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Reinhard Döhl | Wolfgang Ehehalts Masken

Wenn man den vorweihnachtlichen Bazar außer acht läßt, eröffnet die heutige Ausstellung von Wolfgang Ehehalts "Masken" die neuen Galerieräume Folkmar von Kolczynskis. Und das aus gutem Grund, denn

1. ist Wolfgang Ehehalt ein Künstler der Galerie, ist seine heutige Ausstellung eine Präsentation von Arbeiten neueren Datums.
2. verbinden sich die "Masken" dieser Ausstellung mit einer gemeinsamen Afrikareise, dem Interesse des Galeristen an Volkskunst aus Asien, Australien und eben Afrika. Daß und wieweit Ehehalts heute und hier zu besichtigenden Arbeiten dennoch
3. keine Annäherung des Künstlers an Volkskunst sind, allenfalls ein überdies typischer Ehehaltscher Reflex, werde ich zu erörtern haben.

Ich beginne mit dem Titel der Ausstellung - "Masken". Es ist dies ein Titel, der eine Reihe von Assoziationen abruft. Der Jahreszeit entsprechend mag man an Karneval denken, bei dem der Maskenball ja eine gewichtige Rolle spielt. Denken mag man auch an die schwäbische Fasnet und ihre Masken. Wer je in Italien war, hat sich aus Venedig sicherlich eine der dortigen Masken als Souvenir mitgebracht, erinnert sich als Romreisender vielleicht auch an die Schütz'schen Radierungen zu Goethes "Das Römische Karneval". Maskerade und Mummenschanz ließe sich dieses erste Assoziationsfeld am zutreffendsten überschreiben.

Ein zweites Assoziationsfeld tut sich im Umfeld des Theaters auf, bei dem zwischen Schminkmaske und abnehmbarer plastischer Maske unterschieden wird. Beide lassen sich bis zu den Ursprüngen des Dramas zurückverfolgen: bis zur Bleiweiß-Maske des Mimus die erstere, bis zu den harmonischen Masken der Tragödie, den verzerrten Masken der Komödie und den tierähnlichen Masken des Satyrspiels die zweite. Ich muß das hier nicht weiter ausführen, möchte aber ein interessantes historisches Detail erwähnen, daß nämlich die Römer, die das Theater von den Griechen übernahmen, den Schauspielern zunächst das Tragen von Masken verboten hatten. Der Grund: die Schauspieler waren Unfreie/Sklaven. Und für die galt ein Vermummnungsverbot. Nur wenn freie Bürger spielten, waren Masken zugelassen.

In der Kulturgeschichte der Maske, Kapitel Theater, wären nach der Antike noch die vier Maskentypen der italienischen Commedia dell'arte zu nennen. Danach hatte - abgesehen von ausdrücklichen Maskenspielen, -balletten und -pantomimen an den Renaissance- und Barockhöfen - die abnehmbare plastische Maske im Theater ausgespielt, sieht man von wenigen Versuchen ab, sie zu reaktivieren. Goethe hat hier experimentiert; im 20. Jahrhundert Regisseure wie Sellner und Barrault. Aber ihnen ging es, bei historischen Stücken wie dem "Oedipus", um historisierende Realisation. Versuche, die abnehmbare plastische Maske wieder produktiv zu machen, gibt es vereinzelt erst im 20. Jahrhundert bei Brecht ("Der kaukasische Kreidekreis") oder Genet ("Les Nègres") oder auf kleinen Experimentierbühnen. In einigen Fällen lassen sich dabei Anregungen des asiatischen Theaters, spez. des japanischen Nô-Spiels nachweisen, in dem Schmink- und plastische Masken bis heute wichtige Requisiten sind.

Wichtig ist - und das führt mich zugleich zu einem dritten Assoziationsfeld -, daß sich diese Schmink- und vor allem abnehmbaren plastischen Masken auf rituelle, magisch-kultische Wurzeln zurückführen lassen. Die attische Tragödie z.B. - um zunächst im abendländischen Bereich zu bleiben - auf den Dionysos-Kult, auf Identifikationsriten, totemistische Vorstellungen, das Herausheben des (mythischen) Geschehens aus dem Bereich des Alltäglichen.

Dies aber gilt ebenso - bei jeweils anderen kultischen Voraussetzungen - für die Masken der sogenannten Primitivkulturen, für die sich der Ethnologe interessiert und für die der interessierte Laie z.B. im Lindenmuseum fündig werden kann.

Neben den bisher genannten Masken, deren jede einen Sinn macht, gibt es - für die heutige Ausstellung ebenfalls von Interesse - noch eine vierte Gruppe von Masken, die für einen bestimmten Zweck getragen werden, z.B. die Atemmaske, die Schutzmaske, die Gasmaske.

Mein Exkurs in die Maskenvielfalt war notwendig, um die zahlreichen Bezugsmöglichkeiten der ausgestellten Exponate wenigsten anzudeuten, denn Wolfgang Ehehalts "Masken" lassen sich mit allen genannten Aspekten in Verbindung setzen, wenn auch auf eine sehr eigene, eben die Ehehaltsche Weise.

Anstoß zu der umfangreichen "Masken"produktion Ehehalts hat sicherlich die genannte Afrikareise gegeben. Aber die ausgestellten "Masken" sind nicht die ersten in Ehehalts Oeuvre. Vereinzelt begegen Masken bereits zu Beginn der 70er Jahre, dann im Kontext der sogenannten "Hüllen", doch bilden sie noch keine eigenständige Werkgruppe aus. Dies geschieht in der Tat erst in Folge der Afrikareise, und zwar nicht direkt - hier gehen ihnen erst einige großformatige Bilder voran - sondern nach einer längeren Inkubationszeit.

Geht man flüchtig durch die Ausstellung, stellen sich durchaus ethnologische Erinnerungen ein, fühlt man sich an chinesische Dämonenmasken, Indianermasken und Totems und natürlich an afrikanische Masken und Volkskunst erinnert. Aber dieser erste Eindruck täuscht. Wolfgang Ehehalt spielt nur mit ihm. Denn sieht man genauer hin, erweist sich, daß alle ausgestellen "Masken" aus Zivilisationsmüll und -schrott zusammengesetzt sind.

Es ist bezeichnend, daß mir Wolfgang Ehehalt bei einer gemeinsamen Besichtigung seiner neuen Arbeiten in jedem Fall ausführlich die Bestandteile aufzählte, aus denen er die "Maske" zusammengefügt hatte: die unterschiedlichen Eimer und Behältnisse, Korbwaren, Bügeleisen, Spielzeuge, Haushaltsgegenstände, Handfeger und Kehrbleche, Pinsel und Atelierrequisiten, ja sogar die roten und gelben Plastiknetze, in denen man Zwiebeln, Kartoffeln, Apfelsinen und anderes vom Markte heimträgt. Letztere spielen z.B. bei der auf der Einladungskarte abgebildeten Maske eine besondere Rolle. Offenbar legte Wolfgang Ehehalt Wert darauf, daß ich die Banalität seiner Materialien erkannte, die in den "Masken" ja immer noch als Zitat gegenwärtig ist.
In einer Zivilisation, die sich zunehmend über den Anspruch des Machbaren definiert, sind die Gegenstände des täglichen Gebrauchs, wenn sie defekt sind, wertlos, weil unbrauchbar. Erfüllen sie ihren Zweck nicht mehr, können sie weggeworfen werden. Wenn Ehehalt sie aber aufhebt, zu Kunstwerken verarbeitet, bekommen sie, was ihnen zunächst nicht zugewiesen war, einen ästhetischen Sinn, der ihre ursprüngliche Zweckbestimmtheit unterläuft und konterkariert.

Das erinnert von ferne an eine der ursprünglichen Funktionen der Maske: das Herausheben des (mythischen) Geschehens aus dem Bereich des Alltäglichen. Nur: die Zeit des Mythos ist unwiderbringlich dahin. An seine Stelle sind die trivialen Mythen einer anthropozentrischen Welt, die Trivialmythen der Wegwerfgesellschaft getreten. Die Riten und Totems dieser Gesellschaft sind banal. Jeder Gang ins Lindenmuseum, jeder Blick in die Kulturgeschichte zeigen uns den Verlust: Be happy and pay the deficit!

Von hier aus ließe sich auch ein erster Sinn der Ehehaltschen "Masken" fassen. Gemessen am ursprünglichen Zweck ihrer Materialien sind sie unbrauchbar. Gemessen am ursprüngliche Sinn der Maske deuten sie, negativ, einen Verlust an, stellen sie, positiv, einer zweckorientierten Zivilisation die Forderung nach Sinn entgegen, in einer Poesie des Banalen.

Dieser eingeforderte Sinn ist keine ausformulierte Botschaft. Das wäre nicht möglich. Er besteht vielmehr in einem Spielangebot. Und dieses Spielangebot bringt Wolfgang Ehehalts "Masken" in einen Zusammenhang mit dadaistischen Aktivitäten und damit in eine von mir bisher noch nicht genannte moderne künstlerische Tradition.

Die Zürcher Dadaisten arbeiteten in ihrem berühmten "Cabaret Voltaire" nämlich ebenfalls mit Masken. Janco, berichtet Ball in seinem Tagebuch unter dem Datum des 24.5.1916, hat für die neue Soirée eine Anzahl Masken gemacht [...]. Sie erinnern an das japanische und altgriechische Theater und sind doch völlig modern. Für die Fernwirkung berechnet, tun sie in dem verhältnismäßig kleinen Kabarettraum eine unerhörte Wirkung.

Und an anderer Stelle: Da die Zeit wie keine vorher auf die Vernichtung des Generösen abziele, sei dem Dadaisten jede Art Maske [...] willkommen. Was an den Masken uns allesamt fasziniert, ist, daß sie nicht menschliche, sondern überlebensgroße Charaktere und Leidenschaften verkörpern. Das Grauen dieser Zeit, der paralysierende Hintergrund der Dinge ist sichtbar gemacht.

Schließlich ist Ball sogar überzeugt, daß die Werke der Künstler stärkste Verwandtschaft [...] noch mit den Angstmasken der primitiven Urvölker und den Pest- und Schreckensmasken der Peruaner, Australier und Neger haben.

Das ist das eine, was die Masken der Dadaisten für die heutige Ausstellung interessant macht. Ein zweites ist die unmittelbare Wirkung, die sie auf die Künstler selbst ausübten, eine Wirkung, der auch ich mich beim ersten Besichtigen der Ehehaltschen "Masken" kaum entziehen konnte.

Wir waren, zitiere ich jetzt wieder Balls Tagebuch, alle zugegen, als Janco mit seinen Masken ankam und jeder band sich sogleich eine um. Da geschah etwas Seltsames. Die Maske verlangte nicht nur sofort nach einem Kostüm, sie diktierte auch einen ganz bestimmten pathetischen, ja an Irrsinn streifenden Gestus. Ohne es fünf Minuten vorher auch nur geahnt zu haben, bewegten wir uns in den absonderlichsten Figuren, drapiert und behängt mit unmöglichen Gegenständen, einer den anderen in Einfällen überbietend. Die motorische Gewalt dieser Masken teilte sich uns in frappierender Unwiderstehlichkeit mit. Wir waren mit einem Male darüber belehrt, worin die Bedeutung einer solchen Larve für die Mimik, für das Theater bestand. Die Masken verlangten einfach, daß ihre Träger sich zu einem tragisch-absurden Tanz in Bewegung setzten.

Wer will, mag dies und anderes mehr bei Hugo Ball nachlesen. Mich interessiert abschließend noch der Ort, den die "Masken" Wolfgang Ehehalts in dieser Tradition einnehmen.

1. Sie sind nicht, wie die Masken Jancos, unmittelbar aus Pappe geschnitten, bemalt und beklebt, sondern mittelbar aus Zivilationsschrott montiert. Insofern halten sie zunächst der Zivilisation einen ästhetischen Zerrspiegel vor. Dabei belehren sie
2. weniger, worin die Bedeutung einer solchen Larve für die Mimik, das Theater bestand. Sie wären in unseren suventionierten Theaters kaum vorstellbar, wohl aber
3. als Tänze und Spiele, die unsere Zivilisation, ins Groteske verzerrt, widerspiegeln könnten, als ästhetisches Spiel und tragisch-absurder Mummenschanz. Es wären dies
4. Tänze und Spiele, deren Choreographie und Musik erst gefun- den werden müßten, provoziert von Ehehalts "Masken", so wie Marcel Jancos Masken die Dadaisten zu Erfindungen provozierten.

Daß solche Provokationen auch von Wolfgang Ehehalts "Masken" ausgehen und zu welchen Resultaten dies z.B. führen kann, belegen einige in diese Ausstellung integrierte Fotos. Auch ich hatte ursprünglich geplant, die Galerie hier und jetzt in einen Spielplatz zu verwandeln. Aber dann kam Verschiedenes dazwischen, so daß jetzt nur die Möglichkeit bleibt, mit einigen der Masken einen derart grotesken Tanz zu improvisieren und damit die Ausstellung zu eröffnen.

[Stuttgart: Galerie Folkmar von Kolczynski, 14.1.1995]

Ein Maskenspiel