Leopold Marx / Martin Riekert | Neujahrsgrüße aus der bösen Zeit

Leopold Marx | Das Nebelmeer

Das Jahr versank. Ich hab es sinken sehen:
fort war's, du sahst nicht Helm noch Säbel mehr
noch Flugzeug noch Kanonen noch Gewehr...
Wie können so handfeste Dinge so vergehen?

Ja, weggeblasen, gleichsam auf den Zehen
verschwand das Jahr in einem Nebelmeer...
Wer weiß wie bald schon wird das wilde Heer
aus dem verschwommnen Dunkel auferstehen.

Ich seh sie schon durch alle Himmel toben,
voran die Vier, die ans dem dunklen Buch,
reitend auf einem ungeheuren Fluch,
die Rechte drohend himmelwärts erhoben. -

Ein Jahrbeginn - ein Nebelmeer - ein Meer.
Wen schlingt es? Wem ist Überstens Gewähr?

Martin Riekert | Gegengruß.

Mein Leopold - nun ist es wieder Zeit!
hol' aus der Schublad' die Sonettenfeile!
Stark neigt sich schon das Jahr - das Ding hat Eile,
denn wie du siehst, ich bin bereits soweit.

Doch diesmal wird nicht mühsam prophezeit,
was uns im neuen Jahre werd zu teile
ob Glück, ob Leid, ob Lust - ob Schmerzgeheule -
sag Du es mir, ich bin nicht so gescheit!

Schlicht lös ich und gemütvoll das Problem:
Bringt Gutes mir des neuen Jahres Huld,
so ist mir das natürlich angenehm.

Bringt es mir Böses? trag ich's mit Geduld
und tröste mich damit: an alledem
sind wieder die verflixten Juden schuld!

Leopold Marx | Antwort an M. R.

Ja, du sprichst wahr. Uns trifft die Schuld für alles.
Nichts ist ganz Lüge, wessen man uns reibt.
Doch die uns richten wollen - keines Falles
steht denen zu des Richters Ehrenkleid.

Wir tragen alle Schuld. Vor wem? Ich lall' es,
weil Sagen es schon fälscht... Und sind bereit
dafür zu zahlen. Unserer Schuldigkeit
erinnert uns der Tag des Hörnerhalles.

Der heißt für uns Neujahr. In Hast und Handeln
Vertun wir jedes alte - im Exil,
und jedes neue ruft uns neu. Es will
eins von uns, immer eins: daß wir uns wandeln!

Und unsre Antwort, jetzt wieje? - Man lullt
Sich ein und - läßt's...
                                        und darum sind wir schuld.

1937 
 
 

Stuttgarter Poetscorner'le