Bertha Raabe
Wilhelm Raabes Abschied
 
Neues giebt es freilich nicht in Stuttgart, neu ist mir aber, daß man Stuttgart Lebewohl sagen muß, um bei den Leuten darin beliebt zu werden. Alles schreit u[nd] raufft sich fast die Haare aus, daß Wilh[elm] Raabe sobald Stuttgart verlassen will, nachdem er 8 Jahre hindurch ungesehn und ungekannt täglich nach dem Museum gewandert ist. Ohne Liebeszeichen u[nd] Dankeswort schrieb er in Stuttgart "Die Leute aus dem Walde", den "Hungerpastor", "Abu Telfan", den "Schüdderump". Die Zeit war den Leuten zu kurz, um mit ihm bekannt zu werden. Abschiednehmen u[nd] das brüderliche "Du" schwebt auf allen Lippen. Hallberger*) gab ein schönes Diner in Ober-Türkheim, eine Maibowle in Eßlingen den Stuttgarter Schriftstellern. Hallberger ließ die Schriftsteller leben, Hallberger den "uns so bald verlassenden Wilh[elm] Raabe"! Den "Schüdderump" schickte er ihm freundlicher grüßend zurück, und jetzt will er ihm extra ein Haus bauen lassen, wenn er bleiben will.



*) Dem literarischen Leben Stuttgarts im besonderen ist das ganze Jahrhundert gegenüber sein Charakter durch die Verbindung der einheimischen Poeten und Schriftsteller mit den zugewanderten ausgedrückt worden. Aus allen deutschen Gauen sind hier die Lieblinge der Muse, die Helden der Feder zusammengeströmt. Stuttgart hat sich ja allmählich zum Zentrum des südwestdeutschen, zu einer der ersten Metropolen des deutschen Buchhandels überhaupt aufgeschwungen. Der wissenschaftliche, der belletristische, der artistische Verlag ist gleichermaßen zu hoher Blüte gediehen. Zahllose Buchdruckereien und Buchhandlungen sind unausgesetzt an der Arbeit, deutsche Geisteserzeugnisse zu vervielfältigen und über den ganzen Erdball zu verbreiten. Anstalten ersten Ranges befinden sich darunter. Das Cottasche Geschäft hat Jahrzehnte lang in Deutschland unbestritten den hervorragendsten Platz eingenommen und genießt noch immer, längst aus dem Besitze der Familie Cotta in andere Hände übergegangen, hohes Ansehen. Mit ihm steht eine jüngere Gründung im engen Zusammenhange, die ausgedehnte Deutsche Verlagsgesellschaft Union, die eine Reihe größerer und kleinerer Firmen in sich aufgesogen hat. Die Seele dieser Institute ist der Geheime Kommenzienrat Kröner, einer der intelligentesten deutschen Buchhändler. Mit der Union konkurriert ein ähnliches gewaltiges Unternehmen, die Deutsche Verlagsanstalt. Diese Aktiengesellschaft ist 1881 aus der Buchhandlung entstanden, welche 1848 Eduard Hallberger unter seinem Namen begründete und rasch emporbrachte. Neben den Großbetrieben wird der Ruf des Stuttgarter Verlagshandels noch durch eine Reihe überall bekannter und angeseher Einzelfirmen aufrecht erhalten. Man braucht nur an Namen wie Steinkopf, Metzler, Neff, Krabbe, Bonz, Hoffmann zu erinnern.
[aus: Rudolf Krauß: Schwäbische Litteraturgeschichte Bd. 2. Die württembergische Litteratur im 19. Jahrhundert]




Stuttgarter Poetscorner'le