Albrechts Privatgalerie | Künstleralphabet | Burkhardt
stichworte zu klaus burkhardt

man könnte innerhalb der modernen kunst von einer deutlich ablesbaren tendenz sprechen, konventionelle, irrationale und emotionale elemente abzustreifen zugunsten neuer, unbekannter materialer strukturen. und man würde diese tendenz verstehen müssen im zusammenhang eines prozesses der neubesinnung auf die materialien, mit denen der künstler umgeht. daß dabei das interesse mehr dem weg als dem ziel, um lichtenberg zu zitieren, mehr der erprobung neuer materialer strukturen als dem ästhetischen ergebnis gilt, liegt in der natur der sache. in diesem zusammenhang interessieren wir uns auch für die coldtypestructures klaus burkhardts.

wenn man die künstlerische entwicklung des druckers klaus burkhardt verfolgt, lassen sich vor allem drei fasen unterscheiden.

- 1958 beginnt burkhardt mit handpressendrucken, mit der reproduktion von texten, die er teils selbst verfaßt, die ihm größtenteils von autoren aller schattierungen zur verfügung gesteht werden. berühmt und inzwischen gesucht ist heute die reihe der affiches aus den jahren 1960/6l, neben einem guten dutzend bibliophiler bücher, die text und grafik sinnvoll verbinden.

- seit 1959 beschäftigt sich klaus burkhardt überdies mit versuchen, alte druckstöcke, alten satz, klischees, verschiedene schrifttvpen, lettern usw wiederholt übereinander zu drucken, was seit etwa 1960 zu jenen druck&buchstabenbildern führt, die in zahlreichen ausstellungen gezeigt, klaus burkhardt nicht nur als originelien drucker, sondern auch als originalen künstler bekannt machen. eine mappe "viele stimmen [...]" schließt 1963 diese fase ab. was die blätter dieser mappe dabei bereits von den oft zufälligen und zufällig schönen druck&buchstabenbildern abhebt, ist eine versachlichung der syntax und die reduktion auf eine fast geometrische kombination weniger buchstaben(elemente) zweier schriften, ein weitgehendes ausklammern also von zufallseieignissen. damit weist die mappe - die abschliessend durchaus den druck&buchstabenbildern zuzurechnen ist - bereits auf die coldtypestructures von 1965 voraus.

- für zwei jahre geht jetzt klaus burkhardt methodisch und in genau konzipierten versuchsreihen die frage an, wieweit die technischen möglichkeiten des lichtsatzes die erzeugung ästhetischer gebilde zulassen. Über eine dieser versuchsreihen, "658", ist im deutschen drucker (h. 31, 1965) berichtet worden, eine statistische auswertung möglicher ästhetischer information gibt siegfried maser in rot 23 (stuttgart 1965), und schließlich hat klaus burkhardt selbst aufschlußreiche angaben über arbeitsmaterial und technik, speziell nun auch die machart der coldtypestructures wiederum im deutschen drucker (h. 37, 1965) gemacht, so daß wir uns eine diesbezügliche erörterung ersparen, stattdessen einige allgemeinere anmerkungen geben können.

in einer ersten annäherung würden wir dabei die coldtypestructures als konkrete konstellationen bezeichnen. setzten die informellen druck&buchstabenbilder noch ein umfangreiches repertoire und eine diffizile syntax (oft des zufalls) voraus, bilden bei den coldtypestructures meist ein oder zwei buchstaben das repertoire, ist die syntax auf wenige und einfache kombinationsschritte reduziert. entsprechend der entstehung der coldtypestructures würden wir dabei in einem zweifachen sinne von konstellation sprechen: ein buchstabe, ein singuläres zeichen(element) wird durch wiederholung in der fläche zu einem grafischen element, zu einem baustein konstelliert, der seinerseits in wiederholter kombination mit sich selbst oder einem zweiten baustein zur endgültigen konstellation zusammengebaut wird.

in einem weiteren sinne würden wir die coldtypestructures auch als konkrete muster oder modelle ansprechen. stellten die druck&buchstabenbilder noch jedes für sich ein 'original' vor, also etwas, daß die chance hat, als einmalig schön bezeichnet zu werden, liegt das originale der coldtypestructures in ihrer erfindung, im ansatz, im programm, also vor ihrer realisation. Bedurften die druok&buchstabenbilder z.b. noch der anwesenheit und handwerklichen tätigkeit des druckers bis zur fertigstellung des jeweiligen blattes, würde es bei den coldtypestructures durchaus hinreichen, wenn klaus burkhardt dem 'setzer' repertoire und syntax angibt, also die regeln, die anlage und verlauf eines blattes bestimmen, worauf der setzer durchaus im sinne des erfinders die gewünschten ästhetischen gebilde herauszustellen vermöchte. und noch ein drittes wäre in diesem zusammenhang anzumerken: mit den coldtypestructures spielt klaus burkhardt dem betrachter gleichsam die möglichkeit zu, auch andere mögliche bausteine, eine andere konstellation der bausteine zu denken bzw. zu erfinden. auch das unterscheidet die blätter dieser mappe von den druck&buchstabenbildern, indem sie dem betrachter keine zufälligen gefühlsimpulse vermitteln, vielmehr ein rationales aber zugleich spielerisches nachvollziehen und fortführen dessen verlangen, was die blätter jeweils sichtbar machen, indem sie auffordern zum konkreten spiel.

[ende 1965 als vorwort für die mappe der "coldtypestructures", edition hansjörg mayer, stuttgart 1966]