Reinhard Döhl | Einführung zur Lesung Heinz Knoblochs aus "Herr Moses in Berlin"

Gebeten, den heutigen Abend mit ein paar Worten einzuleiten, möchte ich dieses gerne, wenn auch kurz tun und begrüße zunächst sehr herzlich Heinz Knobloch aus Ost-Berlin als den Autor des heutigen Abends. Und dann Sie als die Zuhörer natürlich ebenfalls.

Es ist jetzt - wenn auch nicht auf den Monat genau, der wäre der September - es ist jetzt 200 Jahre her, da antwortete der damals wohlbekannte Moses Mendelssohn dem Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner auf die Frage "Was ist Aufklärung? unter anderem:

"Aufklärung verhält sich zur Kultur wie Theorie zur Praxis; wie Erkenntnis zur Sittlichkeit; wie Kritik zur Virtuosität."

Und es ist jetzt 230 Jahre her - wiederum nicht auf den Monat genau, denn der wäre der September oder Oktober - es ist jetzt 230 Jahre her, da schrieb Lessing an den Göttinger Theologen Michaelis, der anläßlich einer Rezension des Lessingschen Lustspiels "Die Juden" bezweifelt hatte, daß es überhaupt einen edlen Juden geben könne. Lessing zitiert in diesem Zusammenhang zur Gänze einen Brief des damals noch völlig unbekannten Moses Mendelssohn, eine der eindrucksvollsten Apologien des Judentums, aus der ich folgende berückenden Sätze zitieren darf:

"Man fahre fort, uns zu unterdrücken, man lasse uns beständig mitten unter freien und glückseligen Bürgern eingeschränkt leben, ja man setze uns ferner dem Spotte und der Verachtung aller Welt aus; nur die Tugend, den einzigen Trost bedrängter Seelen, die einzige Zuflucht der Verlassenen, suche man uns nicht gänzlich abzusprechen."

In dieser umrissenen Zeit, zwischen 1754 und 1784 überdauerte und hatte Bestand eine der denkwürdigsten Freundschaften der deutschen Geistesgeschichte, entstanden zwei Lebenswerke, dessen unbekannteres in der Jubiläumsausgabe des Verlages Frommann-Holzboog immerhin 20 Bände umfaßt, über das jedoch außer Spezialisten der heutige Leser kaum mehr etwas weiß.

Vielleicht weiß er noch - aber weiß er es? - daß dieser Moses Mendelssohn Lessing für seinen Nathan Modell gestanden hat. Sicherlich nicht mehr dürfte er wissen, daß Moses Menselssohn 6 Jahre nach Erscheinen des "Nathan", 4 Jahre nach Lessings Tod seinem Freunde in den "Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes" seinerseits ein denkwürdiges Denkmal gesetzt hat. In diesen seit 1979 im Reclam-Verlag preisgünstig wieder greifbaren "Morgenstunden" handelt nämlich der 15. Lehrbegriff über "Lessing. - Dessen Verdienst um die Religion der Vernunft. - Seine Gedanken vom geläuterten Pantheismus".

Dieser 15. Lehrbegriff ist zugleich eine bedeutende Quelle über die damalige Aufnahme des heute zum Schulbuchklassiker verkommenen "Nathan", die zu zitieren nicht uninteressant ist. "Aber wie sehr veränderte sich die Szene", erinnert sich in ihr der fiktive Gesprächspartner D. des Moses Mendelsohn,

"Aber wie sehr veränderte sich die Szene nach der Erscheinung des Nathan! Nunmehr drang die Kabale aus den Studierstuben und Buchläden in die Privathäuser seiner Freunde und Bekannten mit ein; flüsterte jedem ins Ohr: Lessing habe das Christentum beschimpft, ob er gleich nur einigen Christen und höchstens der Christenheit einige Vorwürfe zu machen gewagt hatte. Im Grunde gereicht sein Nathan, wie wir uns gestehen müssen, der Christenheit zur wahren Ehre. Auf welcher hohen Stufe der Aufklärung und Bildung muß ein Volk stehen, in welchem sich ein Mann zu dieser Höhe der Gesinnungen hinaufschwingen, zu dieser feinen Kenntnis göttlicher und menschlicher Dinge ausbilden konnte! Wenigstens, dünkt mich, wird die Nachwelt so denken müssen..."

Aber so dachte sie nicht, die Nachwelt, müssen wir hier ergänzen, eine Nachwelt, die auf schlimme Weise bewies, auf welch niedriger Stufe der Aufklärung und Bildung sie in Wirklichkeit stand und wohl immer noch steht. Kaum entfernt von jener Zeitgenossenschaft, über die Mendelssohns fiktiver Gesprächspartner klagt:

"Jeden Vorwurf des Eigendünkels und der einseitigen Denkungsart, den er (= Lessing) einigen seiner Glaubensbrüder machte, oder durch seine dramatische Personen machen ließ, hielt ein jeder für eine persönliche Beleidigung, die ihm von Lessing widerfahren. Der allenthalben willkommene Freund und Bekannte fand nunmehr allenthalben trockene Gesichter, zurückhaltende, frostige Blicke, kalte Bewillkommnung und frohe Abschiede, sah sich von Freunden und Bekannten verlassen und allen Nachstellungen seiner Verfolger bloßgestellt. Sonderbar!" -

Mendelssohn setzt hier ein Ausrufezeichen. Aber ist das wirklich sonderbar? Ist es sonderbar, daß Lessing bei seinem Versuch, die Juden "von außen" aus ihrem Ghetto zu befreien, auf Widerspruch und Widerstand nicht nur des orthodoxen Christentums stieß? Daß andererseits Moses Mendelssohn bei seinem Versuch, die Juden "von innen" aus dem Ghetto zu führen, daß andererseits er, der als erster in der deutschen Geistesgeschichte den Weg "vom Ghetto nach Europa" erfolgreich beschritt, auf Widerspruch und Widerstand des orthodoxen Judentums stieß? Ich vermute: nein. Und ich denke, daß es gerade deshalb wichtig ist, sich immer
wieder dieses gleichsam doppelten Befreiungsversuches zu erinnern. Und das heißt in erster Linie, sich des Menschen und Schriftstellers Moses Mendelssohn zu erinnern, dessen 250jähriger Geburtstag 1979 nahezu verschlafen wurde, dessen 200. Todestag 1986 zur Wiedergutmachung mahnt.

Etwas für diese Erinnerung getan hat zum Beispiel Heinz Knobloch mit seinem Buch "Herr Moses in Berlin". Und er hat dies in einer Art und Weise getan, die wenig mit dem üblichen Stil von Biographien, viel dagegen mit Aufklärung zu tun hat. Zwar hat auch hier, wie stets der Literaturmarkt seine Schubladen bereit, und die Prosa Heinz Knoblochs zwischen Literaturgeschichte und Lokalreportage, als kritisches aber Feuilleton geortet. Ich bin mir da aber gar nicht so sicher und möchte noch einmal, diesmal eine ganz kurze Prosa Heinz Knoblochs zitieren, mit der er mir 1971 zum ersten Mal begegnete:

"Das Feuilleton paßt auf den Menschen auf, indem es ihn unterhält. Wenn es dabei an die heiligsten Güter rührt, ist es aus Zartgefühl verletzend."

Was Besseres wüßte ich einleitend über die Arbeiten Heinz Knoblochs, die ich kenne, nicht zu sagen. Ich darf damit zugleich das Wort dem Autor und eigentlichen Anlaß des heutigen Abends weitergeben und lediglich noch ankündigen, daß Heinz Knobloch zunächst aus "Herr Moses in Berlin" und abschließend (aus) einige(n) neueren Arbeiten lesen wird.

Botnanger Bücherladen 30.5.1984