Leopold Marx | Jüdische Ballade
(in Memoriam Julius Baumann)

Heldensänge - ach! es zeugt soviele
jeder Krieg, die Flut ist nicht zu zähmen:
in Vereinen, Bünden, Schule, Diele,
allerorten kann man sie vernehmen.

Aber diesmal gibt's einen peinlichen Punkt:
Die Juden haben dazwischengefunkt.
Und will einer Singen von Heldentum
so kommt er nicht leicht um die Juden herum.
Sie litten als erste die Höllenpein,
an ihnen übte die Bestie sich ein,
ihr Schrei hat zuerst gegellt... Man hörte ihn nicht in Deutschland,
man hörte ihn nicht in der Welt.
 
Millionen wanden sich in Qualen,
bis, vergast, verhungert, weggeknallt,
irgendwo im schönen grünen Wald
zu Phosphat man ihr Gebein zermahlen... Aber manchmal hat einer aufbegehrt
und hat sich gewehrt,
und mancher, wenn sich die Stunde bot,
erkor, statt zu ducken, mannhaften Tod.
Viel Tausende, ungezählt, namenlos,
die klein gelebt, sind gestorben groß
- als Dulder, als Zeuge, als Held. Es kennt sie niemand in Deutschland,
es kennt sie kein Mensch in der Welt.
 
Einen Namen aus der Flut zu reißen
- seltner Fang! man darf ihn nicht verlieren.
Keine Straße wird man nach ihm heißen,
keines Denkmals Sockel wird er zieren. Aber hier soll er stehen, fester als Erz
ein Mensch - ein Jude - ein jüdisches Herz,
und will einer singen von Heldentum,
er kommt nicht um Julius Baumann herum...
Ein Haufen Trümmer, der Stuttgart hieß
- einst war es des Schwabenlands Paradies.
Dort lebte er, angestellt. Es kannt' ihn kaum jemand in Deutschland>
- geschweige denn in der Welt.
 
Doch hier kannten ihn die Leichtathleten,
Sport und Spiel erhellten ihm das Leben.
Seit blau-weiße Turnerfahnen wehten,
hing er all sein Herz dran, hingegeben. Der Verein - seine Welt. Er frug nicht nach Geld,
als zum Leiter der Riegen man ihn bestellt.
Manch einer, dem er die Muskeln gestrafft,
fand neue Heimat und frische Kraft.
Manch einem hat er das Herz gestählt,
daß er aufrecht blieb, ob gefoltert, gequält
daß nicht bleiche Furcht ihn gefällt, als die Hölle herrschte in Deutschland
und die Krallen hob nach der Welt.
 
Erslich aber schlug sein Herz den Kleinen:
Wer trägt Sorg' um sie bei Spiel und Bad,
wenn nicht er? So Tag um Tag - für seinen
eignen Kram war ihm die Zeit zu schad... Und mit eins war Krieg. Wer's verpaßte, der saß:
vorbei mit Packschein und Visum und Paß.
Kein Mond lief um ohne neues Dekret,
und aus jedem hat giftiger Pesthauch geweht:
das Zeichen - die Habe - der Hunger, und bald
ward vergiftet, vergast, im Wald abgeknallt.
Kein Schrei des Entsetzens gellt durch die eisige Grabluft in Deutschland
in die tauhen Ohren der Welt.
 
Eng in Elendsheime, dumpfe Kästen
sperrten Greise sie zum Hungern ein.
Julius Baumann ging zu ihrem Besten
auf verbotnen Markt und kaufte ein. Doch Gestapo sieht alles - SS, das klappt:
er wurde ertappt, er wurde geschnappt.
Er kam in ein Lager nach Österreich,
und dort hat eine Kugel allsogleich
in seinem Schädel sich Platz gesucht,
ein Schuß von hinten - das hieß "auf der Flucht"...
So hat man das angestellt in einem Land, das hieß Deutschland,
und lag im Herzen der Welt.
 
Julius Baumann, deine arme Asche
düngt vielleicht ein unbekanntes Feld,
doch dein selbstlos Stück Zivilcourage
düngt - den Keimgrund einer neuen Welt. Es verblieb von Millionen, erschlagen gleich dir,
kein Bild, keine Spur, kein Paß und Papier.
Es blieb nur ein tiefverborgenes Wehn...
Für sie alle sollst du als Zeuge stehn,
als Zeuge stehn für dein jüdisches Blut!
Nicht jeder kann zeugen so sauber und gut,
von keinem Schatten entstellt. Du sollst für sie klagen in Deutschland
und zeugen für sie vor der Welt.
 
Aus den Gräbern sproßt es leise: - Frieden.
Einen Hauch, ganz erdenfremd und eigen,
allem, was die Zeit bedrängt, verschieden,
fühlen wir aus blutigen Schollen steigen -- und es schleiert wie goldener Nebelrauch
sich um Zeitungsgekläff, Diplomatengefauch,
und wirkt sich zum Netz übern Erdball hin,
zart, spinnweb-zart, aber stark wie Platin,
zum Schutznetz gegen gesprengtes Atom.
Und es wölbt sich dem Großen Frieden zum Dom,
von eurem Odem geschwellt, die als Opfer sanken in Deutschland
für die neue, die bessere Welt.
 
1945 
 
 

Stuttgarter Poetscorner'le