schöpferische Unruhe eingekehrt war, geht auch aus von der Hörspielkrise der sechziger Jahre.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Halten wir fest, die Hörspielautoren befanden sich Mitte der sechziger Jahre in einer ziemlichen Resignation. Das Fernsehen, klar, hatte den Medienmarkt erobert und das Publikum gewonnen. Das Wissen um die zurückliegende Blütezeit des Hörspiels, ob Legende oder nicht, sei hier dahingestellt, lähmte die Macher innerhalb und außerhalb des Studios. Und dann kam eben doch alles anders, als es die Prognostiker prognostiziert hatten, die Skeptiker. Das Fernsehen hatte zweifellos die Zahl der Hörspielhörer dezimiert. Die lähmende Formel vom Massensog des Fernsehens war aber gleichzeitig eine Belebungsdroge.

Autor

Wichtige Impulse für eine Veränderung der Hörspiellandschaft, ein Aufbrechen ihrer Verkrustung, eine fast hastige Horspielneuentwicklung und -neubesinnung kamen dabei aus einer Mitte der sechziger Jahre einsetzenden Mediendiskussion.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Dies stand am Anfang, die nicht nur das Hörspiel, sondern auch die Kunstszene in der Bundesrepublik bestimmende Mediendiskussion. Was war denn das zentrale Argument für die Auseinandersetzung, die plötzlich einsetzte, für die Veränderung der Hörspielszene. Es war meiner Ansicht nach die Diskussion um das Stichwort "Mediengerechtigkeit". Die Forderung "Was ist Radio?" richtete sich gegen die Abhängigkeit des bisherigen Hörspiels vom Theater und der Literatur und postulierte praktisch eine Selbstverständlichkeit, nämlich, daß das Hörspiel eine akustische Gattung ist.

Autor

Für diese Diskussion bot die Einführung der Stereophonie dem Verständnis des Hörspiels als akustischer Gattung gewissermaßen technisch den Arm.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Die Stereophonie war ein echtes Signal zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Klima. Die technische Entwicklung der Stereophonie lenkte das Interesse der Hörspielautoren und Produzenten auf die Realisation des Textes im Studio und wies dem Regisseur sowie dem technischen Team eine bisher nicht dagewesene Bedeutung zu. Die Stereophonie zwang die Autoren, eine Erweiterung der akustischen Darstellungsmittel oder Darstellungsmöglichkeiten zur Kenntnis zu nehmen und eine neue Dramaturgie zu entwickeln, die zu Teilen jedenfalls, in der experimentellen Literatur antizipiert war.

Autor
Der Hinweis auf die experimentelle Literatur nennt eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Neuentwicklung des Hörspiels. Sie formuliert zugleich die Bereitschaft der Kölner Dramaturgie, von den Rundfunkanstalten bisher vernachlässigte Autoren zur Mitarbeit zu gewinnen und damit dem Hörspiel bisher verschlossene Tendenzen und Techniken zu erschließen.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Die progressiven künstlerischen Strömungen außerhalb warteten seit langem auf eine Antwort aus den dramaturgischen work shops des Radios. Die aber kam fast ausschließlich aus den elektronischen Studios der Musik. Nun endlich nahm die Hörspielkunst formale Prinzipien und Methoden auf, wie sie andere zeitgenössischen Künste bereits entwickelt hatten, wie die konkrete Poesie. Sie nahm die Methoden der experimentellen Literatur, Dokument und Collage des akustischen Undergrounds, der Popart der Mixed Media auf und alle diese, unter Schlagwortcharakter geführten Strömungen, beeinflußten auch die Hörspielszene, revolutionierten die dramaturgische Struktur.

Autor

Diese Öffnung der Kölner Dramaturgie erklärt fraglos den Autorenschub Ende der sechziger / Anfang der siebziger Jahre und unterscheidet ihn zugleich von einem früheren Autorenschub der Hörspielgeschichte Anfang der fünfziger Jahre. Dabei konnte die Kölner Dramaturgie einmal auf eigene Autoren zurückgreifen, auf Rainer Puchert, Dieter Kühn, Peter Stripp, Erasmus Schöfer, Paul Wühr, Theodor Weißenborn, die diese neue Hörspielentwicklung wesentlich mitprägten, wie spätere Preise etwa an Dieter Kühn oder Paul Wühr belegen. Zu diesem Autorenstamm der 4. Phase kamen hinzu Dieter Wellershoff, Jürgen Becker, Peter Handke, Helmut Heißenbüttel, Ferdinand Kriwet, Ror Wolf, Gerhard Rühm, Urs Widmer, dann Hans Magnus Enzensberger, Rolf Dieter Brinkmann, Gabriele Wohmann, Hubert Fichte, Michael Scharang, Hubert Wiedfeld, Gert F. Jonke, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker.

Einspielung
Der Gigant

Autor

Konnte Paul Schultes 1968 mit Klaus Mehrländer, Klaus Schöning und Traute Wach eine gut eingearbeitete Dramaturgie übernehmen, so verfügte er nach Ausscheiden von Frau Wach mit Johannes M. Kamps, der vom Saarländischen Rundfunk engagiert wurde, über ein Mitarbeiterteam, das 1972 durch die Rückkehr von Dieter Carls, 1974 durch Peter Urban und l977, nach dessen Ausscheiden, durch Wolfgang Schiffer ergänzt, über den Zeitraum von fast zehn Jahren in einer seltenen Kontinuität konstruktive Hörspielarbeit leisten konnte.

Die enge organisatorische Verbindung von Dramaturgie und Produktion, die Tatsache, daß es in der Kölner Dramaturgie praktisch keine Trennung von Schreibtisch und Studio, von Dramaturgie und Produktion gibt, sind für eine konstruktive Hörspielarbeit des Westdeutschen Rundfunks eine wesentliche Voraussetzung. Die Kölner Dramaturgie betreut heute in drei Programmen eine Hörspielbreite, die schon rein numerisch in den ARD-Anstalten keinen Vergleich findet.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Als Beispiel nun für die Erkundung außereuropäischer Radioliteratur, zum Beispiel Afrikas, Asiens und Südamerikas, sowie die Zusammenarbeit mit Autoren dieser Kontinente nebst Auftragsvergabe, kann Brasilien stehen. In Rio und Sâo Paulo habe ich zusammen mit unserem Produktionschef und Regisseur Klaus Mehrländer 1976 Seminare über Dramaturgie und Regie sowie über die Geschichte des Hörspiels veranstaltet unter lebhafter Beteiligung von zahlreichen brasilianischen Autoren und Regisseuren. 1977 nun haben wir einen ersten brasilianischen Hörspielwettbewerb ausgeschrieben, der von einer unabhängigen brasilianischen Expertenjury entschieden wurde. Das preisgekrönte Stück werden wir im Mai 1978 im Rahmen einer südamerikanischen Hörspielwoche uraufführen neben ebenfalls für den WDR geschriebenen Hörspielen aus Peru und Mexiko.

Es wäre hier auch ein jährlicher Wettbewerb der europäischen Rundfunkorganisation EBU zu erwähnen, der 1971 in Köln bei einer Zusammenkunft internationaler Hörspielexperten ins Leben gerufen wurde, an dem auch Neuseeland, Japan, Canada, Australien teilnehmen, mit dem Ziel, die Hörspielressorts der verschiedenen Organisationen bei der Konzeption eines international gemischten Spielplans zu unterstützen.

Autor

Daß eine solche Hörspielbreite in den Programmen kanalisiert bzw. richtig plaziert werden muß, und ein besonderes Maß an Verantwortlichkeit für die allgemeine Hörspielentwicklung mit sich bringt, ist offensichtlich. Die Programmstruktur der Ära Ortmann ließ sich schwerlich beibehalten.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Die Entscheidung, nun aufzumachen, praktisch die Radiokunst der Entwicklung der anderen zeitgenössischen Künsten anzunähern, stellte vor folgende Schwierigkeiten. Wo sollte man die Stücke, die zunächst nicht auf ein breites Publikumsinteresse, eine vorbereitete Hörererwartung stoßen konnten, wo sollte man diese Stücke also plazieren. Hier mußte das Programm im Hinblick auf die Hörerwartung und die Möglichkeit sondiert werden, Verständnis zu wecken und Orientierungshilfen zu liefern. Dies führte zu einer zunächst internen Programmreform in der Hörspielabteilung, das heißt, die drei Programme, erstes, zweites und drittes Hörfunkprogramm in der bisherigen Struktur waren nicht im Hinblick auf klare Gliederung der Formen und Inhalte organisiert, und so war es kein Ausweg sondern eine konstruktive Entscheidung, das dritte Programm zum Forum der Information über das Neue Hörspiel zu machen.

Autor

So kam die spätere Programmreform 1972/73 den Programmvorstellungen der Kölner Dramaturgie und ihrer Spielplankonzeption entgegen.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Die Einbettung in einen gesamtplanerischen Zusammenhang der drei verschieden strukturierten Programme, gedacht für ein verschieden interessiertes Publikum oder sich wechselnd orientierende Zielgruppen, geht zwar nicht so weit, einzelne Hörspiele auschließlich am Programmkontext zu orientieren. Es wird aber notwendig, das Umfeld mitzubeachten, auch den Sound der jeweiligen Welle, der im ersten Programm eher konventionelle Stücke nahelegt, im zweiten flott und aktuell klingt, auch brisant sein darf, und im dritten Abendprogramm wechselnde für Analyse und Diskussion interessierte Zielgruppen anspricht. Wir gehen davon aus, daß wir mit einigen Stücken eine breite Schicht erreichen, mit anderen jedoch ganz sicher nur Minderheiten, oder besser gesagt wechselnde Zielgruppen. Nicht das Gesetz der großen Zahl ist unsere Chance, so glauben wir, sondern das der gewichtigen, differenzierten Zahl. Gegenüber dem extrem aufwendigen, auf ein Massenpublikum zielenden Fernsehspiel kann das Hörspiel hier durch konsequente Berücksichtigung solcher Spezialinteressen eine echte Alternative bieten. Die ermittelten Hörerpräferenzen scheinen dies im übrigen zu bestätigen.

Autor

Lassen wir die Fragen nach dem Hörspiel für ein Mehr- oder Minderheitenprogramm für den Augenblick außer Acht, so kündigt sich das Neue Hörspiel am 23. Oktober 1968 mit Peter Handkes "Hörspiel" bereits im Titel recht programmatisch an. Wie viele Hörspiele seiner Art beschäftigt sich auch Handkes auf Anregung der Kölner Dramaturgie geschriebenes erstes Originalhörspiel, dem drei weitere folgten, mit bestimmten Aspekten der Sprache, ist es in Handkes Formulierung ein Frage-Antwort-Spiel bei einem Frage-Antwort-Vorgang. Aus dem Spiel wird Ernst. Der Befragte wird schließlich zum Schweigen gebracht.

Einspielung
Hörspiel

Autor

Hörspiele dieser Art blieben nicht von Kritik verschont. Zielte Günther Herburger mit seinem Traktat "Hörbeispiele für Blindenhunde" nicht nur auf das Neue Hörspiel, traf er vielmehr auch den Hörspielpreis der Kriegsblinden, der die Entwicklung des Neuen Hörspiels in fast jährlichen Preiszusprüchen honorierte.

Zitat

Seit einiger Zeit wird das sogenannte Neue Hörspiel berühmt, dessen Vertreter behaupten, es sei tatsächlich neuer als das alte. Doch ich fürchte, daß nur den Produzenten daran liegt, diese Verkündigung aufrechtzuerhalten, um in den Funkhäusern Daseinsberechtigung zu wahren, um Prestigebedürfnisse zu befriedigen. Denn so neu ist das Neue nicht, vielmehr jongliert es nur etwas behender mit radiophonischen Möglichkeiten, die schon lange vorhanden sind und von jedem Radiobesitzer, der an der Skala dreht, als Kurzwelleneffekt, Geräuschsalat und Sinnverzerrung [Stimmverzerrung?, R.D.] erlebt wird. Besonders die Hersteller der konkreten Poesie, die lange in die Ecke gedrängt, ein kaum hörbares Dasein fristeten, werden jetzt in dem Maße laut, wie ihnen besonders in den Dritten Programmen, also wieder nur teilweise hörbar, Platz eingeräumt wird. Ich würde sagen, ihre gesellschaftliche Relevanz entspricht genau dem Angebot an Inhalten, was sie kombinieren und montieren.

Autor

Indem die Kölner Dramaturgie auch solcher Kritik das Forum im WDR 3 zur Verfügung stellte, bewies sie ihren Hörern, daß sie das Neue Hörspiel nicht absolut nahm, daß sie es im weitesten Sinne zur Diskussion gestellt wissen wollte und daß sie es, wie wir rückblickend sagen können, als notwendige Herausforderung innerhalb eines mediengeschichtlichen Prozesses verstand, der Hörspiel und Hörer gleichermaßen zu einem Neuverständnis des Mediums führen sollte.

In den letzten Jahren, zieht heute Paul Schultes kritische Bilanz, habe sich die Diskussion über das Neue Hörspiel entkrampft und versachlicht.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Die Gefahr, das darf man ruhig sagen, wurde sehr bald hier gesehen, daß sich Publikum und Programmmacher verständnislos gegenüber stehen würden, wenn die Puristen und Theoretiker die Oberhand gewonnen hätten. So ist es aber zu keiner Zeit gewesen. Es ist einfach verfehlt, zumal für ein Massenmedium, den legitimen Unterhaltungsanspruch des Publikums zu ignorieren. Auch in der Kunst ist nichts tückischer oder tödlicher, als die Langeweile. Presse und Publikum haben diese kreative Erweiterung der Hörspielszene in den letzten Jahren teils fasziniert, teils aber auch kritisch oder gar aggressiv begleitet. Uns liegt natürlich sehr an dem Verständnis dafür, daß diese nun zurückliegende Neuorientierung nicht als Rückzug auf den Geschmack elitärer Minderheiten mißverstanden wird, sondern daß sie zwingendes Gebot war, nachdem das frühere Massenpublikum abgewandert war. Inzwischen steht fest jedenfalls, daß die Neuerungen auch die Hörfähigkeit und die Hörbereitschaft des Publikums geschärft und verändert haben. Nun wendet man sich also wieder verstärkt den inhaltlichen Konsequenzen dieser formalen Neuerungen zu und prüft ihre Effizienz, ihre nötige Breitenwirkung.

Autor

Ein wenig pauschal darf der Chronist vielleicht verallgemeinern, daß Neues Hörspiel die Phase eines historischen Prozesses bezeichnet, in dem es dem Hörspiel - nach vorne gesehen - gelang, Anschluß an die zeitgenössische Kunstszene zu finden, indem es dem Hörspiel - historisch rückblickend - gelang, sich aus Krise und Stagnation zu befreien und dabei gleichzeitig den Blick freizumachen auf Positionen, die es in seiner fünfzigjährigen Geschichte in der Pionierzeit des Hörspiels von 1924 bis 1933 schon einmal besetzt hatte. Unüberhörbar steht zu Beginn dieser Phase Helmut Heißenbüttels im März 1968 auf der Hörspieltagung in Frankfurt vorgetragenes "Horoskop des Hörspiels".

Zitat

Wenn in einer weltpolitischen Krise eine bestimmte Entscheidung erwartet wird, wenn Ergebnisse von Fußballspielen ausstehen, Nachrichten über ein Unglück erwartet werden usw., liegt die Sensation in der entscheidenden Information. Gefälle und Befriedigung sind dabei offenbar größer, wenn man sie akustisch aufnimmt. Man könnte sagen, Hörsensationen haben zwei Grenzpole. Die pure Nachricht auf der einen, die musikalische Sublimation des Sprachlichen auf der anderen Seite. Zwischen diesen Polen entfaltet sich in kontinuierlichem Übergang das Feld der variablen und frei kombinatorischen Möglichkeiten. Literarisch gesprochen: Auseinandersetzung, Kritik, Tabu-Verletzung, Schock usw. als purer Inhalt auf der einen, Laut- und Geräuschpoesie auf der anderen Seite wären die Grenzen, innerhalb derer sich ein umfassenderes und völlig frei disponierbares Hörspiel denken läßt.

Autor

Die Hörspielprogramme des Westdeutschen Rundfunks und speziell des Dritten Programms liefern sehr früh, in Spielen und Diskussionen, Belege für beide Pole.

Bereits im ersten Halbjahr 1969 kommt mit Jean Thibaudeaus "Mai 1968 in Frankreich" eine Auftragsarbeit ins Programm, die in etwa den Pol Auseinandersetzung, Kritik, Tabu-Verletzung, Schock abdeckt und Beispiel eines dokumentarischen Hörspiels ist. Die Plazierung des Hörspiels in der von Peter Faecke kommentierten Reihe "Dokumente und Collagen" macht auf die Rolle aufmerksam, die Dokument und Collage im Hörspiel jetzt spielen. Sie ist so bedeutsam, daß ein Jahr später noch eine zweite Reihe dieses Themas zusammengestellt wird, kommentiert von Heinrich Vormweg.

Schon in der Frühzeit des Hörspiels waren aktuelles Ereignis und handwerklich technisches Experimentieren, aktuelle Sensation und Hörsensation zeitweilig zusammengegangen. Die vom Westdeutschen Rundfunk unternommenen Bemühungen

um eine historische Aufarbeitung auch dieser Aspekte fanden seit 1970 in der Reihe "Versuch einer Geschichte und Typologie des Hörspiels in Lektionen" ihre systematische Fundierung.

Der zweite Pol dessen, was Heißenbüttel in seinem Horoskop des Hörspiels unter Hörsensation begriff, war die musikalische Sublimation des Sprachlichen. Diese musikalische Sublimation des Sprachlichen ist für Heißenbüttel Ausdruck einer Tendenz zur Grenzerkundung und Grenzüberschreitung, u. a. in Richtung auf die Musik und bezieht sich auf die materiale Voraussetzung der Sprache. Für Grenzerkundungen, Grenzüberschreitungen bietet das Neue Hörspiel bereits sehr früh instruktive Beispiele, so im Bereich des akustisch-artikulatorischen Experiments Franz Mons "bringen um zu kommen", einem Sprachspiel, für das Franz Mon 1971 der Karl-Sczuka-Preis zugesprochen wurde, mit der Begründung:

Zitat

Franz Mon ist einer der Initiatoren des Sprachspiels. Ihm ist es gelungen, wie das von der Jury ausgezeichnete Werk erneut zeigt, Sprachspiele radiophonisch überzeugend zu gestalten."

Einspielung
Wenn zum Beispiel nur einer in einem Raum ist

Autor

Mit Franz Mon wurde neben Paul Pörtner und Ferdinand Kriwet ein weiterer produktiver Hörspielmacher gewonnen. Als "Autor-Regisseur" weist sie das Programmheft 1969 aus. Von Autoren als Produzenten spricht später eine Sendereihe. Vom Komponisten als Hörspielmacher" wird man im Falle Mauricio Kagels sprechen, dessen Hörspiel "Ein Aufnahmezustand" im Dezember 1969 in WDR 3 uraufgeführt wird. Nimmt man bei Vernachlässigung weiterer Reihen und Einzelsendungen eine gewisse Vereinfachung in Kauf, wäre die Entwicklung des Neuen Hörspiels mit den Schwerpunkten der Reihen "Dokumente und Collagen", "Autoren als Hörspielmacher" , "Komponisten als Hörspielmacher" und "Originaltonhörspiele" in etwa skizziert, wobei genaues Hinhören deutlich macht, daß alle Tendenzen von Anfang an, mehr oder weniger deutlich ausgeprägt, da waren, daß seine Entwicklung sich eher als wechselnde Präferenz bestimmter Tendenzen der Grenzerkundung und Grenzüberschreitung bestimmen ließen.

Einspielung
Bergmannshörspiel

Autor

Soweit ein Ausschnitt aus Heinz Gerd Krogmanns "Bergmannshörspiel" von 1972. In Anmerkungen, die Krogmann der späteren Druckfassung voranstellt, erläutert er seine Intentionen.

Zitat

Im Bergmannshörspiel wurde der Versuch gemacht, das Thema Arbeitswelt von den Betroffenen selbst ansprechen zu lassen, und das in einer Form, in der die Sprache der Arbeiter, ihre Art zu formulieren und zu argumentieren, weitgehend erhalten blieb. Mit den Mitteln des Originaltons ist das am besten möglich. Natürlich ist dieses Stück subjektiv. Es ist manipuliert im Sinne von gehandhabt. Obwohl es einerseits naiv wäre, Originaltonaufnahmen im Rundfunk von vornherein einen höheren Grad an Wirklichkeit beimessen zu wollen als anderen Formen sprachlicher Äußerung, muß man andererseits doch feststellen, daß 0-Ton-Hörspiel kann Menschen, die sonst nicht dazu in der Lage sind, die Möglichkeit geben, ihre Vorstellung(en) zu sie bewegenden Fragen und Problemen öffentlich zu machen.

Autor

Verwirrungen und Mißverständnisse, die sich in der Diskussion um das Originaltonhörspiel zahlreich einstellten, sind leicht zu klären, wenn man "zwischen gesprochener, veröffentlichter Sprache und gesprochener, nicht veröffentlichter Sprache" unterscheidet. Im ersten Fall geht es den Autoren um kritische Analyse, Kritik, zumeist an den Medien. Im zweiten und soziologisch interessanteren Fall versuchen die Originaltonhörspiele, nicht veröffentlichte Sprache öffentlich zu machen. Nimmt man die Originaltonhörspiele alles in allem, kann man sagen, daß einigen von ihnen gelingt, was einer Reihe der Jahre 1966/67 versagt blieb: Themen der Arbeitswelt in größerer Breite und erstaunlichen Differenzierungen spielerisch darzustellen. Daß die frühere Reihe - Hörspiele aus dem Ruhrgebiet - an akutem Autorenmangel scheiterte, läßt die Vermutung zu, daß derartige Hörspiele den Betroffenen gleichsam als Mitautor brauchen, dem es gilt, das Medium als möglichen Ort der Selbstdarstellung nahezubringen. Auch hier bietet sich ein Rückblick auf die erste Phase der Kölner Dramaturgie an, in der es Ernst Hardt gelang, einen Arbeiter-Dichter zur Mitarbeit zu gewinnen und mit August Dtlppengießers Arbeitslosenhörspiel "Toter Mann" Anfang der dreißiger Jahre ein wahrscheinlich erstes Hörspiel eines Arbeiters zu produzieren.

Einspielung
Toter Mann

Autor

Vom Originaltonhörspiel, das den vom Thema Betroffenen selbst zu Wort kommen läßt, das den Betroffenen gleichsam als Mitautor einsetzt, ist es nur ein kleiner Schritt, den Konsumenten selbst als Produzenten einzusetzen. Zweierlei gilt es dabei zu überprüfen: einmal das Vorurteil, die Konsumenten seien gar nicht in der Lage, ihre Konsumhaltung zu verlassen, selbst als Produzenten aktiv zu werden. Hier hatte übrigens schon Walter Benjamin Anfang der 30er Jahre, wenn auch mit anderen Vorgaben, versucht, den Hörer als Spieler zu aktivieren, was hier wenigstens im Vorbeigehen angemerkt sei. Zweitens die Möglichkeiten, den Hörer als Hörspielmacher am Programm zu beteiligen. Es ist dies zugleich der Schritt vom Hörspiel in der Diskussion zu einem Hörspiel, das aus der Diskussion der Beteiligten entsteht.

Im Juni 1971 schon konnte mit "Argumente gegen die Veränderung" ein erstes, 1972 mit "Olympia-Spiele" ein zweites Hörer-Hörspiel gesendet werden, Spiele, die nicht nur den beteiligten Hörern Spaß machten, sondern auch in der Öffentlichkeit als interessante Experimente gewertet wurden, unter anderem durch "Bild und Funk". Mit dem Originaltonhörspiel war - um Wystan Hugh Auden zu paraphrasieren - die Landnahme des neuen Hörspiels weitgehend abgeschlossen, galt es jetzt, das gewonnene Terrain zu bestellen.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Man wendet sich wieder den inhaltlichen Konsequenzen dieser formalen Neuerung zu und prüft ihre Effizienz, ihre nötige Breitenwirkung.

Autor

Eine Folge dieser 'Prüfungen' waren Reihen im zweiten Programm wie "Jugendliche im Konflikt", "Geschäfte mit Träumen" und "Arbeitskräfte". Von dieser Zuwendung und Überprüfung profitierten nicht nur die Hörspielproduktionen aller drei Programme, ihnen entspricht auch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, ihnen scheint eine Feed back-Reihe "Was haben wir gehört?" ihre Existenz mitzuverdanken, eine Reihe, in der nicht Berufskritiker und Hörspielexperten das Wort hatten, sondern Hörer,

Zitat

die ihre Eindrücke im Nacherzählen und Rollenspiel artikulieren. Eine Fortsetzung der 0-Ton-Arbeit, in der betroffene Hörer auf das Angebot der Medien, speziell des Hörspiels, reagieren, in einer Sprache, die der vieler Hörer entspricht.

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Von der Hinwendung zu inhaltlichen Konsequenzen, von der Überprüfung nötiger Breitenwirkung spricht vor allem eine seit 1975 ins Programm genommene Darstellung wichtiger Hörspielgenres, des Science Fiction-Hörspiels, des Kriminalhörspiels, des Kinderhörspiels, der Familienserie, des Dialekthörspiels. Sie werden untersucht auf ihre Entstehung, ihre Funktion innerhalb des Programms und für die Hörer, auf ihre Verbindung zur Literatur und anderen Medien, besonders im Falle von Science Fiction, Krimi und Familienserie unter dem Aspekt ihrer voreiligen Abqualifizierung als Trivialliteratur. Dabei lassen sich verblüffende Wechselwirkungen erkennen, deuten sich im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Unterhaltung Verschiebungen an, die die Hörspiellandschaft in vieler Hinsicht lebendig halten. So resümiert Jochen Schütt in seiner Darstellung des Dialekt-Hörspiels:

Zitat

Die Tradition der Dialekt-Literatur als Heimatdichtung, wie sie durch Fernsehsendungen des Komödienstadl, der Millowitsch-Bühne oder des Ohnsorg-Theaters repräsentiert wird, ist nicht abgerissen und wird auch in Zukunft kaum abreißen. Sie erfüllt bestimmte Bedürfnisse, aber sie hat mit der sozialen Wirklichkeit der dialekt-sprechenden Menschen wenig zu tun. Die neue Tradition, die sich seit knapp einem Jahrzehnt im Dialekt-Hörspiel andeutet, versucht dagegen gerade diese soziale Wirklichkeit in den Blick zu bekommen, sie ungeschminkt und detailgenau widerzugeben und zur Auseinandersetzung mit ihr anzuregen.

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Daß Autoren wie Paul Pörtner oder Dieter Kühn auch das rheinische Hörspiel beliefern, dabei die Hörspiele Kühns ins Bayerische übersetzt auch im Bayerischen Rundfunk gesendet werden, scheint hier symptomatisch. Ebenso, daß Karl Otto Mühls in den letzten Jahren auf vielen Bühnen erfolgreiche "Rheinpromenade" zunächst als rheinisches Hörspiel gesendet wurde.

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Rheinpromenade

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Nicht nur die genannten Beispiele lassen fragen, ob einer Trennung von allgemeiner, die Hörspiele in Hochsprache betreuender Redaktion und einer Mundart-Redaktion eigentlich noch sinnvoll ist, wenn die eine neben dem Anspruch die Unterhaltung, die andere neben der Unterhaltung den Anspruch in ihr Programm einschließen. Dazu noch einmal Jochen Schütt:

Zitat:

Ohnehin sind ja Kriterien wie ernst und heiter und dialektal und hochsprachlich sekundär. Ein Hörspiel ist zunächst einmal ein Hörspiel und die vielen unterschiedlichen Hörspielgenres können einander nur dann befruchten, wenn die organisatorischen Bedingungen, unter denen sie entstehen, dem nicht entgegenwirken.

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Im WDR hat man bereits in den vergangenen Jahren aus solchen Überlegungen die Konsequenz gezogen, auch die Mundart-Hörspiele stärker in die Verantwortung der gesamten Hörspieldramaturgie einzubinden.

Ähnliche Entwicklungen wie beim Dialekt-Hörspiel zeichnen sich auch beim Krimi ab. Auch hier ist inzwischen der Bogen weit gespannt von Krimis in der Art der erfolgreichen Paul Temple-Serie, die auch für die Zukunft' sicherlich in den Programmen ihren Stellenwert behalten werden, bis zu Bearbeitung von Vorlagen, der sogenannten bard-boiled-Schule, wurde von Chandler im letzten Jahrzehnt die soziale Wirklichkeit ins Spiel gebracht, in sogenannten Social-Krimis, für die unter anderem die Hörspiele des Anonymus -ky stehen.

Einspielung
(eines Beispiels nach Wahl)

Am verblüffendsten waren Wechselwirkungen und Verschiebungen für den Außenstehenden wohl im Falle des Science Fictions-Hörspiels, einem Genre, von dem Stanislaw Lem meinte, es stamme "aus dem Bordell und möchte in die Paläste einbrechen". Ist es auf der einen Seite kaum möglich, trotz eines Wettbewerbs genügend Hörspiele dieses Genres zu erhalten, versuchen auf der anderen Seite seit der Mitte der siebziger Jahre Autoren immer wieder, von der populären Science Fiction zu profitieren, und hatten damit sogar Erfolg, wie das 1976 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnete Hörspiel Walter Adlers "Centropolis" beweist. In der Begründung der Jury heißt es u. a.:

Zitat

Walter Adler, der bei seinem Hörspiel auch als Regisseur die Kunstkopftechnik meisterlich nutzt, geht zwar von einem nicht seltenen Ansatzpunkt der Science Fiction aus, macht daraus aber anderes und mehr als das Übliche. "Centropolis" demonstriert, daß Spannung und Unterhaltsamkeit noch und wieder ohne Preisgabe von Qualitäten möglich sind.

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Centropolis

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Nach früheren vereinzelten, hier nicht zu diskutierenden Spielversuchen mit der Science Fiction bei Günter Eich und Friedrich Dürrenmatt, gehört der Autor von "Centropolis" zu einer Gruppe jüngerer Autoren, die Anfang/Mitte der siebziger Jahre zum Hörspiel stießen, dabei das durch das Neue Hörspiel erweiterte Terrain zu nutzen wußten und versuchten, einer wiedergewonnenen offenen Form des Hörspiels neue inhaltliche Impulse zu geben, wobei sie gern als trivial abqualifizierte Genres aufgriffen, was fraglos einen Gewinn an Spielbarkeit und Popularität einarachte. Was hier zu Adler gesagt wurde, gilt auch für Hubert Wiedfeld, der 1972 mit seinem gesellschaftskritisch ambionierten Hörspiel "Crueland" den international renommiertesten Hörspielpreis, den Prix Italia zum ersten Mal für einen deutschen Autor an den Westdeutschen Rundfunk holte. Die Regie hatte Klaus Mehrländer.

Das Hörspiel "Crueland" beschreibt unter Verzicht auf chronologische Abläufe die Flucht eines Epileptikers vor seiner Umwelt, doch aus "Crueland" kann er nicht entfliehen. Es wird nach ihm gesucht; die Suche entwickelt sich zu einer Treibjagd; man schießt auf ihn; die Treibjagd endet unter explodierenden Granaten auf einem Militärschießplatz. "Crueland" trauert, "Crueland" bedauert, "Crueland" geht zur Tagesordnung über.

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Crueland

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Mit Uwe Friesel und Margaret Jehn zeichnete Hubert Wiedfeld seit 1974 als Mitautor für eine Sendereihe, die wiederum exemplarisch im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Unterhaltung das bewährte und auf seinen Unterhaltungswert erprobte Muster der Familienserie benutzte. Daß diese Familiensene "Wernicke", eine Gemeinschaftsproduktion von NDR und WDR, sich einer erstaunlichen Beliebtheit erfreute, läßt auf ein anspruchsvoller und kritisch gewordeneres Hörerpublikum schließen. Dazu "Bild und Funk":

Zitat

Wer Radio hört, kennt auch die Familie Wernicke. Seit einiger Zeit zählt sie zu den guten Bekannten vieler Hörer in Nord und West. Dabei existiert diese Familie in Wirklichkeit gar nicht, aber die Sendereihe ist so angelegt, daß es sie wirklich geben könnte. Die Familie der Hörfunkphantasie hat die gleichen Probleme, mit denen so viele Familien in der Alltagswirklichkeit fertig werden müssen.

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Familie Wernicke

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Die Hörspiele Mitte der siebziger Jahre nutzen die durch die Neubesinnung des Hörspiels aufgebrochenen Formen, eine dadurch dem Hörspiel wiedergewonnene Spielvielfalt auf ihre Weise im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Unterhaltung, zwischen Kulturauftrag und Unterhaltungsfunktion des Rundfunks.

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Radioball

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Die Vergabe des Karl Sczuka-Preises 1976 an Kriwets "Radioball" und 1977 an Gerhard Rühms "Wintermärchen" bestätigen radiophone Qualität und Entwicklungsfähigkeit des Neuen Hörspiels. Die Tatsache, daß sich in der Endausscheidung des diesjährigen Karl-Sczuka-Preises ausschließlich WDR-Hörspiele befanden, veranlaßte die "Süddeutsche Zeitung" zu der Frage:

Zitat

Die Jury zog schließlich Stücke in die engere Wahl, die allesamt vom Westdeutschen Rundfunk kamen. Wird allein nur in dessen Hörspielabteilung reflektiert, was in den letzten anderthalb Jahrzehnten an Veränderndem entdeckt und ausprobiert worden ist?

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International anerkannt wurde die langjährige Hörspielarbeit der WDR-Dramaturgie auch durch die Vergabe des Prix RAI an Mauricio Kagel für die "Umkehrung Amerikas". Die Preisbegründung wies nachdrücklich auf die wegweisende Bedeutung dieses Werkes hin.

Einspielung
Die Umkehrung Amerikas

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Heißenbüttels "Horoskop" hat sich, so scheint es, nicht bestätigt in seiner strikten Trennung zwischen Hörspiel mit literarischem Anspruch und nur unterhaltendem Hörspiel, wie die Stücke Hubert Wiedfelds, Walter Adlers und anderer belegen könnten, die in der Aufnahme trivialer Genres gezielt die Spannung und nicht den Widerspruch zwischen Unterhaltung und Anspruch nutzen. Und nimmt man das Programmangebot der letzten Jahre, ein Programmangebot, das etwa von Mauricio Kagels "Die Umkehrung Amerikas" über Walter Adlers "Centropolis" bis hin zum handfesten "Krimi am Samstag" reicht, dann läßt sich auch eine weitere These Helmut Heißenbüttels kaum noch aufrecht erhalten:

Zitat

Je weiter sich diese Versuche in einen improvisatorischen oder musikalisch-artikulatorischen Bereich vorarbeiten, umso sicherer wird das Hörspiel, mit dem ein bestimmter Programmteil immer noch gefüllt werden muß, ins illusionärische Spiel zurückfallen.

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Ein weites Reservoir inniger, herzbewegender oder heimwehfreudiger Literaturbetätigung?

Viel eher möchte man von einem allgemeinen Bedürfnis der Hörer nach realistischer Darstellung sprechen, das in den letzten Jahren noch zugenommen hat. So stellte sich für Heinrich Vormweg im März dieses Jahres bei dem Versuch eines Resümees zur Hörspielsituation auch nicht die Frage: "Rückfall ins illusionäre Spiel?" Sie lautete vielmehr: "Realismus oder Realistik?"

Zitat

Es gibt im Grunde genommen keinen Unterschied zwischen Realisten und Formalisten. Es gibt nur Unterschiede in der Intensität, Genauigkeit, Sachlichkeit, Vielseitigkeit der zu erkundenden Konfrontation mit der Realität. Gerade auch innerhalb der Realistik ist die Konzentration auf Herausarbeitung und Erprobung literarischer Methoden, Techniken, Verfahrensweisen legitim. Was zum Beispiel die experimentelle Literatur hier in den letzten beiden Jahrzehnten entdeckt hat, und zwar in teilweise nahezu weltabgewandter Beschäftigung mit Methoden und Formen, das hat die Auffassungen von Wirklichkeit verändert und bleibt für jede wirklich realistische Literatur von Bedeutung, obwohl es manchmal so aussah, war da nichts Selbstzweck.

Einspielung Gespräch Schultes / Döhl

Döhl: Herr Schultes, zum Abschluß unseres Gespräches noch ein paar Fragen zur Zukunft oder zur Gegenwart des Hörspiels. Ein wichtiger Aspekt ist ja, wenn man ein großes Programm beliefern und bedienen muß, die Frage der Hörerforschung.

Schultes: Natürlich, die ist wichtig, gerade hinsichtlich der Zielgruppen und der Termine ist es notwendig, mehr über unsere Hörerschaft zu erfahren; über ihre unterschiedlichen Verhaltensweisen, schon um schließen zu können, ob das Angebot richtig plaziert ist. Nicht asynchron etwa zu den Lebensgewohnheiten der Mehrheit unserer Hörer, zu ihren Wünschen. Ist der Nachmittag zum Beispiel, der Morgen oder der Abend, den ja manche nach wie vor für ein Ghetto halten, die bessere Sendezeit. Für welches Genre ist er die bessere Sendezeit? Hörerforschung ist also wichtig und eine Voraussetzung für eine sinnvolle Programmgestaltung.

Döhl: Wie soll denn diese Programmgestaltung in der Zukunft aussehen? Sie ist ja, so könnte man vielleicht sagen, doch fürs erste bereits vorbestimmt dadurch, daß jetzt in Zukunft Unterhaltung und Hörspiel zu einer Programmeinheit zusammengehen, und ich würde sogar sagen, daß damit in der Geschichte der Kölner Dramaturgie etwas zusammenkommt, was eigentlich, wie wir ja gesehen haben, immer schon zusammen da war: Unterhaltung auf der einen Seite und Anspruch auf der anderen Seite.

Schultes: Ja, ich halte es auch für eine durchaus glückliche Fusion. Nach wie vor aber bleibt die Hörspielabteilung für das gesamte Gebiet der dramatischen Sendungen verantwortlich, da ändert sich nichts. Aber auch die Unterhaltungsabteilung, müssen wir bedenken, hat ein differenziertes Spektrum an künstlerischen Spiel- unter Unterhaltungsformen entwickelt, vom Sketch zum Beispiel bis zur Nonsens-Collage. Sie wissen, daß in anderen Ressorts anderer Anstalten zum Beispiel der Krimi und der Schwank und Musicals zum Beispiel schon immer zur Unterhaltungsabteilung gehört haben.

Döhl: Nun haben wir den Krimi und den Schwank zum Beispiel schon drin im Dialekt-Hörspiel oder in den Krimireihen, und trotzdem könnte ich mir vorstellen, daß diese zukünftige Entwicklung ganz bestimmte Hörspieltypen noch besonders fördern wird, die versuchsweise sogar schon Anfang der siebziger Jahre hier inszeniert wurden.

Schultes: Ja, durch die Neuorganisation glauben wir, ist es möglich, Programmlücken zu schließen, die aus Abgrenzungsgründen vielleicht ein wenig vernachlässigt worden sind in der Vergangenheit.

Döhl: Ich dachte jetzt an so bestimmte Hörspieltypen wie Kurzhörspiele oder Hörspots, die ja dann eine ganz besondere Funktion haben könnten.

Schultes: Ja, natürlich, die Kurzhörspiele sind wichtig und viele Hörspielabteilungen, nicht nur die unsere, sehen hier eine Chance für eine interessante Auflockerung des Tagesprogramms.

Döhl: Nun würde das ja alles heißen, daß wir im Grunde genommen nicht weiterkommen wie zu der bisherigen offenen Form, offenen Spielbreite, Spielvielfalt, Entspannungsfeld zwischen Kulturauftrag und Unterhaltungsfunktion, zwischen qualitativer Unterhaltung und gesellschaftlichem Anspruch. Die Zukunft ist eine Frage und ich möchte eigentlich, bevor wir das Mikrofon zumachen, dies auch als Frage belassen, nämlich als Frage nach der Zukunft des Hörspiels.

Schultes: Wohin die Reise geht, das läßt sich mit Sicherheit nicht ausmachen. Die Kunstkopfexperimente zum Beispiel haben in den letzten Jahren tatsächlich eine neue Komponente ins Spiel gebracht und für die Programmatiker wird es sicher Überraschungen geben, welcher Richtung auch immer. Also eine offene Dramaturgie, offen für alle relevanten Strömungen, ein Ja zum Risiko und experimentellen Vorstößen natürlich, aber auch ein Ja zur Aktualisierung der tradtitionellen Hörspielformen, die nach wie vor Gültigkeit besitzen.

Döhl: Also, das Mikro zu und alle Fragen offen?

WDR III, 26.12.1977