Reinhard Döhl | Prosa | Das Buch Es Anna
Annalekten

1 Anno Christi 1511 lebte Anna eine Jungfrau zu Augspurg / die aß / trank und schlieff nicht und führte so heilige Geberden / daß auch der Kayser mit den Reichs-Fürsten dadurch betrogen worden. Da sich nun jedermann lange gnug über sie verwundert hatte / kam endlich der Betrug heraus / und daß sie sich darneben mit Hurerey vergriffen / weswegen sie zu Freyburg in Üchtland mit Recht ertränckt ward.

2 No. 19. Anna P. virgo; pulchra sed non variabilis. 3. usque ad 28. mensis Augusti in omnibus noctibus*.

3 Die gute Anna war eine kleine, hagere Deutsche, damals ungefähr 40 Jahre alt.

4 Was Anna wirklich nötig hatte, war manchmal auszuruhen und mehr zu essen und kräftiger zu werden, aber das war das Letzte, was Anna sich gegönnt hätte.

5 Nicht wahr, Anna?
Ja, Anna.

6 Anna bot in Zeitungen sich fremden Menschen wie eine Ware an, die man geschickt nach allen Seiten wendet, sie begehrenswerter zu machen.

7 Es war an einem Sonntag unter den Zeiten in Berlin, als Fräulein Anna plötzlich die Worte neben sich gelispelt hörte: Ik bin wahrhaftig dafür, det man Jurkensalat nich zum Schuhreinigen vawendet.

8 Während er unter einem Sturm von Gefühlen verstummt, spricht Maria plötzlich von Anna.

9 Miß Mathilda war keine Romanze im Leben der guten Anna.

10 Anna dachte: welch ein Abgrund von Roheit.

11 Zwischen der Frauentoilette links und der Männertoilette rechts hat Anna ein kleines Zimmer**.

12 Anna geht es gut, sie verdient jetzt endlich.

13 Aber Anna fand immer neue Leute, mit denen sie sich anfreundete, Leute die in der freundlichen Art der Armen ihre Ersparnisse aufbrauchten und dann Versprechen anstelle von Geld zurückgaben.

14 Annas Anstrengung kam nie zu einem Ende. Und sie wurde immer müder, immer blaßgelber, und immer dünner im Gesicht und verhärmter und sorgenvoller. Manchmal ging es ihr schlechter.

15 Anna läßt Wasser in einen Topf und stellt ihn auf die Kochplatte.

16 Anna bündelte mit starrer Miene wieder die Kledasche.

17 Das Schiff hieß Anna und war von mittlerer Größe***.

18 Der Papagei war aus Annas Leben verschwunden. Sie hatte den Papagei eigentlich nie geliebt und jetzt dachte sie kaum mehr daran nach ihm zu fragen.

19 Anna stand verhärmt und blaß auf der weißen Steintreppe vor dem kleinen roten Backsteinhaus in dem sie gelebt hatte.

20 Anna erlischt im Spiegel; ich sehe jetzt nur noch die monströse Fliege, unmäßig dick geworden, ich höre nur noch den Wind.

21 Anna mein Himmel.

22 Anna Blume und Arnold Böcklin haben die gleichen Anfangsbuchstaben A B.

23 Anna Blume und André Breton stehen in keinem Verhältnis zueinander****. (Zusatz des Herausgebers)

24 Ob der Herausgeber ein Verhältnis mit Es Anna hatte oder hat, ist eine indiskrete Frage. (Zusatz des Verlegers)

25 Es Anna ist ein Pseudonym, das vom Herausgeber der Kulturwarte am 30.7.1966 in Hof gelüftet wurde.

26 Und dann,
Wenn niemand mehr kann,
Die Blume Anna aus vollem Halse gesungen.
Fließen auf Erden der Tränen auch viel,
Über ein Kleines hat alles.

*) Lehmann. Ei, ei! was das wieder ein Anachronismus ist (Der Schulmeister N.N.)
**) Wer Anna Neumann besuchen möchte am Karlsruher Hauptfriedhof, muß heute ein paar Schritte weiter gehen. Zu ihrem Grab; Anna Neumann ist vor wenigen Wochen gestorben.
***) Gemächlich schiebt die Maschine der Anna B. ihren hohlen Bauch vor sich her. Sie schwankt dabei genausowenig wie die gute Mutter Erde bei ihren Umdrehungen um die Sonne. Das Ufer ist stets in beruhigender Nähe, und die beiden Schifferhunde haben genug Gelegenheit, ihren spazierengeführten Kollegen mitzutrilen, wer hier der Hund im Schiffe ist.
****) Nadja ist eine uneheliche Tochter André Bretons.

< Vorworte | Präliminarien | Fortsetzungsroman | Die 13 Kapitel Es Anna | Annalekten | Pressemeldungen | Fußnoten >

ã by the author