Reinhard Döhl | Rezeption der Arbeitslosigkeit im literarischen Rundfunkprogramm zu Beginn der 30er Jahre (1)

Vorbemerkung | Rezeption der Arbeitslosigkeit im literarischen Rundfunkprogramm zu Beginn der 30er Jahre | Hermann Kasacks 'Funkdichtung' "Der Ruf" als exemplarischer Fall medialer Manipulationsmöglichkeit | Das Rundfunkprogramm des 1. Mai 1933 als Beispiel nationalsozialistischer Selbstinszenierung | Anmerkungen | Anlage 1: Ausschnitte aus Reichstagsdebatten und Rundfunkvorträgen | Anlage 2: Programm des Reichsrundfunks vom 1.5.1933

Vorbemerkung

Ein vor kurzem erschienenes Handbuch der neuen Medien (...)" (2) deutet mit seinem Umfang von 688 eng bedruckten Seiten quantitativ an, was in Zukunft auch auf eine Literaturwissenschaft zukommt, will sie sich nicht weiterhin dessen enthalten, was ihre Gegenstände mitkonstituiert und -konturiert. Auf dieses Mehr an Aufgaben ist die Literaturwissenschaft aus unterschiedlichsten Gründen schlecht gerüstet. Ja, sie ist sich nicht einmal sicher, für welche Medien sie eigentlich zuständig ist.

Geht man davon aus, daß Literatur als Gegenstand der Literaturwissenschaft eine Angelegenheit der Sprache war und immer noch ist, die zwar Grenzfälle, aber eben als Grenzfälle kennt, lägen alle Erscheinungsformen des Textes, vom mündlichen Vortrag bis zum Buch, vom Flugblatt bis zur Massenpresse, von der Rundfunksendung (Abteilung Wort) bis zum künftigen Teletext im Forschungshorizont der Literaturwissenschaft. Zu ihnen, zum Umgang mit ihnen wäre manches hypothetisch und theoretisch vorzumerken, doch ist in der Literaturwissenschaft im letzten Jahrzehnt theoretisch so vielfältig gesündigt worden, daß eine Rückbesinnung auf ihre Praxis, speziell im Falle der Medien, vernünftiger scheint.

Ich sage dies nicht ohne Nebengedanken. Denn obwohl schon einmal, vor 54 Jahren an der damals Technischen Hochschule Stuttgart, eine Antrittsvorlesung gehalten wurde, die - das Hörspiel betreffend - auch den technischen Aspekt von Literatur nachdrücklich ins Blickfeld rückte (3), sind in Stuttgart bis heute die Voraussetzungen praktischer Medienforschung für Literaturwissenschaftler nicht gegeben, ist manche Gesamt- und Höhere Schule des Landes im Bereich der Medien besser ausgestattet als das literaturwissenschaftliche Institut, das nicht einmal über einen schallisolierten Raum verfügt, geschweige denn über ein kleines Studio für die auch bei literaturwissenschaftlicher Beschäftigung mit den technischen Medien unerläßlichen Schnitt- und Montagearbeiten.

Es galt also für meinen Versuch, Aspekte literaturwissenschaftlicher Medienarbeit, speziell der Analyse, am Beispiel vorzustellen, ein Thema zu wählen, bei dem auf solche Vorarbeiten weitgehend verzichtet werden konnte, bei dem z.B. statt des Tonbandzitats das referierende Zitat oder die Zitatvorlage als Notbehelf ausreichen.

Dies vorausgesetzt, spreche ich von der Rezeption der Arbeitslosigkeit im literarischen Rundfunkprogramm zu Beginn der 30er Jahre, also an der Schnittstelle, bzw. dem Übergang von Weimarer Republik zu nationalsozialistischem Deutschland. Dabei frage ich

1. in welchem Umfang sich das Thema Arbeitslosigkeit in den Spielformen des Rundfunks niedergeschlagen hat
2. werde ich genauer eingehen auf Hermann Kasacks "Funkdichtung" "Der Ruf" als einen exemplarischen Fall medialer Manipulationsmoglichkeit
3. habe ich abschließend vom Rundfunkprogramm des 1. Mai 1933 als einem Beispiel nationalsozialistischer Selbstinszenierung zu sprechen.
1. Rezeption der Arbeitslosigkeit im literarischen Rundfunkprogramm zu Beginn der 30er Jahre

Nachdem noch 1927 eine Jury glaubte, Rundfunkarbeiten ausschließen zu müssen, die "sehr drastisch Streitigkeiten mit dem Wohnungsamt", die "sehr kraß soziales Elend", "zum Beispiel die Armseligkeit der Heimarbeit" behandelten (4), reagierte nach 1929 auch das literarische Rundfunkprogramm auf Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Verelendung breiterer Bevölkerungskreise. Für unser Thema als reproduktive Rezeption allenfalls am Rande interessant ist dabei jene Literatur, die - dem damaligen Leser zugedacht - vom Rundfunk lediglich zusätzlich vervielfältigt wurde. Als produktive Rezeption berücksichtigt werden müssen dagegen all jene literarischen Sendungen, die unter den Bedingungen des Mediums speziell für die Verbreitung durch den Rundfunk geschrieben wurden.

Dank der Gepflogenheit, wichtige Sendungen auf Wachsplatten mitzuschneiden, haben sich für die letzten drei Jahre der Weimarer Republik vollständig, bzw. fragmentarisch erhalten 6 Tondokumente (5), davon eines lediglich als Aufzeichnung, da das entsprechende Hörspiel nach Einspruch des zuständigen Überwachungsausschusses nicht gesendet wurde (6). Es ist inzwischen auch im Druck zugänglich in einer sehr verderbten Nachschrift der Aufzeichnung (7) sowie in der ursprünglichen Manuskriptfassung (8), die sich allerdings beachtlich von der Realisation unterscheidet.

Zu den restlichen 5 Tondokumenten sind, im Text oft ebenfalls auffällig abweichend, zum Teil mehrere Manuskripte nachweisbar (9), in einem Fall auch das Manuskript einer späteren Bearbeitung (10), von der noch zu sprechen sein wird. In acht weiteren Fällen haben sich ausschließlich Manuskripte erhalten (11), in einem Fall zusätzlich ein Teilabdruck unter geändertem Titel (12). Sind für diese acht Manuskripte oft mehrere Sendungen nachweisbar, wurden aus zwei weiteren Manuskripten (13) nach längerem Hin und Her nur Ausschnitte gesendet. Von einem inzwischen gedruckten Hörspiel und Hörspielfragment (14) dürfen wir mit Sicherheit annehmen, daß sie damals keiner Rundfunkanstalt vorgelegen haben.

Auf eine mit Hilfe der Programmzeitschriften mögliche Ergänzung dieser Bilanz kann ich verzichten. Sie würde, soweit sich zum nachgewiesenen Titel nicht zusätzlich ein Tondokument und/oder Manuskript auffinden lassen (15), allenfalls quantitativ bestätigen, in welchem Umfang sich das literarische Rundfunkprogramm nach 1929 dem Thema der Weltwirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und ihren Folgen zuwandte.

Diese Zuwendung nutzte fast alle Spielformen, die der Rundfunk im Umfeld des Hörspiels (16) in den ersten sechs Jahren seiner Geschichte entwickelt hatte, den Monolog (17), den Querschnitt (18), die gebündelten Schicksale (19), den dramatischen Zeitbericht (20), die Hörfolge (21), das Lehrspiel (22), allgemein die Funkdichtung (23) oder speziell das Hörspiel (24).

Eine angesichts eines Themas derart grobe Präsentationsbreite läßt sich negativ aus der Unsicherheit der Autoren erklären, welche Form dem Thema angemessen sei.

"Sie hören ein Spiel, das den Namen "Hörspiel" nicht zu Recht führt. Die Autoren gestehen, daß ihnen keine andere, bessere Bezeichnung fr das zur Hand ist, was hier, vielleicht erstmalig, versucht werden soll" (25).
Positiv gewendet zeigen sich die Autoren auffällig bemüht, dem aktuellen Thema und ihren Intentionen die jeweils geeignete Präsentationsform zu geben.
"Mit Bewußtsein (...) habe ich in Stoff und Gestaltung versucht, mich dem wirklichen Leben weitmöglichst zu nähern, eine dramatische illustrierte Reportage zu schreiben" (26).
Nimmt man die erhaltenen Tondokumente, die ermittelten Manuskripte und Drucke im Schnitt, kommen praktisch alle von der Arbeitslosigkeit und Verelendung mittelbar und unmittelbar Betroffenen zu Wort, trifft man bei den unmittelbar Betroffenen in etwa korrekter Relation auf den Arbeiter und Industriearbeiter (27), den Angestellten (28), den arbeitslosen Akademiker (29) und den Werkstudenten, der, soweit überhaupt möglich, arbeiten muß, um studieren zu können, und studiert ohne Hoffnung auf spätere Berufsausübung.
"Der deutsche Ärzteverband warnt eindringlich vor Ergreifung des Medizinstudiums. (...)
In den groben Städten gibt es bereits jetzt unzählige Anwälte, die Wohlfahrtsunterstützung beziehen.
In der Industrie sind die Aussichten der Diplomingenieure so gut wie hoffnungslos.
Das Kultusministerium gibt bekannt, daß der Bedarf an Schulamtsbewerbern des höheren Lehramts so gut wie restlos gedeckt ist. (...)
Wird der akademischen Inflation nicht umgehend Einhalt geboten, so werden wir in fünf Jahren ein Überangebot von rund 300 000 Akademikern haben.
Wir warnen alle!" (30)
Man darf sich von diesem Warnruf, von in anderen Spielen zitierten Zeitungsmeldungen (31) oder mitgeteilten Behördenbeschlüssen (32) jedoch nicht täuschen lassen. Sie sind nicht Ausgangspunkt oder Grundlage folgender Sachdiskussion, vielmehr aktualisierende Hörspielzutat, die die Hörer für die jeweils vom Autor vorgesehene Lösung emotionalisieren soll (33). Denn nicht um eine die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründe und Hintergründe erhellende Argumentation geht es eigentlich allen Autoren (34), sondern um das im Einzelschicksal und seiner Entfaltung mögliche Identifikationsangebot. Hier läßt sich für die meisten der erhaltenen Tondokumente und Manuskripte als durchgängiges Muster erkennen:
1. Der Held wird plötzlich oder ist schon seit einiger Zeit arbeitslos. Hierher wäre auch der Sonderfall zu zählen, daß mit Hinweis auf drohende Arbeitslosigkeit Überstunden erpreßt werden (35).
2. Die plötzliche oder schon dauernde Arbeitslosigkeit führt zu gesellschaftlicher Isolation des Helden (36), zu seiner Gefährdung durch die Flucht in den Alkohol (37), in das Spiel (38), in den Diebstahl (39), sogar ins Kapitalverbrechen (40).
3. Auswege aus einer derart gesteigerten Notlage bieten negativ die Wahl des Freitodes, positiv der Versuch von Selbsthilfe, Beschäftigungstherapie oder ein Verlassen der Stadt (mit dem Charakter der Stadt- und Zivilisationsflucht (41)). In diesem Fall führen
4. die Entdeckung, das Erfahren der Natur zu einer inneren Stabilisierung des Helden, der auf diesem Wege wieder in die Gemeinschaft, zu gemeinschaftlichen Selbsthilfeprogrammen, allgemein zur Arbeit zurückfindet. Wobei
5. Arbeit in der Regel über ihre ursprünglich nur materielle Bedeutung hinaus eine ideelle Gewichtung erfährt (42).
Berücksichtigt man die Bedenklichkeiten der Jury von 1927 gegenüber Rundfunkarbeiten, die "sehr kraß soziales Elend" darstellen, verlangt die häufige Thematisierung des Freitodes besonderes Augenmerk. Immerhin sehen vier Spiele für von sozialer Not Betroffene oder den Helden als Lösung den Freitod vor (43). In einem fünften Beispiel mißlingt die Selbsttötung (44), in einem weiteren nimmt der Held im letzten Moment Abstand (45), in einem siebten schließlich haben ein tödlicher Verkehrsunfall (46) und Erschöpfungstod gleichsam stellvertretende Funktion.

Allerdings - was die Autoren vorsahen, mochten die Programmverantwortlichen ihren Hörern so doch nicht zumuten. Wenn auch sicherlich nicht ausschließlich deshalb - zwei der vier Spiele, die den Freitod als Ausweg vorsahen (47), wurden nur zu Teilen gesendet. und zwar jeweils ohne die Freitod-Sequenzen, wie sich aus den erhaltenen Kritiken (48) mit großer Wahrscheinlichkeit schließen läßt. Noch aufschlußreicher für die damalige Sendepraxis ist allerdings das vierte dieser Hörspiele, August Düppengießers "Toter Mann". Hier sah das Manuskript einen als Unfall kaschierten Freitod vor. Der arbeitlose Industrieschmied
Hannes Rader springt angetrunken und völlig verzweifelt in die Bahn eines Autos. In der letzten Sequenz sind seine ehemaligen Kollegen während der Schicht in Gedanken bei seiner Beerdigung.

Die Hörer aber hörten es anders: Der Held überlebt den Unfall. Auf einem Rekonvaleszentenspaziergang mit seiner Braut vor der sonntäglichen Stadt trifft er auf eine Jugendgruppe, deren Lied "Mit uns zieht die neue Zeit" ihm wie dem Hörer Hoffnung auf eine bessere Zukunft signalisiert. Bemerkenswert wie diese Umschrift ins happy end ist die Tatsache, daß es eine Jugendgruppe ist, die dieses auf die Zukunft verweisende Lied singt. Dem entspricht in anderen Hörspielen eine Verbindung von Hoffnung und Kind, wenn es zum Beispiel in Georg W. Pijets "Mietskaserne" gelingt, von einer Familie mit drei kleinen Kindern, die wegen drohender Exmission den Gashahn aufgedreht hatte, wenigstens das jüngste wiederzubeleben.

"Stimmen fliegen von Mund zu Mund. Lebt! Lebt! Ein Kind lebt! Ein Kind lebt... Musik" (49),
schließt das Manuskript und assoziiert vor wenn auch äußerst trübem Hintergrund ebenso Hoffnung wie Bernhard Wendlers "Heimweg zur Erde", an dessen Ziel, den zugeteilten 5 Morgen Siedlungsland, die Frau dem Mann gesteht, daß sie guter Hoffnung sei, wonach sogar die Absage in der Metapher bleibt mit der Deklaration der Erde als der "Mutter aller Kräfte des Menschen" und dem Wunsch, daß den Siedlern "dieser Heimweg zur Erde gesegnet sein" möge (50).

Indem Autoren und Bearbeiter derart die Hoffnung mit dem Jugendlichen, dem Kind, sogar dem noch ungeborenen Leben verbinden, verschieben sie die eigentliche Lösung auf die Zukunft, machen sie beides zu einer Sache des Glaubens:

"Hannes: Glaubst du denn, Marie, daß eine bessere Zeit kommen wird?
Marie: Die neue Zeit wartet in der Ferne. Wir müssen ihr nur entgegen schreiten...
Hannes: Marie, ich glaub, das Schreiten ist schön (51)."
Ähnlich vage oder offen bleiben auch die anderen Schlüsse, selbst dort, wo sie von staatlicher Seite beschlossene Arbeitsbeschaffungsprogramme (52), ein im Oktober 1931 von der Stadt Berlin initiiertes Siedlungsprogramm (53) ins Spiel bringen, wo sie den arbeitslosen Werkstudenten den freiwilligen Arbeitsdienst anempfehlen (54). Denn mehr als der ehemalige Student -
"Wir werden das Moor kultivieren; jeder von uns soll später sein Stück Land haben" (55) -
mehr als der des Spatendiebstahls angeklagte Erwerbslose -
"Wenn man mir den Spaten nimmt, dann nimmt man mir alles, die ganzen Hoffnung, die ganze Arbeit" (56) -
mehr wußten die Autoren kaum zu sagen.

Praktische Vorschläge macht allein Werner Brink, der sein Stück (57) vielleicht auch deshalb als "Lehrspiel" bezeichnet. Was sein Spiel allerdings lehrt, sind nicht Möglichkeiten und Wege, das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen, sondern sich in der Arbeitslosigkeit zu behaupten. Dabei beschränkt sich Brink auf den einzigen Aspekt der zunehmenden Isolierung des arbeitslos Gewordenen innerhalb seines bisherigen Bekanntenkreises.

Was das Spiel hier zur Nachahmung empfiehlt, ist dürftig genug: das Aufstellen eines "Kartons" in einem Tabakladen, in den beim Kauf von Zigarren oder Zigaretten der Käufer jeweils eine Zigarre, mehrere Zigaretten einlegt für diejenigen, "die gar keine mehr kaufen können" (58). Ferner den Entschluß mehrerer Arbeitsloser, sich künftig gegenseitig zu besuchen, um "nich allein", um nicht "plötzlich ausjeschlossen" zu sein, was einer der Betroffenen als "det Schlimmste" (59) erkannt hat.

Geht man davon aus, daß die Mehrheit der Hörer vom Rundfunk - was übrigens auch für die anderen Massenmedien gilt - vor allem in Krisenzeiten wenn nicht Ablenkung so wenigstens Lebenshilfe erwartet, bieten die Arbeitslosenhörspiele auf den ersten Blick also herzlich wenig. Es wäre dennoch verfehlt, dies als Versagen der Autoren zu kritisieren, denen durch das vermittelnde Medium Grenzen gesetzt waren. Eine Lösung des Problems war von ihnen nicht zu erwarten und den Anspruch des künstlerisch wertvollen Hörspiels hat keiner der Autoren erhoben.

Ästhetisch anspruchslos, waren ihre Beiträge fast ausnahmslos (60) Gebrauchsware für ein Medium, das, wesentlich der Aktualität verpflichtet, die Aktualität der Arbeitslosigkeit seit 1929 auch aus dem Programmbereich der kulturellen Unterhaltung nicht mehr ausklammern konnte, ja sie dort ausdrücklich ins Spiel bringen ließ in Aufbereitungen, die bis in einzelne Formulierungen hinein die öffentliche Diskussion spiegelten.

Diese öffentliche Diskussion ließe sich relativ leicht aus zahlreichen Tondokumenten, die im Historischen Archiv der ARD in Frankfurt lagern, synthetisieren und den erhaltenen Hörspieldokumenten und Manuskripten vergleichen. Leider kann ich diesen Vergleich infolge der eingangs erwähnten mangelhaften Ausstattung dieses Instituts hier nicht leisten. Ich beschränke mich deshalb auf die unkommentierte Vorlage einiger schriftlicher Auszüge erhaltener Tondokumente, um die These zu stützen, daß die gesendeten Spiele, die literarische Rezeption der Arbeitslosigkeit im Brennpunkt bündelten, was, über das Gesamtprogramm verstreut, auch sonst jedem Hörer akustisch stets gegenwärtig war. In dieser Bündelung aber, im Angebot von Tips, im Hinweis auf zum Beispiel Arbeitsbeschaffungs- und Siedlungsprogramme, im Verweis auf eine bessere Zukunft sollte und wollte auch das literarische Programm der "psychologischen Stabilisierung" (61) nicht nur des erwerbslosen Hörers dienen, der sich der Rundfunk damals weitgehend verschrieben hatte. Daß dies wesentlich auch als Aufgabe des literarischen Programms begriffen wurde, machen nicht zuletzt die zahlreichen Eingriffe in die Manuskripte, die mögliche Verkehrung der Schlüsse ins happy end deutlich.

2. Hermann Kasacks "Funkdichtung" "Der Ruf" als exemplarischer Fall medialer Manipulationsmöglichkeit

Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion, im Kontext der bisher behandelten Sendungen hat Hermann Kasacks "Funkdichtung" "Der Ruf" ihren besonderen Stellenwert zunächst, weil sie, am 12. Dezember 1932 gesendet, eines der letzten Hörspiele des Weimarer Rundfunks vor Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ist. Dann und vor allem, weil sie in einer Bearbeitung durch Ottoheinz Jahn am 20. März 1933 noch einmal wiederholt wird. Diese Wiederholung bekommt ein zusätzliches propagandistisches Gewicht durch ihre Plazierung auf den Vorabend des "Tages von Potsdam".

Anders als seine Vorgänger erzählt Kasack das Schicksal seines Arbeitslosen nicht fortlaufend, fügt vielmehr einleitend und gliedernd einen "Chor der 4 Herren" zu. Die im Spiel erfolgende Kündigung Martin Kellers, der auf dem Höhepunkt der Depression noch in "geordneten Verhältnissen" (62) angetroffen wird, könnte sein Schicksal zu einem Modellfall machen, umso mehr, als die folgenden Stationen seiner Arbeitslosigkeit - die vergeblichen Versuche, wieder Arbeit zu finden, die zunehmende Isolierung zu durchbrechen, Störungen im Verhältnis zur Braut, Flucht in den Alkohol, ins Spiel, der geplante Freitod - immer wieder vom "Chor der 4 Herren" kommentierend unterbrochen werden.

Ein idealer Ansatz für ein Lehrstück (63), sollte man meinen. Aber genau dieses liefert Kasack nicht. So ist es nur konsequent, wenn sich der "Chor der 4 Herren" auf dem Höhepunkt, kurz bevor Martin Keller der Ausweglosigkeit seiner Situation durch den Freitod entgehen will, verabschiedet mit dem resignativen Hinweis auf den Widerspruch von Theorie und Praxis.

"IV. Man sieht, theoretisch läßt sich das Problem der Arbeitslosigkeit auf verschiedene Weise lösen...
I. Aber in der Praxis...
IV. In der Praxis, meine Herren..? Praktisch kann man nur abwarten und sehen, wie man sich während dieser allgemeinen Krise vorsichtig weiter und weiter hilft." (64)
In einer Mutation läßt Kasack den "Chor der 4 Herren" kurz vor seiner Verabschiedung noch als vier Lockstimmen auftreten, die in verkürzter Form das Parteienspektrum der Weimarer Republik vertreten:
als Partei der "Unterdrückten", die "gegen die Ausbeuter" kämpft,
als Partei des "Mittelstandes", die darauf hofft, daß es Wirtschaft und Industrie besser gehen werde,
als Partei, die ihrem "Führer" in die "wahre Volksgemeinschaft" folgt, und
als Partei des "Klassenkampfes" (65).
Auch wenn Kasack keine Namen nennt, bereits die Kurzcharakterisierung läßt unschwer Sozialdemokraten, bürgerliche Mitte, Nationalsozialisten und Kommunisten erkennen. Daß sich Martin Keller auf keine dieser Parteien einlassen will, spiegelt recht deutlich den Parteienüberdruß auch seines Verfassers, der, wie viele Intellektuelle in der sich auflösenden Weimarer Republik, die Praktikabilität der öffentlichen Lösungsvorschläge bezweifelte, an eine parteipolitische Lösung nicht (mehr) glaubte (66).

Auf der anderen Seite mußte Kasack seinen Helden vor dem Freitod bewahren, aus der aussichtslosen Lage befreien, denn negative Hörspielschlüsse waren, wie dargelegt, 1932 angesichts von über sechs Millionen Arbeitslosen nicht opportun. Aus diesem Dilemma behilft sich Kasack, indem er die von seinen Vorgängern vorgeschlagenen Lösungen um die abenteuerliche "Vision" einer gemeinsamen Arbeitserzwingung durch Arbeitslose und Arbeiter vermehrt. Geeint durch den "Glauben an die Zukunft" (67), vereint im "Willen zur Arbeit" (68), begeben sich am Schluß der "Funkdichtung" unter Anführerschaft Martin Kellers Arbeitslose und
Arbeiter auf einen gemeinsamen Marsch in die Arbeit, erzwingen sie die Öffnung der Fabriken, sind schließlich am Ziel.

"Schweigen", sieht hier das Manuskript vor. "Danach, sofort aufgeblendet, deutliches Stampfen der Maschinen, Dynamos, Turbinen usw. Die akustische Vision der arbeitenden Maschinen, in regelmäßigem Rhythmus, läuft eine Weile ganz allein. Jähe Stille." (69)
Aber Kasack begnügt sich mit dieser "akustischen Vision" noch nicht. Er steigert vielmehr nach der "jähen Stille" noch einmal in die liturgische Gebärde, wenn er Martin Keller das Vaterunser um die Bitte vermehren läßt:
"Unser täglich Arbeit gib uns heute" (70).
Das wäre in groben Zügen, was das Manuskript für die Inszenierung vorsah. Aber auch hier hörte der Hörer manches anders. Bereits die erste Inszenierung durch Edlef Koeppen weicht im letzten Drittel so entschieden vom Manuskript ab, daß dies bei jeder Analyse zu berücksichtigen ist.

Dabei wären zunächst Korrekturen festzuhalten, die auf Einspruch des zuständigen Überwachungsausschusses erfolgt sein könnten, am auffälligsten bei den Lockstimmen. Wenn ihnen - wie in der Inszenierung von 1932 geschehen - Worte wie "Ausbeuter", "Mittelstand", "Dein Führer", "wahre Volksgemeinschaft", "Klassenkampf" gestrichen werden, verliert das Parteienspektrum an Realität, werden die von den Lockstimmen vertretenen Parteiprogramme in sich beliebig und austauschbar - "ausgewogen", würde man dies heute nennen.

Aufmerksamkeit verdienen zweitens Textersetzungen, die sich nicht aus der Praxis der Regiearbeit erklären lassen. Hörte zum Beispiel der Hörer im Anschluß an die Lockstimmen als Kommentar Martin Kellers:

"Was sollen mir Parteien! Ich suche die Gemeinschaft!",
hatte hier das Manuskript - durchaus differenzierter - vorgeschrieben:
"Ich bin durch die Straßen gegangen, die Parteien haben mir die Ohren vollgeschrieen, aber mit Reden allein - schafft man nicht 'Freiheit und Brot'. Ich gehöre nicht dazu! Zu keiner Partei von Euch! (71)
Striche und Unterstreichungen in einem erhaltenen Manuskript lassen einen schon fortgeschrittenen Probenstand erkennen, machen sehr wahrscheinlich, daß die Eingriffe erst kurz vor der Sendung, die damals noch live erfolgte, stattfanden. Folgt man den Unterstreichungen, war von der Regie, anders als es schließlich der Hörer hörte, besonders auf die Parteienabsage Martin Kellers abgehoben.
"Ich gehöre nicht dazu. Zu keiner Partei von Euchl"
ist dick unterstrichen. Und bei den Lockstimmen war offensichtlich auf das Herausarbeiten des Links-Mitte-Rechts-Spektrums, die konkrete Andeutung besonderes Gewicht gelegt, wie die Unterstreichungen von "Klasse der Unterdrückten", "Mittelstand" und "Dein Führer" leicht ablesen lassen.

Besonders gravierend ist aber ein dritter, umfänglicher Eingriff. Während das Manuskript vorsieht, daß Martin Keller, der schon den Gashahn aufgedreht hat, durch seine innere Stimme geführt, in einem kurzen Gang durch die Natur und Heimat sich als Teil dieser Natur und Heimat, einer Art kollektiven Kosmos' begreift und sich so schließlich als "der Ruf, der Ruf nach Arbeit" (72), als Führer (73) aller arbeitenden und arbeitslosen Menschen versteht, fügt die Inszenierung von 1932 vor dieses letzte Verstehen eine ausführlichere Sequenz ein. In ihr erklärt der arbeitslose Martin Keller einem namenlosen Arbeiter anhand eines Samenkornes, daß die Menschen, als "Teil der Natur" durchaus "aus sich selbst heraus die Kraft" hätten, "alle Widerstände zu brechen und die alte Form zu sprengen" (74). Daß es nicht ausreiche, wenn der Einzelne, wenn zum Beispiel die Arbeitenden stellvertretend diesen "Willen" hätten. Man müsse "an das Ganze, an die Gemeinschaft" denken.

"Wer wollte den Millionen Samenkörnern verbieten, zu keimen und aufzubrechen! Niemand knte es. Sie haben den Willen zum Dasein in sich, deshalb kommen sie zum Dasein. Wir haben den Willen zur Arbeit in uns, deshalb kommen wir zur Arbeit."
Dieser Wille zu Dasein und Arbeit (als Voraussetzung menschenwürdigen Lebens) ist dem Einzelnen übergeordnet, liegt nicht in seiner Macht. Der Einzelne ist Teilchen in seinem Kraftfeld. An Nietzsches problematischen "Willen zur Macht" erinnernd, gipfelt die eingefügte Sequenz in der äußerst mißverständlichen Zuversicht:
"Wille läßt sich nicht befehlen. Er wird kommen. Und er wird durch Deutschland marschieren. Der Wille wird an die Tore der stillgelegten Fabriken und Betriebe pochen: Ich bin der Ruf. Wer hört den Ruf?"
Es ist wie im Falle Düppengießers auch hier bisher nicht zu ermitteln gewesen, auf wessen Konto dieser gravierende Eingriff geht. Koeppen und Kasack müßten als Verantwortliche eigentlich ausscheiden, selbst dann, wenn man unterstellt, daß diese eingeschobene Sequenz ein Zugeständnis an Einsprüche von Außen sein könnte. Nicht ausgeschlossen werden kann, daß diese Sequenz seinerzeit weniger peinlich empfunden wurde, als wir rückblickend vermuten, da Ernst Busch als Sprecher des Martin Keller sie engagiert mitgesprochen hat. Wie immer dem sei, vor allem ein Einschub wie dieser öffnete dem Zugriff des Nationalsozialismus auf Kasacks im Grunde unpolitische "Funkdichtung" Tür und Tor.

Als Ottoheinz Jahn sie im März 1933 bearbeitete, war dies weniger eine Verbeugung vor einem gelungenen Muster der Gattung, als vielmehr die Indienststellung eines bürgerlichen Schriftstellers für Propagandaabsichten des Nationalsozialismus. Und der hatte nach der erfolgreichen Generalprobe vom 30. Januar (75) als zweites Datum einer gezielten Selbstdarstellung den 21. März 1933 - den "Tag von Potsdam" - ins Auge gefaßt, der "bis ins letzte als ein Tag der Aussöhnung zwischen bürgerlichem und konservativem Nationalismus und Nationalsozialismus inszeniert wurde" (76).

Über die Art der Inszenierung geben Tondokumente von rund 7Ominütiger Dauer akustische Auskunft (77). Aber noch die am Vorabend des "Tages von Potsdam" plazierte Bearbeitung der "Funkdichtung" Kasacks war Teil dieser Inszenierung. In günstigster Sendezeit (78) von der Berliner Funk-Stunde ausgestrahlt und von anderen Sendern übernommen, suggerierte sie einer großen Hörerschaft in raffinierter Weise das Einverständnis des liberal-konservativen Schriftstellers, des bürgerlichen Intellektuellen mit dem nationalsozialistischen Programm.

Eine Äußerlichkeit ist hier bereits verräterisch. War die "Funkdichtung" ursprünglich unter dem Pseudonym Hermann Wilhelm gesendet worden, auch das Manuskript nennt den Verfasser pseudonym, mußte die Bearbeitung, wollte sie den genannten Eindruck vermitteln, das Pseudonym lüften. Und sie tat es, sowohl beim Manuskript der Bearbeitung wie bei der Ankündigung in den Programmzeitschriften, die als Verfasser ausdrücklich Hermann Kasack nennen.

Daß dies ebenso wie Bearbeitung und Sendung gegen den Willen des Autors geschah (79), wußte der Hörer ja nicht. Auch, daß der Regisseur der Erstsendung, Edlef Koeppen, jetzt durch Günther Hadank, daß unter anderen Ernst Busch als Sprecher abgelöst wurden, hat er nach vierteljährigem Abstand wohl kaum bemerkt, wie ihm schließlich auch Ausmaß und Gewicht der Eingriffe Jahns verborgen geblieben sein dürften.

Wie schon angedeutet, bot sich dem Bearbeiter die in der ersten Inszenierung eingefügte Sequenz besonders an. Nur war sie noch nicht deutlich genug. Deshalb ersetzt Jahn den nameniosen Arbeiter durch einen Bauern (80). Und umgekehrt wie in der Erstsendung erläutert jetzt der Bauer dem arbeitslosen Martin Keller den ideologischen Wert des Wachstums und der Arbeit nach dem Biologismusprinzip. Entsprechend schlägt auch nicht mehr Martin Kellers innere Stimme in den alle Versammelnden Ruf um, ist nicht Martin Keller der Rufer, sondern der Bauer und Martin Keller reihen sich ein in die Gefolgschaft eines Rufers, der seine
Getreuen schon seit längerer Zeit hinter sich schart,

"von den Sieben an, die entschlossen waren, das Vaterland wiederzugewinnen... als das Land des beständigen, erfüllten Lebens... alle, alle, die nicht mehr ihren Ursprung verleugnen wollten, ihre Rasse, ihren Gottglauben, ihre Heimat!... und die arbeiten wollen und nicht feiern... die nicht Entlohnung suchen und Berechnung, sondern Erfüllung, die Aufgaben des Lebens... alle, Millionen, die sich zusammenfanden, gegen die Ratten der Volksvergiftung... und alle, die das gleiche wollen, ersehnen... Aber der eine hat sich zu unserem Verkünder aufgeworfen, der eine führt uns, der eine hilft dem allgemeinen Wollen in einer neuen Idee zum Sieg." (81)
Diese Konkretisierung ist der zentrale Eingriff der Bearbeitung. Nicht mehr Stimme des Gewissens, alter ego Martin Kellers, für die das Manuskript eine "weibliche Altstimme" vorschrieb, die Koeppen mit Else Theel entsprechend besetzt hatte, ist in der Bearbeitunq Jahns der Rufer jetzt Gegenstimme, die im Stile der Zeit mit Martin Keller 'ringt'.

Schon in den ersten Rufer-Sequenzen deutet sich an, wer hier eigentlich spricht und zeigt, wo es lang geht. Bei den Lockstimmen, die Jahn, nationalsozialistischer Sicht entsprechend, umarbeitet, bleibt die Stimme des Nationalsozialismus ausgespart. Erst nachdem die Parteienlandschaft der Systemzeit hinreichend karikiert ist, meldet sich der Rufer zu Wort mit einem nun "klar und bestimmt" dagegen gesetzten 'Programm':

"Wer diese Zeit heilen will, die innerlich krank und faul ist, der muß die Fähigkeit aufbringen, die Ursachen des Leides klarzulegen. Die heutige Zeit hat sich selber abgebaut. Aber über alle Spießbürgerei hinweg nur aus unserem Volkstum heraus, so allein sammeln und ordnen sich jetzt die Kräfte, die als Vorkämpfer einer neuen Weltanschauung befähigt sind." (82)
Der Rufer, der sich im Verlauf des Spiels Martin Keller als "dein Gewissen" und "deine Aufgabe" vorstellt, spricht immer weniger verhüllt:
"Und die Bewegung ist keine Organisation der Zufriedenen, der Satten... sie faßt die Leidgequälten und Friedlosen zusammen... die Unglücklichen und Unzufriedenen... und sie wächst, sie verwurzelt im deutschen Volk." (83)
Jetzt ist überdeutlich, wozu Kasacks unpolitisch gemeinte "Funkdichtung" herhalten soll: zum außerparteilichen und damit unverdächtigen Nachweis der Propagandathese, daß eine Lösung der Weimarer Mißstände, zum Beispiel der Arbeitslosenfrage nur durch den Nationalsozialismus möglich ist, und daß der Erlöser Hitler heißt. Kasacks Arbeitsloser, als Beispielfall gedacht, wird in der Bearbeitung zum Stellvertreter von Millionen, deren "Unzufriedenheit", "Widerwillen", "Zorn", "Empörung", "Verzagtheit", "Hoffnungslosigkeit" in Hitlers "Mein Kampf" als Ausdruck des Wunsches "nach einer grundsätzlichen Änderung" interpretiert werden.

Diese Millionen waren zugleich die Adressaten "der jungen Bewegung, die nicht eine Organisation der Zufriedenen, Satten" sein wollte und sollte,

"sondern die Leidgequälten, Friedlosen, die Unglücklichen und Unzufriedenen zusammenfassen, und sie soll vor allem nicht auf der Oberfläche des Volkskörpers schwimmen, sondern im Grunde desselben wurzeln." (84)
Zahlreiche Entlehnungen aus Hitlers "Mein Kampf" sprengen die Grenzen der Fiktion, die vollends überflüssig wird, nachdem sich der Arbeitslose Martin Keller erst einmal eingereiht hat in die unabsehbaren "Glieder unserer Kolonnen", die - ausgerichtet "wie die Furchen des Ackers - durch Deutschland" marschieren, nachdem er erst einmal eingestimmt ist und eingeschworen auf den "Ruf des Einen" (85).

So ist nur konsequent, wenn die fiktive "Funkdichtung" schließlich in die Realistik eines nationalsozialistischen Aufmarsches, einer nationalsozialistischen Kundgebung einmündet:

"Nach den Maschinen Marschtritte ganz laut
Danach: Menschenmenge
Danach: Horst Wessel-Lied
Danach: Hitler-Rede (86)
Während die Menschenmassen langsam abklingen, spricht Lothar Müthel (nahe am Mikrophon)
'Unser täglich Arbeit gib uns heute'"... (87)
Ob diese letzten Worte bei Sendung der Bearbeitung am 20. März wirklich gesprochen worden sind (88), muß zweifelhaft bleiben, denn nur einer der beiden im Manuskript erhaltenen Schlüsse sieht diese Bitte um tägliche Arbeit vor. Der andere läßt, worauf eigentlich die ganze Bearbeitung hin angelegt ist, Hitler das letzte Wort und notiert danach lediglich noch
"Ende" (89).
3.  Das Rundfunkprogramm des 1. Mai 1933 als Beispiel nationalsozialistischer Selbstinszenierung

Nach der erfolgreichen Inszenierung des "Tages von Potsdam" war es vor allem der 1. Mai 1933, der zu einer raffinierten Selbstinszenierung des Nationalsozialismus und seiner "Leistungen" herhalten mußte: als "Tag der nationalen Arbeit".

Wie schon der "Tag von Potsdam" durch Kasacks verfälschte "Funkdichtung", erfuhr auch der "Tag der nationalen Arbeit"
bereits am Vorabend seine Ouvertüre durch die Übertragung einer "Deutschen Mainacht der 'Hitlerjugend' und des 'Bundes deutscher Mädel in der Hitlerjugend' (...) im Harz", die, in symptomatischem Mißverständnis eines deutschen Klassikers, auf den "Rütlischwur" (90) als Höhepunkt hin angelegt war.

Einen Überblick über das von 8 Uhr 30 bis Mitternacht durchinszenierte Tagesprogramm des 1. Mai bietet in wenn auch verkürzter Form das von der Reichsrundfunkgesellschaft herausgegebene Verzeichnis der "Schallaufnahmen (...)  von Ende 1929 bis Anfang 1936" (91). Einen akustischen Eindruck vermitteln Tondokumente von rund 330 Minuten Länge, die sich im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt erhalten haben (92). Ein derart inszeniertes Tagesprogramm bedarf eigentlich einer genaueren Analyse (93), die ich im Rahmen dieses Vortrags nicht leisten kann. Ich beschränke mich deshalb wiederum auf die Ausgabe einer Vorlage und einige Hinweise.

Zum Beispiel auf den ständigen Ortswechsel und einen damit verbundenen Wechsel der Perspektive. Das ist in Berlin der Wechsel vom Lustgarten über die Hedwigs-Kathedrale zum Tempelhofer Feld, auf das Hörer dann bis zur großen Abendkundgebung immer wieder gleichsam gesteigert verwiesen wird. Dabei wird durch die Berichte des drahtlosen Dienstes praktisch ganz Deutschland in die Feierlichkeiten einbezogen. Wobei - etwa im "Hörbericht (...) vom Eintreffen der Arbeiter-Abordnungen", die, über die damaligen Grenzen hinaus, auch aus Danzig, dem Saarland und Deutsch-Österreich eingeflogen wurden, wiederum das Tempelhofer Feld als Mittelpunkt dieser Maifeier betont wird.

Aber Deutschland, der deutschsprachige Großraum ist nicht nur durch die eingeflogenen Arbeiter-Abordnungen, durch die Berichte des Drahtlosen Dienstes von anderen Maifeiern und -aufmärschen - auch aus Stuttgart (94) - hineingenommen, die jeweilige Angabe der Landsmannschaft weitet umgekehrt im "Hörbericht deutscher Arbeiter" die Perspektive ebenso nach Hamburg, Schlesien, Ostpreußen, nach dem Saarland, dem Siegerland, der Untermosel, dem Ruhrgebiet, nach Bayern aus, wie die "Lieder der Bergleute, Bauern und Soldaten Thüringen, Franken, nach "Ostland" und den Niederlanden weisen. Dem entspricht die Lesung von Arbeiterdichtern auf der einen und die Sendung von Auftragsdichtungen zum "Tag der nationalen Arbeit" auf der anderen Seite. Die Reihenfolge im Programm bestimmt zugleich seine Tendenz.

Daß ein solches Programm auch zeitlich genau gewichtet ist, versteht sich fast von selbst. So nehmen die Jugendkundgebung zu Beginn und die Abendkundgebung auf dem Tempelhofer Feld jeweils den größten Raum ein, wobei die Hitler-Rede mit ihrer Länge von über einer Stunde den bei weitem zeitlich umfangreichsten Einzelbeitrag darstellt. Die Funkstille von einer Minute zwischen der Begrüßungsansprache Goebbels und der folgenden Rede Hitlers ist bedeutungsschwer plaziert.

Was im Großen zu beobachten ist, wiederholt sich im Kleinen. Die "§Arbeiter- und Marschlieder der SA" - mit etwa gleicher Sendezeit wie die Hitler-Rede - enden selbstverständlich mit dem Badenweiler Marsch, nachdem zuvor ein "Marschpotpourri" "Deutschlands Erwachen" musikalisch symbolisiert hatte. Entsprechend singt die SA kaum Arbeiter-, stattdessen vor allem Marsch- und Kampflieder. Undsoweiter.

Diese Hinweise müssen genügen, anzudeuten, in welchem Maße das Programm des ersten "Tages der nationalen Arbeit" durchinszeniert war. Bevor ich abschließend skizziere, wie auch das Hörspiel integrierter Bestandteil dieser Inszenierung war, sind ein paar Stichworte zur politischen Realität nachzutragen, vor der diese Inszenierung stattfand.

Bis April 1933 hatten die Nationalsozialisten die anderen Parteien von der Macht ausgeschaltet, konnten also ohne parlamentarische Kontrolle die Staatsführung, auch und vor allem im Bereich der Verordnungen und Gesetzgebung ausüben. Was ihnen dabei noch im Wege stand, waren Organisationen wie die Gewerkschaften, auf die sich jetzt ihre Zerschlagungspolitik richtete. Bei dem Haß der Nationalsozialisten auf die Gewerkschaften mag mitgespielt haben, daß sich eine "Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation" nicht recht hatte entwickeln wollen. Erst nach Zerschlagung der Gewerkschaften, mit der am 2. Mai 1933 begonnen wurde, erst nachdem Ley in Ablösung Strassers den Aufbau der deutschen Arbeiterfront eingeleitet hatte, hatte der Nationalsozialismus dann auch seine eigene große Arbeiterzwangsorganisation, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen erfaßte (95).

Vor diesem Hintergrund sollte das Programm des ersten "Tages der nationalen Arbeit" auch ein neues Arbeiterbild, das Bild eines neuen Arbeiters vorstellen und einprägen. "Vom Proletarier zum deutschen Arbeiter" überschreibt 1934 eine Schulanthologie (96) diese Uminterpretation und zitiert Hitler:

"Der völkische Staat wird zu einer prinzipiell anderen Einstellung dem Begriff Arbeit gegenüber gelangen müssen" (97).
Der Hörer hörte dies am 1. Mai 1933 in der Rede des Reichsleiters der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation so:
"Wir stellen dem marxistischen 1. Mai unseren ersten Mai als den Festtag der nationalen Arbeit entgegen" (98).
Und:
"In großen gewaltigen Demonstrationen und in feierlichen Tagungen soll dem deutschen Volk der Sinn und die ungeheure Bedeutung seiner Arbeit aufgezeigt werden" (99).
Diese "ungeheure Bedeutung" deutscher "Arbeit", diese "prinzipiell andere Einstellung dem Begriff Arbeit gegenüber" aufzuzeigen, war unter anderem Aufgabe von drei in das Tagesprogramm integrierten Hörspielen.

Von ihnen legt das chorische Spiel Hans Jürgen Nierentz', "Symphonie der Arbeit (100), denn auch gleich das notwendige Pathos vor. War in Düppengießers Hörspiel "Toter Mann", in Kasacks "Funkdichtung" "Der Ruf" Arbeitslosigkeit des Einzelnen Anlaß, das Schicksal eines Arbeitslosen Gegenstand eines Spiels, das das Recht, die Hoffnung auf Arbeit in einer "neuen Zeit" vorführen sollte, ist der Chor der Arbeitslosen bei Nierentz' "grau und stumm" (101), akustisch auf Hoffnungslosigkeit gestimmt, akustische Negativfolie für ein Arbeitspathos, das den Arbeiter zum "Soldaten der Arbeit", das Arbeit zu "die Arbeit des Lebens, des Lebens Motor" (102) hochstilisiert, bezeichnend schon in der Kleinigkeit, daß die Arbeitslosen nicht einfach Arbeit, sondern "die Arbeit finden" (103) wollen.

Doch einmal erglüht uns der Tag aus der Nacht,
Da die Arbeit erklingt und das Feuer entfacht,
Da sich strahlend beweist
Unser Wille und Geist
Und die Arbeit uns winkt,
Die zusammen uns schweißt (104),
eine Arbeit, von der kurz darauf heißt, daß sie "Pflicht" sei und "frei" mache (105) - in einer Formel, die sich eingedenk Auschwitz' nur mit Beklemmung hören läßt.

Bereits diese Zitate aus dem "ersten nationalsozialistischen Hörwerk, das alle Sender übernahmen" (106), deuten an, daß es seinem Verfasser nicht um ein Spiel zum Thema Arbeitslosigkeit, nicht um das Aufzeigen noch so vager Möglichkeiten der Arbeitsbeschaffung für den Einzelnen ging, sondern um kollektive Wirkung, um Ideologisierung der Arbeit. Entsprechend hebt eine damalige Kritik als "Neuland des Hörspiels", als wesentliche Leistung dieser Art chorischer Spiele hervor, daß in ihnen "in starkem Maße" und in "überzeugender Form (...) erstmalig der Wille des Kollektivs einen ihm wesensgemäßen Ausdruck gefunden" habe, indem in ihnen "nicht mehr das Wort des Individuums, sondern das der Gemeinschaft" spreche (107).

Hatte Nierentz' "Symphonie der Arbeit" so die vornehmliche Aufgabe, Effekt zu machen, den Hörer auf eine neue Arbeitsgualität einzustimmen in einer Form, die ihn einband ins chorische "wir", in die neue, künftige Arbeitsgemeinschaft, führt die nach einem musikalischen Zwischenspiel im Programm anschließende "satirische Hörfolge" An ihren Taten sollt ihr sie erkennen (108) die "Bekehrung" eines "Proletariers zum deutschen Arbeiter" am Beispiel vor. Allerdings, dem literarischen Anspruch einer Satire genügt diese mit Liedern Götz Otto Stoffregens angereicherte Hörfolge in keinem Fall. Sie ist vielmehr Geschichte klitternde, mit Unterstellungen arbeitende Agitation, Propaganda eines Schlages, die es sich sogar leisten kann, die Internationale als die in jedem Fall schlechtere Alternative akustisch zu zitieren.

Wenn in der Programmfolge des 1. Mai nach einer derartigen Hörfolge Otto Willi Gail und Hans Heinz Mantau vom Empfang der Arbeiter-Abordnungen durch den Reichspräsidenten und den Reichskanzler in der alten Reichskanzlei berichten, ist der Rundfunkhörer propagandistisch darauf eingestellt, daß dort natürlich nur der "deutsche Arbeiter" empfangen wird. Ebenso, wie im anschließenden "Hörbericht vom Aufmarsch auf dem Tempelhofer Feld" natürlich nur der "deutsche Arbeiter" aufmarschiert.

Diesem Aufmarsch, den letzten Vorbereitungen zur abendlichen Großkundgebung wird durch ein drittes Hörspiel die tiefere Bedeutung unterlegt, indem es in gleichsam aufbauender Rückwendung dem Hörer aus nationalsozialistischer Sicht noch einmal das "Drama der deutschen Arbeit 1919/1933" - so der Zweittitel - vergegenwärtigt und zugleich versichert, daß jetzt der Nationalsozialismus die zukunftsweisende Führung übernommen hat.

"Wir führen die Arbeit" lauten entsprechend Titel und letzter Satz der Hörfolge, auf den hin Eduard Windhagen und Ottoheinz Jahn ihre Funkbearbeitung der Romanvorlage Eugen Diesels angelegt haben. In gezielter Vorwegnahme der späteren Ankündigung der Arbeitsdienstpflicht durch Hitler, endet die Hörfolge wie schon zuvor Heinz Vollmers "dramatischer Zeitbericht für den Rundfunk", "Die Jugend ruft" (110), bei einer freiwilligen Arbeitsdienstgruppe im Moor, die den "Arbeiter der Stirn und der Faust" in handfester Kameraderie vereint.

Die von dieser Gruppe geleistete Moorkultur ist sicherlich nicht ohne den Hintersinn des trocken zu legenden Sumpfes der Systemzeit zu verstehen. Für die Programmanalyse wichtiger ist die platte Aktualisierung der Vorlage dadurch, daß Windhagen und Jahn an den Schluß ihrer Bearbeitung die Proklamation des 1. Mai als des "Tages der nationalen Arbeit" setzen und so das "Drama der deutschen Arbeit 1919/1933 positiv in einem Tages- und Festprogramm enden lassen, als dessen integrierter Bestandteil es funktioniert.

"(...) früher, da hieß es immer Wirtschaft, Wirtschaft. Da waren eigentlich alle Parteien Wirtschaftsparteien. Aber dann kam Hitler und sagte: Charakter, Gesinnung, Kameradschaft, Treue. (...)
- Ja. Arbeit ist nicht eine Ware. Arbeit ist nicht ein Fluch. Arbeit ist Adel. Nicht was du tust und wo du arbeitest, das ist die Hauptsache. Nicht, was du dafür kriegst. Nein, wie du arbeitest und wie du dich dabei fühlst, darauf kommt es an.
- Ja. Und Luther hat gesagt, jeder soll des Glaubens leben, daß Gott durch ihn eine große Tat tun will
- Nun mal alle herhören, Kameraden! Ich habe euch noch etwas bekannt zu geben. Die Regierung der nationalen Revolution hat den 1. Mai zum Feiertag der nationalen Arbeit erhoben. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten innerer Zerklüftung und parteipolitischer Zerrissenheit erhebt sich über Zank und Hader der unsterbliche Geist deutschen Volkstums. Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter! (111)
- Kameraden! Jeder an seinem Platz gibt das, was er dem Vaterlande zu geben bereit ist. Wir wollen unserem Volk eine bessere Zukunft schaffen. Wir führen die Arbeit. (112)"
Wenn eine halbe Stunde nach Schlußgong dieser Hörfolge die Übertragung der großen Abendkundgebung auf dem Tempelhofer Feld beginnt, wenn Hitler auf ihr (nicht nur) zum 1. Mai sprechen wird, ist beides durch die drei Hörspiele, ihre genaue Plazierung, wie allgemein durch das Tagesprogramm gut vorbereitet. Ist der Hörer eingestimmt und ausgerichtet, erscheinen ihm Abendkundgebung und Hitler-Rede als logische Konsequenzen eines geschichtlichen Prozesses, aus dessen Dunkelheit und Verhängnis nur eine neue Arbeitsidee und -moral, ein "neues Selbstbewußtsein unter der Idee des Nationalsozialismus" (113) führen können.

Allerdings: Einstimmung und Euphorisierung des Hörers durch Hörspiel und Tagesprogramm war auch notwendig, um von zu großen Hoffnungen auf konkrete Ergebnisse abzulenken. Denn zur Sache hatte Hitlers Rede wenig, ja eigentlich nur zu sagen, daß die Beseitigung der Arbeitslosigkeit durch Arbeitsbeschaffung erfolgen werde, ohne dabei mehr als die Ankündigung der Arbeitsdienstpflicht und - eher beiläufig - des Baus von Autobahnen machen zu können. So wich Hitler schließlich in eine in ihrer Wirksamkeit erprobte religiöse Überhöhung aus, die "Festgottesdienst in der St.-Hedwigs-Kathedrale und Kundgebung der Katholiken" bereits an früher Stelle des Tagesprogramms angestimmt hatten. Dem morgendlichen Choral "Hier liegt vor Deiner Majestät im Staub die Christenschar" am Abend auf dem Tempelhofer Feld der Gestus des Gebetes.

"Herr, Du siehst, wir haben uns geändert, das deutsche Volk ist nicht mehr das Volk der Ehrlosigkeit, der Schande, der Selbstzerfleischung, der Kleinmütigkeit und Kleingläubigkeit. Nein, Herr, das deutsche Volk ist wieder stark geworden in seinem Geiste, stark in seinem Willen, stark in seiner Beharrlichkeit, stark im Ertragen aller Opfer. Herr, wir lassen nicht von Dir, nun segne unsern Kampf um unsre Freiheit und damit unser deutsches Volk und Vaterland." (114)
Ich komme zum Schluß. Mein Thema war die Rezeption der Arbeitslosigkeit im literarischen Programm des Rundfunks zu Beginn der 30er Jahre. Die Analyse der Programme, der erhaltenen Tondokumente und zahlreicheren Manuskripte ergab, daß sich ein der Aktualität verpflichteter Rundfunk nach 1929 auch im kulturellen Unterhaltungsprogramm dem aktuellen Thema der Weltwirtschaftskrise und einer damit verbundenen Arbeitslosigkeit nicht mehr entziehen konnte, daß er sich diesem Thema sogar in einer erstaunlichen Spielbreite zuwendet, bei allerdings begrenzter inhaltlicher Variation und Durchführung. Dabei bündelte die literarische Rezeption im Brennpunkt, was - über das Gesamtprogramm verstreut - auch sonst dem Hörer akustisch stets gegenwärtig war, ohne daß es zu eigentlich konstruktiven Lösungsvorschlägen kam.

Das Vage und Offene der Sendungen, Spiele und ihrer Schlüsse, der Prospekt einer besseren Zukunft sollte ebenso der psychologischen Stabilisierung (nicht nur) der erwerbslosen Hörer dienen wie die Eingriffe der Programmverantwortlichen, sei es aus eigenem Antrieb, sei es in Folge von Einsprüchen von Außen. Daß und in welchem Maße durch diese Eingriffe tendenzielle Verlagerungen möglich waren, die spätere Manipulationen wesentlich erleichterten, belegt beispielhaft Hermann

Kasacks "Funkdichtung" "Der Ruf". Diente sie bei ihrer Erstsendung 1932 noch der psychologischen Stabilisierung, zielte die Bearbeitung 1933 bereits auf die Manipulation des Hörers. Versuchte sich die "dramatische Reportage" Heinz Vollmers, "Die Jugend ruft", Ende 1932 "in Stoff und Gestaltung (...) dem wirklichen Leben (...) zu nähern", sprengte Kasacks "Funkdichtung" in der Bearbeitung durch Ottoheinz Jahn die Grenzen der Fiktion, mündete der fiktive "Ruf" in die Realistik eines nationalsozialistischen Aufmarsches.

Was in seinem Fall am Vorabend des "Tages von Potsdam" für eine Sendung erprobt wurde, wurde am "Tag der nationalen Arbeit" ins Tagesprogramm vergrößert. Literarische Sendungen, Hörspiele, bis dahin selbständige Bestandteile eines laufenden Programms, dessen Tendenzen sie allenfalls zugeordnet waren, waren jetzt integrierte Bestandteile eines auf Wirkung ausgerichteten, durchgeplanten Programmablaufs, in dem sich der Nationalsozialismus gleichsam als Total-Hörspiel selbst inszenierte. In dieser Hörspiel-Inszenierung hatte das Thema der Arbeitslosigkeit nurmehr einen ideologischen Wert, Propagandafunktion.

Anmerkungen

1) Als Manuskript durchgesehener Vortrag, der am 2.5.1984 an der Universität Stuttgart gehalten wurde. Detailaspekte des Vortrags, spez. der Hörspiel- als Teil der Programmanalyse, wurden bereits angesprochen in "Exkurs über Hörbericht, Hörbild, Hörfolge und Funkkantate" (WDR III, 16.5.1975), "Hermann Kasack: Der Ruf" (NDR III, 1.9.1979) und "Umfunktionierung eines Hörspiels" (WDR III, 1.2.1983)

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