Reinhard Döhl | Albrechts Privatgalerie | Benachbarte Galerien / Institutionen


Reinhard Döhl | Stadtbücherei im Wilhelmspalais

Veranstaltungen | Pressespiegel

Veranstaltungen

1994
präzise vergnügen. max bense. zeichen und konkrete texte oder Als Stuttgart Schule machte [im Rahmen der "Wort für Wort"-Veranstaltungen]
- 9./10.9.1994 Symposium Max Bense, Semiotik und Ästhetik / Ungehorsam der Ideen / Wirkungen. [Stuttgart - Tokyo und zurück oder ein japanisch deutscher Literaturwechsel. Vortrag] [Zu weiteren Vorträgen des Kolloquiums über die Beziehungen der Stuttgarter Gruppe/Schule zu Künstlern vor allem in Brasilien, Paris und Prag siehe unter Johannes Auer / Reinhard Döhl: Als Stuttgart Schule machte. Ein Internet-Reader, 1996 ff.]
- 14.9.1994 konkrete poesie bei Wendelin Niedlich. Rekonstruktion einer beachtlichen Lesung vom 21. November 1967
- 15./16.17.9.1994 Hörgalerie im Wilhelmspalais. "Stuttgarter Gruppe" im[/n] Hörspiel [und Film]. ["Hans und Grete oder Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm"]
-  22./24.9.1994 Stuttgarter Gruppe [u. konkrete Poesie]. Es lesen: Ludwig Harig und Manfred Esser / Reinhard Döhl und Franz Mon. [was so ein kleiner mond alles vermag. Hörstück. Erstlesung einer Fassung für 26 Metronome und einen Cellisten 1994, zus. mit Johannes Zagrosek.]
-  29.9.1994 Stuttgarter Literaturszene. Dauerausstellung der Stadtbücherei im Wilhelmspalais. [Vitrine]

1995
Gottfried Benns Werk in der Musik
-  25.9 1995 Teils-Teils. Literarisches Portrait Gottfried Benn. Uraufführung Wortissimo, Stuttgart. Regie: Gerdi Sobek-Beutter

1996
Dialoge | Mail Art. Reinhard Döhl und Freunde [4.9.-25.11.1996]
-  4.9.1996 Hannelore Jouly: Eröffnung
-  4.9.1996 dialoge oder das stuttgarter kleine kartenspiel. [Erstlesung anläßlich der Ausstellungseröffnung]
-  9.10.1996 Ansätze und Möglichkeiten künstlerischen Dialogs und dialogischer Kunst. Ein Überblick. [Vortrag im Rahmen der Ausstellung]

1997
Ein Abend für Max Bense. Die ersten beiden Bände der "Ausgewählten Schriften" erscheinen im Metzler Verlag. Friederike Roth, Reinhard Döhl, Peter Gorges sprechen Texte von Max Bense, über Max Bense sprechen: Elisabeth Walther und Christoph Hubig. 8.12.1997
Stuttgarter Gruppe oder Einkreisung einer Legende. [Vortrag]

1998
Gelegenheitsgedichte fürs Palais
http://www.reinhard-doehl.de/gelegenheitpalais.htm

1999
5 Jahre Stuttgarter Literaturszene. Die lange Nacht der "Stuttgarter Literaturszene". 24.9.1999
-  Beteiligung
Poets' Corner'le - Der Stuttgarter Poetenwinkel
-  28.10.1999 Präsentation, zus. mit Wortissimo Stuttgart
-  Zum Poet's Corner'le

2001
R.D. - GegenWelten [15.2.-15.3.2001]
-  15.2.2001 Hannelore Jouly im Gespräch mit Reinhard Döhl
-  15.2.2001 R.D. - Gegenwelten-Widerworte. Gereimtes, Prosaisches, Gesungenes. Zusammen mit Wortissimo Stuttgart und Johannes Zagrosek (Cello)
Korrespondenzen - 100 Jahre, 100 Briefe [27.3.-28.4.2001]
-  4.4.2001 Von Briefen und andern schriftlichen Lustbarkeiten - Beispiele und Vermutungen über alles, was Brief sein kann. Vortrag mit Lesung
Von der ZUSE Z 22 ins WWW oder ...
-  11.7.2001 ... ein wenig populäres Kapitel Stuttgarter Literaturgeschichte. Letzter Vortrag in Stuttgart.
-  Zu den Stuttgarter Hyperfiction-Projekten

2003
Reinhard Döhl räumt seine am 29.9.1994 eingerichtete Vitrine der Dauerausstellung Stuttgarter Literaturszene der Stadtbücherei im Wilhelmspalais



Pressespiegel

Stuttgarter Zeitung vom 27. September 1995.
[Leu]: Eiter aus der Wunde
Gottfried Benn, literarisch porträtiert im Stuttgarter Wilhelmspalais

Nicht fremd war Gottfried Benn weder der sieche Patientenleib auf der Krebsstation noch die harmlose Appendizitis. Recht deftig ging der Dr. med. in der Nachbetrachtung mit beiden um. Da quillt schon mal stinkendes. dickflüssiges Magma aus der Operationswunde, sucht sich der Eiter einen Weg durch das offene Bauchfell, das den Blick auf das Zucken feucht-glänzender Muskeln freigibt. Reinhard Döhl, verantwortlich für die Programmkonzeption des literarischen Porträts Gottfried Benns, scheut vor keinem, das Unangenehme gelegentlich auch derb thematisierenden Text zurück, erlaubt allenfalls die ironische Distanzierung, mit der dem Auditorium so manches erträglicher gemacht wird, warnt aber expressis verbis vor Benn: "Lassen Sie sich von Rönne nicht irre machen!"

Dafür sitzt Friedemann Röhlig am Klavier, aufgerufen, mit ein bißchen Schubert, Chopin und anderen Tönen die Wogen der von Unrat wabernden Texte zu glätten. Röhlig, der zusammen mit Peter Gorges und Michael Speer in die "Teils"-Benn-Rolle schlüpft, dosiert die Qualität seiner Pianobeiträge sorgfältig, auf daß die Töne nur ja nicht an der Dominanz des Textes kratzen. "Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde", harmlos hineingespielt in das Wortfeld um Krankheit und Tod, um Biographisches auch, das in Benns Leben hineinleuchtet. Hier kriegt sich einer in der ersten Reibe kaum noch ein, obwohl die Vermeldung, der Radfahrerbund habe tausend Mitglieder und der Leser Fragen in bezug auf den Wadenkrampf, so toll denn auch wieder nicht ist. Selbstgemalte Plakate - "Chaos", "Banane" und "Stadtarzt" - wandern, getragen von den zu Nummernboys mutierten "Teils"-Benns, deren Schritte mehr oder weniger rhythmisch zu "Ich hab' das Fräulein Helen baden seh'n" über die Bühne des Bense-Saals der Stadtbücherei Stuttgart von rechts nach links. Das ist doch lustig und deshalb der mimisch-rhythmisch mitzuckenden Heiterkeit in der ersten Reihe eine Prise für die Nase wert.

Mit Gabriele Lange, die Dame gibt Else Lasker-Schüler, hat "Wortissimo Stuttgart" (Leitung: Gerdi Sobek-Beutter) Vollzähligkeit erreicht. Die den ganzen Bense-Saal auf verschiedenen Ebenen und in allen Ecken ausnutzende Regie kalkuliert die Ausrichtung des Auditoriums auf Else, so daß ein ostentativer Platzwechsel quer durch den Saal schon nicht mehr stört. "Gottfried Benn ist der dichtende Kokoschka", verkündet Gabriele Lasker-Schüler-Lange barfuß und spreizlippig von ihrer Steinkanzel. Giselheer, Gottfried Benn also, wird dies gefreut haben.
*
*
Stuttgarter Zeitung 11.9.1996
Irene Ferchl: Alles auf eine Karte gesetzt
Zwei Ausstellungen mit Mail Art in Stuttgart und Weil der Stadt

Mail Art kann man definieren als eine Kunst die es in Kauf nimmt, daß die Post sie bei der Beförderung verändert, zumindest einen Stempel aufdrückt, wenn nicht sogar stärkere Transportspuren hinterläßt. Fast immer ist auch das Format A6 vorgegeben und damit auch Zweiseitigkeit: die Ansichtsseite vorne und die für schriftliche Mitteilungen. für Anschrift, Absender, Briefmarke reservierte Rückseite. Wenn in diesen Tagen gleich zwei Mail-Art-Ausstellungen eröffnet wurden (und eine dritte mit dem Aspekt politischer Opposition als versandfähiger Subversivität in Schwerin, siehe StZ vom 28. August), dann ist das Zufall. Man wußte in Stuttgart und Weil der Stadt nicht voneinander. Umso aufschlußreicher ist der Vergleich: Nach Betrachtung der weit mehr als dreitausend Kunststücke weiß man zumindest, wie unglaublich vielfältig auf dem Poskartenformat gearbeitet werden kann.
Reinhard Döhl, der Stuttgarter Literaturprofessor, Autor und Künstler, beschäftigt sich seit Ende der fünfziger Jahre mit Karten. Er bewunderte zunächst Künstlerpostkarten (wie sie zwischen Franz Marc und Else Lasker-Schüler hin- und hergingen) und klebte selbst Collagen in diesem, für Studentenbudenschreibtische äußerst praktischen Format. Von 1962 datiert sein Text über Ansichtskarten. in dem es heißt: "In meinem Karteikasten sammeln sich die Ansichten der ganzen Welt die sie beschreiben" oder "Sie bezeichnen eine Welt, die es sonst auf der Welt nicht gibt. Die es nirgendwo auf der Welt mehr gibt. Und die gezeigte Welt ist jedesmal eine andere." Es ist die Zeit, in der Mail Art ihren Einzug in internationale Kunstwelt hält.

In Döhls umfangreichem Kartenwerk, aus dem die Stadtbücherei im Wilhelmspalais jetzt rund zweitausendfünfhundert Exemplare vorstellt, entstehen zuerst Einzelstücke als Skizzen und Bildideen zur (kultur)politischen Auseinandersetzung, später ganze Serien, Ensembles und sogar komponierte Postkartenbilder aus Vorlagen von Oskar Schlemmer und Max Ernst. Karten dienen als Reiseerinnerung (wie die "Romsiebensachen") sowie als Medium zur Diskussion ästhetischer Fragen, um Projekte in die Wege zu leiten. Der dialogische Aspekt wird immer offensichtlicher, ist unübersehbar in der Korrespondenz mit Ulrike Gauss, der Döhl zwischen 1989 und 1992 täglich Karten sendet, mit Wolfgang Ehehalt ("Kunst & Kompostkarten Projekt") und den Künstlerfreunden in Japan, Frankreich und der Tschechischen Republik. In den achtziger und neunziger Jahren sind diese Arbeiten gelegentlich ausgestellt worden (zuletzt bei Buch Julius zu Else Lasker-Schüler), aber noch nie in dieser schier unübersehbaren Menge und in allen erdenklichen Variationen.

Wie präsentiert man Postkarten in einer solchen Anzahl? Sie im Stapel, im Karteikasten zum Durchblättern oder als Wurfsendung. zu zeigen, verbietet sich bei Kunst von selbst. Die einfachste Lösung, sie in Rahmen oder Vitrinen zu stecken, bedeutet, nur die Schauseite zeigen zu können. Betrachterfreundlicher ist es, die Karten eingeschweißt in Klarsichtfolie, wie Vorhänge ins Treppenhaus zu hängen, wo sie leise, ihrer Postkartenhaftigkeit entkleidet, schwingen und Döhls feine schräge Schrift, akkurat und immer ein bißchen nach unten kippend, gut lesbar werden lassen. - In ihrer Einführung betonte Hannelore Jouly, die Leiterin der Stadtbücherei, das Dialogische der Döhlschen Kunst. Ob mit der Mail Art, ob mit seinen Hörspielen. ob mit der poetischen Korrespondenz zum Japan-Festival oder seit neuem im Internet - Döhl stifte zur Kommunikation an. Um dies zu untermauern, trug er zur Eröffnung einen Text vor, der so witzig, sprachverspielt und hintergründig wie seine Postkarten Stadt und Leute aufs Korn nimmt. Sein Titel: "Das Stuttgarter kleine Kartenspiel". [...]

"Dialoge. Mail Art. Reinhard Döhl und Freunde" bis zum 26. Oktober in der Stuttgarter Stadtbücherei, Montag bis Freitag 11 bis 19 Uhr, Samstag 10 bis 16 Uhr. Am Mittwoch, 9. Oktober, spricht Reinhard Döhl um 19 Uhr über "Ansätze und Möglichkeiten künstlerischen Dialogs und dialogischer Kunst".
*
*
Stuttgarter Nachrichten vom 8.12.1997
Von der Bedeutung des Progressiven

Man schart sich gerne um die Gedanken, mit denen der Philosoph Max Bense in den sechziger Jahren so wichtige Anstöße für Entwicklung der Stuttgarter wie der europäischen Kulturszene gab. Heute wird in der Stadtbücherei (Wilhelmspalais) am Charlottenplatz) der Band "Max Bense - Ausgewählte Schriften" - herausgegeben von Elisabeth Walther, erschienen im Verlag J.B. Metzler, vorgestellt.

Um 20 Uhr beginnt der Abend - im Bensesaal. Elisabeth Walther, Christoph Hubbig und Reinhard Döhl führen in das Schaffen Benses ein. Friederike Roth und Peter Gorges lesen aus Benses Texten.

Was Max Bense bewirkte? Der Stuttgarter Konzeptionskünstler Harry Walter schreibt hierzu: "Benses offenes Bekenntnis zur Moderne, sein Affekt gegen alles, was auch nur entfernt an deutsche Innerlichkeit erinnern könnte, sein Eintreten für eine technisch-experimentele Intellienz war für zumindest eine Generation kritischer Intellektueller gleichbedeutend mit Progressivität und Weltoffenheit."
*
Stuttgarter Nachrichten vom 10.12.1997
Simon Bucher: Ein Abend mit Texten von Max Bense in der Stadtbücherei. Stuttgart, der Ort meiner Füße

Einen Brückenschlag zwischen Geistes- und Naturwissenschaften stellt das Werk des Philosophen und Schriftstellers Max Bense dar. Ein Abend mit seinen Texten bot einen Ausschnitt aus dem komplexen Werk, nun in vier Bänden erscheint.

Der Max-Bense-Saal im Wilhelmspalais war gut besucht. Schüler und Freunde des ehemaligen Leiters des Institutes für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Technischen Hochschule Stuttgart (später Universität} waren gekommen, um bei der Vorstellung der ersten beiden im Metzler-Verlag erschienenen Bände der ausgewählten Schriften dabei zu sein.

"Er hat geschrieben und geschrieben und geschrieben", berichtete die Herausgeberin Elisabeth Walher-Bense zur Einleitung. Bereits mit 14 Jahren habe Bense Gedichte ein erstes Prosastück geschrieben, später unzählige Artikel publiziert; er sei recht früh zu der Erkenntnis gelangt, daß der Mensch ohne Hilfe der Philosophie nicht in der modernen Welt zurecht komme. Bense gab mehrere Zeitschriften heraus, unter anderem die Schriftenreihe "rot".

Bestimmend für Benses Denken war das "Manifest des existentiellen Rationalismus", das 1951 erschien. Ausgebend von Werken Kierkegaards betonte Bense die Verbindung zwischen Technik und Existenz. Die Abgrenzung dieses "Generaltheorieentwurfs" von Bense zum Humanismus einerseits und der Technokratiebewegung andererseits wurde im Vortrag von Christoph Hubig deutlich.
"Er war ein Vertreter der Auffassung, daß ein Leben ohne Technik nicht möglich ist", so Walther, die mit Bense das "Wörterbuch der Semiotik" herausgab. "Die Ästhetik ist der Kern, um den sich alles drehte", führte sie aus. Die Suche nach Perfektion beinhalte die ständige Innovation, weshalb Bense die kybernetische Denkbewegungen unterstützt hat und maßgeblich bei der Entwicklung von Computer-Graphik und -Texten beteiligt war. Die erste Ausstellung über Computer-Graphik veranstaltete Bense an der von ihm 1957 gegründeten Studiengalerie des Studium Generale in Stuttgart.

"Eines Tages wird Stuttgart der Ort meiner Füße sein" so ein Ausspruch Max Benses über die Stadt, in der er lange wirkte. Reinhard Döhl berichtete über den Anteil des Philosophen an den Aktivitäten der Stuttgarter Gruppe, die sich ebenfalls mit Zeichen und Texten auseinandersetzte, "Einen Gruppenstil hat es nie gegeben, wohl aber gemeinsames Interesse" betonte Döhl, und so sei eine der Leistungen das Pflegen von Mischformen und der Grenzverwischungen einzelner Kunstrichtungen gewesen.
Aufgelockert wurde die Veranstaltung durch Gedichte und Texte von Bense, gelesen von Friederike Roth und Peter Gorges.
*
Stuttgarter Zeitung vom 15.12.1997
Tomo Paclovic: Mensch und Technik. Ein Bense-Abend im Wilhelmspalais

Es handelt sich um eine simple, wenn auch vorhersagbare Beziehung: proportional zu Benses eigen literarischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Texten wuchs gleichermaßen die Zahl der Redenden, die eine "kleine" Einführung in das Werk des Stuttgarter Denkers bieten wollten, gespickt mit Lesungen und Anekdoten. Anläßlich der ersten beiden im J.B. Metzler Verlag erschienenen Bände aus der geplanten Gesamtausgabe mit ausgewählten Schriften Max Benses füllte sich der gleichnamige Saal im Wilhelmpalais mit vielen Menschen, die den 1990 im achtzigsten Lebensjahr verstorbenen Allround-Wissenschaftler noch persönlich kannten.

Der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Reinhard Döhl, der im Verlauf des Abends mit einer Art Insider-Logbuch der glorreichen Zeit der Stuttgarter Gruppe um Bense in den sechziger Jahren gedachte, war ebenso zugegen wie Friederike Roth, die in der zweiten Generation dieser Schule der konkreten Poesie angehörte. Zwei Bistrotische mit Mikrophonen und ein riesiges Bense-Poster - das Arrangement stimmte auf einen leichten und dennoch philosophisch-geistvollen Abend ein. Doch bald schon wurde es merklich zäh. Elisabeth Walther, Benses Witwe und resolute Herausgeberin der langerwarteten vierbändigen Ausgabe, zeichnete mit ausuferndem Pathos die markantesten Lebens- und Denkstationen nach, um dabei immer wieder auf das Erstlingswerk "Raum und Ich. Eine Philosophie über den Raum" (1934) zurückzugreifen.

Wohltuend dagegen die Lese-Intermezzi von Peter Gorges, der mit sonorer Stimme sowie auf- und absinkender Fliege, Texte wie "Mensch und Technik", "das Ich, das Auto und die Technik", oder etwas später dann aus der "Grignan-Serie. Beschreibung einer Landschaft" (1960) vortrug. Das theoretische Zubehör zum besseren Verständnis dieser Texte lieferte der außerordentliche Vortrag Christoph Hubigs von der hiesigen philosophischen Fakultät; seine Rekonstruktion des Bense-Essays "Technische Existenz" (1949) war vorbildlich aufbereitet. Erst jetzt wurde deutlich, wie sehr einiges, das von Bense vorausgedacht wurde, später etwa bei Michel Foucault wieder auftaucht, freilich ohne den vehementen Glauben an den Fortschritt der Technik. Mit Hilfe der Semiotik könne der Mensch demnach sein theoretisches Defizit ausgleichen, auch überwinden, welches durch die Langsamkeit des Individuums im Wettrennen mit den Maschinen notwendigerweise fortlaufend entsteht. Nur durch das "An-sich-Halten der Vernunft in bezug zu ihrer eigenen Grenzerkennung", so Hubigs Lesart, ist die Bewohnbarkeit der Welt prinzipiell möglich.
*
*
Stuttgarter Zeitung, 26.8.2000]
Irene Ferchl: Nach Stuttgart des Vergnügens wegen?
Literarische Spaziergänge in der Landeshauptstadt

[...] Es sei einfach ein historisches Phänomen, dass Künstler hier immer verprellt würden, behauptet Reinhard Döhl (der jetzt im Internet mit einem "Poetenwinkel" eine Art Rehabilitation versucht). [...]
*
*
Stuttgarter Zeitung, 16.02.2001
Kulturbeutel

Apfel, Apfel, Apfel, immer wieder Apfel. Die vielen Wörter hat Reinhard Döhl angeordnet in Apfelform, und in diesen sich aus lauter Wörtern zusammensetzenden Apfel hat er das Wort Wurm hineingeschmuggelt. Konkrete Poesie nennt man das, und Döhl, der an der Stuttgarter Uni Literatur lehrte, ist einer ihrer bekanntesten Vertreter. Das Reinhard Döhl-Archiv mit Arbeiten aus vierzig Jahren aber zieht nun um in die Berliner Akademie der Künste. Bis zum 15. März sind ausgewählte Arbeiten Döhls im Stuttgarter Wilhelmspalais zu sehen, wo am 23. Februar auch ein Querschnitt durch Döhls literarisches Werk präsentiert wird.
*
Stuttgarter Nachrichten, 19.2.2001
Reinhard Döhl zu Ehren

Nicht immer weiß man, was er gerade macht, mit wem er welche (Gedanken-)Fäden durch die Welt knüpft, zu unübersichtlich scheint das Werk des Gesamtkünstlers, als dass man Reinhard Döhl ein Etikett, seinem Schaffen einen festen Ort zuweisen könnte. Bis zum 15. März zeigt nun die Stadtbücherei bisher nicht präsentierte Werke Döhls, an diesem Freitag, 23. März, stellt die Gruppe Wortissimo einen Querschnitt der literarischen Arbeit Döhls vor. Titel des Abends (Beginn im Wilhelmspalais: 20 Uhr): R. D. Gegenwelten - Widerworte. Reinhard Döhl wird sich weiter vor Botnang verneigen, Stuttgart Weite und Mitstreitern poetisch-künstlerisch Glück wünschen. Das Reinhard-Döhl-Archiv zieht derweil weg - in die Akademie der Künste in Berlin. stn
*
Stuttgarter Zeitung, 23.02.2001
Von Dietrich Heißenbüttel: Wurm im Apfel
Stadtbücherei zeigt Döhl-Archiv

Ein Bildgedicht in Form eines Apfels, das aus einer Aneinanderreihung des Wortes "Apfel'' besteht, in der sich an einer Stelle ein "Wurm'' verbirgt, stellt seine bekannteste, seine einzige wirklich weithin bekannte literarische Arbeit dar. Germanistikstudenten kennen Reinhard Döhl außerdem als Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Stuttgart. Doch der gebürtige Westfale, der 1960 als sechsundzwanzigjähriger Student nach Stuttgart kam, hat sich auf seinem Professorenstuhl nicht zur Ruhe gesetzt. Bereits in den sechziger Jahren hatte Döhl durch Texte, Collagen und Hörspiele auf sich aufmerksam gemacht. Er gehörte zum Kreis um Max Bense, der damals mit neuen Formen der Lyrik nebst der dazugehörigen Theorie international Aufsehen erregte. In jüngerer Zeit ist der Germanistikprofessor, vor allem seit einer Japanreise im Jahre 1987, mit zahlreichen künstlerischen Arbeiten an die Öffentlichkeit getreten.

Aus eigenen Arbeiten und internationalen Begegnungen kam im Lauf der Zeit ein umfangreiches Archiv zusammen, das Reinhard Döhl jetzt der Akademie der Künste in Berlin gestiftet hat. Aus diesem Anlass gewährt nun die Stadtbücherei im Mörike-Kabinett, unmittelbar neben der Dauerausstellung der "Stuttgarter Literaturszene'', der Döhl ebenfalls angehört, einen kleinen Einblick in die Sammlungen des Autors. Wer sich Zeit lässt, kann so manches entdecken: einen Gästebucheintrag Ernst Jandls in Form eines kleinen, handgeschriebenen Gedichts oder, auf einem anderen Blatt des Albums aus dem Hause Döhl, eine herzallerliebste Kalligrafie des Japaners Hiroo Kamimura. An der Wand gegenüber hängen drei große japanische Tuschzeichnungen, zwei davon von Döhl selbst.

Nicht immer stellt sich allerdings der Aha-Effekt so schnell ein wie im Fall des Apfel-Wurm-Gedichts, das übrigens, wie die Ausstellung zeigt, schon 1960 als Reliefdekor eines Rosenthal-Künstlertellers erschien. Manche der Collagen wirken eher farblos und unscheinbar, einige Exponate dürften nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten ihren vollen Sinn enthüllen. Die 1965 begonnene Serie der Use-Papers, Bearbeitungen von Zeitungsausschnitten, die im Grunde genommen erbitterte Kommentare eines Außenseiters zu einigen Aspekten der Stuttgarter Stadtgeschichte darstellen, werden hier, in den ehemaligen Räumen des Stadtarchivs, wohl keine Diskussion mehr anstoßen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 15. März zu sehen, dann wandert das Archiv nach Berlin. Eine Veranstaltung heute Abend um 20 Uhr mit dem Ensemble Wortissimo und dem Cellisten Johannes Zagrosek ergänzt das Programm. Sehenswert sind auch die Internetseiten des Literaturwissenschaftlers, der seit fünf Jahren vorwiegend online publiziert.

members.tripod.de/ReinhardDoehl
*
*
Stuttgarter Zeitung, 13.07.2001
Oliver Gassner: Digitaler Poetenwinkel
Reinhard Döhl stellt Internetprojekt zur Literaturgeschichte vor

Die Literaturgeschichte ist eine Wissenschaft. Sie leistet sich bei ihrem oft ungerechten Blick auf die Lebenden und die Toten blinde Flecken, die gelegentlich das ganze Gesichtsfeld umfassen. Nur so sind die "Entdeckungen" möglich, die dann an dieser oder jener Stelle als epochal gefeiert werden können. Der Literaturwissenschaftler Reinhard Döhl hat jetzt in der Stadtbücherei Stuttgart ein nicht so populäres Kapitel der Stuttgarter Literaturgeschichte beleuchtet: die experimentelle Literatur mit und ohne Verwendung von Computern.

In dem von Döhl mit organisierten Internetprojekt "Stuttgarter Poetenwinkel", einer Online-Anthologie von Autoren, die in irgendeiner Verbindung mit Stuttgart stehen, finden sich zum Beispiel frühe, nämlich barocke Sprachspiele vom Ahnherrn der Stuttgarter Experimentellen: Georg Rodolf Weckherlin, der via Mausklick gleich auch noch als Erfinder des schwäbischen Dialektgedichts zu entdecken ist.

Die Sprachspiele und Permutationsgedichte des Barock haben dann auch Autoren dazu ermuntert, diese Art der Literatur mit Hilfe des Computers zu pflegen. Werke von Döhl selbst und vor allem die praktischen Computerexperimente und theoretischen Überlegungen der Stuttgarter Gruppe um Max Bense dienten beim Vortrag als Demonstration, dass Stuttgart von Ende der fünfziger Jahre an einen ganz eigenen Zweig der konkreten Poesie hervorgebracht hat.

Doch auch seit Ende der neunziger Jahre tut sich in Stuttgart mehr bei der literarischen Avantgarde, als - so sieht es Döhl - im täglichen Literaturbetrieb oder im Feuilleton sichtbar wird. Nicht wenige Protagonisten der literarischen Online-Kunstszene stammen aus der Landeshauptstadt oder arbeiten in oder bei Stuttgart: Die mehrfache Netzliteratur-Preisträgerin Susanne Berkenheger, die in Uruguay lebende Martina Kieninger, Johannes Auer und Döhl selbst zählen unter anderem zu ihnen.
Und das Produktionsvolumen ist erheblich: Von Auer/Döhl und Susanne Berkenheger sind im Züricher Update Verlag zwei CD-Roms erschienen, welche die im Internet zugänglichen Werke auch ohne Netzanschluss zugänglich machen. Unter den Projekten sind neben umfangreichen und international besetzten Gemeinschaftswerken zu Helmut Heißenbüttel und Gertrude Stein und dem bereits erwähnten Poetenwinkel auch bewegte Gedichte, so genannte "dynamic poetry" (wie "kill the poem" und der Tribut "worm applepie for doehl" von Auer) oder Döhls Permutationsspiel "Tod eines Fauns". Daneben finden sich auf den Homepages von Döhl und Auer Arbeiten, die in Kooperation mit anderen Autoren entstanden sind, wie Martina Kieningers interkontinentales "TanGo-Projekt" oder die "Kettenmails aus der Badewanne" des Stuttgarter Autors Klaus F. Schneider. Projekte, die sich nicht auf die Möglichkeiten des Computers allein beschränken, sondern die zusätzlich die Dynamik des Internets in ihre Textspiele mit einbeziehen.

Bleibt den Literarhistorikern zu wünschen, dass sie das Spiel mit dem Text wiederentdecken und zur Entdeckungsfahrt in den blinden Fleck Stuttgarter literarische Avantgarde aufbrechen.

http://www.reinhard-doehl.de/sprojekte.htm
Susanne Berkenheger: Hilfe! Ein Hypertext aus vier Kehlen, CD-Rom, Update Verlag, Zürich, ISBN 3-908677-07-6.
Johannes Auer/Reinhard Döhl: kill the poem - digitale visuell-konkrete poesie und poem art, CD-Rom, Update Verlag, Zürich, ISBN 3-908677-08-4.

**
*