Reinhard Döhl
Von der ZUSE Z 22 zum WWW
Helmut Kreuzer zum 70sten.


Am 1. August 1997 berichtete der "Aktuelle Kulturspiegel" der "Stuttgarter Zeitung", John Updike schreibe "gemeinsam mit zahlreichen anderen Amerikanern einen Roman im Cyberspace. Nach einem Bericht der Zeitung 'USA Today'" habe "er die story unter dem Titel 'Murders Makes the Magazine'" eröffnet, "so daß sich die Leser täglich mit eigenen Anregungen, Sätzen oder Absätzen einschalten" könnten. "Jeder aufgenommene Beitrag werde mit 1000 Dollar honoriert. Der 65jährige Updike" wisse "noch nicht, wie die Geschichte am 11. September zu Ende gehen" werde. "Hauptfigur" sei "die Magazin-Angestellte Miss Tasso Polk, die der Hauptautor in seiner Einleitung" vorgestellt habe. "Veranstaltet" werde "das Ganze vom On-line-Buchladen Amazon.com."

Für den Zeitungs- und Buchleser vielleicht neu, ist diese Nachricht für den Internetbenutzer keine Überraschung, lediglich ein weiterer Beleg für Literatur im Internet / Literatur des Internets, für die im Medium längst Bibliographien (1) zur Verfügung stehen, Statements abgegeben, Diskussionen, geführt, Aufsätze (2) veröffentlicht und neuerdings sogar Seminare (3) angeboten werden.

Die technischen Bedingungen, Rechner und PC, weisen dabei auf eine Tradition, die zurück reicht bis zu frühen Textexperimenten mit Hilfe von Großrechenanlagen, ja darüber hinaus in die Geschichte aleatorischer Kunst (4). Nicht ohne Ironie, wenn man den Namen einer der größten Suchmaschinen, "Yahoo" (5), als Anspielung auf Jonathan Swifts "Travels into Several Remote Nations of the World" erkennt, direkt auf die menschenähnlichen Diener der Houyhnhnms (6) im 4. Buch, indirekt aber auch auf jene textherstellende Maschine (7) von Laputa, in der man eine spielerisch ironische Vorwegnahme des textverarbeitenden Computers sehen darf. Und in noch eine dritte Tradition ist das Cyberspace-Unternehmen Updikes einzuordnen, die Tendenz nämlich der Künste im 20. Jahrhunderts zum Dialog (8).

Wenn ich mich im folgenden vor allem auf Stuttgart konzentriere, geschieht dies 1., weil für die Stuttgarter Gruppe / Schule um Max Bense sehr früh bereits - im Rahmen ihres Interesses an experimenteller Literatur - das Produzieren und eine Theorie stochastischer Texte und Computergrafik eine Rolle gespielt haben, 2., weil wir in Stuttgart seit einiger Zeit auch mit offenen Internet-Projekten experimentieren.

Ein Charakteristikum der Stuttgarter Gruppe/Schule war sehr früh bereits ihr Interesse an einer Verbindung von künstlerischer Produktion mit neuen Medien und Aufschreibsystemen. Im Oktober/Dezemberheft 1959 der "Zeitschrift für Tendenz und Experiment", "augenblick" (9), einem Heft, das nicht zuletzt wegen der dort publizierten "Vier Texte" Helmut Heißenbüttels für die experimentelle Poesie der Tschechoslowakei (10) (aber auch Brasiliens (11)) besonders wichtig wurde, veröffentlichte Theo Lutz einen Aufsatz über mit Hilfe der Großrechenanlage ZUSE Z 22 geschriebene "Stochastische Texte", in dem er referierte, daß die "ursprünglich [...] für die Bedürfnisse der praktischen Mathematik und der rechnenden Technik" entwickelten "programmgesteuerten, elektronischen Rechenanlagen" eine "Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten" böten. Für die Benutzer derartiger Rechenanlagen sei "nicht entscheidend, was die Maschine" tue, "wichtig [...] allein" sei, "wie man die Funktion der Maschine" interpretiere.

Die Stuttgarter Gruppe/Schule "interpretierte" wissenschaftlich, indem sie mit Hilfe elektronischer Rechenanlagen Häufigkeitswörterbücher herstellte und für exakte statistische und ästhetische Textanalysen nutzte (12); sie "interpretierte" aber auch literarisch, indem sie das Verfahren der Herstellung von Wortindices praktisch umkehrte und den Computer anwies, "mit Hilfe eines eingegebenen Lexikons und einer Anzahl von syntaktischen Regeln Texte zu synthetisieren und auszugeben" (13).

Das erste Programm von 1959, das aus circa 200 Befehlen bestand, brachte aus heutiger Sicht zwar noch kein aufregendes Ergebnis (14), hatte aber für uns den Wert einer Inkunabal "künstlicher Poesie", die Bense kurze Zeit später theoretisch von der "natürlichen Poesie" unterschied (15), wobei sich - was die Sache besondes aufregend machte - eine Begriffspaar aus dem "Allgemeinen Brouillon" des Novalis in seiner Bedeutung geradezu umkehrte (16).

Spuren solcher "künstlichen Poesie" lassen sich, eingearbeitet in "natürliche" Texte, z.B. in meinen "fingerübungen" (1962), der "Prosa zum Beispiel" (1965) oder in Benses/Ludwig Harigs "Monolog der Terry Jo" (17) aus dem Jahre 1968 finden. Wir haben diese Ansätze außer in Vorträgen und Diskussionen (18) dann allerdings nicht weiter verfolgt, sondern unser Interesse an künstlerischer Produktion mit neuen Medien und Aufschreibsystemen in andere Richtungen ausgedehnt.

Daß ein solches Interesse auch die bildende Kunst einschloß, es nach den Versuchen mit maschinell erzeugten Texten bald auch zu Versuchen mit computergenerierter Grafik (Georg Nees (18a), Frieder Nake(18b)) und einer ersten, in ihrem Verlauf äußerst turbulenten Ausstellung von Computer-Grafik (19) in der Galerie des Studium Generale kam, sei wenigstens angemerkt, verwiesen auch auf Vorträge (20a) über konkrete und elektronische Musik sowie Versuche mit maschinell bzw. mit nicht instrumental erzeugter Musik (20b).

Wichtig scheint mir dabei der Hinweis, daß diese Experimente mit computergenerierter Grafik, konkreter Musik und der Verbindung von Sprache und Elektronik parallel zu sehen sind mit dem in Stuttgart damals virulenten Interesse an einer konkreten bzw. visuellen Poesie (21), an Permutationen (22), Würfeltexten (23) oder dem Cut-up-Verfahren (24), so daß das einzige, von Bense und mir geschriebene Manifest der Stuttgarter Gruppe/ Schule, "Zur Lage" (25), in Bündelung einer Vielzahl experimentell erprobter Textsorten folgende Tendenzen unterschied: "1. Buchstaben = Typenarrangements = Buchstaben-Bilder / 2. Zeichen = grafisches Arrangement = Schrift-Bilder / 3. serielle und permutationelle Realisation = metrische und akustische Poesie / 4. Klang = klangliches Arrangement = phonetische Poesie / 5. stochastische und topologische Poesie / 6. kybernetische und materiale Poesie"; dann aber hinzufügte, daß "in den meisten Fällen [...] diese Möglichkeiten nicht in reiner Form verwirklicht und vorgeführt" würden. "Wir ziehen die Poesie der Mischformen vor". Solche Mischformen wurden auf anderer Ebene 1972 auch Thema einer Wanderaustellung der Staatsgalerie Stuttgart ("Grenzgebiete der bildenden Kunst"), an deren Aufbau wir mitgearbeitet hatten (26).

Es ist rückblickend wichtig, daran zu erinnern, daß es neben dem Interesse an den Wechselbeziehungen zwischen den Künsten, zwischen Kunsthervorbringung und neuen Aufschreibsystemen in Seminaren, vor allem in Veranstaltungen des Studium Generale (27) und in Publikationen (28) selbstverständlich ein ebenso großes Interesse an internationaler experimenteller Literatur, Kunst und ihren Traditionen gab, das historisch eine Auseinandersetzung mit dem Werk Gertrude Steins (29), James Joyces (30), dem Kubismus (31), Dadaismus (32) und anderen Ismen einschloß. Aktuell diskutierten und veröffentlichten wir über Werke des Nouveau Roman (33), Raymond Queneaus (34), der Werkstatt für potentielle Literatur (Oulipo) (35), Georges Perecs (36), Marc Saportas (37), der Beat Generation u.a. Wenn Haroldo de Campos 1970 schrieb: now i'm cummings! / pound attention! / finneganswait for me! / joyce a moment! / mallarmé! / and arno holzwege!, deutet er über das Wortspiel hinaus ein Feld damaliger und anhaltender Interessen an.

Der Name Campos, der hier auch für die Brasilianische Noigandres-Gruppe (38) steht, verweist zugleich auf ein weiteres Charakteristikum der Stuttgarter Gruppe/Schule, ihre internationale Verflechtung, die sich neben Gemeinschaftsarbeiten (39) und Korrespondenzen u.a. in der Tradition des Renga/Renku/Renshi (40) oder der mail art (41) über die Jahre fortschrieb. Als sich 1994 auf dem Stuttgarter "Symposium Max Bense" ("Semiotik und Ästhetik / Ungehorsam der Ideen / Wirkungen") Wissenschaftler und Künstler trafen, behandelten ihre Referate speziell auch Beziehungen zu Frankreich (42), der Tschechoslowakischen, heute Tschechischen Republik (43), Brasilien (44), Japan (45), der Türkei (46) u.a.

Als wir infolge dieses Symposiums begannen, die reproduktiven und produktiven Möglichkeiten des Internets zu diskutieren, lag es nahe, den Gedanken der poetischen Korrespondenz für das Internet, das Internet für ihm gemäße und mögliche poetische Vernetzungen zu nutzen, und dies in mehrfacher Hinsicht. Reproduktiv bot sich das Internet an als ein Ort, die im offiziellen Kultur- und Kunstbetrieb nur bedingt wahrgenommenen Interessen der Stuttgarter Gruppe/Schule in Erinnerung zu bringen, umso mehr, als die Arbeit mit und im Internet uns als eine logische Konsequenz unserer frühen Auseinandersetzung mit stochastischen Texten, Computergrafik, konkreter und elektronischer Musik u.a. schien. Entsprechend haben wir inzwischen angefangen, hier einschlägige (oft unveröffentlichte) Vor- und Beiträge durchzusehen und für das Internet zu redigieren (47).

Ausgangspunkt für die produktiven Stuttgarter Internetprojekte (zusammen mit Johannes Auer) waren dagegen aktuelle Anlässe, als erster der 50. Todestag Gertrude Steins, für die wir im Internet ein virtuelles internationales "Epitaph" (48) errichteten und mit einer Ausstellung, dem "Memorial Gertrude Stein" (49) vernetzten dergestalt, daß das "Epitaph" auch Teil der "Memorials" war, das seinerseits den Schlußstein des "Epitaphs" setzte (50). Ein zweites Internetprojekt, "H.H.H. Eine Fastschrift" (51), entstand anläßlich des 75sten Geburtstags Heißenbüttels und wurde, bedingt durch seinen plötzlichen Tod, mit einem wiederum weltweit geknüpften "Epilog" (52) abgeschlossen.

Augenblicklich arbeiten wir an einem achtsprachigen "poemchess" (53), haben aber auch einzelne Texte zu den Spielregeln, d.h. technischen Bedingungen des Internets eingegeben, um die These zu überprüfen, daß stochastische, permutationelle ("Der Tod eines Fauns" (54)), konkrete ("Das Buch Gertrud" (55)), aleatorische ("makkaronisch für niedlich" (56)) und andere Strukturen und Traditionen die ästhetischen Spielmöglichkeiten des Internets, Hypertext, animierter Bild- und Hypertext, programmierter Text, bereits antizipieren.

Daß in Zukunft das Internet zunehmend auch Verbindungsmöglichkeiten von Text, Bild und Ton in immer komplexerer Form ermöglicht, ist für uns nur eine Frage der Zeit, wie wir überzeugt sind, daß das künstlerische Experimentieren mit und zu den Spielregeln und -möglichkeiten des Internets zu einer neuen ästhetischen Kultur führen könnte, die die Ästhetik des Films, des Radios, des Fernsehens fortschreiben wird: oral culture - print culture - electronic culture - internet culture.

[Ohne die Anmerkungen in Doris Rosenstein/Anja Kreutz (Hrsg.): Begegnungen. Facetten eines Jahrhunderts. Helmut Kreuzer zum 70. Geburtstag. Siegen: Böschen 1997, S. 409-413]

Anmerkungen
1) Michel Shumate: Hyperizons; Beat Suter: WWW Hyperfiction liste.
2) Z.B. Heiko Idensen: Hypertext: Von utopischen Konzepten zu kollaborativen Projekten im Internet. - Oft sind diese Aufsätze auch im Druck erschienen und zusätzlich HTMLisiert, z.B. - um bei Idensen zu bleiben -: Hypertext als Utopie (in: nfd, Zeitschrift für Informationswissenschaft und -praxis, 1-93, S. 37 ff.), Die Poesie soll von allen gemacht werden (in: Friedrich A. Kittler, Dirk Matejovski [Hrsg.]: Literatur im Informationszeitalter. Frankfurt/M.: Campus 1996, S. 143 ff.), Schreiben/Lesen als Netzwerk-Aktivität (in: Ernst Peter Schneck, Ruth Mayer, Martin Klepper [Hrsg.]: Hyperkultur. Zur Fiktion des Computerzeitalters. Berlin: 1996, S. 81 ff.)
3) Stephan Porombka, Ernst Peter Schneck, Thomas Wegmann: Seminar "Kollaborative Autorschaft".
4) Vgl. Döhl: Aleatorik. In: Dieter Borchmeyer, Viktor Zmegac [Hrsg.]: Moderne Literatur in Grundbegriffen. Frankfurt/Main: Athenäum 1987, S. 25 ff.; 2. neubearb. Aufl. Tübingen: Niemeyer 1994, S. 27 ff.
5) Link auf Yahoo
6) Abbildung
7) Abbildung
8) Döhl: Ansätze und Möglichkeiten künstlerischen Dialogs und dialogischer Kunst.
9) Vgl. Elisabeth Emter: Augenblick. Eine Zeitschrift wider die metaphysische Behaglichkeit. In: Udo Bayer, Karl Gfesser, Juliane Hansen [Hrsg.]: Signum um Signum. Elisabeth Walther-Bense zu Ehren. Sonderausgabe Semiosis 85-90, H. 1-4, 1997 u. H. 1/2, 1998, S. 52-59.
10) Mit Link kopiertes Zitat Hiršal aus H_H_H einfügen!
11) Mit Link kopiertes Zitat de Campos aus H_H_H einfügen!
12) Elisabeth Walther: Francis Ponge. Analytische Monographie. Ein Beitrag zur Semantischen und Statischen Ästhetik. Stuttgart [1961]; Döhl: Das literarische Werk Hans Arps. Zur poetischen Vorstellungswelt des Dadaismus. Diss. Stuttgart 1965. Der spätere Druck (Stuttgart: Metzler 1967) enthält das Wörterbuch nicht.
13) Gerhard Stikel: Computerdichtung. In: Der Deutschunterricht, Jg 18, 1966, H. 2.
14) NICHT JEDER BLICK IST NAH. KEIN DORF IST SPÄT.
EIN SCHLOSS IST FREI UND JEDER BAUER IST FERN.
JEDER FREMDE IST FERN: EIN TAG IST SPÄT.
JEDES HAUS IST DUNKEL: EIN AUGE IST TIEF.
NICHT JEDES SCHLOSS IST ALT. JEDER TAG IST ALT.
NICHT JEDER GAST IST WÜTEND. EINE KIRCHE IST SCHMAL.
KEIN HAUS IST OFFEN UND NICHT JEDE KIRCHE IST STILL.
JEDER WEG IST NAH. NICHT JEDES SCHLOSS IST LEISE.
KEIN TISCH IST SCHMAL UND JEDER TURM IST NEU.
JEDER BAUER IST FREI. JEDER BAUER IST NAH.
KEIN WEG IST GUT ODER NICHT JEDER GRAF IST OFFEN.
NICHT JEDER TAG IST GROSS. JEDES HAUS IST STILL.
EIN WEG IST GUT. NICHT JEDER GRAF IST DUNKEL.
JEDER FREMDE IST FREI. JEDES DORF IST NEU.
JEDES SCHLOSS IST FREI. NICHT JEDER BAUER IST GROSS.
NICHT JEDER TURM IST GROSS ODER NICHT JEDER BLICK IST FREI.
EINE KIRCHE IST STARK ODER NICHT JEDES DORF IST FERN.
JEDER FREMDE IST NAH, SO GILT KEIN FREMDER IST ALT.
[...]
15) "Es kann zur Erhellung eines allgemeinen Poesiebegriffs beitragen, wenn man zunächst zwischen natürlicher und künstlicher Poesie unterscheidet. In beiden Fällen arbeitet man mit Worten, ihren Derivationen, die als Deformationen in Bezug auf einen zugrundegelegten Wortraum gedeutet werden können und ihren Folgen, die linear oder flächig angeordnet sind. Für unsere Gesichtspunkte bleibt jedoch die Differenz in der Art der Entstehung das Wesentliche.
Unter der natürlichen Poesie wird hier die Art von Poesie verstanden, die [...] ein personales poetisches Bewußtsein [...] zur Voraussetzung hat ein Bewußtsein, das Erlebnisse, Erfahrungen, Gefühle, Erinnerungen, Gedanken, Vorstellungen einer Einbildungskraft etc., kurz eine präexistente Welt besitzt und ihr sprachlichen Ausdruck zu verleihen vermag. [...] Das poetische Bewußtsein in diesem Sinne ist ein prinzipiell transponierendes, nämlich Seiendes in Zeichen, und den Inbegriff dieser Zeichen nennen wir Sprache, sofern sie metalinguistisch eine Ichrelation und einen Weltaspekt besitzt. In dieser natürlichen Poesie hört also das Schreiben nicht auf, eine ontologische Fortsetzung zu sein. [...]
Unter der künstlichen Poesie hingegen wird hier eine Art von Poesie verstanden, in der es, sofern sie z.B. maschinell hervorgebracht werde, kein personales poetisches Bewußtsein [...], also keine präexistente Welt gibt, und in der das Schreiben keine ontologische Fortsetzung mehr ist, durch die der Weltaspekt der Worte auf ein Ich bezogen werden könnte. Während also für die natürliche Poesie ein intentionaler Anfang des Wortprozesses charakteristisch ist, kann es für die künstliche Poesie nur einen materialen Ursprung geben".
Max Bense: Über natürliche und künstliche Poesie. In: Theorie der Texte. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1962, S. 143 ff. - An weiteren Unterschieden seien noch genannt die Interpretierbarkeit der "natürlichen" und die Nichtinterpretierbarkeit der "künstlichen Poesie", der "Modus der Willkürlichkeit" für die "natürliche" und der "Modus der Unwillkürlichkeit" für die "künstliche Poesie".
16) Vgl. Döhl: Experiment und Sprache. In: Rüdiger Krüger, Jürgen Kühnel, Joachim Kuolt [Hrsg.]: Ist zwîfel herzen nâchgebûr. Günther Schweikle zum 60. Geburtstag. Stuttgart: Helfant Edition 1989, S. 351 ff.
17) Vgl. den einleitenden Kommentar des Regisseurs Heinz Hostnig: "Der Monolog beginnt mit einem Computer-Text. Es sind neun synthetische Annäherungen an die Sprache des Mädchens. Die Tatsache, daß gewisse Analogien zwischen dem zu Anfang unbewußten Zustand des Mädchens und der Unbewußtheit eines Computers bestehen, ließ diese erste Verwendung eines mit einer programmgesteuerten Maschine hergestellten Textes in einem Hörspiel gerechtfertigt erscheinen.
Diese Computertexte des Monologs werden in der Realisation übersetzt in eine durch ein kompliziertes Vocoder-Verfahren hergestellte synthetische Sprache, die im Verlauf des Monologs mehr und mehr abgebaut und von der natürlichen Stimme abgelöst wird.
Die Aussagen sind dokumentarische Texte. Sie können insofern als quasi-authentisch gelten, als sie die gesammelten und veröffentlichten Zeugnisse darstellen (vor allem gestützt auf eine 11teilige Artikelserie im 'France Soir', die den genannten Fall betreffen. Der Fall ist ein Verbrechen, geschehen in der Nacht vom 12. auf den 13. November 1961 in der Nordwest-Durchfahrt zwischen der Bahama-Insel New Providence und Florida. [Zit. nach dem Tondokument.]
18) Vgl. den umstrittenen Vortrag "Zeitgenössische Literatur in Deutschland" Max Benses auf den "Morsbroicher Kunsttagen 1961" (Schloß Morsbroich, 5.- 7. Mai 1961); die Diskussion der von Gerhard Stickel mit Hilfe einer IBM-7090-Rechenanlage des Deutschen Rechenzentrums in Darmstadt 1966 hergestellten "Monte-Carlo-Texte" bzw. "Autopoeme"; die Podiumsdission 1967 in den Düsseldorfer Kammerspielen anläßlich der Buchpublikation der von Manfred Krause und Götz F. Schaudt mit Hilfe der ZUSE Z 23 erzeugten "Computerlyrik. Poesie aus dem Elektronenrechner", das Erscheinen von Allison Knowles "A House of Dust" u.a.m. - Ich habe diese Entwicklung erstmals skizziert in: Sprache und Elektronik. Über neue technische Möglichkeiten, Literatur zu erstellen und konzipieren. WDR III, Kulturelles Wort, 27.2. 1970; Übernahme: SDR, Studio für Neue Literatur, 31.7.1970.
18a) Abbildung
18b) Abbildung
19) 4. Februar 1965, Galerie des Studium Generale der TH Stuttgart mit Arbeiten und einem Vortrag von Georg Nees, gefolgt von einer gemeinsamen Ausstellung von Arbeiten Georg Nees' und Frieder Nakes in der Galerie der Buchhandlung Wendelin Niedlich im November des gleichen Jahres. Beide Ausstellungen wurden von Max Bense eröffnet, der 1968 auch die Anregung zu der von Jasia Reichardt im "Institute of Comtemporary Arts" in London erarbeiteten Ausstellung "Cybernetic Serendipity" gab. Im ICA wurde bereits 1965 eine für die Grenzbereich Literatur/Bildende Kunst ähnlich wichtige Ausstellung, "Between Poetry and Painting", ebenfalls mit Stuttgarter Assistenz, gezeigt. Die Sammlung Jasia Reichardt befindet sich heute in den Staatlichen Museen Preußischer Kunstbesitz, Berlin. Vgl. "buchstäblich wörtlich / wörtlich buchstäblich". Berlin: Nationalgalerie 1987.
20a) Vgl. z.B. den Vortrag Piere Barbauds, "Der künstliche Komponist", am 13.12.1960 im Studium Generale.
20b) Ein Konzert für Tonband und ein ausgestelltes Objekt gab z.B. Friedhelm Döhl am 11.6.1966 anläßlich der Ausstellungseröffnung Sigfrid Cremer, Grafik Bilder Objekte. Stuttgart: Galerie der Edition Hansjörg Mayer.
21) Vgl. vor allem die hier einschlägigen Publikationen Max Benses (s. Elisabeth Walther [Hrsg.]: Bibliographie der veröffentlichten Schriften von Max Bense. Baden-Baden: Agis 1994),
Ferner Helmut Heißenbüttel: Anmerkungen zur konkreten Poesie. In: Text + Kritik, 1970, H. 25, S. 19 ff. und Döhl: Konkrete Literatur. In: Manfred Durzak [Hrsg.]: Die deutsche Literatur der Gegenwart. Aspekte und Tendenzen. Stuttgart: Reclam 1971, S. 257 ff.
22) Abraham A. Moles' "Erstes Manifest der permutationellen Kunst" erschien 1962 als "rot 8".
23) Neben Würfeltexten Kriwets u.a. nenne ich hier auch die "Dünnschliffe" Max Benses (in: Bestandteile des Vorüber. Köln, Berlin: Kiepenheur & Witsch 1961) und verweise auf die Doppelinterpretation von "Mein Standpunkt [...]" durch Max Bense und mich in Hilde Domin [Hrsg.]: Doppelinterpretationen, Das zeitgenössische deutsche Gedicht zwischen Autor und Leser. Frankfurt/M.: Athenäum 1969.
24) Das von William Burroughs u.a. in der Tradition des Cross-reading propagierte Cut-up-Verfahren lernten wir kennen bei unserer Auseinandersetzung mit der Literatur der Beat Generation, die 1960 Gegenstand eines Arbeitskreises im Studium Generale der TH Stuttgart war. Vgl auch Döhl: Schmutzige Fingernägel und herzige Nihilisten. In: notizen. Studentenzeitung für Stuttgart und Tübingen, Jg 5, Nr. 28, Juli 1960, S. 24 ff.
25) Zur Lage.
26) Die Wanderausstellung / der Katalog "Grenzgebiete der bildenden Kunst", Stuttgart: Staatsgalerie 1972 umfaßte die Teile "Konkrete Poesie / Bild Text Textbilder", bearb. und kommentiert von Döhl, "Computerkunst", komm. und bearbeitet von Herbert W. Franke und "Musikalische Graphik", bearb. und kommentiert von Erhard Karkoschka.
27) So richtete Max Bense, um den Charakter der Galerie des Studium Generale als einer Diskussions-Galerie stärker zur Geltung zu bringen, ein "Ästhetisches Kolloquium" ein, in dem "bestimmte ästhetische Probleme, die durch die Ausstellungen der Studien-Galerie vermittelt worden waren, zur Diskussion standen".
28) Bei der Fülle der hier einschlägigen Texte kann ich an dieser Stelle nur auf die bereits vorliegende "Bibliographie der veröffentlichten Schriften von Max Bense" (ed. Elisabeth Walter, Baden-Baden: Agis 1994) und die in Vorbereitung befindlichen Bibliographien Helmut Heißenbüttels und Reinhard Döhls verweisen.
29) Gertrude Stein und Stuttgart.
30) Wie Gertrude Stein regte uns Joyce auch außerhalb von Forschung und Lehre zu eigenen Produktionen an. Vgl. von Max Bense z.B. den "Dünnschliff" "IST, Anna war; Livia ist, Plurabelle wird sein [...]" oder meine Doppelcollage "Ulysses meets Zarathustra, perhaps".
31) Vgl. u.a. Max Bense: Küste Picassos, in: Das Kunstwerk, Baden-Baden/Krefeld, Jg 9, 1955/56, S. 3; S. 3 ff.; Helmut Heißenbüttel: ICH HABE DIE KÜSTENFIGUREN DER LANDSCHAFT PICASSO PASSIERT. In: Topographien. Eßlingen: Bechtle 1956, S. 12; Max Bense: Theorie kubistischer Texte. In: Werner Spies [Hrsg.]: Pour Daniel-Henry Kahnweiler. Stuttgart: Hatje 1965, S. 56-61; Döhl: Poesie zum Ansehen, Bilder zum Lesen? Notwendiger Vorbericht und Hinweise zum Problem der Mischformen im 20. Jahrhundert. In: Helmut Kreuzer, Käte Hamburger [Hrsg.]: Gestaltungsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte. Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaftliche Studien. Stuttgart: Metzler 1969, S. 554 ff.
32) Vor allem Döhl: Das literarische Werk Hans Arps. Zur poetischen Vorstellungswelt des Dadaismus. Stuttgart Metzler 1967. Ferner: Dadaismus. In: Wolfgang Rothe [Hrsg.]: Expressionismus als Literatur. Bern, München: Francke Verlag 1969, S. 719 ff.; Kurt Merz Schwitters. Ebd., S. 761 ff. u.v.a.m. -
1967, anläßlich seiner 80sten Geburtstages, gelang es uns sogar, Kurt Schwitters in Kommentar, Text und Bild ganzseitig in der "Stuttgarter Zeitung" vorzustellen. - Um das Werk Schwitters' bemühten sich damals auch die Stuttgarter bzw. Stuttgart verbundenen Künstler Heinz Hirscher (Link: Et in Arcadia (n)ego)) und Werner Schreib (Link: Werner Schreib und Stuttgart), während sich Klaus Burkhardt als Drucker und Editor um Raoul Hausmann bemühte.
33) Nathalie Sarraute kam im Rahmen des Arbeitskreises "Geistiges Frankreich" zu einer Lesung nach Stuttgart; Bücher von ihr wurden rezensiert von Elisabeth Walther, Max Bense und mir.
34) Das Werk Raymond Queneaus wurde übersetzt von Ludwig Harig und vor allem Eugen Helmlé; Max Bense schrieb das Vorwort ("Einleitung in Queneaus kleine tragbare Kosmogonie") für die deutsche Ausgabe der "Petite cosmogonie portative"; Bücher Queneaus wurden rezensiert von Helmut Heißenbüttel und mir. Harig, Helmlé und ich waren auch über das Collegium Patapysicum mit Queneau verbunden.
35) Die Werkstätten der potentiellen Literatur / Ouvroir de Littérature Potentielle (= Oulipo) beschäftigten sich wie wir mit experimentellen Schreibweisen. Beispiele für redundante und permutationelle Texte habe ich gebracht in einer in Zusammenarbeit mit Ludwig Harig und Eugen Helmlé zusammengestellten kleinen Anthologie der Pataphysik (Eröffnungen. Magazin für Literatur und bildende Kunst, Jg 5, 1965, Nr. 15 und 16).
36) Georges Perecs Bücher lernten wir, soweit nicht im Original, in der Übersetzung durch Eugen Helmlé kennen und schätzen.
37) Heftig umstritten war vor allem Marc Saportas Lose-Blatt-Sammlung "Composition No 1" (1962), die noch die Reste traditionellen Romans dekonstruierte.
38) Zu den Beziehungen zwischen der Stuttgarter Gruppe/Schule und der brasilianischen Noigandres-Gruppe, spez. zu Haroldo de Campos vgl. Elisabeth Walther: La poesía concreta en el Brasil y Alemania. En torno a las relaciones de Haroldo de Campos y Max Bense. In: Inventario, Madrid/Barcelona, H 4, 1994/95, S. 9 ff; The Relations of Haroldo de Campos to German Concretist Poets, in Particular to Max Bense. In: Experimental - visual - concrete. Avant-garde poetry since 1960s. Amsterdam/Atlanta: GA 1966, S. 353 ff.)
39) Sehr früh zeichnete sich im Umfeld der Stuttgarter Gruppe/Schule eine Tendenz auch zu gemeinschaftlichem Arbeiten ab,
schrieben Max Bense und ich "Zur Lage" (1964), Ludwig Harig und ich die Prosa "Hans und Grete. Eine deutsche Sprachlehre" (1970), enstanden gemeinsame Hörspiele von Bense/Harig ("Der Monolog der Terry Jo", 1968) oder Jürgen Becker/Harig und mir ("Türen und Tore", 1971), wurde aber auch international kooperiert: vgl. Hiroo Kamimura: 5 vokaltexte / Döhl: laut/gedichte nach dem japanischen des hiro[o] kamimura. Stuttgart 1966; Pierre Garnier/Seiichi Niikuni: Poèmes franco-japonais. Paris: Éditions André Silvaire 1967 u.a.m.
40) 1983 wurde uns durch Eugen Helmlés Übersetzung ein erster europäischer Versuch gemeinschaftlicher Dichtung in der Renga-Tradion bekannt, mit einiger Verspätung, hatten sich doch bereits 1969 in Paris der experimentierfreudige Mexikaner Octavio Paz, von dem auch der Plan stammte, der Italiener Edoardo Sanguineti, der Engländer Charles Tomlinson und der Franzose Jacques Roubaud, der das Programm entwarf, zu gemeinsamem Dichten zusammengesetzt. Dieses Experiment, dessen Ergebnisse 1971 selbständig in Paris erschienen, war schon formal ein Kuriosum, weil die Beteiligten die 5zeilige japanische waka- Strophe durch das 4strophige europäische Sonett ersetzten, das sie nach einem vorgegebenen Permutationssystem füllten, 1985 erschien bei Greno in Nördlingen "Poetische Perlen. Renshi. Ein Fünf-Tage-Ketten-Gedicht" von Hiroshi Kawasaki, Karin Kiwus, Makoto Ooka, Guntram Vesper. Nach einem ersten, nur auszugsweise publizierten Versuch Syun Suzukis und mir im Jahre 1992 ("Das weiße Schiff") kam es 1995 zu einer umfassenden "Poetischen Korrespondenz" zwischen Ilse und Pierre Garnier, Bohumila Grögerová, Josef Hiršal, Hiroo Kamimura, Yüksel Pazarkaya, Syun Suzuki und mir: "Auf der nämlichen Erde", die noch im gleichen Jahr im Stuttgarter Verlag in der Villa mit Abbildungen nach Sho-Arbeiten von Kei Suzuki veröffentlicht wurde; eine türkische Ausgabe, übersetzt von Yüksel Pazarkaya, "Ayni Gökyüzü", erschien 1997 in Istanbul.
41) Vgl. mein Manifest (Link) aus dem Jahr 1985, die Ausstellung "Kunst&Kompostkarten" (1989) von Wolfgang Ehehalt und mir, die Ausstellung "Der blaue Reiter ist gefallen, der blaue Reiter ist angelangt. Postkarten zu Else Lasker-Schüler" (1995) und die umfassende Ausstellung "Mail Art. Reinhard Döhl und Freunde". Stuttgart: Wilhelmspalais 1996.
41a) (Link von Anm. 41 "Manifest")
mail art! ein manifest.
die kunst ist auf den hund gekommen [rasse gleichgültig] was nicht heißen soll daß in der gültigkeit der hund begraben liegt [fliegende hunde eingeschlossen] was nicht ausschließt daß die kunst fliegt [air mail] was aber auch sea mail [sieh mal] land art etceterra heißen könnte [hundsposttage] also nicht sagen will daß alle land luft und wasserwege [von wegen wasser] künstliche also von kunst wegen sein könnten [potentialis] auch wenn sie nicht können wollten [irrealis] also nur sein würden [ehrwürden] falls sie sein könnten [duplizität der fälle] und mit der kunst schlitten führen [schlittenhunde] und wechselseitig [fahrbahn wechsel] mit presse dünger und kunst gülle [vorsicht seitensprünge] den künstlichen jünger [kunst kommt von können] überführen oder wie immer dem sei [wäre] hat die kunst [könnte von kommen] will sagen kann die kunst von [wie auch immer] hatten wir hin schon und her vor und zurück [hundeschlitten] zuvor und rückzu [epiphanie ausgeschlossen] kann die kunst [so zu sagen] immer nur auf dem land wasser oder luftweg zur kunst gelangen also: mail art!
[1985]
42) Unser Manifest "Zur Lage" war u.a. eine Antwort auf Graniers "Plan pilote fondant le Spatialisme" (Le Lettres, 8me Série, Numéro 31, Paris: Éditions André Silvaire 1963, S. 1 ff.); zur Zusammenarbeit mit Garnier kam es 1990 bei meinem Mallarmé-Projekt; Ilse und Pierre Garnier waren auch an den Stuttgarter ELS- und Gertrude-Stein-Projekten beteiligt; das "rot 60" (Max Bense: Grignan 1, Grignan 2. Stuttgart 1996) folgende "rot 61" (Pierre Garnier: Treffen in Grignan. Stuttgart 1997) schlägt den Bogen zurück zu einem zufälligen Treffen von Max Bense, Elisabeth Walther, Ilse und Pierre Garnier "im Juli 1963 oder 1964" in Grignan.
43) Bohumila Grögerová, Josef Hiršal: Prag Stuttgart und zurück.
44) Zu den intensiven brasilianischen Beziehungen vgl. neben dem schon genannten Vortrag/Aufsatz Elisabeth Walthers ferner Max Bense: Brasilianische Intelligenz. Eine cartesianische Reflexion (Wiesbaden: Limes 1965), ferner die Haroldo de Campos, der Noigandres-Gruppe, Joâo Cabral de Melo Neto, Mira Schendel, Aloisio Magalhâes gewidmeten "rot"-Nummern; die Ausstellungen Alfredo Volpis, Mira Schendels und Aloisio Magelhâes' in der Galerie des Studium Generale u.a.m.
45) Döhl: Stuttgart - Tokio und zurück oder ein japanisch- deutscher Literatur- und Schriftwechsel.
46) Yüksel Pazarkaya: Ostwestlicher Divan / westöstlicher Bazar.
47) Homepage: Als Stuttgart Schule machte.
48) Epitaph Gertrude Stein.
49) Memorial Gertrude Stein.
50) Mit Link kopiertes letztes Epitaph einfügen.
51) H_H_H. eine Fastschrift.
52) Epilog.
53) Poemchess.
54) Der Tod eines Fauns.
55) Das Buch Gertrud.
56) makkaronisch für niedlich.