Leopold Marx | Drunten...
(Für Hermann Hesse)

In der Heimat fremd genannt,
Heimat ahnend im verschloß'nen fremden Land,
tiefverletzt, von rauhem Arm getroffen,
hingeworfen zwischen Furcht und Hoffen,
jede Freude trägt ein Bleigewicht -
ist es Prüfung oder - ist's Gericht?

Alte Bücher wissen von Erwählung,
fromm erschauernd las man die Erzählung.
Auserwählt zum Leid - wie gut zu sagen,
eh du selber deine Last getragen,
eh den Tag du, der dir angefangen,
angeklagt, daß er noch nicht vergangen,
eh der Tröster nachts dich floh, der Schlaf,...
eh dich selbst die Hand des Schicksals traf...

Heute: brüten, planen, leeres Spiel -
morgen: flüchten, irren ohne Ziel -
Arbeit: freudlos, stumpfen Sinns, verdrossen -
Ruhe: wie ein schaler Trank genossen -
Hände, die sich keinem Tun verwehren,
hängen - keiner fordert sie - im Leeren.
Alte siechen, dumpf in sich verkrochen,
lahm die Seele, Mut und Stolz gebrochen,

Kinder wachsen auf, schon leiderfahren,
eh sie ihres Jungseins inne waren...
Auserkoren...! Eher scheinst du fast
Gottes weggeworfener Ballast -
Nur - du bist noch da in Seiner Welt,
in der Winkel finstersten gestellt...

Alte Bücher voll entrückter Kunde -
steht da nicht vom Pfeil, der seiner Stunde
harrt, im Köcher dunkel tief verwahrt?
Ach, es ward so viel geoffenbart,
ach, und wir sind müd, jahrtausendmüd,
unser Frühling ist schon längst verblüht...

In den Synagogen dumpfe Beter
warten auf ein wesenloses Später,
kraftlos Heute, hoffnungsloses Morgen -
nein, die sind nicht Pfeil und nicht verborgen.
Und die andern - wandern, fort und fort,
viel zu stumpf für ein verhülltes Wort.

Jene aber, die zurückgefunden,
die ihr Leben an das Land gebunden,
Heimatboden pflügen, jäten, graben,
wollen nicht von Worten Weisung haben.
Und mit Fug: sie sind in Tages Haft,
Erde fordert ihre ganze Kraft.

So verborgen ist der Pfeil. Vermissen
mögen die ihn nur, die von ihm wissen,
weil auch sie der Stimme Diener sind,
Angewehte von dem ewigen Wind,
Boten, die für unser aller Qualen
mit dem Wort in ihrer Seele zahlen,
mit dem Wort, das, weil es keiner braucht,
unvernommen ins Verborgne taucht,
in des Köchers schützenden Verwahr...

Einmal wird die Botschaft offenbar.

1937
 
 
 

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