andré thomkins

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  1960 begegnete er mir zum ersten Mal in der für die Avant-

garde der 60er Jahre so bezeichnenden wie programmatischen 

Anthologie "movens". Er war dort mit dem Entwurf einer "Perma-

nentszene" vertreten, der Vorstellung eines Theaters, in dem 

die dramatische Kurve des Spiels geschnitten ist, in dem die 

Elemente des Spiels nichts mimen und dem Erwartungskomplex des 

Publikums eine absolute Banalität kontastiert wird.

  Später haben wir An[n]agramme ausgetauscht, sind auch ge-

meinsam aufgetreten, meist im Rahmen von Ausstellungen z.B. in 

Amsterdam und Stuttgart, nachdem wir uns 1968 in der inzwi-

schen zur Legende gewordenen Galerie Hansjörg Mayers kennen 

gelernt hatten, wo die vielfältige Welt seiner Vexierbilder 

voll technischen Erfindungsreichtums, seine berühmte Wortma-

schine "dogmat mot" sowie einige seiner über hundert Palindro-

me in Form von blauen Straßenschildern mit weißer Schrift zu 

besichtigen waren:

  "STRATEGY: GET ARTS",

  "oh cet écho!",

  "nie reime, da kann akedemie rein",

was ihn jedoch weder von späterem Reimen noch von einem Akade-

mieeintritt abhielt. Das war so vielsprachig, wie seine Tech-

niken vielfältig waren. Das war witzig zu lesen und war doch 

ernst gemeint. Kunst wollte er machen. Und "Echo", Fortset-

zung, Reflex war fast alles, was er machte. Sei es, daß er von 

Arbeiten Baldung Griens, Füsslis, Callots, sei es, daß er von 

einer Tageszeitung ausging ("Wirtin der 'zornigen Ameise'"), 

sei es, daß er seine Kunstwerke, Horaz zum Possen, ab ovo 

spann ("knopfei", "OTTO"), sei es. daß er sich durch die Ober-

flächenspannung von Lacken verführen ließ ("Lackskin").

  "Kunst", hatte er 1969 auf eine von hundert Fragen seines 

Freundes Serge Stauffer geantwortet, "macht aus etwas etwas 

anderes". Und dieses "andere" sollte nicht einfach konsumier-

bar sein, sich nicht mit den Erwartungen des Konsumenten "rei-

men", sondern rätselhaft bleiben wie die Sphinx, die André 

Thomkins 1969 als sein Lieblingstier benannte, so vieldeutig 

erscheinen, wie die Oberflächeneffekte, mit denen "die Lust 

der Epikuräer" spielte. Das hatte er bei Michel Foucault gele-

sen, und er zitierte es, wie er gesprächsweise gerne aus sei-

nen nicht kanonischen Lektüre zitierte und sich anverwandelte.

  "ut pictura poesis

  veränderte welt

  an der spitze eines bleistifts",

  hatte ich, eingedenk einiges Ausstellung André Thomkins und 

anläßlich eines seiner Bücher in meinen "botnanger sudelhef-

ten" mir dies klar zu machen versucht. Denn es war aus meiner 

Sicht, vor allem der Stift, der für André Thomkins die Welt 

aus Bildern und Wörtern veränderte in ein sehr privates klei-

nes und großes theatrum mundi, das er auf seiner und zu den 

Regeln seiner "Permanentbühne" spielte. es war seine Hand-

schrift, die er allem, was ihn reizte, ein- und aufschrieb. so 

schickte er mir eines Tages eines meiner "wegwerfhefte" zu-

rück, das er auf der Bahnfahrt gelesen und in seiner unnach-

ahmlichen Handschrift fortgeführt hatte. Er war üerbhaupt ei-

ner der wenigen Briefschreiber, die es heute noch gibt, und 

natürlich schrieb er sie von Hand, die Briefe und kleinen Zet-

telchen ebenso wie seine Zeichnungen. Eins ergänzte das ande-

re, setzte es fort, wirkte zurück. Wer die Partitur dieser 

"Permanentszene" studieren wollte, zu der auch die Zubereitung 

von Stierhoden durch seinen Freund Daniel Spoerri anläßlich 

einer Ausstellung im Karlsruher "Club Ubu" gehörte. müßte alle 

diese Briefe, Zettel, Zeichnungen zusammenbringen und hätte 

dennoch erst Teile eines Puzzles.

  Nach Stuttgart ist André Thomkins seit seiner Ausstellung 

1968 immer wieder einmal zurückgekehrt, wenn er mit Hansjörg 

Mayer eines seiner schönen Bücher erarbeitete: 1969 zusammen 

mit Dieter Rot, Daniel Spoerri, Karl Gerstner das Buch "Freun-

de Friends Fruend", 1978 das Bilderbuch "Permanentszene", 1982 

die "Lackskins", "Narre Kopfpoker ran", 1985 die bilderreiche 

Korrepsondenz mit Serge Stauffer, "Oh cet écho!", der sich, in 

Transskription und Montage durch Serge Stauffer, die "Corre-

spondence 1948-1977" anschloß. Die meisten dieser Bücher waren 

zugleich Kataloge zu Ausstellungen, zu denen sie gehörten wie 

die Partitur zum Konzert, das Regiebuch zur Aufführung: in 

Düsseldorf, in Bern, in Basel, in Winterthur und anderen Orts. 

Seine letzte Ausstellung in der Berliner Galerie Petersen hat 

André Thomkins noch selbst gehängt, an der Eröffnung jedoch 

nicht mehr teilgenommen. André Thomkins starb am 8. November 

1985 an Herzversagen. "Kehrsinn am Tod", lautete eines der 

An[n]agramme, die er in den 60er Jahren aus seinem Namen ge-

bildet hatte.



[Nachruf für die >Stuttgarter Nachrichten<, die den Text am 

19.11.1985 in verstümmelter Form brachten].



 


Reinhard Döhl





Stuttgarter Poetscorner'le