Heinz Hirscher

Ich ging in Stuttgart zur Schule, die "Stuttgarter Schule" erreichte (m)ich nie.
 
 

Da im Telefonbuch Maler als Beruf steht, ich zudem Jahre hindurch nur durch eine 2 von der Trostnummer der Seelsorge abwich, muß ich an dieser Stelle mir erst eine literarische Entwicklung ausdenken.

Ich bin immer gerne, wo man sich über Literatur trifft und befürchte, daß ich die mögliche Legasthenie viel zu spät entdeckte, als ich sie zu überwinden begann. Denn die Diktate der Grundschule liegen fern, und in einer Diktatur sind diese ja eine mildere Form, unsereinen zum Recht-Schreiben zu zwingen, das bis heute noch den Schriftgelehrten keine Ruhe läßt. Zu Reden war ich ohne Amt viel zu schüchtern, mit Amt breitete ich dann meine Gedanken aus und wurde gerne engagiert. Unsere Familie teilte die schaffige Mutter in Praktische und Unpraktische ein. Praktisch war sie und ihre Neffen vom Lande, allenfalls noch mein Bruder, weil er schon als Junge mit Sicherungen und der Reparatur der Klingelleitung umgehen konnte, während sie mich wahrscheinlich als genauso unpraktisch einstufte wie meinen Vater, der allerdings eine unglaubliche Handschrift eingeübt hatte, deren Schwung jeder seiner Söhne nachahmen wollte. So kam's zu meiner noch heute gebrauchten Unterschritt bei deren Überschlag wohl mancher Grafologe an übersteigertes Selbstgefühl denkt - das Gegenteil ist richtig aber es bliebe mir gar nichts anderes übrig, als dies in einer gedachten Biografie bis ins Detail zu beschreiben, doch such einen Verlag für deine Memoiren, wenn du nicht einmal mit dem Schreiben zurecht kommst und die anderen schon alle computern!

Über Inhalt konnte sich die Luftwaffenhelfergeneration bereits nach dem Krieg nicht mehr beschweren doch bei mir langte es trotz dieser Unterbrechung noch zum Abitur.

Meine zweite ernst zu nehmende Prüfung war dann die Gesellenprüfung im Töpferhandwerk, und wie praktisch waren meine Hände geworden und wie schön der Gedanke, von der ältesten Kunst ausgehen zu können 1n eine neue Zeit. Mein Freund Mang (1) nannte mich floyris (2) der Töpfer, denn die Hand fühlte und die Träume durften endlich blühen. Meine Legende von Luh-yü, dem chinesischen Teemeister, entstand, kam aber erst 40 Jahre später samt Schale und Zeremonienschemel auf eine Ausstellung, wie auch die Tischgeschichten des Herrn von Tabern nur einzeln auf dem Tisch liegen, denn inzwischen fügte ich Materialien aller Art zusammen, und niemand soll sagen, daß ich bei ihrer Gestaltung unpraktisch wäre; die Märchen kamen dem Material und das Material den Märchen zu Hilfe.

So entstand die Stadt der verschlafenen Larven, einst verlegt im Angelus Verlag auf der Mainau, dort wo jetzt ein Schmetterlingshaus entstand, heute noch zu lesen in der Horusreihe des Heliopolis-Verlags. Die Auseinandersetzung mit der Welt der 50er Jahre fand im Tschiantistil ihren Niederschlag, und wenn dies Buch samt Titel-Objekt hier ausgestellt wird, ist es sicher auch zu leihen und zu lesen. Der Maler im Telefonbuch müßte längst mit Materialpoet ersetzt werden, aber welche Anrufe würde ich dann wohl bekommen?

Andererseits soll man sein Licht nicht unter den Scheffel stellen, (der hat, soviel ich weiß, vom Hohentwiel kommend die Gaudeamuslieder und den Kater Hidigeigei gedichtet) - solche Einfälle kann man tschiantigestylt schon verstehen.

Ich bin sowohl in der Städtischen - wie auch in der Staatsgalerie im Keller reichlich gelagert, im Katalog Mundart-Dichtung nach 1945 bin ich mit meinen "Mundart-Forum Stuttgart" als ein Seitenstück zum Kulturbeutel dem "Nach mir" erhalten, leider wurde mein Theaterstück "Sprachregelung im Pfarrhaus", ein heiteres Stück schwäbischer Geistesgeschichte, noch nirgends aufgeführt. Das würde den Stuttgarter erst aufzeigen, der ja im Dialekt bereits Dialektiker ist, was mir mancher schon bestätigte; z.B. mit dem dreidimensionalen Begriff des Aufhebens bei Hegel. So muß abfallen auch nicht immer das bedeuten, was zu Abfall wird, sondern abfallen von Abfall kann nur der kreative Mensch, der den Abfall wieder benützt und verwertet. Wer dies versteht, kann in die "Akademie Materio" erhoben werden oder er kann am Anfang der Barockstraße im Eingang vom Kloster Wiblingen die Materiathek studieren, was wieder zurückweist auf mich als den Urheber.

Ich stehe im Nachschlagewerk: Autoren in Baden-Württemberg des Silberburg-Verlags, in Nagel's Schwäbischem Künstlerlexikon, bei Günther Wirth: Kunst im Deutschen Südwesten der DVA, oder 40 Jahre Kunst in der Bundesrepublik und im Katalag der Hans Thoma Gesellselhaft Reutlingen, "Aspekte der Collage in Deutschland" - in diesem Katalog hat der Kojennachbar Reinhard Döhl meine frühe Beschäftigung mit Kurt Schwitters hervorgehoben, bei ihm ist auch Bild und Schrift eins, und dem würd ich treu bleiben, wenn's auch schwer fällt. Das ist dann Goethe am Fernsehturm, Hirscher mit seinem Granatapfelarchiv. Nur fehlt dem noch ein Tischbein.
 
 

1) Hans Magnus Enzensberger

2) Katalog der Gesellschaft der Freunde junger Kunst e.V., Baden-Baden 1958.





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