Dr. Klemens Klemmer, Alfeld/Leine | Jüdischer Baumeister aus dem Südwesten

Abstract: "In welchem Style sollen wir bauen? Erinnern, Aufmerksamkeit und Bedeutung - die drei Ebenen der Baukunst."
Die europäische Architekturgeschichtsschreibung hat - abgesehen von ganz, ganz wenigen Publikationen - bis heute fast ausschließlich die christlichen Sakral- und Profanbauten behandelt. Dabei ist immer ausgeblendet worden, daß es gerade die deutschsprachigen Architekten jüdischen Glaubens waren, die nicht nur im 19. und 20. Jahrhundert bloß bauten, - denn erst nach der französischen Revolution durften ja jüdische Menschen überhaupt ihre eigenen Wohn-, Geschäftshäuser und Synagogen selbst planen und bauen -, sondern sie waren es, die als Architekturhistoriker und Architekturtheoretiker arbeiteten und zahlreiche Publikationen veröffentlichten sowie die zeitgenössischen Architekturzeitschriften maßgeblich mitgestalteten. Gleichsam wie der Architekt und Weinbrenner-Schüler Heinrich Hübsch (1795-1863) fragten sich die deutschen Architekten jüdischen Glaubens und natürlich die jüdischen Gemeinden am Beginn des 19. Jahrhunderts: "in welchem Style sollen wir bauen?" Übrigens ein Diskurs, der in Südwestdeutschland geführt wurde und heute wieder in den erblühenden jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland geführt wird. Dabei sind sich die hiesigen jüdischen Gemeinden ganz bewußt, daß die Baukunst über drei Bedeutungsebenen verfügt: 1. will jedes Bauwerk an etwas erinnern und bleibt deshalb stets retrospektiv; 2. will jedes Bauwerk Augenmerk und Aufmerksamkeit auf sich ziehen, was über den Begriff der Zeugenschaft, für den sich leider das strapazierte Wort Denkmal eingeschlichen hat, weit hinaus geht; 3. hat jede ernstzunehmende Baukunst - abgesehen von den massenmedialen Kommerzbauten - das Ziel, das Symbolische und das Bedeutende zum Ausdruck zu bringen, wobei die Baukunst die Kunst der Proportion war und bleibt.

Der Referent: Diplom-Ingenieur Dr.-Ing. Klemens Klemmer, geb. 1956 in Hürth-Hermülheim (Landeskreis Köln); Studium der Architektur an der Technischen Universität Berlin. Dort Diplom und Promotion. Tätigkeit als freier Architekt, Architekturtheoretiker, -historiker, -kritiker und -schriftsteller: unter anderem für die Neue Züricher Zeitung, Menora, Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, das Münster etc. tätig. Vorträge, Ausstellungen und Publikationen. Zuletzt: Jüdische Baumeister in Deutschland. Architektur vor der Shoah. Stuttgart 1998. Von 1997 bis 1998 Planung, Bau und Innenraumgestaltung eines eigenen Wohnhauses nach den Gesetzen der Proportion und gleichzeitig Anlage eines architektonischen Gartens - nicht nur, um die Behaglichkeit wiederzugewinnen, sondern um einen Wohn-Ort zu schaffen, in dem man sich außen- wie innerräumlich zu Hause fühlen kann, denn modern ist kein Stil, sondern das, was uns mehr Freiheit gibt.