Helmut Heißenbüttel

... und zufällig kam dazu, daß ich zur gleichen Zeit die Hochschule für Gestaltung in Ulm kennenlernte, weil Leonhard mir den ersten Band Gomringer geschickt hatte und ich mit Gomringer dann Briefe gewechselt hatte und übrigens auch mit Claus Bremer – das war der andere, der mich interessierte. Ich bin auf die "fragmente" aufmerksam geworden und hab mir dann in der Buchhandlung den Band "Poesie" von Claus Bremer bestellt, der mich schon, würde ich heute sagen, in manchen Dingen entschieden beeinflußt hat. Und wo sich auch heute noch, würde ich sagen, was gehalten hat davon....

[Aus: Wahrscheinlich ist es in den Wind geredet. Helmut Heißenbüttel im Gespräch mit Hermann Rotermund, Borsfleth am 2. März 1984]

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Fritz Billeter: Ein grossherziger Provokateur. Zum Tod von Claus Bremer

Zwanzig Jahre hat uns der 1924 geborene Claus Bremer angeregt, aufgeregt, nachdenken lassen - als Dramaturg, Übersetzer, Dichter, politisch Bewegter. Und jetzt ist der Provokateur ganz verstummt.

Umfassende Studien an der Universität Hamburg befähigten Bremer dazu, das damals Neuste, die poetischen Absurditäten eines Ionesco, Tardieu, Schehadé, für die deutschen Bühnen zu übersetzen. Vor allem übertrug er auch Autoren der Antike, liess deren Helden wie in unserem Alltag reden. Seit 1956 als Dramaturg in Darmstadt, veröffentlichte er mit dem Künstler Daniel Spoerri in der Zeitschrift "Material" eine erste moderne Spieltheorie. Im "dynamischen Theater" wurde der Zuschauer aus seiner Passivität geholt, als Mitspieler herangezogen. Diese Idee, den Betrachter als gleichberechtigten Partner mittun zu lassen, hat Bremer wie einen roten Faden durch sein ganzes Leben verfolgt. Viel später am Schauspielhaus Zürich veranlasste er die Aufführung des Kriminalstücks "Scherenschnitt" von Paul Poertner, bei dem das Publikum jeden Abend neu entschied, wie dessen Schluss auszugehen habe.

Konkrete Poesie, konkret werden Bewusstsein spiegeln, Bewusstsein herstellen, Bewusstsein provozieren, so lässt sich ein weiterer Hauptpunkt von Bremers literarischer Theorie zusammenfassen. In den fünfziger Jahren erschien er neben dem eigentlichen Initianten Eugen Gomringer als der wohl wichtigste Vertreter der Konkreten oder Visuellen Poesie. Diese damals bestürzend neue Richtung wollte nicht "das Gedicht", sondern die "Konstellation". Das heisst, Worte und Wortfelder wurden durch typografische Gestaltungsmittel so auf der Weisse des Papiers angeordnet, dass sie auch optisch als Struktur und Gebilde auf den Leser wirken. Im Zug der 68er Bewegung politisierte sich auch Bremer, und gerade die Konkrete Poesie erschien ihm als geeignetes Mittel, die Leute politisch aufzurütteln.

Um 1970 liess sich Claus Bremer, verheiratet mit der bekannten Schauspielerin Renate Steiger, auf der Forch bei Zürich nieder. Auch hier blieb er als Anreger, als stets grossherziger Provokateur sich treu. Er verscherzte sich eine Dramaturgenstelle am Schauspielhaus, da er dessen Direktor Harry Buckwitz aufforderte, offen zu seiner Nazi-Vergangenheit zu stehen. Auch unter dem Druck seiner Krankheit modifizierte Bremer seine Haltung ein weiteres Mal. Nachdem er der Konkreten Poesie den Rücken gekehrt hatte, bekannte er sich in seinem Gedichtband "Man trägt keine Mützen nach Athen" (Orte-Verlag 1984) - er ist dem marxistischen Denker Konrad Farner gewidmet - zu einem alternativen Christentum. Wage zu träumen, wage die Utopie, vertraue auf deinen Stern, dann sprichst du die Sprache der Revolution. [...]

[Tages-Anzeiger vom 20.05.96]

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Reinhard Döhl: Claus Bremer und die Stuttgarter Gruppe. Ein Hinweis

[Text wird nachgestellt]

Stuttgarter Poetscorner'le