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Reinhard Döhl | Meeresrauschen und Alpenglühn

Anläßlich der ersten Ausstellung von Caspar David Friedrichs berühmtem romantischen Gemälde "Der Mönch am Meer" hat Clemens Brentano nicht ohne Ironie Gespräche des Vernissage-Publikums aufgezeichnet, aus denen ich einleitend zitiere:

[Eine Dame und ein Herr, welcher vielleicht sehr geistreich war, traten auf; Die Dame sah in ihr Verzeichnis und sprach:]
DAME: Nummer zwei: Landschaft in Öl. Wie gefällt sie Ihnen?
HERR: Unendlich tief und erhaben.
DAME: Sie meinen die See, ja die muß erstaunlich tief sein, und der Kapuziner ist auch sehr erhaben.
HERR: Nein, Frau Kriegsrat, ich meine die Empfindungen des einzigen Friedrichs bei diesem Bilde.
DAME: Ist er schon so alt, daß er es auch gesehen?
HERR: Ach, Sie mißverstehen mich, ich rede von dem Maler Friedrich; Ossian schlägt auf diesem Bilde die Harfe. (Ab)
[Zwei junge Damen]
ERSTE DAME: Hast Du gehört, Louise? das ist Ossian.
ZWEITE DAME: Ach nein, Du mißverstehst ihn, es ist der Ozean.
ERSTE DAME: Er sagte aber, er schlüge die Harfe.
ZWEITE DAME: Ich sehe aber keine Harfe. Es ist doch recht graulich anzusehen. (Ab)
[Zwei Kunstsachverständige]
ERSTER: Ja wohl, graulich, es ist alles ganz grau; wie der nur solche trockene Dinge malen will.
ZWEITER: Sie wollen lieber sagen, wie er so nasse Dinge so trocken malen will.
ERSTER: Er wird wohl so gut malen, als er kann. (Ab)
Derartige Mißverständnisse muß Wolfgang Ehehalt angesichts seiner Arbeiten kaum befürchten. Sie sind, verglichen mit romantischer Erhabenheit und Weltsicht, durchaus handfest und unmißverständlich in ihren Anspielungen. Da schwimmen - um im Vergleich zu bleiben - in "Meeresrauschen" neben einem lebenden auch, den Bauch nach oben, zwei tote Fische herum. Ferner ein Pinsel, ein Stück Holz, läuft rechts im Hintergrund Öl aus einem brennenden Tanker, während eine einsame Möve Anstalten macht, den Bildraum nach links zu verlassen. All dies unter Zuhilfenahme von Lack wie ein Hochglanzprospekt geschönt. Dabei konterkariert das listig eingeschmuggelte Logo des Dualen Systems jegliches romantische Mißverständnis, das der ausdrücklich ins Bild eingeschriebene Titel "Meeresrauschen" vielleicht hervorrufen könnte.

Mit dem "Meeresrauschen" auch kompositorisch ein Diptychon bildet das "Alpenglühen". An die Stelle der Möve tritt in seinem Falle ein Adler. Den Fischen dort entspricht der röhrende Hirsch hier. Er ist zugleich Zitat trivialer Ikonographie. Ebenso wie Eichel und Eichenlaub, oder das tanzende Bauernpaar, das auf Ofenkacheln, Bierkrügen und anderen Behältnissen massenhafte Verbreitung erfuhr. Aber nur scheinbar entspricht dabei das "Alpenglühen" jenen Prospekterwartungen, die eine Ferienindustrie immer noch mit den zugehörigen Souvenir- und Musikprodukten zu schnüren nicht müde wird.

In Wirklichkeit sind, wie Ehehalts Bilder zu zeigen versuchen, das Meer längst zu einer Müllkippe, die Berge zu Müllhalden verkommen, leitet sich der Titel "Alpenglühen", den Ehehalt sogar zweimal, einmal am Rand und ein zweites Mal spiegelverkehrt in den Bildmitte eingeschrieben hat, von jenen Coca-Cola-Büchsen her, die das Gipfelglück in Form von langsam verrottenden Blechbüchsen hinterlassen hat, auf denen sich mutmaßlich auch jenes Logo des Dualen Systems befunden hat, das Ehehalt in seine Sicht des "Alpenglühens" natürlich mit eingeschmuggelt hat.

Voll ähnlicher Ironie sind alle Arbeiten der heutigen Ausstellung. In einem zweiten Diptychon - "Wie der Adler es sieht / Wie der Mensch es sieht" - treffen wir erneut auf das tanzende Bauernpaar und den Adler als Bildelemente. Sie gehören zur Ehehaltschen Ikonographie wie allgemein die Vögel, das Schwein, der Gartenzwerg, die Herzen, die Venus von Milo und vieles andere. Nun aber nicht so, daß sich Ehehalt in seinen Arbeiten ständig wiederholt. Im Gegenteil ist Ehehalts Ikonographie jeweils kontextbezogen, wie bereits ein Vergleich der beiden Diptycha zeigt. Tanzt das Bauernpaar im "Alpenglühen" stellvertretend für den sprichwörtlich lustigen Tiroler am Fuße der für den Tourismus erschlossenen Bergwelt, tanzen die Paare in Wie es der Mensch sieht im Tal ebenso wie auf der selbstfabrizierten Müllhalde. Drastischer noch formuliert Ehehalt im Falle des Adlers, der in "Wie der Adler es sieht" zum einen der über allem schwebende, von oben schauende Vögel, zum anderen aber auch, als fragmentierter Bundesadler, Teil des Müllberges ist.
Erst der Müll garantiert in Ehehalts Sicht auch die Haltbarkeit von Landschaft, eine Haltbarkeit, die sich in "Haltbare Landschaft" aus Plastiktüten zusammensetzt, denen sinniger Weise difendi la natura aufgedruckt wurde. Eine Haltbarkeit, die sich aus Plastik, Blech [= die Landschaft] und Farbresten [= die Sonne] zu Haltbare Landschaft II synthetisiert, in der auch das tanzende Bauernpaar, der röhrende Hirsch nurmehr Zivilisationsabfall sind.

Eine weitere ikonographische Konstante der Ehehaltschen Kunst ist, wie schon gesagt, das Herz, das zugleich in den oberen Teil der Ausstellung verweist. Herzen sind sprachläufig der Ort, in dem man etwas bewahrt oder bewegt (wie zum Beispiel Maria die Worte der Hirten). Zweitens und volkstümlich ist das Herz Symbol der Liebe, eingeschnitten in die Rinde zahlreicher Bäume, wiedergegeben in naiver Darstellung als flammendes Herz oder vom Pfeil durchbohrt, blutend oder gebrochen. Drittens bleibt das Herz trotz aller Chirurgie ein unersetzliches, da lebensnotwendiges Organ.

Das alles muß mitbedenken, wer sich den "Herzobjekten" Ehehalts nähern will, die zentral zunächst einmal ausgestopfte [!] Herzen sind, von Schaschlikspießen, Pfeilen oder auch Pinseln durchbohrt, oft nahezu gespickt. Dabei verlangen die Pinsel eine besondere Aufmerksamkeit, stammen sie doch zumeist, wie auch der Pinsel in "Meeresrauschen", aus dem Atelier des Künstlers. Ich möchte dies so ausdeuten, daß sich der Künstler immer wieder auch selbst in seine Arbeiten, die ja sein Anliegen sind, mit einbezieht: mit seinem Handwerkszeug oder - wovon noch zu sprechen sein wird - in Selbstzitat oder verstecktem -portrait. Und ich verstehe dieses Selbsteinbeziehen als Andeutung dafür, daß es auch Sache des Künstlers ist, die in diesen Arbeiten verhandelt wird.

Wie bei eigentlich allen Arbeiten ist bei den "Herzen" Ehehalts genau auf den Titel zu achten, wenn der Künstler zum Beispiel sein "Herz für Sportler" oder sein "Herz für Zwerge"entdeckt. In "Europa am Herzen oder das Blaue vom Himmel" verbinden sich sprachlich etwas, das uns am Herzen liegt bzw. jemand, dem etwas am Herzen liegt mit jemand, der das Blaue von Himmel lügt. Eine Erinnerung an die historische holländische Sprichwortmalerei ist dabei durchaus erlaubt.

Speziel der Objektkasten: "Europa am Herzen oder das Blaue vom Himmel" läßt sehr schön studieren, wie anspielungsreich Arbeiten Ehehalts sein können. Denn in dem Kasten ist einmal der Mythos zitiert in Gestalt eines Stieres. Der aber ist vergoldet; sei es in Anspielung auf den goldenen Hasen von Beuys, sei es - näherliegend - auf den Tanz um das Goldene Kalb, mit allem, was er impliziert. Zwar enthält der Kasten keine Europa, dafür aber eine Skulptur jener Zeit, in der die Künste den Mythos noch feierten: die Venus von Milo. In Ehehalts Kasten ist sie Abguß einer Nippesfigur, als verbrauchte Kunst fragmentiert und zerbrochen. Gleichzeitig wird der Ritt der Europa auf dem Stier banalisiert durch zwei Selbstzitate, auf denen jeweils eine auf einem Wild- bzw. Hausschwein reitende Frauenfigur zu sehen ist. Was natürlich auch die schwäbische Redensart anspielt: etwas sei, um auf der Sau auszureiten. Die europäische Gegenwart schließlich ist mit den Sternen der Europaflagge gegeben, gemalt, aber auch auf einem Streichholzheftchen, dessen Streichhölzer abgebrannt sind als Hinweis darauf, daß in diesem Europa des Mythos, der Kultur und politischen Gegenwart Brandstifter am Werk sind - nicht nur in Jugoslawien. Daß in diesem Europa des Mythos, der Kultur und politischen Gegenwart immer noch das Blaue vom Himmel gelogen wird, einem Europa, für das die himmelblaue Flagge mit ihrem Sternenkranz ein der Wirklichkeit kaum angemessenes Symbol darstellt.
Wie Ehehalts "Herzobjekte" auch in der Tradition volkstümlicher Ikonographie gesehen werden können, die sich der Künstler auf eine hintersinnige Weise anverwandelt, verweisen seine "Objektkästen" in die Tradition der Raritätenkästen zurück, sind sie so etwas wie säkularisierte Reliquienschreine, in denen Abfälle unserer Zivilisation wie Reliquien aufbewahrt und zur Schau gestellt werden. Für mich besteht der Unterschied lediglich darin, daß Ehehalt kritisch zur Schau stellt, was - im Magdeburger Dom z.B. an Michaelis - zur kritiklos öffentlichen Verehrung gezeigt wurde:

Ein Stück der Laterne des Judas Ischariot;
ein Splitter von der Leiter, auf welcher der warnende Hahn des Apostels Petrus gesessen hatte;
das Waschbecken des Pilatus;
eine Rippe vom Walfisch des Propheten Jonas;
eine Schleife vom Pantoffel der Jungfrau Maria;
vier Blätter von den Palmen, die das jüdische Volk Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem unter Hosiannahrufen zu Füßen legte;
und eine Scherbe von einem der Wasserkrüge, die bei der Hochzeit von Kana Verwendung fanden.
Ich komme zu meinem letzten Beispiel. Ist das Herz das zentrale, das innerste Organ des Menschen, entspricht ihm als Äußeres die Hülle, die ihn schützt, die ihn (ver)bergen kann, die aber auch zurückbleibt, wenn er sie verläßt. In der Tradition solcher "Hüllen" steht ein wiederum zunächst sprichwörtlich zu erschließendes Objekt Ehehalts: "Bock und Gärtner sind verschwunden". Nicht mehr, wer wen zu wem macht, steht in Frage. Lediglich Hinterlassenschaften sind aufgereiht: eine Bockmaske, die sich als umgekehrte Kehrichtschaufel mit zwei Kleiderbügelhörnern entpuppt, ein Hut, eine Hose, die Kette, an die der Bock gelegt war, und Schuhe. In die Hose hat inzwischen ein Vogel sein Nest gebaut, in dem ein Ei liegt. Aber die Idylle hinter dem Sprichwort täuscht. Denn sowohl Feder wie Pinsel am Hut, wie auch Vogel und Ei sind durch das bundesrepublikanische Schwarzrotgold ausgezeichnet. Auch sind Vogel und Ei disproportioniert, ist das für den kleinen Vogel viel zu große (Enten)Ei möglicherweise als Kuckucksei zu deuten.

Mit dem Schwarzrotgold wäre ich abschließend bei einer letzten (ikonographischen) Konstante, die sich in einer Leseschicht mit den tanzenden Bauern, dem Eichenlaub, den Hirschen und Förstern und vielem anderen leicht zur bundesrepublikanischen Wirklichkeit als einer zentralen Adresse der Ehehaltschen Kunstsatire zusammenfügen läßt, einer satirischen Kunstübung, die in immer neuen Ansätzen auf dieses unser Land zielt und seine Veränderung anmahnt. Die Mittel dieser Satire sind das Collagieren, das Zusammenfügen heterogenster Elemente, die sich in ihrer Kombination im Sinne romantischer Ironie oft gegenseitig vernichten.
Von der Ironie als dem alles vernichtenden Blick sprach zum Beispiel Karl Wilhelm Ferdinand Solger, während Jean Paul den Humor als das umgekehrt Erhabene verstand. Heroische Malerei hat Wolfgang Ehehalt stets zu meiden gewußt. Er hat seinen Blick statt dessen auf das Naheliegende gerichtet. Das aber ist, zeigt uns seine Kunst, schlimm genug.

[Kulturmühle Rechberghausen, 10.9.1993]