Reinhard Döhl | Albrechts Privatgalerie | Benachbarte Galerien / Institutionen
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Wortissimo Stuttgart

Veranstaltungen | Pressespiegel

Veranstaltungen u.a.

1993
2.10.1993 Wilhelma-Theater: Hommage à Gertrude Stein. Trilogie II. Die Avantgarde
- Reinhard Döhl: Gertrude Stein und Stuttgart. Vortrag
- Max Bense/R.D.: Zur Lage. Manifest
- Helmut Heißenbüttel/Reinhard Döhl: Gruppentheorie / So etwas wie eine Geschichte von etwas
- man. Szenische Realisation mit Einspielungen der Produktion des WDR, 1969. (Mit Hanni Ebrahimi, Peter Gorges, Gabriele Lange, Christiane Maschajechi, Irene Wagner, Amrei Dross, Marion Elstrodt, Felicitas Tholey, Sandra Stamenkovic; Regie: Christian Hörburger, Andrea Haupt).
14.12.1993 Landestheater Tübingen, Großer Saal: Hommage à Gertrude Stein. Trilogie II. Die Avantgarde

1994
1.10.1994 Wilhelma-Theater: Uraufführung von Reinhard Döhl: "es war morgen was gestern war oder die reise nach jerusalem" (mit Petra Kuhn, Christiane Maschajechi, Gabriele Lange, Peter Gorges; Regie Gerdi Sobek-Beutter; Musik: Reinhard Döhl).
15.11.1994 Theater "Die Insel", Karlsruhe: "es war morgen was gestern war"

1995
7.1.1995 Wuppertal, Kleines Haus: "es war morgen, was gestern war"
29.4.1995 Nürtingen, Kreuzkirche: "es war morgen, was gestern war"
25.9.1995 Stuttgart, Wilhelmspalais: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe/Ausstellung Gottfried Benns Werk in der Musik":  "Teils-Teils. Literarisches Portrait Gottfried Benn 1995" (mit Gabriele Lange, Peter Gorges, Martin Speer, Friedermann Röhlig; Klavier: Friedemann Röhlig; Regie Gerdi Sobek-Beutter).

1997
16.3.1996 Alte Mühle, Bonlanden: "Es war morgen was gestern war"
23.3.1996 Forum Stadtpark, Graz: "Es war morgen was gestern war"
4.5.1996 [Neue] Hochschule für Musik und darstellende Kunst: "I.M.P.U.L.S.E / Wortkunst Musik Bildkunst 1990-1996 / Hommage á Gertrude Stein" (mit Esther Kalz, Gabriele Lange, Sonja Mühleck, Andres Schneider, Jenny Ulbricht, Heide Zettwoch, Peter Gorges; Cello: Johannes Zagrosek a.G.; Regie: Gerdi Sobek-Beutter, Hanna Liska Aurbacher).
- Programm: aus "es war morgen was gestern war" / Im Anfang war das Wort / aus "man" / gertie selbdritt / Californian Sonata [neue Fssg.] / alte knopfschachtel / aus "Portrait und Einwände" / Montage Gertrude Stein 1965

[...]

2001
23.2.2001 Wilhelmspalais, Stuttgart / Mörike-Kabinett: "R.D. - GegenWelten - WiderWorte. Gereimtes, Prosaisches, Gesungenes" (mit Esther Kalz, Daniela Pöllmann, Jenny Ulbricht, Peter Gorges und Johannes Zagrosek, Cello a.G.; Regie: Gerdi Sobek-Beutter)

Pressespiegel

Hommage an Gertrude Stein (Stgt Ztg) | es war morgen (Stgt Nachrichten) | es war morgen (Stgt Ztg) | Teils Teils (Stgt Ztg) | Impulse (Stgt Ztg) | Impulse (Stgt Nachrichten)

Stuttgarter Zeitung, 5.10,1993
Otto Bantel: Hommage an Gertrude Stein.
Aufführungen im Wilhelma-Theater

Über drei Jahre hinweg erfährt Gertrude Stein in einem von der Musikhochschule initiierten und von Professorin Gerdi Sobek-Beutter
geleiteten Studienprojekt eine intensive Huldigung. Mit verschiedenen Aktionen rollte am vergangenen Wochenende deren zweiter Teil ab. Vorträge, eine Ausstellung und andere Aktivitäten, ein Schaupiel und eine Rezitation sollten den geistig-literarischen Umkreis der Gertrude Stein in Paris darstellen sowie ihre Wirkung auf die "Stuttgarter Gruppe" um Max Bense, Helmut Heissenbüttel und Reinhard Döhl, die sich in den sechziger und siebziger Jahren auch ausführlich mit der Konkreten Poesie beschäftigt haben.

Das bei dieser Gelegenheit uraufgeführte Schauspiel "Goddy Goddy" von A. Greenberg (deutsche Übersetzung von K. Schmirler) spielt im Paris der zwanziger Jahre. Es zeigt die Begegnung Gertrude Steins (Hanni Ebrahimi) mit dem jungen Hemingwav (Christiane Maschajechi), den sie besonders ins Herz geschlossen hatte; mit dem ihr besonders nahestehenden Sherwood Anderson (Frank Stöckle) sowie mit Ezra Pound, gegen den sie - lange vor seiner fatalen Neigung zum Faschismus - eine tiefe Abneigung hatte. Die Gespräche gehen um alltägliche Dinge, aber auch um literarische Probleme, die vor allem von Anderson angesprochen und von Gertrude teils mit Humor, teils mit Zynismus kommentiert werden. Gelegentlich werden auch eigene Texte von ihr zitiert, zum Beispiel aus dem Roman "Tender Buttons". Das Spiel der Akteure (Regie: Gerdi Sobek-Beutter) und das Bühnenbild (Ulrich Bernhard) mit den eingeblendeten Bildern und der symbolischen Skulptur von Bicham Maschajechi beschworen die Pariser Künstleratmosphäre.

Wie drei Nornen verkündeten die in Schwarz gekleideten Damen, am Flügel von Dagmar Schmidt und Klaus Feßmann begleitet, die Theorie der neuen Art von Lyrik, wie sie von der Stuttgarter Schule entwickelt wurde. Dann erschienen die Solisten in Weiß, agierten und sprachen, zusammen mit dem Chor, die Texte von Bense, Heissenbüttel und Döhl sowie das Hörspiel "man" in überzeugender Weise, geführt und angeleitet von Christian Hörburger.

Stuttgarter Nachrichten, 6.10.1994
Hartmut Zeeb: Im Wilhelmatheater: Abschluß der Reihe "Hommage à Gertrude Stein"
Reise um den Davidstern

Ein Projekt, das über Stuttgart hinaus Aufsehen erregt hat, fand jetzt im Wilhelmatheater seinen Abschluß. Die dreiteilige "Hommage à Gertrude Stein" umfaßte, über fünf Jahre verteilt, 62 Veranstaltungen. Als Studienprojekt der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst lag die Verantwortung bei Gerdi Sobek-Beutter und Klaus Feßmann.

Unterstützt wurden sie von einem großen Kreis von Kooperationspartnern sowie dem amerikanischen Stein-Forscher Robert Bartlett Haas und der Gertrude Stein Collection der Yale University Library in New Haven. Der dritte, abschließende Teil mit dem Titel "Identität" war gleichzeitig Bestandteil des Literaturprojektes "Wort für Wort".

Im ersten Teil der Trilogie "Eine Amerikanerin in Paris" wurde Stein als schöpferischer literarischer Geist des 20. Jahrhunderts" dargestellt. Der zweite Teil, "Die Avantgarde", zeigte sie als "Mutter der Moderne" und würdigte die Stein-Rezeption der 50er Jahre durch die Stuttgarter Gruppe um die Autoren Max Bense, Helmut Heißenbüttel und Reinhard Döhl. Letzterer setzte mit der Uraufführung seines neuen Stückes den Schlußpunkt unter das Projekt.

Der Abend im Wilhelmatheater begann im Studio B mit einem kleinen Leckerbissen: Annegret Müller benutzte den Text "Alte Meister" von Thomas Bernhard als Grundlage einer Sprechkunstdemonstration, von Klaus Fessmann auf ungewöhnlichen Instrumenten begleitet. Der Musiker arbeitet mit Klangglas und Klangstein, denen er mit Hilfe von Wasser und nassen Händen seltsame Töne entlockt.

Auf der Hauptbühne folgte die Döhl-Uraufführung durch die Gruppe "Wortissimo" unter der Leitung von Sobek-Beutter und Christian Hörburger. Das Konversationsstück "Es war morgen was gestern war oder die reise nach jerusalem" ist der Sonate entsprechend in vier Sätzen aufgebaut Personen der Handlung sind Gertrude Stein (Gertie), ihre Lebensgefährtin Alice B. Toklas und die deutsche Dichterin Else Lasker-Schüler (Elsi). Stein und Lasker-Schüler haben außer ihrem Geburtsmonat, einer exzentrischen Lebensführung und der jüdischen Herkunft wenig gemeinsam. Im Leben sind sie sich nie begegnet. Döhl konfrontiert die beiden Frauenbiographien miteinander, die an der gemeinsamen Wurzel eines von der global orientierten jüdischen Kultur geprägten Bewußtseins zusammenfinden.

Die Verarbeitung der Sprachexzentrik beider Oeuvres hat ästhetischen Reiz. Ideen wie das Spiel der "Reise nach Jerusalem", bei dem die Darstellerinnen Petra Kuhn (Gertie), Christiane Maschajechi (Elsi) und Gabriele Lange (Alice) nach den auf einem riesigen Davidstern aufgestellten Stühlen rennen, setzen einen symbolischen Kontrapunkt.

Sprechstimmen aus dem 0ff liefern Assoziationsketten, der dem griechischen Drama entlehnte Chor treibt die Gespräche voran und kommentiert das Geschehen. Am Ende übernimmt ein Chorführer die Funktion des advocatus diaboli und liefert ein schmerzliches Fazit.

Diese Umsetzung macht aus Reinhard Döhls Wortwerk ein Theatervergnügen, das auch ein Publikum anspricht, das die Hommage weniger intensiv verfolgt hat. Um eine Wiederholung wird dringend gebeten.

Stuttgarter Zeitung, 7.10.1994
[aw]: Fiktives Treffen
Letzte "Hommage à Gertrude Stein"

Wahrscheinlich fällt es den Studenten der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst nicht leicht, sich von Gertrude Stein zu trennen - schließlich haben sie sich in ihrem Studienprojekt, der Trilogie "Hommage à Gertrude Stein", vier Jahre lang mit Person und Werk der Dichterin auseinandergesetzt. Mit der Uraufführung von Reinhard Döhls "es war morgen was gestern war oder die reise nach jerusalem" ging die Veranstaltungsreihe nun im Wilhelma-Theater zu Ende.

Döhls Einfall: Er läßt in einer fiktiven Begegnung Gertrude Stein (Petra Kuhn) und ihre Lebensgefährtin Alice B. Toklas (Gabriele Lange) mit Else Lasker-Schüler (Christiane Maschajechi) zusammentreffen. So verschieden "Elsi" und "Gertie" auch sein mögen, Döhl entdeckt doch Gemeinsamkeiten. Beide hatten eine ganz besondere, neue, sehr exzentrische Art des Umgangs mit der Sprache, die Döhl dann auch in den Mittelpunkt des Stückes rückt - was einerseits den Zugang erschwert, andererseits von nicht geringem ästhetischen Reiz ist.

Von Gerdi Sobek-Beutter symbolbeladen inszeniert, anstrengend, wie Konversationsstücke dies nun einmal an sich zu haben scheinen, ist das Stück vor allem für diejenigen interessant, denen Leben und Werk Steins und Lasker-Schülers nicht ganz unbekannt sind.

Eingerahmt wird "die reise nach jerusalem" von einem zweiteiligen Beiprogramm. Zunächst Klaus Feßmanns "alte meister": während er eine Reihe vor ihm stehender Stein- und Marmorblöcke mit seinen bloßen Händen zum Singen bringt, produziert Annegret Müller mit ihrer Stimme Geräusche, von denen man kaum glauben kann, daß ein menschlicher Kehlkopf und kein Computer sie hervorbringt.

Der Abend endet schließlich mit "Nun wählt mal schön", einer Kooperation von Studierenden der Musikhochschule und dem Studio Literatur und Theater der Uni Tübingen. Unter der Leitung von Christian Hörburger und Andrea Haupt haben die Studenten eine Collage erarbeitet, in der Politiker mit Plattitüden nur so um sich werfen und der Wahlkampf zum Show-Kampf à la "Herzblatt" verkommt.

Stuttgarter Zeitung vom 27. September 1995.
[Leu]: Eiter aus der Wunde.
Gottfried Benn, literarisch porträtiert im Stuttgarter Wilhelmspalais

Nicht fremd war Gottfried Benn weder der sieche Patientenleib auf der Krebsstation noch die harmlose Appendizitis. Recht deftig ging der Dr. med. in der Nachbetrachtung mit beiden um. Da quillt schon mal stinkendes, dickflüssiges Magma aus der Operationswunde, sucht sich der Eiter einen Weg durch das offene Bauchfell, das den Blick auf das Zucken feucht-glänzender Muskeln freigibt. Reinhard Döhl, verantworlich für die Programmkonzeption des literarischen Porträts Gottfried Benns, scheut vor keinem, das Unangenehme gelegentlich auch derb thematisierenden Text zurück, erlaubt allenfalls die ironische Distanzierung, mit der dem Auditorium so manches erträglicher gemacht wird, warnt aber expressis verbis vor Benn: "Lassen Sie sich von Rönne nicht irre machen!"

Dafür sitzt Friedemann Röhlig am Klavier, aufgerufen, mit ein bißchen Schubert, Chopin und anderen Tönen die Wogen der von Unrat wabernden Texte zu glätten. Röhlig, der zusammen mit Peter Gorges und Michael Speer in die "Teils"-Benn-Rolle schlüpft, dosiert die Qualität seiner Pianobeiträge sorgfältig, auf daß die Töne nur ja nicht an der Dominanz des Textes kratzen. "Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde", harmlos hineingespielt in das Wortfeld um Krankheit und Tod, um Biographisches auch, das in Benns Leben hineinleuchtet. Hier kriegt sich einer in der ersten Reibe kaum noch ein, obwohl die Vermeldung. der Radfahrerbund habe tausend Mitglieder und der Leser Fragen in bezug auf den Wadenkrampf, so toll denn auch wieder nicht ist. Selbstgemalte Plakate - "Chaos", "Banane" und "Stadtarzt" - wandern, getragen von den zu Nummernboys mutierten "Teils"-Benns, deren Schritte mehr oder weniger rhythmisch zu "Ich hab' das Fräulein Helen baden seh'n" über die Bühne des Bense-Saals der Stadtbücherei Stuttgart von rechts nach links. Das ist doch lustig und deshalb der mimisch-rhythmisch mitzuckenden Heiterkeit in der ersten Reihe eine Prise für die Nase wert.

Mit Gabriele Lange, die Dame gibt Else Lasker-Schüler, hat "Wortissimo Stuttgart" (Leitung: Gerdi Sobek-Beutter) Vollzähligkeit erreicht. Die den ganzen Bense-Saal auf verschiedenen Ebenen und in allen Ecken ausnutzende Regie kalkuliert die Ausrichtung des Auditoriums auf Else, so daß ein ostentativer Platzwechsel quer durch den Saal schon nicht mehr stört. "Gottfried Benn ist der dichtende Kokoschka", verkündet Gabriele Lasker-Schüler-Lange barfuß und spreizlippig von ihrer Steinkanzel. Giselheer, Gottfried Benn also, wird dies gefreut haben.

Stuttgarter Zeitung, 9.5.1996
Gabriele Hoffmann: Über die Kunst der Regelvermeidung.
Hommage à Gertrude Stein - Abschluß eines Projekts der Stuttgarter Musikhochschule

Gertrude Stein und kein Ende - so mag sie es sich gewünscht haben, die "Mutter der Moderne", wie sie Thornton Wilder einmal nannte. Aber was ihr vielleicht doch die Stimme verschlagen hätte, wäre die Prophezeiung gewesen, daß "a rose is a rose is a rose" fünfzig Jahre nach ihrem Tod in Stuttgart zu schönster Blüte kommen sollte. Alles begann 1955, als Helmut Heißenbüttel in Max Benses legendärer Zeitschrift "Augenblick" mit seinem Aufsatz "Reduzierte Sprache. Über ein Stück von Gertrude Stein" als erster in Deutschland auf Gertrude Steins avantgardistischen Umgang mit Sprache aufmerksam machte. Wer damals bereits anfällig war für experimentelle Sprachzertrümmerung, der schnappte den Steinschen Bazillus auf, allen voran Heißenbütel, Bense und Döhl.

Die erste Stuttgarter Gertrude-Stein-Rezeption in den fünfziger Jahren ist nur ein Aspekt der Produktion Konkreter Poesie im "Grenzbereich zwischen Literatur und bildender Kunst". In den USA hatte Robert B. Haas von der University of California, Los Angeles, der über Jahre mit der in Paris lebenden amerikanischen Schriftstellerin deutsch-jüdischer Herkunft in regem Briefwechsel gestanden hatte, gleich nach ihrem Tod 1946 die Stein-Forschung mit der Veröffentlichung wichtiger Texte von Gertrude Stein und der Organisation von Symposien initiiert. Und damit sind wir wieder im Schwabenland, dieses Mal in Nürtingen, wo Robert B. Haas heute lebt und mit seiner fundamentalen Stein-Kenntnis die zweite Stuttgarter Rezeption, ein Studienprojekt der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst unter der Leitung von Gerdi Sobek-Beutter und Klaus Feßmann, begleitet hat.

Die "Hommage a Gertrude Stein", die 1990 mit Gastspielen bei einem Kongreß in Culoz in Frankreich begann, entwickelte durch das ständig wachsende Interesse bei Künstlern und Publikum eine unvorhergesehene Eigendynamik.Das Stuttgarter Projekt, an dem sich auch das James-F.-Byrnes-Institut, die Stadtbücherei und eine Reihe weiterer nicht nur heimischer Institutionen beteiligten, führte schließlich mit achtzig Veranstaltungen zur vielfältigen Wiederbegegnung mit dem Werk von Gertrude Stein in Europa. Der Bazillus der fünfziger und sechziger Jahre hatte in Stuttgart überlebt, wie jetzt noch einmal die Finissage im Konzertsaal der neuerbauten Musikakademie bewies. Man wollte Gertrude Stein beim Wort nehmen, nur ja nicht imitieren, sondern gehorsam ihren letzten Willen erfüllen: "When this you see remember me." Vielleicht ist ihr "Portrait" aus inszenierter Literatur, Musik und Bildkunst deshalb so erfolgreich gewesen, weil die Gefahr, bei der Spurensuche in einer Spurrille hängenzubleiben, als fast unvermeidbar erkannt wurde und so mit der Hingabe auch die Selbstkritik wuchs.

Der erste Teil der Projekt-Trilogie (1991/92) galt der "Amerikanerin in Paris". In Teil II besann man sich auf die "Avantgarde", zu der die Stein als Bewegerin und als Bewegte beitrug, als sie im Dialog mit Hemingway, Picasso, Satie und vielen anderen ihre Kunst der Regelvermeidung entwickelte, bei der sie die Wörter ohne Rücksicht auf ihren konventionellen Gebrauch als Material benutzte in einem von Augenblicksimpulsen ausgelösten artistischen Spiel: Es gab Vorträge und Vorführungen zur ersten Stuttgarter Stein-Rezeption, eine Uraufführung ("Goddy Goddy" von A. Greenberg), Tanzimprovisationen (Cranko-Schule) und Ulrich Bernhardts bildnerische Entdeckung der "Ohren von Gertrude Stein".

In Teil III (1994) dann das Ereignis der deutschen Erstaufführung von "Four Saints in Three Acts" von Virgil Thomson und Gertrude Stein, sechzig Jahre nach der Uraufführung in den USA. Der historischen Analyse von Steins Umgang mit der Sprache im Kontext ihrer Beziehungen zum Kubismus (U. Pfau) stellte Reinhard Döhl ein Stück rezeptiver Praxis gegenüber: "es war morgen was gestern war oder die reise nach jerusalem in vier sätzen und einem aprèslude".

Hat das Werk der "Mutter der Moderne mit seiner vielbeschworenen intellektuellen Leicht-Sinnigkeit den Marathon überlebt. Gerdi
Sobek-Beutter und Klaus Feßmann, die Eltern der zweiten Stuttgarter Rezeption, gaben der Finissage den Titel "Impulse" Und ihre Kinder, Studenten der Akademie, nahmen auch sie beim Wort. "2 Avantgarden" wurden zusammengeschweißt, den Substantiven (von A bis Z)im interaktiven Sprachspiel mit Mimik und Gestik ihre Bedeutungsschwere ausgetrieben - ein Schnellkurs in regelloser Demontage am roten Faden der Projekt-Trilogie.

Den Gipfel impulsgebender Stein-Rezeption erklommen das Duo Annegret Müller/Klaus Feßmann, Johannes Zagrosek mit einem Cellesolo und der Textdichter José F. A. Oliver. Der Neue Chor Stuttgart unter der Leitung von Martin Tiemann entließ die "four saints" aus ihren vorgegebenen "three acts", sie sollten uns wohl mit einigen Facetten ihres unheiligen Erdendaseins zwisehen Müßiggang und Ekstase einen möglichst bequemen Weg in die Zukunft weisen.

Die Ausstellung "Impulse" im Neubau der Hochschule mit Werken von Bernhardt, Döhl. Feßmann, Jäggle, Kaiser und anderen ist noch bis zum 7. Juni zu sehen. Die Dokumentation des Stuttgarter Studienprojekts ist für die Gertrude-Stein-Collection der Yale University in New Haven, USA, bestimmt.

Stuttgarter Zeitung, 9.5.1966
Rainer Vogt: Multimedia-Show in Stuttgart: "Hommage a Gertrude Stein - Impulse"
Kunst als Entwöhnung von Vertrautem

"Der/die Stein des Anstoßes" heißt Gertrude Stein (1874-1946). Seit 1903 mit Unterbrechungen als "Amerikanerin in Paris" ansässig, übte die geniale Schriftstellerin enormen Einfluß auf die Avantgarde um Hemingway, Picasso, Matisse aus. Ihre Impulse haben über den Bereich der Literatur hinaus auch in der Musik und der bildenden den Kunst Wirkung gehabt. Auch die in der Stuttgarter Musikhochschule aufgeführte "Hommage a Gertrude Stein - Impulse", die unter dem Stichwort "Wortkunst - Musik - Bildkunst" zu einem multimedialen Ganzen verschmolz, geizte nicht mit Anstößen.

Anläßlich des 50. Todestags der Autorin ließ das Programm das bisher vielfältigste Gertrude Stein gewidmete Studienprojekt in Europa Revue passieren. Unter der Leitung von Gerdi Sobek-Beutter und Klaus Feßmann haben Studierende der Hochschule in Kooperation mit Künstiern verschiedenster Fachrichtungen seit 1990 nicht weniger als 80 Veranstaltungen durchgeführt, die unerwartet lebhafte Resonanz auslösten. Das für die Gertrude-Stein-Collection der Yale University in New Haven vollständig dokumentierte Projekt bietet den beteiligten Studierenden Die Möglichkeit, unter professionellen Bedingungen auf der Bühne zu arbeiten.

Nachdem die durch den Zweiten Weltkrieg behinderte Stein-Rezeption danach gerade in Stuttgart im Kreis um Max Bense auf fruchtbaren Boden stieß, kommt das Rahmenprogramm der "Hommage" einer verjüngten Rezeptionsphase gleich. "Der ursprünglichen Landnahme", so sieht es Reinhard Döhl, folge jetzt "die Phase der Kolonisation", in der sich produktive und reproduktive Elemente ergänzen. Warum sollte von Stuttgart, das einst als Mekka abstrakter Kunst galt und "einer der Angelpunkte für die Konkrete Poesie" (Döhl) gewesen ist, nicht auch eine breite Stein-Rezeption ausgehen!

"The public is invited to dance" - "Die Mannigfaltigkeit von Zeiten, Orten und Bewußtseinszuständen", die erklärtes Ziel ist, erwartet aktive Teilnahme. Zuerst will Stirlings Turm erklommen sein. Die ersten "Impulse" kommen von oben. In der Wandelhalle im achten Geschoß wird die erste Ausstellung des neuen Hauses eröffnet. Viel Zeit, sich den Arbeiten von Ulrich Bernhardt (Gertrude Steins Ohren), Reinhard Döhl, Klaus Feßmann und anderen zu widmen, bleibt freilich nicht. Geheimnisvoller Klang und ungewohnte Stimmlaute ziehen in ihren Bann. Mit den Händen zum Klingen gebrachte Steinskulpturen liefern den Background für die Sprechkunststimme von Annegret Müller. Entwöhnung von Vertrautem ist angesagt.

Es ereignet sich "Fortgesetzt Kunst". Die "macht aus etwas etwas anderes" (A. Thomkins), was allem Endgültigen einen Strich durch die Rechnung macht. Ortswechsel: Das Publikum sammelt sich für Ausschnitte aus der Oper "Four Saints in Three Acts" von Virgil Thomson und Gertrude Stein sowie "2 Avantgarden" von Döhl drei Stock tiefer im Konzertsaal.

Der Enthusiasmus des Chors und die Leistung der Solisten (unter Leitung Martin Tiemanns) nehmen das Auditorium für sich ein. Die Sprechstimmen der "2 Avantgarden" wollen im Hörer neue, von ihm selbst gefühlte und vorgestellte Bilder erzeugen. Die Sprache tritt als Inhalt hinter den Klang, den Rhythmus, die Lautstärke und die szenische Aktion zurück.

Auch Texte erheben Anspruch auf Autonomie, die Sprache wird Spielmaterial, "inszenierte Literatur". Im Programmbuch schreibt Katarina Wittig. "Sinngebung (erfolgt) durch Sinnentleerung via sprachlich gesetzten Zeichen..." Ganz einfach aus der Welt schaffen lassen sich die Unterschiede zwischen Musik und Sprache natürlich nicht. Es sind effektvolle Pointen des Sprechtheaters ("Knöpf mich, ich bin der Frühling"), wo spontan applaudiert wird. Und es ist das temperamentvolle Cellospiel von Johannes Zagrosek, das ohne Umweg auf die Gemüter wirkt. Am nächsten kommen die Wörter der Musik, wo sich ihre Bedeutung im Stimmgewirr verflüchtigt oder im Dialog zwischen Stimme und Flügel zu körperhaft empfundenen Klang im Raum verdichtet.